Change Ringing

Change Ringing

Wechselläuten (auch Variationsläuten, engl. Change Ringing) ist eine hauptsächlich im angelsächsischen Kulturraum verbreitete Kunstform des Glockenläutens. Drei bis zwölf, manchmal mehr, selten aber über sechzehn Glocken werden reihum geläutet, wobei bei jeder Wiederholung, jedem Wechsel, die Reihenfolge der Glocken so variiert wird, dass keine Reihe doppelt auftaucht – ausgenommen der letzte Wechsel, in dem die Glocken wie zu Beginn in absteigender Tonhöhe geläutet werden.

Ursprünglich für Kirchenglocken entwickelt, wird das Wechselläuten heute auch mit Handglocken praktiziert. Eine gewisse Popularität erlangte diese Praxis in der Zeit des Zweiten Weltkriegs, als in England die Kirchenglocken nicht geläutet wurden und die Glöckner auf andere Trainingsmöglichkeiten ausweichen mussten.

Inhaltsverzeichnis

Technik

Aufbau des englischen Glockenstuhls: die Hemmung (b) schlägt bei aufgeschwungener Glocke an den Gleitstock (c) und hält die Glocke bereit zum Schwung.

Kirchenglocken

Technische Voraussetzung für das Wechselläuten mit Kirchenglocken ist ein Glockenstuhl, der eine Rotation der Glocken um 360 Grad erlaubt. Das Joch, an dem jede Glocke aufgehängt ist, ist mit einem hölzernen Rad ausgestattet, in welchem das Glockenseil geführt wird. Geläutet wird von einer unterhalb des Glockenstuhls gelegenen „Läutestube“ aus.

Zu Beginn des Läutens wird die Glocke aufgeschwungen, d. h. durch wiederholtes Ziehen am Seil immer höher bewegt, bis sie sich um 180 Grad gedreht in einem labilen Gleichgewicht befindet. Eine am Joch angebrachte Hemmung stabilisiert die Glocke in dieser Lage.

Durch einen Zug am Seil lenkt der Glöckner die Glocke so aus dem Gleichgewicht, dass sie eine volle Drehung vollführt und wieder kopfüber stehen bleibt. Dabei schlägt der Klöppel auf den Glockenkörper und lässt die Glocke einmal erklingen. Die Aktion heißt Handzug.

Das Glockenseil wickelt sich beim Handzug zu einem guten Stück um das Rad, was die Arme des Glöckners über seinen Kopf hebt. Zieht der Glöckner jetzt nochmals am Seil, schwingt die Glocke in die entgegengesetzte Richtung und kehrt zu ihrer Ausgangsstellung zurück, wobei sie wiederum ertönt: der sogenannte Rückzug.

Zwischen der letzten Glocke im Rückzug und der folgenden ersten im Handzug wird ein Intervall doppelter Länge eingelegt. Ansonsten werden die Glocken unmittelbar nacheinander geläutet. Die Frequenz des Läutens ist dadurch relativ hoch. Eine nicht allzu schwere Glocke lässt sich etwa 30 mal in der Minute anschlagen. Entsprechend dauert das einmalige Durchläuten eines Geläuts von sechs Glocken etwa zwei Sekunden, was einem Intervall von einer Drittelsekunde zwischen den Schlägen entspricht. Bei diesem Tempo möglichst gleichmäßig zu läuten, ist ein Maß für die Qualität und wird im Englischen als good striking bezeichnet.

Handglocken

Handglocken

Beim Wechselläuten mit Handglocken gibt es zwei unterschiedliche Techniken. Die erste imitiert im Prinzip das Läuten mit Kirchenglocken: Ein Aufwärtsschlag der Glocke entspricht dem Handzug, ein Abwärtsschlag dem Rückzug. Falls nicht speziell für das Kirchengeläut trainiert werden soll, kann eine Person auch durchaus mehrere Glocken bedienen.

Alternativ dazu sind die Glocken in absteigender Tonhöhe von rechts nach links auf einem Tisch ausgelegt. In dieser Folge schlägt jeder Glöckner das vor ihm liegende Paar Glocken bei jedem Durchgang einmal an. Die Wechsel ergeben sich durch das Vertauschen entsprechender Glocken beim Zurücklegen; auf diese Weise lassen sich die Glocken immer in derselben Reihenfolge von rechts nach links durchläuten.

