Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung

Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung

Die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung ist ein wirtschaftswissenschaftliches Werk des österreichisch-amerikanischen Ökonomen Joseph Schumpeter. Es erschien zuerst 1911. Das Werk gehört zu den bekanntesten Werken der Wirtschaftswissenschaften des 20. Jahrhunderts. Schumpeter veröffentlichte das Werk im Alter von 28 Jahren als Professor in Graz. Es fand viel Anerkennung und machte den jungen Autor in der Fachwelt bekannt.

1926 erschien eine überarbeitete und gekürzte Ausgabe, die bis heute mehrfach wieder aufgelegt wurde. Hier wurde das wichtige zweite Kapitel komplett überarbeitet und das siebte Kapitel Das Gesamtbild der Volkswirtschaft gestrichen. Der Titel wurde erweitert, vor allem mit dem Zweck, dem Missverständnis entgegenzuwirken, es handele sich um ein Buch über Wirtschaftsgeschichte.

Inhaltsverzeichnis

Kerngedanke

Im Gegensatz zum wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream, der sich vorwiegend mit Marktgleichgewichten beschäftigte, sah Schumpeter kapitalistische Märkte prinzipiell im Ungleichgewicht und ähnlich wie Marx, dessen wissenschaftliche Leistung Schumpeter zeitlebens hoch schätzte, erklärte er die Dynamik der kapitalistischen Entwicklung aus sich selbst heraus.

Oft aufgegriffen und zitiert wird das Kernstück des Buches, die Beschreibung des Wesens und der Bedeutung unternehmerischer Innovation als Durchsetzung neuer Kombinationen von Produktionsfaktoren. Die Schlüsselrolle in der wirtschaftlichen Dynamik spielen die Pionierunternehmer, die permanent nach neuen Kombinationen suchen und diese - auch gegen Widerstände - umsetzen („dynamischer Unternehmer“).

Schumpeter unterscheidet fünf Fälle neuer Kombinationen:

  • Produktion eines neuen Gutes oder einer neuen Qualität eines Gutes,
  • Einführung einer neuen Produktionsmethode,
  • Erschließung eines neuen Absatzmarktes,
  • Eroberung neuer Bezugsquellen von Rohstoffen oder Halbfabrikaten,
  • Neuorganisation der Marktposition, z.B. Schaffung oder Durchbrechung eines Monopols.

„Neue Kombinationen“ (später heißt es „Innovationen") können unter Anderem eine „Andersverwendung des Produktionsmittelvorrats der Volkswirtschaft“ sein, das heißt, dass Anderes oder anders produziert und vertrieben wird. Später hat Schumpeter diese neuen Kombinationen im Hinblick darauf, dass sie eingespielte Praktiken verdrängen, als „schöpferischer Zerstörung“ bezeichnet.

Unternehmer ist nach Schumpeter nur der, der eine neue Kombination (Innovation) durchsetzt. Die Prämie für die Neuerung stellt der Unternehmergewinn dar. Der innovative Unternehmer erzielt zunächst einen Monopolgewinn, der Nachahmer auf den Plan ruft, so dass die Gewinnspanne mit der Zeit dem Wettbewerb zum Opfer fällt. Wenn er Unternehmer bleiben will, muss er weiter nach neuen Kombinationen suchen. Die Funktion des Kapitalisten ist es hingegen, Kapital in Form des Kredits zur Verfügung zu stellen, für das er einen Kapitalzins erhält; er trägt auch das finanzielle Risiko. Vom dynamischen Unternehmer grenzt Schumpeter den „Wirt schlechtweg“ ab; das ist der Unternehmer, der in traditioneller Weise, ohne „neue Kombinationen“ durchzusetzen, mit einem konkurrenzüblichen Normalgewinn wirtschaftet.

Bei der Beschreibung der Motivation des Unternehmers benutzt Schumpeter eher psychologische als ökonomische Kategorien. Der Traum und der Wille, ein privates Reich zu gründen, Siegerwille und Freude am Gestalten trieben den Unternehmer an, nicht Bedürfnisbefriedigung, Nutzenkalkül oder Gier.[1]

Inhaltsübersicht des Buches

Während Schumpeter im ersten Kapitel das Wirtschaftsleben als statisches Gleichgewicht bzw. Kreislauf schildert - "in jahraus jahrein wesentlich gleicher Bahn" [2], beschäftigt er sich im zweiten Kapital mit dem Phänomen und den Konsequenzen der wirtschaftlichen Entwicklung, unter der Schumpeter echte Neuerungen versteht. Entwicklung bedeutet Ausbrechen aus gewohnten Bahnen, spontane und diskontinuierliche Änderungen, die sich nicht äußeren Anstößen verdanken oder aus quantitativen Änderungen ergeben.

Diese Innovationen gewinnen Gestalt in neuen Produkten, neuen Produktionsmethoden oder Geschäftsmodellen, der Erschließung neuer Absatzmärkte oder Rohstoffquellen sowie neuen Organisationsformen. Entscheidend sind laut Schumpeter hierbei nicht die Ideen und Konzepte an sich, sondern die Durchsetzung der neuen Kombination von Produktionsmitteln. Hierbei komme es auf dreierlei an: den richtigen "Blick", die Intuition, da es für das Neue keine vorhandenen Daten oder Handlungsregeln gibt, sodann die innere Freiheit und Energie, sich vom Gewohnten abzustoßen, und schließlich die Fähigkeit, vielfältigste Widerstände zu überwinden. Diese Fähigkeiten und ihre Wirkung auf andere, nicht aber der bloße Eigentümerstatus, die entsprechende Risikoübernahme oder die Machtbefugnis machen für Schumpeter den Unternehmer (wie auch Führerschaft im Allgemeinen) aus. Insgesamt ist die Unternehmerfunktion "das eigentliche Grundphänomen der wirtschaftlichen Entwicklung". [3]

Aus diesen Zusammenhängen ergeben sich - wie Schumpeter im weiteren Verlauf des Werkes darlegt - die weiteren Aspekte und Faktoren wie Kredit und Kapital (3. Kapitel), der Unternehmergewinn oder Mehrwert (4. Kapitel), der Kapitalzins (5. Kapitel) und der Zyklus der Konjunktur (6. Kapitel), aber auch "der Auftrieb und das Sinken der kapitalistischen Welt" [4], die Schumpeter zum Gegenstand seines Buches Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie machte.

