Offenbarung

Offenbarung

Offenbarung bezeichnet das Erschließen (Eröffnen) von etwas bisher Verborgenem. Im religiösen Sprachgebrauch bezeichnet das Wort Offenbarung (Griechisch: „apokálypsis“) oft Enthüllung göttlicher Wahrheiten oder eines göttlichen Willens. Das letzte Buch des Neuen Testaments (die Johannesapokalypse) nennt man schlicht Offenbarung. Mitunter wird das Wort Offenbarung auch im übertragenen Sinne scherzhaft gebraucht („Das Essen war eine Offenbarung“). Im Rechtswesen hatte ein Schuldner, der seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte, mit dem Offenbarungseid (seit 28. Juni 1970 Versicherung an Eides statt) zu bestätigen, dass die Darstellung seiner Vermögensverhältnisse richtig und vollständig war.

Inhaltsverzeichnis

Wortgeschichte

Aus dem althochdeutschen Adjektiv offan („offen“) wird schon früh die Ableitung offanbar („deutlich, klar ersichtlich, eindeutig“) gebildet, dazu das Verb offenbaeren mit der Bedeutung „offen zeigen, enthüllen, kundtun“ sowie das mittelhochdeutsche Substantiv offenbarunge („Kundgabe, Bekenntnis“). Im heutigen Deutsch fächern sich die Bedeutungen weiter aus, so auch im Sinne von „sich jemandem anvertrauen“. In der Lutherbibel steht das Wort Offenbarung für das griechische apokalypsis („Enthüllung, Offenbarung“), von dem sich auch die Fremdwörter Apokalypse und Apokalyptik herleiten. Die Wortbestandteile des dazugehörigen Verbs apokalyptein („enthüllen, entblößen, offenbaren, kundtun“) apo („weg“) und kalyptein („verhüllen“) bedeuten soviel wie „eine Verhüllung fortnehmen“. Die Bedeutungen der Wörter Apokalypse und Offenbarung decken sich im Deutschen nicht, da sich mit dem Wort „Offenbarung“ nicht von vornherein jene düsteren Anklänge an ein Ende der Welt und an ein Strafgericht verbinden, die im Deutschen mit „Apokalypse“ konnotiert sind.

Allgemeines

Begriff

Bei dem Begriff „Offenbarung“ handelt es sich um die Aufdeckung eines Sachverhaltes, der sonst unbekannt oder nicht (ausreichend) geklärt ist. Sofern es sich um eine religiöse Offenbarung handelt, wird diese, je nach Glaubensansicht, unterschiedlich beurteilt (siehe Theismus, Atheismus oder Agnostizismus).

Bei Offenbarungserlebnissen kann von der „Vielfalt religiöser Erfahrung“ (W. James) gesprochen werden. Für jene, welche von ihnen berichten, sind Offenbarungen einschneidende Erlebnisse, die den Menschen ergreifen und sein Leben nachhaltig verändern können. Vielfach werden Offenbarungserlebnisse als überwältigend beschrieben, häufig wird ihr verpflichtender Charakter betont. Will man nach Sinnesorganen unterscheiden, mit dem eine Offenbarung wahrgenommen wird, lassen sich mindestens zwei Arten von Offenbarungen unterscheiden. Manche Offenbarungen werden – in welcher Weise auch immer – „geschaut“ (Vision), manche werden – in welcher Weise auch immer – „gehört“ (Audition). Im Einzelnen erfolgen Offenbarungen durch die Gottheit selbst unmittelbar, durch Boten, im Traum oder durch Orakel.

Aus biblischer Sicht (siehe auch Monotheismus) ist Gott der alleinige Urheber von Offenbarungen. Die Übermittlung erfolgt entweder unmittelbar durch Visionen (Jes 6,1-13 EU) oder Auditionen (1 Sam 3,4-14 EU), teilweise auch durch Engel (Lk 1,26-38 EU) oder menschliche Mittler (Propheten) als Botschafter (2 Sam 12,1-15 EU). In Jesus Christus fallen Offenbarer und Offenbarung zusammen (Joh 1,14 EU; Joh 10,30 EU; Joh 14,8 EU; Hebr 1,1-4 EU).

