Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit

Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit

Die Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände von 1809 ist ein zentrales Werk des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, in dem er sich um eine Freiheitstheorie bemüht, die ihre begründungstheoretischen Grundsätze wesentlich aus einer Metaphysik des Bösen entfaltet. Trotz seiner Kürze bilden die Philosophischen Untersuchungen eines der wichtigsten Werke des deutschen Idealismus.

Friedrich Wilhelm Schelling, Gemälde von Christian Friedrich Tieck, ca. 1800

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Die Division Gottes

Schellings freiheitstheoretische Überlegungen fußen auf der Unterscheidung zwischen Gott als Existierender und Gott als Grund seiner Existenz - er spricht bei dieser Unterscheidung auch vom Prinzip des Verstandes und des Prinzip des Grundes. Er schafft so eine Division Gottes, die kaum noch Ähnlichkeit mit der traditionellen Auffassung Gottes als causa sui hat, da Schelling davon ausgeht, dass das Prinzip des Grundes etwas in Gott bildet, das nicht er selbst ist; etwas, worauf sogar Gott als Existierender kaum Einfluss nehmen kann. Schelling erklärt, dass dieser Grund Gottes auch der Grund für die Schöpfung der Natur ist. Das Prinzip des Grundes überträgt sich so von Gott auf die Natur. Alles Existierende setzt sich somit ebenfalls aus einer Dualität von Existenz und Grund von Existenz zusammen.[1] Das Prinzip des Grundes entfaltet sich in der Schöpfung (also in der Natur und zuletzt auch im Menschen) als Eigenwille der Kreatur. Schelling besteht dabei auf der epistemischen Undurchdringlichkeit des Eigenwillens:

Nach der ewigen Tat der Selbstoffenbarung ist nämlich in der Welt, wie wir sie jetzt erblicken, alles Regel, Ordnung und Form; aber immer liegt noch im Grunde das Regellose, als könnte es einmal wieder durchbrechen, und nirgends scheint es, als wären Ordnung und Form das Ursprüngliche, sondern als wäre ein anfänglich Regelloses zur Ordnung gebracht worden. Dieses ist an den Dingen die unergreifliche Basis der Reaität, der nie aufgehende Rest, das, was sich mit der größten Anstrengung nicht in Verstand auflösen lässt, sondern ewig im Grunde bleibt. Aus diesem Verstandlosen ist im eigentlichen Sinne der Verstand geboren.."[2]

Mit dieser Konzeption einer absoluten Erkenntnisgrenze antwortet Schelling auf G.W.F. Hegels zwei Jahre zuvor erschienenes Hauptwerk Phänomenologie des Geistes, in dem er den Weg der Erkenntnis bis hin zum absoluten Wissen aufzeichnet. Nach Hegel muss sich der Geist vollkommen transparent werden. Dies ist bei Schelling prinzipiell nicht möglich.

Möglichkeit und Wirklichkeit des Bösen

Auch der Mensch setzt sich nach Schelling aus diesen beiden Prinzipien zusammen. Das Prinzip des Grundes beschreibt den Eigenwillen der Kreatur und nimmt im Menschen den Geist des Bösen an, während das Prinzip des Verstandes den Universalwillen bildet und im Menschen als Geist der Liebe verwirklicht ist. In Schellings Konzeption ist der Mensch das einzige Wesen, das eine Wahl treffen kann, wie er die beiden Komponenten in sich anordnet. Stellt er den Geist des Bösen über den Geist der Liebe, dann hieße dies, egozentrische Interessen zur Motivation seiner Handlung zu machen.[3] Dies wäre nach Schelling das Böse. Umgekehrt tut der Mensch das Gute, wenn er den Geist der Liebe zur Handlungsmotivation benutzt. Er lässt so die eigenen Interessen in den Hintergrund treten und verhält sich gemäß dem Prinzip des Verstandes vermittelnd und kommunikativ, d.h. verständigend.

Die Selbstoffenbarung Gottes

Die Freiheitsschrift endet, wie die Bibel auch, mit einem Offenbarungsabschnitt. Die Selbstoffenbarung Gottes besteht nach Schelling in einem geschichtlichen Prozess, der seit der Schöpfung in Gang ist und darauf zusteuert, das Prinzip des Grundes, d.h. das Böse, sowohl in Gott als auch in der Natur vollends zu unterdrücken. Schelling besteht allerdings darauf, dass das Böse nie ganz verschwinden dürfe, da sich die Liebe nur im Kontrast zum Bösen entfalten könne. Das Böse bildet also nach dem Prozess der Offenbarung die ewige Potentialität, während die Liebe die ewige Aktualität bildet.

"Aber das Gute soll aus der Finsternis zur Aktualität erhoben werden, um mit Gott unvergänglich zu leben; das Böse aber von dem Guten geschieden, um auf ewig in das Nichtsein verstoßen zu werden."[4]

Stellung in Schellings Gesamtwerk

Im Gesamtwerk Schellings wird die Freiheitsschrift gemeinhin als Brückenschlag zwischen seiner Früh- und Spätphilosophie angesehen, da einerseits noch Konzeptionen seiner Identitätsphilosophie (d.h. der Einheit von Natur und Geist) spürbar sind und andererseits schon ein Ausblick auf Schellings spätere Ansätze zu erahnen ist, bspw. Anklänge geschichtsphilosophischer Überlegungen, wie er sie später in den Weltaltern umsetzt.

Ausgaben

  • Schelling, F.W.J.; Über das Wesen der menschlichen Freiheit. Hamburg, Meiner, 2001.
  • Schelling, F.W.J.; Über das Wesen der menschlichen Freiheit : Mit einem Essay von Walter Schulz "Freiheit und Geschichte in Schellings Philosophie". Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1988.

Sekundärliteratur

  • Heidegger, Martin; Schellings Abhandlung über das Wesen der menschlichen Freiheit. Zweite, durchgesehene Auflage, Tübingen, Niemeyer, 1971.
  • Höffe, O. und Pieper, A. (Hrsg.); Über das Wesen der menschlichen Freiheit. Klassiker auslegen (Bd. 3), Berlin, Akademie, 1995.

Weblinks

Quellen

  1. Vgl. Schelling, F.W.J.; Über das Wesen der menschlichen Freiheit. Hamburg, Meiner, 2001, S. 29-33.
  2. Schelling, F.W.J.; Über das Wesen der menschlichen Freiheit. Hamburg, Meiner, 2001, S. 32.
  3. Vgl. Schelling, F.W.J.; Über das Wesen der menschlichen Freiheit. Hamburg, Meiner, 2001, S. 46.
  4. Schelling, F.W.J.; Über das Wesen der menschlichen Freiheit. Hamburg, Meiner, 2001, S. 76.

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