Hyakunin-giri Kyōsō

Hyakunin-giri Kyōsō

Der Hyakunin-giri Kyōsō (jap. 百人斬り競争, dt. etwa: „Wettstreit 100 Menschen mit einem Schwert zu töten“) war ein „Wettstreit“ zweier japanischer Armeeoffiziere während des Zweiten Japanisch-Chinesischen Kriegs 1937, wer es zuerst schafft 100 Menschen mit seinem Schwert zu töten. Beide wurden später als Kriegsverbrecher exekutiert.[1] Seit damals wird die Historizität dieses Ereignisses von japanischen Nationalisten und revisionistischen Historikern angezweifelt, die auch das Massaker von Nanjing verharmlosen.[2]

Diese Angelegenheit erschien zuerst während des Krieges in einer Reihe japanischer Zeitungen, die die Tötungen im Rahmen des „Wettstreits“ der beiden japanischen Offiziere glorifizierten.[3] Erneut kam sie in der Öffentlichkeit in den 70ern auf und entzündete eine größere Kontroverse über die japanischen Kriegsverbrechen in China und dem Massaker von Nanjing im besonderen.

Die ursprünglichen Zeitungsberichte beschrieben die Tötungen als Zweikampf, während Historiker sie als weiteren Teil der weitverbreiteten Massenmorde an wehrlosen Gefangenen jener Zeit ansehen.[4][5]

Inhaltsverzeichnis

Zeitgenössische Berichte

Artikel der Tokyo Nichi Nichi Shimbun vom 13. Dezember 1937 über den „Wettstreit“.
Mukai (links) und Noda (rechts)

1937 berichteten die Ōsaka Mainichi Shimbun und ihr Schwesterblatt die Tokyo Nichi Nichi Shimbun über einen Wettstreit zwischen den beiden Offizieren Mukai Toshiaki (向井 敏明) und Noda Tsuyoshi (野田 毅) bei dem beide darum wetteiferten, wer zuerst mit seinem Schwert 100 Menschen umbringen kann. Der „Wettstreit“ fand vermutlich auf dem Weg der Armee nach Nanjing statt und wurde in vier Artikeln vom 30. November bis 13. Dezember 1937 behandelt. Die letzten beiden erschienen auch in einer Übersetzung in der englischsprachigen Tokioter Tageszeitung Japan Advertiser.

Beide Offiziere übertrafen in der Hitze des Gefechts ihre Zielmarke, womit die Bestimmung des Siegers unmöglich wurde. Nach dem Artikel der Journalisten Asami Kazuo und Suzuki Jirō vom 13. Dezember in der Tokyo Nichi Nichi Shimbun beschlossen daher beide einen neuen „Wettstreit“ zu beginnen, mit dem neuen Ziel 150 Menschen zu töten.[6] Die Schlagzeile dieses Artikels lautete:

「百人斬り〝超記録〟向井 106-105 野田/兩少尉さらに延長戦」

„Hyakunin-giri „chōkiroku“ Mukai 106–105 Noda / ryōshōi sara ni enchōsen“

„Der „unglaubliche Rekord“ beim [Wettstreit] 100 Menschen mit einem Schwert zu töten: Mukai 106, Noda 105 / Beide Leutnante gehen in die Verlängerung“

Andere Soldaten und Historiker betonen die Unwahrscheinlichkeit der zugeschriebenen Taten der Leutnante, Feind nach Feind im Zweikampf besiegt zu haben. Noda selbst sagte in einer Rede in einer Grundschule seiner Heimatstadt folgendes:[7]

“Actually, I didn’t kill more than four or five people in hand-to hand combat … We’d face an enemy trench that we’d captured, and when we called out, ‘Ni, Lai-Lai!’ (You, come on!), the Chinese soldiers were so stupid, they’d rush toward us all at once. Then we’d line them up and cut them down, from one end of the line to the other.”