Der Atheismus hält solche Offenbarungen für Illusionen oder Betrug.

Der Agnostizismus hält die Frage in Nachfolge der antiken Skepsis für unentscheidbar und enthält sich in der Sache jedes Urteils (Epoché).

Jene, die Offenbarungen erleben, verstehen sie als eine Mitteilung, ein Sich-Selbst-Zeigen Gottes. Als nichtbiblisches Dokument eines solchen Erlebnisses lässt sich das sogenannte Memorial des Blaise Pascal ansehen. Menschen, die Offenbarungen erlebten, berichten manchmal von starken Gefühlen, sowohl Angst- als auch Glücksgefühle. Jede Offenbarung stellt den Anspruch auf Erkenntnis und Wahrheit. Daher kann sie menschliche Verhaltensweisen ändern und auch das Gewissen berühren.

Der Inhalt von Offenbarungen kann ganz verschiedene Dinge betreffen, beispielsweise Ereignisse im Leben eines Menschen oder die Klärung von Situationen oder die Vorhersage von zukünftigen Ereignissen. Offenbarungen können auch Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens oder Orientierung bei gesetzlichen und moralischen Fragen geben und anderes mehr. Sehr vieles kann Inhalt von Offenbarungen werden. Eine Religion, die sich in ihrer Lehre (Dogma) auf Offenbarungserlebnisse beruft, nennt man Offenbarungsreligion.

Stifterreligionen betrachtet die Offenbarungsinhalte in aller Regel als abgeschlossen. So ist beispielsweise ein Kanon an Heiligen Schriften fest definiert. Änderungen an der Glaubenspraxis werden über Traditionsbildung ermöglicht, die je nach Religion einen unterschiedlichen Einfluss hat. In solchen Religionen ist eine weitere Offenbarung meist nur noch in Form persönlicher, privater Kommunikation möglich und wird dabei in den allermeisten Fällen als nicht verallgemeinerbar betrachtet.

Abgrenzungen

Offenbarung, Erscheinung, Erleuchtung, Inspiration, Wunder

Der Begriff Offenbarung kann von anderen, z. T. verwandten Begriffen abgegrenzt werden. Zu diesen gehört auch der Begriff Erscheinung (Epiphanie), der oft synonym gebraucht wird. Im Neuen Testament der Bibel erschien dem Apostel Paulus während einer Seenot der Engel des Herrn und teilte ihm mit, dass sie ihr Leben retten, aber das Schiff verlieren würden. Auch in der Welt der griechisch-römischen Antike kann die Gottheit „erscheinen“, beispielsweise, wenn Zeus der Europa als Stier erscheint, ohne seine wahre Gestalt erkennen zu lassen. Ein anderer verwandter Begriff ist Erleuchtung. Der Unterschied zwischen Offenbarung und Erleuchtung ist wichtig mit Blick auf Religionen, die nicht an einen personalen Gott glauben. Einsicht durch Erleuchtung spielt im Buddhismus eine große Rolle. Buddha empfing seine Lehre auf dem Wege der Erleuchtung, aber nicht als Offenbarung durch einen als Person gedachten Gott. Gerade auch im Satori des Zen-Buddhismus hat das blitzartige Aufleuchten von Erkenntnis einen großen Stellenwert (siehe auch Kensho). Auch die Erlebnisse der Mystiker unterscheiden sich von Offenbarungen im engeren Sinne dadurch, dass meist die Unio mystica gleichsam als ein ganzheitliches Erleben vorgestellt wird, bei dem ein Gegenüber fehlt, während alle Offenbarung als Kundgabe zwischen einem Geber und einem Empfänger gedacht wird. Der Begriff Inspiration ist mehrdeutig; im religiösen Sprachgebrauch bedeutet er eine Eingebung Gottes. Christen gilt die Bibel als Gottes Wort (was sich etwa auf 2 Tim 3,16.17 EU beziehen kann). Wie diese Eingebung geschieht, darüber gehen die Meinungen auseinander (vgl. unten: „Mündliche Offenbarung“). Wunder werden als Zeichen Gottes oder als Anzeichen seiner Nähe verstanden, sind aber ohne Deutung nicht als Kundgabe eines göttlichen Urhebers zu verstehen.