Grundlagen

Traditionell werden die Glocken in absteigender Reihe durchnummeriert. Die Sopranglocke (engl. treble) wird mit 1 bezeichnet, die zweithöchste mit 2 und so weiter bis zur tiefen Bassglocke (tenor (!)).

Das einfache Durchläuten der Glocken in absteigender Folge heißt Runde (round). Üblicherweise bilden eine oder mehrere Runden Auftakt und Abschluss des eigentlichen Wechselläutens. Jeder der auf die einleitende Runde folgenden Wechsel ist eine echte Permutation der Glocken, das heißt jede Glocke wird bei jedem Wechsel genau einmal geläutet; außerdem darf sich die Reihenfolge der Glocken bis zum Schluss bei keinem Wechsel wiederholen. Ein weiterer Grundsatz ist die Forderung, dass keine Glocke bei einem Wechsel um mehr als einen Platz nach vorne oder hinten rücken darf.

Umgesetzt werden diese Regeln auf zwei verschiedene Arten: Beim sogenannten call change ringing wird bei jedem Wechsel auf Zuruf des leitenden Glöckners ein Paar Glocken benannt, das seine Plätze tauscht. Beim method ringing folgen die Wechsel einem von vornherein fest vorgegebenen Schema, einer Methode (method).

Die Krönung des Wechselläutens ist es, wenn alle möglichen Permutationen der Glocken in einem sogenannten extent in Folge geläutet werden. Bei einem Geläut von n Glocken gibt es n! (n Fakultät) mögliche Permutationen, eine Zahl, die mit der Anzahl der beteiligten Glocken rasant wächst. So gibt es bei sechs Glocken 720 mögliche Permutationen, bei sieben sind es 5.040 und bei zwölf bereits 479.001.600.

Zyklus (peal) bedeutete ursprünglich einen extent von sieben Glocken, er umfasste also 5.040 Wechsel. Mit mehr als sieben Glocken ist ein extent kaum durchzuführen – die 479.001.600 Wechsel eines Zwölfergeläuts zu läuten dauerte über 30 Jahre – so dass in diesem Fall ein Läuten mit mindestens 5.000 Wechseln einen Zyklus darstellt. Bei weniger als sieben Glocken wird für den gleichen Titel eine Folge von mindestens 5.040 Wechseln gefordert. Unterhalb dieser Grenze spricht man von einem Satz (touch).

Methoden

Notation der Methode „Plain Bob Minor“ (Ausschnitt), blue lines von Sopran und Nr.2 in blau und rot.
Bob Minor, Synthesised Bell Sounds.ogg
Hörprobe „Plain Bob Minor“ (synthetisch erzeugt)

Nomenklatur

Die Benennung der Methoden, wie z. B. Plain Bob Minor, Kent Treble Bob Major folgt dem Schema [Name] [Klasse] [Läuteart]. Die Läuteart (Minor, Major,...) bezeichnet dabei die Anzahl der Glocken, die an der Methode beteiligt sind. Sie ist nicht mit der Größe des Geläuts gleichzusetzen, oft wird mit den oberen Glocken eine „kleinere“ Methode geläutet, bei der man die tiefen Glocken an ihrer festen Position mitläuten lässt. Die Klasse (Bob,...) gibt die Eigentümlichkeit der Konstruktion an (Bob = Scherschritt), nach der die Methode klassifiziert werden kann. Als individuelle Namen findet man schließlich gerne Orte (Kent, London,...) oder einfach den Erfinder der Methode (Stedman, Annable's London,...).

beteiligte Glocken mögliche Wechsel Läuteart
3 3! = 6 Singles
4 4! = 24 Minimus
5 5! = 120 Doubles
6 6! = 720 Minor
7 7! = 5.040 Triples
8 8! = 40.320 Major
9 9! = 362.880 Caters
10 10! = 3.628.800 Royal
11 11! = 39.916.800 Cinques
12 12! = 479.001.600 Maximus

Bei mehr als zwölf beteiligten Glocken werden die ungeraden Läutearten nach der Anzahl der möglichen Transpositionen benannt (Sextuples, Septuples etc.), die geraden nach der Anzahl der beteiligten Glocken (wie bei Bristol Surprise Sixteen). Bei weniger als vier Glocken ist die einfache Jagd (plain hunt) die einzige regelkonforme Methode.

