Christlicher Demokrat

Christlicher Demokrat

Christdemokratie ist ein politischer Begriff, der verschiedene inhaltliche Ausprägungen hat. Im engeren Sinne wird unter Christdemokratie heute eine politische Philosophie verstanden, die ihre Wurzeln in der katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik hat. Zugrunde liegt ein Menschenbild, das dem Menschen als Geschöpf Gottes Würde, Verschiedenartigkeit, Gleichwertigkeit und Unvollkommenheit zuspricht und daraus Grundwerte wie Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit ableitet.

Besondere Bedeutung erlangte die Christdemokratie nach dem Zweiten Weltkrieg durch Parteien, die sich vor allem in Europa und Lateinamerika gründeten und in einigen Staaten zumindest zeitweise die Politik bestimmten. Im deutschsprachigen Raum verstehen sich unter anderem die CDU/CSU in Deutschland, die ÖVP in Österreich und die CVP in der Schweiz als christdemokratisch. Auf internationaler Ebene sind christdemokratische Parteien in der Christlich Demokratischen Internationalen CDI zusammengeschlossen, in Europa in der Europäischen Volkspartei (EVP).

Inhaltsverzeichnis

Ursprüngliche Bedeutung

Ursprünglich entstand der Begriff Christdemokratie in Frankreich (frz. démocratie chrétienne). Er war anfangs allein ein kirchlich-religiöses Reformprogramm. Die Christdemokratie strebte eine innere Erneuerung der (katholischen) Kirche an. Hierzu wurde eine Demokratisierung der Organisationsstrukturen propagiert.

Diese Variante von Christdemokratie wurde von Papst Leo XIII. explizit auf soziale Wohlfahrt eingeschränkt (Enzyklika Graves de communi re von 1901) und politisch mithin in Schranken gewiesen.

Politische Philosophie

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Begriff immer mehr in Richtung einer politischen Philosophie. Im Umfeld der bürgerlichen Revolutionen und sozialen Umwälzungen im Zuge der Industrialisierung entstand mit der Christdemokratie ein gesellschaftliches und politisches Gegenmodell des politischen Katholizismus gegen Nationalismus, Liberalismus und Sozialismus.

Als Gründungsschrift der politischen Christdemokratie wird allgemein die ältere päpstliche Enzyklika Rerum Novarum von demselben Papst Leo XIII. aus dem Jahr 1891 angesehen, in welcher sich der Vatikan, als Reaktion auf die Industrialisierung, erstmals mit der neuen Lage der Arbeiter auseinandersetzt. Die in ihr enthaltenen Ideen waren aber nicht neu, denn Papst Leo XIII. orientierte sich stark an Wilhelm Emmanuel von Ketteler, einem deutschen Bischof und Philosophen, und seinem im Jahre 1864 erschienenen Buch „Die Arbeiterfrage und das Christentum“, dessen inhaltliche Übereinstimmung mit Rerum Novarum auch heute noch verblüffend ist.

Mit der Enzyklika Quadragesimo anno aus dem Jahr 1931 von Papst Pius XI. konkretisierte die Römisch-katholische Kirche, angesichts der Herausforderung totalitärer Ideologien, ihre Position der Freiheit des Einzelnen. In dieser Enzyklika wird das für die christdemokratische Philosophie grundlegende Subsidiaritätsprinzip beschrieben. Es folgt den Grundsätzen „Privat vor Staat“, also dem Vorrang der Verantwortung des Einzelnen vor der staatlichen Intervention und „Klein vor Groß“, wo der Staat handelt. Daraus ergibt sich das Prinzip sich, dass der Staat möglichst dezentral organisiert sein soll. Jedoch besteht auch eine Pflicht zur subsidiären Hilfe, wenn die kleinere, schwächere Einheit eine Aufgabe nicht erfüllen kann (vertieft in Mater et Magistra, 1961).

In Deutschland war hier u. a. der Jesuit Oswald von Nell-Breuning einflussreicher Autor. Daneben werden auch die Schriften des Philosophen Jacques Maritain als bedeutende Inspiration christdemokratischen Gedankenguts erachtet.

Auch das Prinzip der Solidarität wird propagiert. Die Wirtschaft soll sich in den Dienst der Menschen stellen. Daraus ergibt sich die Bändigung des Kapitalismus in der Sozialen Marktwirtschaft. Ein bedeutender Einfluss bei der Formulierung christdemokratischer Politik wurde in der Vergangenheit den Stellungnahmen der Kirchen zu Fragen der öffentlichen Moral zugeschrieben. So kommt im christdemokratischen Denken der Stellung der Familie eine besondere Bedeutung zu. Von einigen Wissenschaftlern wird der Christdemokratie zudem eine größere Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten (beispielsweise zwischen Arbeitern und Unternehmern) und eine im Vergleich zu anderen politischen Strömungen größere Bereitschaft zum politischen Kompromiss zugeschrieben.