Natürliche und übernatürliche Offenbarung

In der europäischen Geistesgeschichte spielt die Unterscheidung zwischen natürlicher und übernatürlicher Offenbarung eine große Rolle. Natürliche Offenbarung bedeutet, dass mit den Mitteln des Verstandes jedem Menschen, auch jenen, die nicht glauben, eine Erkenntnis Gottes aus der von ihm geschaffenen Welt möglich ist. Eine direkte Selbstmitteilung Gottes ist dazu nicht erforderlich. Die Natürliche Theologie macht derartige Erkenntnisbemühungen zu ihrem Gegenstand und versucht dabei besonders seit der Scholastik auch, zu Gottesbeweisen zu gelangen. Übernatürliche Offenbarung bedeutet demgegenüber eine Form der Offenbarung, welche nicht jedem Menschen verstandesmäßig erschließbar ist. Dies betrifft nach scholastischer Auffassung die Mysterien des Glaubens und kann gemeinhin auch bezogen werden auf außergewöhnliche Selbstbezeugungen Gottes, die ausgewählten Menschen widerfahren. Insbesondere breite Teile des Protestantismus vertraten eine Angewiesenheit auf übernatürliche Offenbarung, um religiöse Wahrheiten zu erschließen und erweiterten damit die natürliche Theologie oder traten ihr entgegen.

Anspruch und Kriterien der Wahrheit von Offenbarungen

Der Glaube an biblische Offenbarungen schließt zwei Annahmen ein: zum einen soll eine Offenbarung von Gott bewirkt worden sein; zum anderen soll die Offenbarung, sofern sie als Aussage verstanden wird, wahr sein. Der Wahrheitsanspruch derer, die als Zeugen von Offenbarungen auftreten, wird schon innerhalb des Offenbarungsglaubens selbst fraglich. Das Problem gründet im Erlebnischarakter von Offenbarungen und wird z.B. im Pentateuch (5 Mos 18,21 EU) in der Frage greifbar: „Wie kann ich merken, welches Wort der Herr nicht geredet hat?“ – Diese Frage hat bis heute keine allgemein überzeugende Antwort gefunden. Biblische Texte werten zutreffendes Vorherwissen der Zukunft als Kriterium der Echtheit von Offenbarung: „… wenn der Prophet redet in dem Namen des Herrn und es wird nichts daraus und es tritt nicht ein, dann ist es ein Wort, das der Herr nicht geredet hat. Der Prophet hat's aus Vermessenheit geredet, darum scheu dich nicht vor ihm.“ (5 Mos 18,22 EU) Eine Abgrenzung von glücklich erratenem zukünftigem Geschehen ist mit diesem Kriterium nicht möglich. An Stellen wie dieser ist deutlich, dass unechte Offenbarung mit der moralischen Unzulänglichkeit des Propheten erklärt wird. Das Problem der falschen Propheten wird im Alten wie im Neuen Testament beklagt. Freilich können auch sonst glaubwürdige Zeugen irren.

Die vor allem seit dem 14. Jahrhundert sich herausbildende scholastische Apologetik hat diese Probleme oft gesehen. Da sie aber eine Einsicht in die Geheimniswahrheiten der Offenbarung mittels natürlicher Vernunft ablehnte, kehrte sie äußere Kriterien hervor. Ein allgemeiner Konsens, wie diese Kriterien zu bestimmen und anzuwenden sind, bestand nicht. Mit der Aufklärung im 17. Jahrhundert, der Herausbildung eines historischen Bewusstseins und einer auch für Offenbarungsquellen Anwendung findenden geschichtswissenschaftlichen Methodik, schließlich mit Wandungen im Offenbarungsbegriff im 20. Jahrhundert wurde eine solche Argumentationslinie zumindest in der christlichen Theologie mehr und mehr verabschiedet.