Notation

Üblicherweise wird eine Methode in einer Matrix notiert, bei der jede Zeile einem Wechsel entspricht. Um den „Weg“ einer Glocke in diesem Schema leichter nachvollziehen zu können, wird dieser gerne farblich markiert. Man spricht daher von der blue line einer Glocke.

Folgendes Beispiel zeigt einen Teil der blue line der fünften Glocke bei einer einfachen Jagd mit sechs Glocken. Der Weg der Sopranglocke ist hier rot markiert.

123456
214365
241635
426153
462513
645231
654321
563412
536142
351624
315264
132546
123456

Die einfache Jagd ist eine der simpelsten Methoden: jede Glocke rückt bei jedem Wechsel um einen Platz in eine vorgegebene Richtung, bleibt einmal auf der Außenposition stehen und rückt dann in entgegengesetzter Richtung weiter, ein Verfahren, das in seiner Notation zu einer Art Zopfmuster führt. Die Muster bzw. die blue lines müssen von den Glöcknern im Übrigen auswendig beherrscht werden, da physische Hilfsmittel - wie Spickzettel - beim Wechselläuten prinzipiell nicht erlaubt sind.

Mathematische Aspekte

Das Wechselläuten stellt nicht nur ein anschauliches Anwendungsbeispiel für die mathematische Disziplin der Gruppentheorie dar, die mathematische Analyse bietet auch einen eleganten Weg für das Verständnis der Struktur und damit für den Beweis der Korrektheit einer Methode. Verließe man sich auf reines Abzählen und Vergleichen, würde der Nachweis, dass unter den mindestens 5.000 Wechseln eines Zyklus keiner doppelt auftritt keine kleine Herausforderung darstellen.

Ausgangspunkt der Betrachtung ist die Feststellung, dass die Wechsel mit den Elementen einer Permutationsgruppe identifiziert werden können. Methoden sind – wie der Name sagt – keine willkürlichen Abfolgen von Wechseln, sondern nach einem bestimmten Muster aufgebaut. Kann man dieses Muster einer Methode mit einem entsprechenden Muster einer Permutationsgruppe identifizieren, so erlaubt die genaue Kenntnis des Aufbaus der Gruppe eine ebenso genaue Beschreibung des Aufbaus der Methode.

Grundbegriffe

Zwei nacheinander ausgeführte Permutationen von n Glocken bilden offensichtlich wieder eine derartige Permutation. Eine Menge, bei der eine Verknüpfung von je zwei ihrer Elemente wieder ein Element der Menge ergibt, wird - etwas vereinfacht gesagt - in der Mathematik Gruppe genannt. Die Menge der Permutationen von n Objekten bildet dabei die Symmetrische Gruppe von n Elementen, kurz Sn. Auch das unverändert lassen der Reihenfolge der Objekte stellt dabei eine Permutation dar, diese identische Abbildung ist das so genannte Neutrale Element e der Gruppe.

Untergliedert wird eine Gruppe durch ihre Untergruppen: Teilmengen, die für sich genommen wieder eine Gruppe bilden. Die Anzahl der Elemente einer Untergruppe ist immer ein Teiler der Gesamtzahl der Gruppenelemente. Der Quotient wird als Index der Untergruppe bezeichnet. Der Index gibt die Anzahl der Nebenklassen an, in die die Gruppe durch die Untergruppe zerlegt wird. Findet man beispielsweise in einer Gruppe, die aus 24 Elementen besteht eine Untergruppe mit sechs Elementen, kann man sich die ganze Gruppe als aus vier „Kopien“ der Untergruppe zusammengesetzt vorstellen.

Beispiel: Plain Bob Minimus

Plain Bob Minimus
1234 1342 1423
2143 3124 4132
2413 3214 4312
4231 2341 3421
4321 2431 3241
3412 4213 2314
3142 4123 2134
1324 1432 1243
1234

Plain Bob Minimus umfasst als extent von vier Glocken 24 Wechsel. Diese entsprechen den Elementen der Gruppe S4. Bezeichnet man mit a die Permutation, die die äußeren Paare der Reihe vertauscht und die Transposition des mittleren Paares mit b, so ergeben sich die ersten acht Wechsel von Plain Bob Minimus aus der (auf das neutrale Element e folgenden) abwechselnden Anwendung von a und b, also

 e, \, a, \, ab, \, aba, \, (ab)^2, \, (ab)^2a, \, (ab)^3, \, (ab)^3a .