Erklärung des Konjunkturzyklus

Schumpeter erklärt den Konjunktuzyklus aus der Störung des Gleichgewichts durch das scharenweise Auftreten innovativer Unternehmer (im Aufschwung ziehen erfolgreiche Pionierunternehmer andere nach sich). In dessen Verlauf führt das zur Aufzehrung des Unternehmergewinns. Es kommt zum Abschwung, das heißt zur Anpassung der Volkswirtschaft an das Neue mit Preisverfall und Kreditdeflation und schließlich zu einem neuen Gleichgewicht.

Ausgaben

  • Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1911; Neuausgabe hrgg. von Jochen Röpke und Olaf Stiller, Berlin 2006.
  • Zweite, gekürzte und überarbeitete Ausgabe 1926 unter dem Titel Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus

Literatur

Herbert Matis: Der „Entrepreneur“ als dynamisches Element im Wirtschaftsprozess. Schumpeters Beitrag zur Theorie unternehmerischen Verhaltens, Wien 2002

Fußnoten

  1. Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Berlin 1987, S. 132ff.
  2. Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Berlin 1987, S. 93
  3. Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Berlin 1987, S. 110
  4. Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine Untersuchung über Unternehmergewinn, Kapital, Kredit, Zins und den Konjunkturzyklus, Berlin 1987, S. 122

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Theorie der Eigentumsrechte — Theorie der Eigentumsrechte,   englisch Property Rights Theory [ prɔpəti raɪts θɪəri], auf Arment A. Alchian (* 1914), Harold Demsetz (* 1930) und R. H. Coase zurückgehender Ansatz der Neuen Institutionenökonomik, der Gütern nicht nur physische… …   Universal-Lexikon

  • Theorie der Sozialpolitik — 1. Begriff: a) Eine allgemeine Theorie im Sinn des kritischen Rationalismus als ein konsistentes System bewährter Gesetzesaussagen ist für den Erfahrungsbereich der ⇡ Sozialpolitik nicht gegeben und wohl auch nicht erreichbar. Der… …   Lexikon der Economics

  • Theorie der Gerechtigkeit — A Theory of Justice (Eine Theorie der Gerechtigkeit) ist ein 1971 veröffentlichtes, vielbeachtetes Buch des US amerikanischen Philosophen John Rawls.[1] Rawls entwarf in seinem Werk ein Konzept einer politisch sozialen Grundordnung, das auf dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Theorie der friedlichen Koexistenz — Der Begriff Friedliche Koexistenz besagte, dass die Entscheidung zwischen Kapitalismus und Sozialismus im friedlichen Wettbewerb beider Systeme, also unter Ausschluss eines kriegerischen Konflikts, fallen solle. Inhaltsverzeichnis 1 Der Begriff 2 …   Deutsch Wikipedia

  • Eine Theorie der Gerechtigkeit — A Theory of Justice (Eine Theorie der Gerechtigkeit) ist ein 1971 veröffentlichtes, vielbeachtetes Buch des US amerikanischen Philosophen John Rawls.[1] Rawls entwarf in seinem Werk ein Konzept einer politisch sozialen Grundordnung, das auf dem… …   Deutsch Wikipedia

  • Der dritte Weg (Buch) — Anthony Giddens veröffentlichte 1998 (bzw. deutsch: 1999) ein Buch dessen Titel in der deutschen Übersetzung Der dritte Weg. Die Erneuerung der sozialen Demokratie heißt. Darin versucht er, die Sozialdemokratie an die Bedürfnisse und Folgen des… …   Deutsch Wikipedia

  • Armut in der Schweiz — Armut bezeichnet primär den Mangel[1] an lebenswichtigen Gütern (beispielsweise Essen, Obdach, Kleidung), im weiteren und übertragenen (metaphorischen) Sinn allgemein einen Mangel (beispielsweise wird ein Landstrich als tierarm, ein Mensch als… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften — Bekanntgabe des Preisträgers 2008 Der Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank im Gedenken an Alfred Nobel (schwedisch Sveriges Riksbanks pris i ekonomisk vetenskap till Alfred Nobels minne) ist der renommierteste… …   Deutsch Wikipedia

  • Preisträger des Preises der schwedischen Reichsbank für Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel — Bekanntgabe des Preisträgers 2008 Der Preis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel (schwedisch Sveriges Riksbanks pris i ekonomisk vetenskap till Alfred Nobels minne) ist der renommierteste Preis in… …   Deutsch Wikipedia

  • Soziologie der Emotionen — Die Soziologie der Emotionen beschäftigt sich mit der soziologischen Analyse menschlicher Emotionen. Innerhalb der Soziologie rückte sie Ende der 1970er Jahre in den Blickpunkt der Wissenschaft. In vorherigen Jahren war die Emotionsforschung in… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”