Ein weiteres Problem bringt der interreligiösen Vergleich hervor: Offenbarungsreligionen widersprechen sich zumindest in einigen als offenbart beanspruchten Lehren. Daher können nach Meinung vieler Religionsphilosophen diese Lehren nicht je zugleich auf wahrer Offenbarung beruhen.

Offenbarungsglaube und Toleranz

Religionskritiker sehen die Heiligen Schriften über weite Strecken als Gebrauchsanweisungen zur Intoleranz. Nicht nur Religionskritiker betonen, dass der Anspruch auf absolute Wahrheit und Unfehlbarkeit, Fanatismus und Fundamentalismus begünstigen kann. Die heftigen Debatten um den Kreationismus in den Vereinigten Staaten (Ablehnung der Evolutionslehre im Sinne Darwins) zeigen, dass immer noch Rückfälle in naiven Buchstabenglauben geschehen.

Die Geschichte der Offenbarungsreligionen ist weithin eine Geschichte der Intoleranz, da sie sich zum politischen Missbrauch eignen, sobald sie in einer Gesellschaft Vorherrschaft gewinnen. Allerdings gibt es seit dem frühen Mittelalter immer wieder Ausnahmen. Einige Werke der Gattung der Religionsdialoge sind hier zu nennen. So hat beispielsweise die Lessingsche Ringparabel Vorläufer im 8. Jahrhundert. Beispiele religiöser Intoleranz sind jedoch Legion. Noch der Syllabus errorum verurteilte alle Religionsfreiheit. Auch im Streit um den Modernismus wurde die Alleingültigkeit des eigenen Glaubens von Seiten des römischen Lehramts beibehalten. Im Protestantismus sprach sich vor allem Karl Barth gegen Toleranz aus: „Kein gefährlicherer, kein revolutionärerer Satz als dieser: dass Gott Einer, dass Keiner ihm gleich ist! … Wird dieser Satz so ausgesprochen, dass er gehört und begriffen wird, dann pflegt es immer gleich 450 Baalspfaffen miteinander an den Leib zu gehen. Gerade das, was die Neuzeit Toleranz nennt, kann dann gar keinen Raum mehr haben. Neben Gott gibt es nur noch seine Geschöpfe oder eben falsche Götter und also neben dem Glauben an ihn Religionen nur als Religionen des Aberglaubens, des Irrglaubens und letztlich des Unglaubens.“ Auch Emil Brunner vertrat einen rigorosen Ausschließlichkeitsanspruch seines Glaubens. Erst nach den geschichtlichen Erfahrungen mit Religionskriegen, Weltkriegen und Totalitarismen erlangte Toleranz in Bekenntnisfragen für Vertreter beider Konfessionen größeres Gewicht. Jedoch erkannte das 2. Vatikanische Konzil erst 1965 die Religionsfreiheit an. Die Zeiten haben sich geändert; dass Vertreter beider Konfessionen sich für ein „Weltethos“ (Hans Küng) engagieren können, ist eine Selbstverständlichkeit geworden.

Gleichzeitig gibt es jedoch in den Offenbarungsreligionen erstarkende Gegenströmungen. Dieselben Urkunden des Glaubens lassen viele Deutungen zu – oft Deutungen, die mit Ausschließlichkeitsanspruch vertreten und verfochten werden.

Die Schriften des Judentums, des Islams und des Christentums enthalten viele Stellen, welche im Sinne einer Toleranz auch in Fragen des Bekenntnisses verstanden werden können. Es gibt im Koran Stellen, die tolerant verstanden werden können. Der 256. Vers der zweiten Sure („Die Kuh“) fordert: „Es sei kein Zwang im Glauben.“ Und nicht weniger deutlich ermahnt die zehnte Sure in ihrem 99.Vers alle Muslime: „Und wenn dein Herr gewollt hätte, so würden alle auf der Erde insgesamt gläubig werden. Willst du etwa die Leute zwingen, gläubig zu werden?“ Die lange nach dem Tode des Propheten entstandene Schari'a und die mit ihr verbundene islamische Weltanschauung haben jedoch verhindert, dass sich aus diesen eindeutigen Aussagen des Korans wirksame politisch-rechtliche Konsequenzen im Sinne der europäischen Menschenrechte entwickeln konnten. Auch die Quellen des Buddhismus belegen das Toleranzgebot. Für Buddha kann das Gleichnis von den Blinden und dem Elefanten als typisch angesehen werden. Buddhistische Lehren zielen oft die Einsicht, dass Glaubenslehren höchsten den Charakter von Behelfen haben. Offenbarungsreligionen haben dagegen oft unbezweifelbar hinzunehmende Autorität verlangt, die absoluten Gehorsam fordert – zwei wesentliche Quellen aller Intoleranz. Die Idee, dass auch jeder Andersläubige einen Zipfel der einen Wahrheit fasst, wird dann ausgeschlossen. Derartige Ideen finden sich auch in biblischen Stellen wie beispielsweise:

