- Carfentanil
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Strukturformel Allgemeines Name Carfentanyl Andere Namen - Carfentanil
- 4((1-Oxopropyl)-phenylamino)-1-(2-phenylethyl)- 4-piperidin-carbonsäuremethylester
Summenformel C24H30N2O3 CAS-Nummer 59708-52-0 PubChem 62156 DrugBank DB01535 Eigenschaften Molare Masse 394,512 g·mol–1 Aggregatzustand fest
Sicherheitshinweise Gefahrstoffkennzeichnung [1] keine Einstufung verfügbar R- und S-Sätze R: siehe oben S: siehe oben Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Carfentanyl (auch Carfentanil) ist eine chemische Verbindung, die sich vom Opioid Fentanyl ableitet. Die Substanz wird im Gegensatz zu anderen Fentanyl-Derivaten nicht in der Anästhesie eingesetzt, sondern zur Betäubung großer Wildtiere wie z. B. Löwen, Elche, Eisbären usw.
Wirksames Antidot ist Naloxon, mit dem die Narkose schnell wieder aufgehoben werden kann.
Inhaltsverzeichnis
Eigenschaften
Carfentanyl zeichnet sich durch eine große therapeutische Breite aus. Sein therapeutischer Quotient (therap. Index) beträgt etwa 10.000 (im Vergleich zu 700 bei Fentanyl). Überdosierungen sind daher prinzipiell leichter zu vermeiden. Es muss dabei wenig Carfentanyl in einer ausreichenden Menge anderer Flüssigkeiten gelöst werden.
Die Wirksamkeit von Carfentanyl übersteigt die von Fentanyl erheblich und beträgt etwa das 5000 bis 7500-fache[2] der Potenz des Morphin. Da mit Alfentanil und Sufentanil gut steuerbare hochwirksame Analgetika für die Anästhesie verfügbar waren und die Toxizität von Carfentanyl trotz der großen therapeutischen Breite verhältnismäßig hoch ist, fand die Substanz keine Verwendung in der Humanmedizin.
Verwendung als Kampfstoff
Möglicherweise war Carfentanyl - vermutlich in Kombination mit dem Inhalationsanästhetikum Halothan - der hauptsächlich wirksame Teil jenes vermeintlichen „Gases“, das zur Befreiung der 800 Geiseln im Moskauer Dubrowka-Theater im Oktober 2002 eingesetzt wurde, wobei 129 Geiseln und alle Geiselnehmer den Tod fanden (letztere allerdings zumeist durch gezielte Todesschüsse der Sicherheitskräfte). Einen Beweis der Anwendung von Carfentanyl gibt es allerdings nicht. Unter Wissenschaftlern ist die Frage der beteiligten Stoffe umstritten.
Aerosolisierte Form
Aufgrund des hohen Siedepunktes von Carfentanyl muss es sich eher um ein Aerosol-Gas-Gemisch gehandelt haben als um eine „echte“ gasförmige Verbindung. Dieser Unterschied hat Konsequenzen für die Verteilung der Substanz: Die Konzentration von Carfentanyl und Halothan in den Räumen dürfte sehr unterschiedlich gewesen sein. Außerdem steht zu vermuten, dass die Sicherheitskräfte während der Vorbereitung des Angriffs zu einer eher hohen Dosis griffen, auch im Vertrauen auf die therapeutische Breite und gute Antagonisierbarkeit.
Gründe für Carfentanyl-Verwendung
Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass damals Carfentanyl als Kampfstoff verwendet wurde:
- Der russische Gesundheitsminister sprach kurz nach der Geiselbefreiung von einem „Fentanyl-Derivat“ als eingesetztem Mittel.
- Carfentanyl war in großer Menge schnell zu beschaffen, nämlich in Form des Tierbetäubungspräparats WILDNIL.
- Nach Bekanntwerden der hohen Opferzahlen behaupteten russische Behördenvertreter zur Verteidigung ihres Vorgehens, die verwendete Substanz hätte keinesfalls die Todesfälle verursachen können. Dies spricht für ein irrtümlich starkes Vertrauen in die bekannt hohe therapeutische Breite von Carfentanyl, die es gemeinsam mit der hohen Potenz scheinbar zum Mittel der Wahl machte.
Ursachen der Todesfälle
Entgegen der russischen Behördenmeinung ist anzunehmen, dass die meisten der Todesfälle doch auf den Einsatz von Carfentanyl zurückzuführen sind. Als Schädigungsmechanismen kommen u. a. in Frage:
- schwankende Konzentration: Die individuell aufgenommenen Dosen unterschieden sich erheblich. Dazu trägt der Umstand bei, dass selbst bei gleicher Exposition die aufgenommene Dosis etwa um den Faktor 5 schwanken kann (bei allen Opioiden ähnlich).
- Atemdepression: Die Hypoxie durch die nach Carfentanyl-Aufnahme verminderte Atmung verschlechtert generell die Chancen auf eine unbeschadete Restitution und schafft eine schlechtere Ausgangslage für eine intensivmedizinische Behandlung auch dann, wenn angemessene Hilfe schnell erfolgt. Die Zeit bis zur Krankenhauseinlieferung betrug im Schnitt jedoch über 20 Minuten nach der Narkotisierung, und die Notärzte waren nicht hinreichend vorbereitet (s.u.). Zudem zeigten Fernsehbilder, dass die Bewusstlosen zum Teil sitzend (statt korrekt gelagert) in Bussen in die Kliniken transportiert wurden.
- mangelnde Vorbereitung/Information der Kliniken: Die Krankenhäuser in Moskau waren auf Schuss- und Sprengverletzungen vorbereitet, nicht auf Vergiftungsfälle mit einer unbekannten Substanz. Es gab zwar einzelne Informationen an leitende Mitarbeiter von Kliniken, jedoch keine ausreichende Transparenz, um eine konsequente Antagonisierung mit Naloxon bei einer derart großen Opferzahl durchführen zu können.
Literatur
- Wax PM, Becker CE, Curry SC. Unexpected „gas“ casualties in Moscow: a medical toxicology perspective. Ann Emerg Med 2003;41:700-5. PMID 12712038
Einzelnachweise
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