Eine erneute Anwendung von b würde einen vorzeitig zur ursprünglichen Runde zurückbringen. Fortgesetzt wird daher durch eine dritte Permutation c, welche die beiden letzten Glocken vertauscht. Der nächste Wechsel entspricht dann (ab)³ac und wenn man zur Abkürzung w = (ab)³ac setzt, erhält man das zweite Drittel von Plain Bob Minimus aus den Permutationen

 w, \, wa, \, wab, \, waba, \, w(ab)^2, \, w(ab)^2a, \, w(ab)^3, \, w(ab)^3a

und das letzte Drittel - nach einer weiteren Anwendung von c - aus

 w^2, \, w^2a, \, w^2ab, \, w^2aba, \, w^2(ab)^2, \, w^2(ab)^2a, \, w^2(ab)^3, \, w^2(ab)^3a .

Hintergrund ist, dass die beiden Permutationen a und b eine Untergruppe der S4 erzeugen, die Diedergruppe D4, welche aus den erstgenannten acht Elementen besteht. Die drei Teile von Plain Bob Minimus können mit den drei Nebenklassen D4, wD4 und w2D4 der Untergruppe D4 identifiziert werden.

Die beiden Hauptforderungen beim Wechselläuten, dass kein Wechsel doppelt auftaucht und dass bei einem Wechsel keine Glocke um mehr als eine Stelle nach vorne oder hinten rücken darf, sind auf diese Weise relativ einfach geprüft: Die Eindeutigkeit der Wechsel ergibt sich aus der Tatsache, dass die Nebenklassen einer Untergruppe eine Partition der gesamten Gruppe bilden, die Bewegung der Glocken wird durch die drei erzeugenden Permutationen a, b und c vorgegeben, von denen alle drei die genannte Bedingung erfüllen.

Geschichte

Anfänge

Titelblatt von Duckworths Tintinnalogia.

Schriftliche Zeugnisse für das organisierte Läuten von Kirchenglocken aus säkularen Anlässen finden sich in England ab dem 15. Jahrhundert. Ab dieser Zeit lässt sich auch gut die beständige Verbesserung von Glockenstühlen und zugehöriger technischer Ausstattung nachweisen. Entscheidend für die Entwicklung des Wechselläutens war die Idee, ein Rad zur Führung des Seils und zur Kraftübertragung einzusetzen. Im 15. Jahrhundert wurde zwar schon ein halbes Rad zu diesem Zweck benutzt, aber erst der Einsatz des Dreiviertelrades in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erlaubte eine kontrollierte Umdrehung der Glocke um 180 Grad.

Zentren der Entwicklung waren – schon allein aufgrund der Infrastruktur – die Städte, allen voran London, das 1552 über 80 Kirchen mit Geläuten von drei bis sechs Glocken zählte. Der deutsche Gelehrte Paul Hentzner, der sich 1598 in London aufhielt, notierte in seinem Reisetagebuch:

„Delectantur quoque valde sonitibus, qui ipsis aures implent, uti explosionibus tormentorum, tympanis et campanarum boatu, ita ut Londini multi qui se inebriaverint turrem unam vel alteram exercitii causa ascendant et per horas aliquot campandis signum dent.“ [1]

Übersetzt etwa: „Laute Töne wie das Krachen von Geschützen oder der Klang von Pauken und Glocken gefallen ihnen sehr. Viele Londoner erklimmen – nachdem sie einiges getrunken haben mögen – den ein oder anderen Kirchturm um dort für ein paar Stunden zum Zweck der Übung die Glocken zu läuten.“ Hentzners Verbindung von Wechselläuten mit ausgiebigem Alkoholgenuss darf in dieser Form allerdings bezweifelt werden, vermutlich wurde er hier von seinen Gewährsleuten etwas auf den Arm genommen.