  • Apg 14,14-18 EU, Apg 17,16ff EU (Paulus Rede auf dem Areopag), Röm 1,19-32 EU (… Gott hat es ihnen (allen Menschen) offenbart, damit dass Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt, an den Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt …)
  • oder Röm 2,12-16 EU („… Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben, doch von Natur tun des Gesetzes Werk, sind dieselben, dieweil sie das Gesetz nicht haben, sich delbst ein Gesetz, als die da beweisen, des Gesetzes Werk sei geschrieben in ihrem Herzen, sintemal ihr Gewissen ihnen zeugt, dazu auch die Gedanken …“).

Diese Stellen hatten nach heutigen Maßstäben nicht die Wirkungsgeschichte, die sie verdient hätten.

Offenbarung durch ein spirituelles Erleben

Offenbarung im religiösen Sinn wird oft passiv erlangter Gewinn religiöser Überzeugungen durch unmittelbares spirituelles Erleben verstanden, wie z.b. Nahtod-Erfahrungen. Da dieses Erlebnis für andere Menschen nicht nachprüfbar ist, entzieht es sich der Prüfbarkeit mittels experimentell-wissenschaftlicher Methode. Naturwissenschaftlich ist über den Wahrheitsgehalt von Offenbarungsberichten daher nichts aussagbar. Von Kritikern werden daher Offenbarungen als Irrtum, Schein, Illusion, wenn nicht als Wahnmanifestation eingestuft. In der Psychiatrie und in psychiatrischen Tests werden Offenbarungs-Wahrnehmungen und magisches Denken als Psychose-Kriterium abgefragt.

Einige Theologen fassen daher den Wahrheitsgehalt von Offenbarungen in der Weise auf, dass im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen eine Offenbarung als religiöses Erschließungsereignis immer den ganzen Menschen bestimmt und beeindruckt. So verstanden haben Offenbarungen sich an ihrem Erschließungscharakter zu messen, also daran, inwiefern sie das Ganze menschlichen Lebens sinnhaft strukturieren. Dieses Verständnis nimmt Anhalt am alltagssprachlichen Sinn von „Offenbarung“: wertneutraler, nicht unbedingt religiös besetzt bedeutet „Offenbarung“ ähnliches wie „Erleuchtung“.

Der Ursprung von Offenbarung ist, nach theologischem Verständnis, ein „übernatürlicher“ bzw. transzendenter Grund. Der Empfänger einer Offenbarung wird oft als Prophet oder Botschafter Gottes bezeichnet.

Judentum

In der hebräischen Bibel wird von zahlreichen Offenbarungen an Propheten berichtet, angefangen bei Noach und Abraham, weiter über Mose, Elija, Jeremia und Jesaja bis zu Daniel. Für sie alle wird der Anspruch erhoben, göttliche Botschaften empfangen zu haben. Auch weibliche Prophetinnen werden als Überbringer von Gottesnachrichten dokumentiert.

Christentum

Das Thema der Offenbarung bildet seit dem 16. Jahrhundert einen umfangreichen Traktat der dogmatischen Theologie bzw. der Fundamentaltheologie. Je nach theologischer Rahmentheorie wurden und wird auf verschieden gewichtete Texte der Tradition zurückgegriffen und eine anderes akzentuierte systematische Position entwickelt. Weithin unbestritten ist, besonders seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, der zentrale Rang des Offenbarungsbegriffs.