„Tatsächlich habe ich nicht mehr als vier oder fünf Menschen im Zweikampf getötet … Wir wendeten uns einem feindlichen Graben zu, den wir eingenommen hatten, riefen ‚Ni Lai-Lai!‘ (Du, komm!) und die chinesischen Soldaten waren so dumm alle auf einmal auf uns zu zukommen. Wir reihten sie dann auf und töten sie von einem Ende zum Anderen.“[8]

Militärtribunal

Nach dem Krieg fanden die Berichte ihren Weg in die Akten des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten („Tokioter Prozesse“). Die beiden Soldaten wurden an China ausgeliefert und vom Kriegsverbrechertribunal von Nanjing zum Tode verurteilt. Die Hinrichtung fand am 28. Januar 1948 in der Yuhuatai-Exekutionsstätte statt.[7]

Rezeption

In Japan geriet der „Wettstreit“ in Vergessenheit bis Hora Tomio (洞 富雄), Professor für Geschichte an der Waseda-Universität, 1967 ein 118-seitiges Dokument zu den Ereignissen von Nanjing veröffentlichte. Diese Geschichte wurde erst 1971 von der Presse aufgenommen und damit der breiten Öffentlichkeit erneut zugänglich gemacht, als der Journalist Honda Katsuichi in der Asahi Shimbun eine Reihe von Artikeln schrieb, die Interviews von chinesischen Überlebenden der Besatzungszeit und Massaker enthielten.[9]

Diese Artikel entfachten eine Debatte über das Nanjing-Massaker mit der Wahrhaftigkeit des Tötungswettstreits als umstrittensten Teil.[10] In den folgenden Jahren stritten verschiedene Autoren ob das Nanjing-Massaker überhaupt stattfand und im gleichen Zug damit auch ob der „Wettstreit“ eine Erfindung war.[11]

In späteren Arbeiten stellte Honda Katsuichi die Aufzeichnungen über den Tötungswettstreit in den Kontext des Effekts auf die japanischen Streitkräfte in China. In einem Fall schrieb Honda über den Veteranen Uno Shintarō, der eine autobiografische Beschreibung darüber gab, welchen Effekt das Köpfen von neun Gefangenen nacheinander auf sein Schwert hatte. Uno vergleicht diese Erfahrungen mit denen der beiden Leutnante des „Wettstreits“. Obwohl er Geschichten von Zweikämpfen in seiner Jugend inspirierend fand, nahm er sie nach seinen Kriegserfahrungen nur noch als Exekutionen wahr.[12] Uno fügte hinzu:

“Whatever you say, it’s silly to argue about whether it happened this way or that way when the situation is clear. There were hundreds and thousands of [soldiers like Mukai and Noda], including me, during those fifty years of war between Japan and China. At any rate, it was nothing more than a commonplace occurrence during the so-called Chinese Disturbance. ”

„Was auch immer gesagt wird, es ist albern darüber zu streiten, ob es auf diese oder auf jene Weise geschah, wenn die Situation klar ist. Es gab Hunderte und Tausende [Soldaten wie Mukai und Noda], einschließlich mich, während dieser 50 Jahre des Krieges zwischen Japan und China. Jedenfalls war es nichts mehr als ein alltägliches Ereignis während des sogenannten Chinesischen Zwischenfalls.“[12]

2000 schrieb der Historiker Bob Wakabayashi, dass der „Tötungswettstreit selbst eine Erfindung war“, aber seine Kontroverse „steigerte das Wissen des japanischen Volkes um die Greueltaten und dessen Bewusstsein Täter in diesem Krieg der imperialistischen Aggression gewesen zu sein, trotz der gegenteiligen Anstrengungen der konservativen Revisionisten“.[13] Der Historiker Joshua Fogel wies darauf hin, dass das Anerkennen der Zeitungsberichte „als wahr und genau, einen derartigen Vertrauensvorschuss erfordere, den kein ausgewogener Historiker machen kann“.[14]

Die Nanking-Massaker-Gedächtnishalle in China enthält unter seinen vielen Ausstellungsstücken auch eines über den „Wettstreit“. Ein Artikel in der Japan Times meint, dass dessen Gegenwart es Revisionisten erlaube, eine „Saat des Zweifels zu sähen“ über die Genauigkeit der gesamten Sammlung.[15]

Eines der beim „Wettstreit“ verwendeten Schwerter befindet sich im Republic of China Armed Forces Museum in Taipei, Taiwan.