Frühe Formen des Wechselläutens bestanden lediglich in der ständigen Wiederholung einer bestimmten Reihenfolge der Glocken, bekannt sind rounds (123456), queens (135246) oder tittums (142536), die je nach Geschmack durch call changes variiert werden konnten.

Methoden kamen im frühen 17. Jahrhundert auf. Auch die heutigen Techniken gehen im Wesentlichen auf diese Zeit zurück. Das erste grundlegende Lehrbuch „Tintinnalogia, or, the Art of Ringing.“ von Richard Duckworth und Fabian Stedman stammt aus dem Jahr 1668. Duckworths Rückblick

„But for the Art of Ringing, it is admirable to conceive in how short a time it hath increased, that the very depth of its intricacy is found out; for within these Fifty or Sixty years last past, Changes were not known, or thought possible to be Rang.“ [2]

ist konform zur Datierung, die sich aus weiteren Quellen ergibt.[3]

Organisation in Zünften

St. Sepulchre-without-Newgate in London: Wurde hier der erste vollständige Zyklus geläutet?
Oder war es in St. Peter Mancroft in Norwich?

Um 1600 entstanden in den großen Städten auch die ersten unabhängigen Vereinigungen von Anhängern der jungen Kunst in Form von Zünften. Älteste nachweisbare war die 1603 gegründete Company exercising the Arte of Ringing knowne and called by the name of the Schollers of Cheapeside in London, weitere frühe Gründungen waren die Society of Ringers of St Hugh an der Kathedrale von Lincoln (1612) oder die Society of St Stephen's Ringers in Bristol (um 1620).

Die städtischen Zünfte waren die treibende Kraft für den enormen Aufschwung, den das Wechselläuten ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erlebte. Die beständige Entwicklung und Erprobung neuer Methoden für immer größere Geläute wurde im Wesentlichen durch die Konkurrenz der angesehenen Gesellschaften vorangetrieben. Die Autoren der klassischen Lehrbücher der folgenden Zeit entstammten durchweg ihren Reihen. Schon der erwähnte Klassiker Tintinnalogia war von Duckworth der „Noble Society of Colledge-Youths“ zugeeignet worden. Diese heute noch als Ancient Society of College Youths existente Londoner Gesellschaft von 1637 soll der Kopie eines Manuskriptes aus dem Jahr 1738 zufolge am 7. Januar 1690 in der Kirche St. Sepulchre-without-Newgate in London den ersten vollen Zyklus geläutet haben und zwar mit sieben Glocken nach der Methode Plain Bob Triples. Aufgrund der nicht ganz einwandfreien Quellenlage und des frühen Datums wird die korrekte Durchführung der Methode aber bezweifelt.[4] Anerkannt ist hingegen der volle Zyklus, der am 2. Mai 1715 in der Kirche St. Peter Mancroft in Norwich geläutet wurde und damit – zumindest für das Gebiet außerhalb Londons – das Erstlingsrecht beanspruchen kann.[5]

Die Zünfte waren nicht an eine feste Kirche gebunden, es war nachgerade üblich, Gastspiele in der näheren und weiteren Umgebung abzuhalten. Regelmäßig wurden die großen Gesellschaften zur Einweihung eines neuen oder vergrößerten Geläuts in das Umland eingeladen, wo sie durch eine Demonstration ihres Könnens zur wachsenden Popularität des Wechselläutens und der Verbreitung der jeweils neuesten Methoden beitragen konnten. Die vorherrschende Stellung der städtischen – genauer: der Londoner – Zünfte blieb aber bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestehen.

Wechselläuten als säkularer Sport

Die Umsetzung der Reformation in England führte in der Mitte des 16. Jahrhunderts zu einer Vereinfachung der Liturgie, nach der Glocken nur noch sehr eingeschränkt bei Gottesdiensten eingesetzt wurden. Daneben hatte der Machtverlust der Kirche als Institution zur Folge, dass die Kontrolle über sowohl kirchlich als auch weltlich genutzte Ressourcen – und Glocken waren schon immer zu säkularen Zwecken eingesetzt worden – in der Regel vollständig in die Hände der jeweiligen Gemeinden überging. Die Folgezeit brachte den vermehrten Ausbau bestehender Geläute, eine deutliche Zunahme des organisierten Läutens bei weltlichen Festtagen und erstmals (strenge) Regelungen bezüglich des so genannten pleasure ringings.