Die klassische katholische Theologie kennt drei grundsätzliche Offenbarungsquellen: Schrift, Tradition und Natur. Allerdings hat besonders die scholastische Theologie einen Unterschied gezogen zwischen dem, was „aus der Natur“ und dem, was genuin nur „aus der Offenbarung“ bzw. Gnade zugänglich ist. In ersteren Bereich fielen vor allem Themen der philosophischen Gotteserkenntnis bzw. genauer der sogenannten Natürlichen Theologie. Einige Theologen finden die Rede von Schöpfungsoffenbarung angemessener: während „Natur“ oft als Gegenbegriff zu „Gnade“ verwendet wird, schließt „Schöpfung“ gnadenhafte Elemente ein.

In welchem Verhältnis diese beiden Offenbarungen zueinander stehen können, wurde in der spätscholastischen Philosophie der Gegenreformation auf folgende Formel gebracht: „Die Gnade vollendet die Natur, sie hebt sie aber nicht auf“ (lateinisch: Gratia perficit naturam, non tollit). Damit waren die beiden möglichen Extrempositionen vermieden: zum einen der sehr starke Gnadenbegriff der Reformatoren („durch Gnade allein“, „durch Schrift allein“, „durch Glauben allein“ – lateinisch: sola gratia, sola scriptura, sola fide), zum anderen aber auch das schriftferne Abgleiten in die Verehrung des Naturhaften im Panentheismus (Naturhaftes wird vergöttlicht). Komplexer wird die Analyse der Erkenntnisquellen in der Lehre der loci theologici.

Dies zeigt bereits, wie sich die Bedeutung des Offenbarungsbegriffs mit dem Wandel der Theologie insgesamt ändert. Oft unterteilt man diese Wandlungen in drei Phasen: ein epiphanischer Offenbarungsbegriff (Berichte von Erscheinungen Gottes) zeigt sich in Frühformen, ein instruktionstheoretischer Offenbarungsbegriff seit der Spätscholastik, nominalistischer Schultheologie oder Aufklärung (Gott offenbart Sätze), ein kommunikationstheoretischer Offenbarungsbegriff spätestens mit der Instruktion „Dei Verbum“ des 2. vatikanischen Konzils (Offenbarung ist stets Selbstoffenbarung, Zuwendung eines personalen Gottes zu einem personalen Gegenüber). Offenbarung als „Selbstmitteilung Gottes“ wird dann zumeist im Sinne einer kommunikativen Gemeinschaft (communio, participatio) mit Gott entwickelt.

Praktisch gewendet mag die Lehre von den zwei Offenbarungswegen (Bibel und Natur bzw. Vernunft) vor einer Ideologisierung schützen. Denn: Da zum einen sich Gott den Menschen auf zwei verschiedene Weisen zeigt, zum anderen davon ausgegangen wird, dass er sich auf diesen beiden Wegen nicht widersprüchlich dem Menschen zeigt, steht der Mensch vor der Herausforderung, seine eigene Welt- und Schöpfungserfahrung mit denjenigen Erkenntnissen, die er der Bibel entnimmt, zu harmonisieren. Oder anders gesagt: Der Christ ist einerseits dazu herausgefordert, die Bibel vor dem Hintergrund seiner Welterfahrung je neu auszulegen und umgekehrt seine Welterfahrung mit Hilfe der biblischen Darstellungen je neu zu deuten. Aus dieser permanent gelebten Spannung heraus gestaltet er – im Kontext der Kirche und mit der Hilfe von Tradition und Lehramt (wie dies die Theologie beider großer christlicher Konfessionen konzipiert) – sein selbst zu verantwortendes Leben vor Gott.

Offenbarung im Neuen Testament

Verschiedene Stellen des Neuen Testaments schreiben Autoren, Aposteln und Jüngern Jesu den Empfang von Offenbarungen zu (etwa Paulus: Gal 1,11-12 EU; den frühchristlichen Zungenredern: Apg 2,15-19 EU; Eph 1,15-17 EU spricht vom „Geist der Offenbarung“, in dem Christus erkannt werde.).

