Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel

Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel

Die Chicago-Erklärungen sind drei Grundsatzerklärungen evangelikaler Theologen vornehmlich aus den USA bezüglich der Irrtumslosigkeit der Bibel.

Inhaltsverzeichnis

Die drei Chicago-Erklärungen

1978 schlossen sich evangelikale Theologen vornehmlich aus den USA zum Internationalen Rat für biblische Irrtumslosigkeit (International Council on Biblical Inerrancy, kurz ICBI, 1978-1986) zusammen. Der ICBI formulierte in drei Aufsätzen ein Glaubensverständnis, das der fundamentalistischen Argumentationsweise nahe kommt, sich aber von extrem fundamentalistischen Standpunkten abgrenzt. Auf drei zentralen Tagungen wurden insgesamt drei Chicago-Erklärungen formuliert. Die erste Erklärung benannte das Wesen der Schrift und ihre Inspiration (1. Chicago-Erklärung zur biblischen Irrtumslosigkeit, 1978). Die beiden anderen Erklärungen behandeln die Frage der Hermeneutik (Chicago-Erklärung zur biblischen Hermeneutik, 1982) und die Anwendung dieses Schriftprinzipes im Alltag (Chicago-Erklärung zur biblischen Anwendung, 1986).

Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel

Der Kern der CE zur Irrtumslosigkeit der Bibel besteht aus insgesamt 19 Artikeln des "Bekennen und Verwerfens".

Inhalt der 19 Artikel

Im Wesentlichen handelt es sich um die Formulierung der Überzeugung, dass die Bibel als Wort Gottes fehlerfrei ist (Artikel XI) und keine Widersprüche enthält (Artikel XIV). Dies ist eine von Fundamentalisten und konservativen Evangelikalen benutzte Folgerung aus dem reformatorischen Schriftprinzip, nach dem für sämtliche Fragen des Glaubens nur die Bibel maßgeblich ist (Artikel XV, vgl. Artikel I und II) sowie aus der christlichen Überzeugung, die Bibel sei von Gott "inspiriert" (Artikel VI, vgl. Artikel XV und XVI). Damit werden Anschauungen verworfen wie die, dass die Bibel zwar unfehlbares Gotteswort enthält, aber nicht alle Teile unfehlbar seien (Artikel III), oder dass sich die Irrtumslosigkeit nur auf religiöse Aussagen beschränkt (Artikel XII). Ebenso wird jeder Umgang mit dem Bibeltext (Quellenkritik wird als Beispiel genannt) abgelehnt, der dazu führt, dass Lehren der Bibel "relativiert, für ungeschichtlich gehalten oder verworfen werden" (Artikel XVIII). Aufgrund der Irrtumslosigkeit der Bibel kann nichts, was der Bibel widerspricht, von Gott sein (Artikel XVII).

Allerdings wird auch in der CE eingeräumt, dass es in der Bibel "Phänomene" gibt, die neuzeitlichen Vorstellungen widersprechen. Diese stellen aber die Irrtumslosigkeit, wie sie in der CE beschrieben wird, nicht in Frage (Artikel XIII). Das Gleiche gilt für die Begrenztheit der menschlichen Sprache (Artikel IV).

Auch in anderen Punkten werden extrem fundamentalistische Positionen abgelehnt: Zwar ist die Inspiration kein rational erklärbares, innerweltliches Geschehen (Artikel VII), aber sie besteht auch nicht darin, dass die Autoren der Bibel nur Schreibwerkzeuge waren, deren Persönlichkeit auf den Text keinen Einfluss hatte (Artikel VIII). Die Bibel hat eine Offenbarungsgeschichte (Artikel V), und weder waren ihre Schreiber allwissend (Artikel IX), noch ist eine bestimmte Bibelübersetzung direkt inspiriert (Artikel X). Das Bekenntnis zur Irrtumslosigkeit der Bibel ist laut CE zwar wichtig, aber nicht heilsnotwendig (Artikel XIX).

Kritik

Kritik an der Chicago-Erklärung ist meist Teil der Kritik am Fundamentalismus. Häufig wird auf Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung (Historisch-kritische Methode) hingewiesen, nach denen die Bibel durchaus Irrtümer enthält. Ein Teil dieser Irrtümer wird von der CE als Ungenauigkeiten, aber keine "Irrtümer" eingestuft (Artikel XIII). Andere Irrtümer werden von Verfechtern der CE bestritten, indem die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung oder auch die anderer Wissenschaften bezweifelt werden (das bekannteste Beispiel dazu ist die Diskussion um Schöpfung oder Evolution).

Ein anderer Kritikpunkt betrifft die Stellung der Bibel, die nach Auffassung mancher Theologen zum "papiernen Gott" gemacht wird, der die Einzigartigkeit Jesu Christi in Frage stellt. Verfechter der CE halten diesen Vorwurf für nicht relevant, da die Autorität der Bibel von Gott abgeleitet sei, und auch Jesus die Heilige Schrift (bzw. den damals existierenden Teil, die hebräische Bibel) als Autorität anerkannt habe.

Fundamentalistische Strömungen und konservative Evangelikale halten dagegen an der Irrtumslosigkeit der Bibel fest, die einige, aber nicht alle, durch die Chicagoer Erklärung definieren. Diese gemäßigt fundamentalistische Richtung wird beispielsweise von vielen Bibelschulen vertreten, sowie von einigen evangelikal orientierten theologischen Ausbildungseinrichtungen wie der Freien Theologischen Hochschule in Gießen. Neben der Brüderbewegung sind manche Freikirchen sowohl pietistischer als auch baptistischer und charismatischer Richtung, sowie die in Gemeinschaftsbünden organisierten Pietisten in den evangelischen Landeskirchen zu nennen.

Literatur

pro
  • Thomas Schirrmacher (Hrsg.): Bibeltreue in der Offensive. Die drei Chicago-Erklärungen zur biblischen Irrtumslosigkeit, Hermeneutik und Anwendung. Biblia et Symbiotica 2. Verl. für Kultur und Wissenschaft, Bonn 1993 ISBN 3-926105-07-0 PDF
  • Stephan Holthaus, Karl-Heinz Vanheiden (Hrsg.): Die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel. Edition Bibelbund. Bibelbund-Verlag, Hammerbrücke 2002 ISBN 3-935707-07-X
  • James M. Boice, Samuel Külling (Hrsg.): Die Unfehlbarkeit der Bibel. Immanuel-Verlag, Auflage: 2., Aufl. (1995) ISBN 3952013889
contra
  • Stefan Alkier: Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen. Sechs bibelwissenschaftliche Argumente gegen den christlichen Fundamentalismus. In: Stefan Alkier, Hermann Deuser, Gesche Linde (Hrsg.): Religiöser Fundamentalismus. Analysen und Kritiken. Francke, Tübingen/Basel 2005, S. 191-224 ISBN 3-7720-8099-5
  • Ingo Broer: Das Schriftverständnis bei christlichen Fundamentalisten. In: Sigrid Baringhorst, Ingo Broer (Hrsg.): Grenzgänge(r). Beiträge zu Politik, Kultur und Religion. Festschrift für Gerhard Hufnagel zum 65. Geburtstag. Universitätsverlag, Siegen 2004, S. 387-421 ISBN 3-936533-14-8
  • Heinzpeter Hempelmann: Wie Evangelikale die Autorität der Bibel bestimmen. In: Gemeinsame Liebe. Wie Evangelikale die Autorität der Bibel bestimmen - Eine Antwort an Thomas Schirrmacher. Liebenzeller Mission 2001 ISBN 3921113431

Weblinks

pro
contra

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