Die Christdemokratie hat sich im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert in unterschiedlichen Organisationen manifestiert. Neben dem Entstehen christdemokratischer Parteien brachte die Bewegung auch Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und andere Organisationen hervor. Die Christlichen Gewerkschaften grenzten sich von den aus der sozialistischen Arbeiterschaft heraus entstandenen Gewerkschaften dabei stark ab. Teilweise wird in der Forschung sogar eine typisch christdemokratische Art des Wohlfahrtsstaates behauptet.

Christdemokratische Parteien

Heute wird die Christdemokratie oftmals mit ihrer wirkungsmächtigsten Ausprägung gleichgesetzt, den politischen Parteien. Diese gelten in der Politikwissenschaft als eine Spielart der bürgerlichen Parteien. Die ersten christdemokratischen Parteien, die sich so nannten, gründeten sich um das Jahr 1830 in Belgien, Irland und Frankreich. Sie hatten eine liberal-demokratische Ausrichtung. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden in Italien die ersten christdemokratischen Parteien nach heutigem Verständnis. Die Blütezeit der christdemokratischen Parteien bildeten jedoch die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie spielten eine besonders bedeutende Rolle in Ländern wie Italien, Deutschland, Frankreich und den Benelux-Staaten. Nachdem die Christdemokratie anfangs vor allem der römisch-katholischen Kirche nahe gestanden hatte, veränderte sich das Bild zumindest in Deutschland. Die CDU wurde – im Gegensatz zur Zentrumspartei – explizit als überkonfessionelle Partei gegründet, jedoch waren auch hier die Katholiken zunächst die dominierende Kraft. In einigen Ländern Europas haben die christdemokratischen Parteien stark an Einfluss verloren. So haben sich die einstmals wichtigen französischen Christdemokraten des Mouvement Républicain Populaire sowie die lange Zeit die italienische Politik bestimmende Democrazia Cristiana inzwischen aufgelöst. In Skandinavien konnten christdemokratische Parteien in ihren Ländern nie eine vergleichbare Bedeutung erlangen. Dennoch zeigt ihre Existenz, dass sich die Christdemokratie der Nachkriegszeit von der katholischen Kirche emanzipiert hat und auch protestantische Wähler anspricht. Weitaus größere Bedeutung ist jedoch den seit den 1940er Jahren in Südamerika entstandenen Parteien beizumessen. Besonders die Partido Demócrata Cristiano in Chile sowie das Comité de Organización Política Electoral Independiente in Venezuela wurden mächtige politische Kräfte in ihren Ländern. Das gilt auch für mittelamerikanische Länder wie Costa Rica, Nicaragua und El Salvador. Nachdem 1989 in Ostmitteleuropa die kommunistischen Systeme zusammenbrachen, entstanden auch dort christdemokratische Parteien. Ihr Einfluss und ihre Bedeutung ist sehr unterschiedlich. Hier spielen auch die jahrzehntelangen atheistischen Traditionen eine für diese Parteien negative Rolle. Eine Ausnahme ist das traditionell katholisch geprägte Polen.

Siehe auch: Liste christdemokratischer Parteien, Konservatismus

Literatur

  • Lexikon der christlichen Demokratie in Deutschland, Paderborn 2002
  • Timotheos Frey. Die Christdemokratie in Westeuropa. Der schmale Grat zum Erfolg. Baden-Baden: Nomos, 2009. ISBN 978-3-8329-4264-9
  • Michael Gehler u.a. (Hrsg.): Christdemokratie im 20. Jahrhundert, Böhlau, Wien u.a. 2001. ISBN 3-205-99360-8
  • Stathis N. Kalyvas. The rise of Christian Democracy in Europe. Cornell University Press, Ithaca, 1996.
  • Kees van Kersbergen. Social Capitalism - A Study of Christian democracy and the welfare state. Routledge, London, 1995.
  • Thomas Köhler, Christian Mertens, Michael Spindelegger (Hrsg.): Stromaufwärts. Christdemokratie in der Postmoderne des 21. Jahrhunderts, Wien u.a. 2003. ISBN 3-205-77112-5

Weblinks


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