  • Petrus enthüllt in Apg 2,15-19 EU, dass die Ausgießung des heiligen Geistes zu Pfingsten von den Propheten vorausgesagt wurde.
  • Paulus schreibt in Gal 1,11-12 EU, dass er das Evangelium, welches er verkündigt, nicht von Menschen empfangen oder gelernt hat, sondern durch die Offenbarung Jesu Christi.
  • In Eph 1,15-17 EU schreibt Paulus, dass Gott den Geist der Weisheit und Offenbarung geben möge.

Das letzte Buch der Bibel heißt „Die Offenbarung des Johannes“ und beginnt mit den Worten: „Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat, damit er seinen Knechten zeigt, was bald geschehen muss; und er hat es durch seinen Engel, den er sandte, seinem Knecht Johannes gezeigt. Dieser hat das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi bezeugt: alles, was er geschaut hat. Selig, wer diese prophetischen Worte vorliest und wer sie hört und wer sich an das hält, was geschrieben ist; denn die Zeit ist nahe.“ (Offb 1,1-3 EU)

Islam

Neben Wahrträumen und Visionen definiert sich die Offenbarung im Islam unter anderem als eine zwischen Gott und dem Propheten auftretende, durch den Erzengel Gabriel überbrachte Kommunikation. Jedoch verschließt sie sich auch nicht dem, dem Christentum ähnlichen, weitergefassten Offenbarungsbegriff, der die Erkenntnis Gottes durch das Beobachten seiner Schöpfung bezeichnet. Dem Glauben der Muslime zufolge ist der Koran in Form einer wörtlichen Offenbarung in einem Zeitraum von 23 Jahren an den Propheten Mohammed herabgesandt worden. Seine Zeitgenossen berichten, dass sie dem Propheten anfänglich in großen Zeitabständen und bruchstückweise zukamen, dann aber immer rascher und umfangreicher, und in den letzten Jahren seines Lebens zu einem ununterbrochenen Strom anschwollen.

In diesem Zusammenhang wird von einigen islamischen Gelehrten eine Unterscheidung zwischen der „individuellen“ und der „konstitutionellen“ Offenbarung getroffen. Letztere wird an einem Propheten mit dem Ziel getragen, die enthaltene Botschaft an einen großen Kreis von Menschen weiter zu geben, während Erstere vom Inhalt her weniger Tragweite besitzt und vielmehr als ein Liebesbeweis Gottes seinem Diener gegenüber fungiert, um Einsicht in verborgene spirituelle Realitäten zu gewähren. Ob und inwiefern das „Tor der Offenbarung“ auch heute noch offen steht, ist in der islamischen Welt heftig umstritten. Die Meinungen reichen von einer konsequenten Ablehnung seitens der Orthodoxie bis hin zu einer lebhaften Auseinandersetzung und in der Natur des Menschen als angeboren betrachteten Fähigkeit, diese zu erfahren (Sufis, aber auch Ahmadiyya).

Asiatische Religionen

In den asiatischen Religionen spielt der Begriff der Offenbarung oder göttlicher Eingebungen eine wesentlich geringere Rolle als in den drei Buchreligionen. Aber auch im Hinduismus ist die „Offenbarung des Göttlichen“ von Bedeutung. Bekanntes Beispiel ist die Offenbarung Krishnas im zehnten und elften Gesang der Bhagavadgita, sowie die Offenbarung der Göttin im Devi Bhagavatam (7. Buch, Kap.34), einem der wichtigsten Bücher des Shaktismus. Im Hinduismus werden Offenbarungen mit den besonderen spirituellen Kräften der erleuchteten Meister und Avatare (Krishna) erklärt. Sie können angeblich auf übernatürliche Weise über eine höhere Bewusstseinsdismension anderen Menschen im Traum erscheinen oder in Wachvisionen Informationen übermitteln.