Der ebenfalls in dieser Zeit aufkommende Puritanismus stand jeglicher Art von Vergnügung deutlich ablehnend gegenüber. Nachdem 1595 eine ähnliche Initiative am Einspruch von Elisabeth I. gescheitert war, verabschiedete das englische Parlament 1643 ein Gesetz, das die Ausübung diverser Freizeitaktivitäten für den Sonntag verbot, unter anderem „ringing bells for pleasure“. Auch wenn der Puritanismus mit der Restauration der englischen Monarchie 1660 wieder an Bedeutung verlor, hat diese zeitweilige Ächtung des Wechselläutens just an dem Tag, an dem Gottesdienst stattfindet, wohl einen weiteren Beitrag zu seiner Entwicklung hin zum säkularen Sport geleistet.[6]

Für das 18. Jahrhundert ist eine Vielzahl von sportlichen Wettkämpfen belegt.[7] Üblicherweise schrieb ein Gastwirt, der ansässige Landadel oder eine Gemeinde öffentlich einen Wettbewerb aus und stiftete einen eher bescheidenen Sachpreis. Die konkurrierenden Mannschaften hatten eine oder mehrere standardisierte Methoden – drei 120er-Sätze bei einem Fünfergeläut oder zwei 360er-Sätze bei einem Sechsergeläut waren die Regel – möglichst fehlerfrei zu absolvieren, die Leistung bewertete eine Jury. Nicht selten waren auch Zweikämpfe rivalisierender Vereine, häufig mit beachtlichen Wetteinsätzen. Hier bestand die Herausforderung entweder darin, einen längeren peal als die Konkurrenz zu läuten oder einen vorgegebenen peal in kürzerer Zeit.

Entwicklung in neuerer Zeit

Mitte des 19. Jahrhunderts fand in der Anglikanischen Kirche unter dem Einfluss der Oxford-Bewegung eine neue Hinwendung zu liturgischer Tradition statt. Eine Folge war die so genannte Belfry Reform („Glockenstuhlreform“), die dem Wechselläuten wieder Anerkennung verschaffen und es in das kirchliche Leben reintegrieren sollte. Insbesondere gab die Einführung von Verbänden auf Grafschafts- und Diözesanebene feste Strukturen vor. 1891 gründete sich als Dachverband das Central Council of Church Bell Ringers. Ihm sind heute 67 Zünfte und Vereinigungen hauptsächlich aus Großbritannien und Irland aber auch aus Australien, Neuseeland, Kanada, den USA, Südafrika, Simbabwe und Italien angeschlossen. Nachrichtenorgan ist die seit 1911 herausgegebene und wöchentlich erscheinende Zeitung Ringing World.

Den englischen Glöcknern stehen heutzutage die Geläute von über 5.000 Kirchtürmen zur Verfügung.[8] Kürzere Sätze von wenigen Minuten bis hin zu quarter-peals, also Viertelszyklen, die etwa eine Dreiviertelstunde dauern, sind heute in England regelmäßig vor oder nach Gottesdiensten oder bei Hochzeiten und ähnlichen Anlässen zu hören. Das Läuten eines vollen Zyklus ist nach wie vor eine Besonderheit; immerhin geht man von etwa 4.000 Zyklen aus, die pro Jahr geläutet werden. Den Rekord für den längsten bekannten Zyklus halten im Übrigen Mitglieder der Ancient Society of College Youths. Vom 5. auf den 6. Mai 2007 läuteten sie mit sechs Handglocken in fast genau 24 Stunden 72.000 Wechsel nach 100 verschiedenen Treble Dodging Minor-Methoden.[9]

Heute organisieren Verbände oder überregionale Komitees regionale und nationale Wettbewerbe unterschiedlicher Disziplinen. Prestigeträchtigste Veranstaltung ist der National Twelve Bell Striking Contest, der jährlich an wechselnden Orten stattfindet.

