Lichtstrahlen (Zeitschrift)

Lichtstrahlen (Zeitschrift)

Die Zeitschrift Lichtstrahlen erschien zwischen September 1913 und April 1916 monatlich – mit einer Unterbrechung im August und September 1914 – in Berlin. Ihr Herausgeber war der sozialdemokratische Journalist Julian Borchardt. Die Lichtstrahlen waren neben der von Clara Zetkin herausgegebenen frauenpolitischen Zeitschrift Gleichheit in der Anfangsphase des Ersten Weltkrieges das einzige kontinuierlich erscheinende überregionale Blatt, das Positionen der sozialdemokratischen Linken vertrat. Im November 1918 lancierte Borchardt die Zeitschrift erneut. Sie war zu diesem Zeitpunkt allerdings nahezu einflusslos und wurde 1921 eingestellt.

Positionen und Bedeutung

Borchardt verstand seine Zeitschrift – so der Untertitel – als Bildungsorgan für denkende Arbeiter. Anfänglich galt seine Kritik der auf politische Reformen fixierten sozialdemokratischen Instanzenpolitik. Demgegenüber forderte der Herausgeber der Lichtstrahlen eine gründliche Beschäftigung mit den sozialökonomischen Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft ein – das allein liefere das Fundament einer radikalen Kritik. Im ersten Heft schrieb Borchardt:

„Wer die Menschheit befreien will von der sozialen Not, wird vor allen Dingen deren Ursachen kennen müssen. Dazu ist nötig eine sorgsame Durchforschung unserer gesamten sozialen Zustände, vor allem unserer wirtschaftlichen Zustände. Denn nur dort sind die Wurzeln des sozialen Elends zu ergründen."[1]

Weiters brachte die Zeitschrift Beiträge zu historischen Fragen, zur Pädagogik und zur Religionskritik. Zu den Autoren zählten prominente Linke wie Franz Mehring, Edwin Hoernle, Johann Knief (unter dem Pseudonym Alfred Nußbaum), Julian Marchlewski, Angelica Balabanoff, Anton Pannekoek, Otto Rühle und Karl Radek.[2]

Seit Oktober 1914 griff die Zeitschrift die Burgfriedenspolitik der SPD scharf an und plädierte vergleichsweise rasch – anders als etwa die Linken um Liebknecht und Luxemburg, die zunächst weiter innerhalb der Partei wirken wollten – für einen konsequenten Neuanfang und den sofortigen Bruch mit der alten Organisation. Von Umkehr-Appellen an die Parteiführung distanzierte sich das Blatt ausdrücklich, derlei sei vollkommen sinnlos.[3] Eine neue „sozialimperialistische Partei“ sei entstanden; es sei unmöglich, als Sozialist einer Organisation anzugehören, die von den „Männern des 4. August“[4] geführt werde. Die Haltung der russischen Bolschewiki zu Krieg und „Vaterlandsverteidigung“ wurde in den Lichtstrahlen als beispielhaft bezeichnet und propagiert.[5]

Im April 1915 sorgte Borchardt für einen Skandal, als er in einem sorgfältig recherchierten Artikel enthüllte, dass rechte Sozialdemokraten gegenüber der bürgerlichen Presse seit Monaten Parteiinterna preisgaben und dortselbst unter Pseudonymen Artikel veröffentlichten, die die rechte Mehrheit im Parteivorstand anfeuerten.[6] Daraufhin versandte der Parteivorstand der SPD ein Rundschreiben, in dem regionale und lokale Parteileitungen aufgefordert wurden, gegen eine weitere Verbreitung der Lichtstrahlen bzw. der gerade mit einer ersten Nummer erschienenen Internationale einzuschreiten.[7] Parallel griffen die Lichtstrahlen auch die zentristische Strömung um Kautsky an. Sie sei in der Hauptsache dafür verantwortlich, dass die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Revolutionären und Opportunisten immer wieder verwischt würden; dies desorientiere die Mehrheit der Parteimitglieder und liefere sie dem Vorstandskurs aus.[8] Nötig sei

„(...) ein Kampf um die Vereinigung aller linken Elemente der Partei, von denen ein Teil unter dem Einfluss der Kautskyschen Autorität zwischen Rechts und Links pendelt, mit Worten sich gegen die Rechte erklärt, durch Taten sie stützt.“[9]

Borchardt sammelte in Berlin einen Kreis von 15 bis 20 Lesern der Lichtstrahlen, die mit ihm als Internationale Sozialisten Deutschlands auftraten.[10] Als deren Vertreter nahm er im September 1915 an der Zimmerwalder Konferenz teil. Anders als die seit August 1915 regelmäßig (zunächst unter verschiedenen Bezeichnungen) erscheinenden Spartakusbriefe oder die Bremer Arbeiterpolitik wurde Borchardts Zeitschrift jedoch von sozialdemokratischen Arbeitern und Funktionären kaum rezipiert. Im Gegensatz zu den genannten Blättern sammelte sich um die Lichtstrahlen lediglich ein Lektüre- und Debattierzirkel ohne größeres aktivistisches Potential.[11] Nach der vorübergehenden Verhaftung Borchardts im Februar 1916[12] und dem Verbot der Zeitschrift im April 1916 zerfiel diese Gruppe nach und nach.[13] Die als Anschlussprojekt gegründete Zeitschrift Leuchtturm (erschien von Mai 1916 bis Oktober 1918) verlor rasch jede Bedeutung, da sich Julian Borchardt in den Debatten der sozialdemokratischen Linken in wesentlichen – vor allem organisationspolitischen – Fragen völlig isolierte.[14]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Lichtstrahlen, September 1913, S. 1. Zitiert nach Fricke, Dieter, Handbuch zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1869 bis 1917 in zwei Bänden, Berlin 1987, Band 1, S. 629.
  2. Siehe Fricke, Handbuch, Band 1, S. 629. Siehe auch Bock, Hans Manfred, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 bis 1923. Ein Beitrag zur Sozial- und Ideengeschichte der frühen Weimarer Republik, Darmstadt 1993, S. 73f.
  3. Siehe Bock, Syndikalismus, S. 74f.
  4. Lichtstrahlen, September 1915, S. 305, 307. Zitiert nach Fricke, Handbuch, Band 1, S. 629.
  5. Siehe Fricke, Handbuch, Band 1, S. 629.
  6. Siehe Bartel, Walter, Die Linken in der deutschen Sozialdemokratie im Kampf gegen Militarismus und Krieg, Berlin 1958, S. 294.
  7. Siehe Bartel, Die Linken, S. 228.
  8. Siehe Bartel, Die Linken, S. 406.
  9. Lichtstrahlen, Juli 1915, S. 260. Zitiert nach Bartel, Die Linken, S. 406.
  10. Siehe Fricke, Handbuch, Band 1, S. 381. Siehe auch Schumacher, Gabriele, Julian Borchardt und die "Lichtstrahlen" (1913-1916), in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Jg. 1985, Heft 6, S. 798ff.
  11. Siehe Fricke, Handbuch, Band 1, S. 629.
  12. Borchardt hatte auf einer Veranstaltung sozialdemokratischer Jugendlicher in Neukölln zum Generalstreik aufgerufen. Siehe Bartel, Die Linken, S. 293f.
  13. Siehe Fricke, Handbuch, Band 1, S. 630.
  14. Siehe Fricke, Handbuch, Band 1, S. 396, 630. Siehe auch Bartel, Die Linken, S. 421 sowie Bock, Syndikalismus, S. 75ff.

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