Indirekte Offenbarung durch Erkennen der Welt

Schöpfung als Offenbarung

Viele Religionen, darunter der Buddhismus (in Teilen), das Christentum, der Hinduismus und die diversen Formen des Lamaismus, deuten die Welt anhand eines Schöpfungsmythos. Vorausgesetzt wird, dass ein Gott (oder mehrere Götter) die Welt entweder direkt erschaffen haben oder zumindest eine bereits vorhandene, ungeordnete Masse so geformt haben, dass daraus ein Kosmos, eine nach Gesetzen geordnete Welt, entstanden ist. Vor diesem Hintergrund wird die Welt als Produkt des göttlichen Willens verstanden. In ihr offenbaren sich daher Eigenschaften ihres Schöpfers.

Monotheismus

Im Monotheismus wird der Begriff Offenbarung für einen Akt Gottes benutzt, der damit dem Menschen etwas über sich bekannt gibt, zu einem Erkenntnisgewinn führen soll, seinen Willen kundtut oder sich selbst offenbart (im Sinne von: seine Verborgenheit überwindet).

In der geschichtlichen Entwicklung der Religionen treten unterschiedliche Offenbarungsbegriffe auf. Offenbarungen (im Plural) werden daher auf verschiedenste Weisen interpretiert. Die christliche Theologie hat in verschiedener Form vertreten, dass Wunder und Werke als Beleg für das Wirken Gottes auf Erden dienen.

Mündliche Offenbarung

Viele Religionen lehren auf verschiedene Weise, dass Gott direkt mit den Menschen kommunizieren kann, um ihnen den Text einer Offenbarung direkt einzugeben, quasi zu diktieren, die sogenannte Verbalinspiration. Nach der Realinspiration verfasst der Mensch den Bibeltext, der nachträglich von Gott „abgesegnet“ wird. Nach der Personalinspiration hat die Bibel zwei Ursachen: Gott und den Menschen. Beispielhaft für eine Verbalinspiration sei die Neuoffenbarung angeführt.

Literatur

Theologiegeschichte

  • Peter Eicher: Offenbarung. Prinzip neuzeitlicher Theologie. Kösel, München 1977.
  • H. D. MacDonald: Theories of Revelation. An Historical Study, 1860-1960. Baker, Grand Rapids 1979.

Systematische Theologie / Fundamentaltheologie

  • Michael Bongardt: Einführung in die Theologie der Offenbarung. Darmstadt 2005.
  • Romano Guardini: Die Offenbarung. Ihr Wesen und ihre Formen. Werkbund-Verl., Würzburg 1940.
  • Eilert Herms: Offenbarung und Glaube. Zur Bildung des christlichen Lebens. Mohr, Tübingen 1992.
  • Gregor Maria Hoff: Offenbarungen Gottes? Eine theologische Problemgeschichte. Pustet, Regensburg 2007.
  • Walter Kern / H.J. Pottmeyer / Max Seckler (Hgg.): Handbuch der Fundamentaltheologie, Bd. 2: Traktat Offenbarung, Tübingen-Basel 2000.
  • Klaus von Stosch: Offenbarung. Grundwissen Theologie UTB, Stuttgart 2010.
  • Sebastian Tromp: De revelatione christiana, Romae: Univ. Gregoriana 4. 1937
  • Hansjürgen Verweyen: Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes. Zur transzendentalen Frage nach der Möglichkeit von Offenbarung [1], Düsseldorf : Patmos 1969.
  • Hans Waldenfels: Offenbarung. Das Zweite Vatikanische Konzil auf dem Hintergrund der neueren Theologie. Hueber, München 1969.

Religionsphilosophie

  • Avery Dulles: Models of Revelation, Dublin 1983.
  • Franz von Kutschera: Vernunft und Glaube, Berlin 1991; (2.1.) "Offenbarung", S.86ff.
  • Klaus Müller: Dogma und Denkform, Strittiges in der Grundlegung von Offenbarungsbegriff und Gottesgedanke, Regensburg : Pustet 2005.
  • Paul Ricoeur: La révélation, Bruxelles : Fac. Univ. Saint-Louis, 2. A. 1984.
  • Richard Swinburne: Revelation, From Metaphor to Analogy, Oxford 1992.

Siehe auch

Weblinks


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