Wechselläuten in der Literatur

Die früheste literarische Erwähnung findet das Wechselläuten um 1600 in Berichten von Kavalierstouren deutscher Adliger durch Europa, den Vorläufern der heutigen Reiseführer. Neben dem zitierten Paul Hentzner, der als Tutor eines schlesischen Patriziersohnes 1598 England bereiste, ist als Autor noch Friedrich Gerschow zu erwähnen, späterer Professor an der Universität Greifswald und 1602 als Begleiter des Herzogs Philipp Julius von Pommern-Wolgast in London. Gerschow berichtet in seinem Tagebuch[10] von einem großen Läuten an fast allen Kirchen Londons und erwähnt dabei auch den sportlichen Charakter dieser Veranstaltung.[11]

Georg Christoph Lichtenberg referiert 1799 in seiner Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche eine Legende, die sich um Richard Whittington rankt.[12] Whittington war Anfang des 15. Jahrhunderts Oberbürgermeister von London und soll dieser Legende zufolge in seiner Kindheit als armer Küchenjunge im Haushalt eines reichen Kaufmanns gedient haben. Als der Knabe in einer verzweifelten Lage ausgerissen sei, habe ihn das Läuten der Glocken von St. Mary-le-Bow wieder auf den rechten Pfad zurückgebracht, was mit späterem Reichtum, Glück und Ansehen belohnt wurde. Lichtenberg nimmt diese Geschichte zum Anlass für einen kurzen Exkurs zum Wechselläuten. Bemerkenswert ist seine Beschreibung der Verhältnisse in London am Ende des 18. Jahrhunderts:

„Da man in England die Glocken eines Kirchspiels läuten lassen kann, so oft man will, wenn man dafür bezahlt, so hört man sie, zumal in den östlichen Gegenden der Stadt und in den Provinzial-Städten sehr häufig, bei allerlei Veranlassungen.“[13]

Auch wenn Lichtenberg in seinen weiteren Ausführungen dem Wechselläuten selbst im Vergleich zur deutschen Art des Glockenläutens recht wenig abzugewinnen scheint, schließt er fast versöhnlich:

„Die Leser werden diese kleine Ausschweifung verzeihen, und gütigst als ein bloßes Geläute ebenfalls dulden, das, so viele es auch, wie ich das englische, für Geklimper halten mögen, doch immer hier oder da vielleicht seinen Whittington antrifft, der es gehörig aufnimmt.“[14]

Das wohl populärste literarische Werk, in dem das Wechselläuten zudem noch eine zentrale Rolle spielt, ist Dorothy L. Sayers’ 1934 erschienener Kriminalroman The Nine Tailors, zuletzt von Otto Bayer als Der Glocken Schlag ins Deutsche übersetzt. Schon die Gliederung des Buches ist eine metaphorische Übertragung des Aufbaus eines peals auf den Fortgang der Handlung. Während Sayers ihren Detektiv Lord Peter Wimsey einen Mordfall in einem englischen Dorf aufklären lässt, gibt sie außerdem durch Schilderungen wie die der in der Neujahrsnacht geläuteten „fünfzehntausend und achthundertvierzig Wechseln Kent Treble Bob Major“ auch en passant eine kurze Einführung in die Kunst des Wechselläutens.

In Connie Willis' preisgekrönten Science-Fiction-Roman Doomsday Book (deutsch: Die Jahre des Schwarzen Todes) bilden die nervigen vorweihnachtlichen Übungen und Auftritte einer Gruppe von mit Handglocken arbeitenden „Bell Ringern“ einen untergeordneten Handlungsstrang, der im ironischen Gegensatz zu der sich gleichzeitig in Oxford abzeichnenden Katastrophe steht.

Literatur und Quellen

  • Otto Bayer: Kleine Campanologie für Uneingeweihte. In: Sayers: Der Glocken Schlag. Rowohlt, Reinbek 1978, ISBN 3-499-14547-2.
  • Richard Duckworth, Fabian Stedman: Tintinnalogia, or, the Art of Ringing. London 1668. (2. Auflage 1671 in elektronischer Form hier bei Project Gutenberg.)
  • Jean Sanderson (Hrsg.): Change Ringing: The History of an English Art. Central Council of Church Bell Ringers, 1987 ff. (3 Bände), ISBN 0-900271-50-7.
  • Dorothy L. Sayers: Der Glocken Schlag. Rowohlt, Reinbek 1978, ISBN 3-499-14547-2.
  • Ian Stewart: Der Gruppentheoretiker von Notre Dame. In: Pentagonien, Andromeda und die gekämmte Kugel. Elsevier, München 2004, ISBN 3-8274-1548-9.
  • Arthur T. White: Fabian Stedman: The First Group Theorist? In: American Mathematical Monthly 103 (1996), S. 771-778.