Der „Wettstreit“ wurde in dem Film John Rabe von 2009 erwähnt.

Gerichtsverfahren

Im April 2003 verklagten die Familien von Mukai Toshiaki und Noda Tsuyoshi die Mainichi Shimbun als Nachfolger der Ōsaka Mainichi Shimbun, die die Artikel 1937 veröffentlichte, die Asahi Shimbun und Honda Katsuichi für die Artikel von 1971, sowie den Verlag Kashiwa Shobō wegen Verleumdung auf 36.000.000 Yen (etwa 270.000 €). Am 23. August 2005 wies Richter Doi Akio vom Bezirksgericht Tokio diese Klage ab, mit der Begründung, dass der „Wettstreit“ stattfand und keine Erfindung der Medien war. Weiter führte er aus, dass obwohl der ursprüngliche Zeitungsbericht Falschbehauptungen enthielt, die Offiziere zugaben 100 Menschen um die Wette ermordet zu haben, sowie dass es schwierig ist zu sagen dies sei eine Fiktion.[16][17]

Die Kläger zogen dann 2006 erfolglos vor dem Obergericht Tokio und wandten sich nach erneuter Niederlage an den Obersten Gerichtshof, der ihre Klage jedoch abwies.

Quellen und Einzelnachweise

  • Bob Tadashi: The Nanking 100-Man Killing Contest Debate: War Guilt Amid Fabricated Illusions, 1971–75. In: Journal of Japanese Studies. Vol. 26, Nr. 2, The Society for Japanese Studies, 2000, S. 307–340, doi:10.2307/133271.
  • Katsuichi Honda; Frank Gibney (Hrsg.): The Nanjing Massacre. A Japanese Journalist Confronts Japan’s National Shame. M. E. Sharpe, 1999 (Originaltitel: 南京への道, übersetzt von Karen Sandness), ISBN 0-7656-0335-7 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  1. Takashi Yoshida: The Making of the “Rape of Nanking”. Oxford University Press, 2006, ISBN 978-0-19-518096-1, S. 64
  2. Joshua A. Fogel: The Nanjing Massacre in History and Historiography. 2000, S. 82
  3. Honda 1999, S. 131–132
  4. Kajimoto 2000, S. Postwar Judgment: II. Nanking War Crimes Tribunal
  5. Honda 1999, S. 128
  6. Wakabayashi, 2000, S. 319.
  7. a b M. Kajimoto: The Postwar Judgement: II. Nanking War Crimes Tribunal. In: Nanking Atrocities (Nanjing Massacre). August 2000, abgerufen am 19. November 2010 (englisch).
  8. Honda 1999, S. 125–127
  9. Honda 1999, S. ix
  10. Joshua A. Fogel: The Nanjing Massacre in History and Historiography. 2000, S. 81–82
  11. Honda 1999, S. 126–127, Fußnote
  12. a b Honda 1999, S. 128–132
  13. Wakabayashi 2000, S. 307, “the killing contest itself was a fabrication”, “increased the Japanese people’s knowledge of the Atrocity and raised their awareness of being victimizers in a war of imperialist aggression despite efforts to the contrary by conservative revisionists”
  14. Bob Tadashi Wakabayashi: The Nanking Atrocity 1937–38. Complicating the Picture. Berghahn Books, 2007, ISBN 978-1-84545-180-6, S. 280 (Eingeschränkte Vorschau in der Google Buchsuche).
  15. Jeff Kingston: War and reconciliation: a tale of two countries. In: Japan Times. 10. August 2008, S. 9 (Online).
  16. Chris Hogg: Victory for Japan's war critics. In: BBC News. 23. August 2005, abgerufen am 19. November 2010 (englisch).
  17. hanketulist. Archiviert vom Original am 15. Januar 2007, abgerufen am 20. November 2010 (japanisch, Volltext der Gerichtsentscheidung).

Weblinks

Japanische Namensreihenfolge Japanischer Name: Wie in Japan üblich, steht in diesem Artikel der Familienname vor dem Vornamen. Somit ist Mukai der Familienname, Toshiaki der Vorname.

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