Einzelnachweise

  1. Paul Hentzner: Itinerarium Germaniae, Galliae, Angliae, Italiae. Wagenmann, Nürnberg 1612, § 61. Auszug (mit englischer Übersetzung).
  2. Duckworth: Tintinnalogia, Vorbemerkung „Of the Beginning of Changes“.
  3. John C. Eisel: The Development of Change Ringing in the Seventeenth Century. In: Sanderson: Change Ringing. Band 1, S. 40 ff.
  4. John C. Eisel: Campanolgia. In: Sanderson: Change Ringing. Band 1, S. 62 ff.
  5. Cyril A. Wratten The Growth of Change Ringing. In: Sanderson: Change Ringing. Band 2, S. 52.
  6. William T. Cook: The Development of Change Ringing as a Secular Sport. In: Sanderson: Change Ringing. Band 1, S. 37 f.
  7. Cyril A. Wratten Trials of Skill. In: Sanderson: Change Ringing. Band 2, S. 28 ff.
  8. Peter Thomas: Sally, der Glöckner und die höhere Mathematik. In: FAZ vom 31. Dezember 2001. (auch hier verfügbar)
  9. Meldung der Ringing World..
  10. Tagebuch der Kavalierstour des Herzogs Philipp Julius von Pommern-Wolgast in den Jahren 1602 und 1603 durch Deutschland, Frankreich, England, Italien und die Schweiz. (Edition in Planung).
  11. William T. Cook: The Organisation of the Exercise in the Seventeenth Century. In: Sanderson: Change Ringing. Band 1, S. 68
  12. vgl. T. H. : The History of Sir Richard Whittington. London 1885. (In elektronischer Form hier bei Project Gutenberg, siehe auch Richard Whittington der englischsprachigen Wikipedia.)
  13. Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe, Band 3. Herausgegeben von Wolfgang Promies. Hanser, München 1972. (Lizenzausgabe Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-86150-042-6.) S. 1004
  14. ebd. S. 1006

Weblinks


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Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Change ringing — Change Change, n. [F. change, fr. changer. See {Change}. v. t.] 1. Any variation or alteration; a passing from one state or form to another; as, a change of countenance; a change of habits or principles. [1913 Webster] Apprehensions of a change… …   The Collaborative International Dictionary of English

  • change-ringing — n. ringing tuned bells in a fixed order that is continually changing. See {change[9]}, n. [WordNet 1.5] …   The Collaborative International Dictionary of English

  • change ringing — n. the act of ringing a series of different changes on a set of bells tuned together …   English World dictionary

  • change-ringing — see ↑ring the changes below. • • • Main Entry: ↑change …   Useful english dictionary

  • Change ringing — Triples redirects here. For other uses, see Triple (disambiguation). Bell ringing practice in Stoke Gabriel parish church, Devon, England Change ringing is the art of ringing a set of tuned bells in a series of mathematical patterns called… …   Wikipedia

  • Change ringing — Wechselläuten (auch Variationsläuten, engl. Change Ringing) ist eine hauptsächlich im angelsächsischen Kulturraum verbreitete Kunstform des Glockenläutens. Drei bis zwölf, manchmal mehr, selten aber über sechzehn Glocken werden reihum geläutet,… …   Deutsch Wikipedia

  • change ringing — the art of ringing a series of tuned bells of different tones, as those hung in a church tower, according to any of various orderly sequences. [1870 75] * * * Traditional English art of ringing tower or hand bells in a succession of different… …   Universalium

  • change ringing — noun ringing tuned bells in a fixed order that is continually changing • Hypernyms: ↑bell ringing, ↑carillon, ↑carillon playing * * * noun : the art or practice of ringing a set of tuned bells in continually varying order in such a way as to… …   Useful english dictionary

  • change ringing — change′ ring ing n. mad the art of ringing changes in various sequences on a peal of bells • Etymology: 1870–75 …   From formal English to slang

  • Change ringing software — The Blue Line of Plain Bob Minor produced by change ringing software. Change ringing software encompasses the several different types of software in use today in connection with change ringing. Contents 1 …   Wikipedia

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