Village Reconstruction Organisation

Village Reconstruction Organisation

Die Village Reconstruction Organisation – kurz VRO – unterstützt strukturschwache, verarmte und von offizieller Seite meist nicht einmal registrierte Dörfer in den Küstenregionen Südostindiens. Seit 1971 konnten mehr als 400 dieser Dorfgemeinschaften mit Hilfe der VRO ihre vielfach durch Naturkatastrophen zerstörten Dörfer wieder aufbauen. In diesem Zusammenhang entstanden gleichzeitig eine Vielzahl von Ausbildungs- und Gesundheitszentren, Kindergärten, Altenheimen und Programmen zur gezielten Unterstützung von Frauen. Die VRO wird von mehreren Organisationen in verschiedenen Ländern Europas unterstützt. Sie informieren über die Arbeit der VRO, koordinieren die Initiativen, sammeln, verwalten und transferieren Spendengelder und beraten die VRO Indien. In Deutschland übernimmt die VRO Deutschland e.V. diese Aufgabe.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Wenn ihr alles verloren habt, bleiben euch noch zwei Dinge: eure Hände und eure Nachbarn. (Pater Michael Windey SJ)

Pater Michael Windey SJ, Gründer der VRO

Die VRO wurde 1971 von dem belgischen Jesuiten Michael Windey († 2009) als eingetragener Verein nach indischem Recht (NGO) gegründet. Nach einer zwanzigjährigen Universitätslaufbahn als Soziologe an der Jesuitenhochschule in Ranchi (Bihar) gab er seine Professur auf. Er verließ die Universität und folgte dem Vorschlag Gandhis, sein weiteres Leben den vergessenen Dörfern Indiens zu widmen: Gut organisierte Dörfer, in wirtschaftlicher und vor allem in sozialer Hinsicht gesichert, würden der in Armut lebenden Landbevölkerung emanzipatorische Kraft geben und eine natürliche Barriere gegen die steigende Tendenz zur Landflucht erzeugen. Durch sein Engagement und sein besonderes Charisma konnte er unzählige Menschen für diese Vision begeistern. Längst hat die Bewegung auch Menschen in Europa erfasst, die die VRO praktisch, finanziell und spirituell begleiten und in ihrem Leben die Erfahrung wiederfinden, dass gerade schwierige Zeiten ein Potenzial zur Veränderung und Weiterentwicklung in sich bergen.

Seit einigen Jahren gibt es, den Erfordernissen einer veränderten globalen Situation Rechnung tragend, eine Reihe von Umstrukturierungen in der Organisation der VRO. Das Organisationsmodell der VRO beruht auf Partnerschaft zwischen den Menschen in den indischen Dörfern und den Sponsoren aus Europa. Heute sind rund 350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an etwa 130 Orten für die VRO tätig. Im Mai 2010 hat der indische Pater Santiago SJ als operativer Leiter die Nachfolge Pater Windeys angetreten.

Tätigkeitsfelder

Wahre Entwicklungshilfe heisst nicht: Wir haben es geschafft!, sondern: Wie geht es weiter? (Pater Michael Windey SJ)

Die VRO organisiert ihre vielfältigen Aufgaben in drei Schwerpunkten: Dorf-Bau, Dorf-Entwicklungsprogramme und Dorf-Dienstleistungszentren.

Beim Dorf-Bau wird ganz auf die Selbstverantwortung der Dorfbewohner und das Prinzip der partnerschaftlichen Zusammenarbeit gesetzt. Nach einer Zeit der Vorbereitung beginnt der eigentliche Bauprozess, den die Dorfbewohner mit Unterstützung von Fachleuten selbst durchführen. Fachleute und Freiwillige der VRO begleiten die Bauprozesse, bei denen die ganze Dorfgemeinschaft tätig wird. Ein solcher Prozess beginnt mit der gemeinsam getroffenen Entscheidung für eine umfassende innere und äußere Entwicklung, der Antragstellung für die Dorferneuerung durch die Dorfgemeinschaft. Nach einer Analyse durch die VRO durchläuft das Dorf eine längere Testphase. Anschließend wird die Bauphase vorbereitet: Ressourcenplanung,Vertragsabschlüsse, Landsäuberung, Erstellung der Baupläne, Planung der Materialbeschaffung. Nun erst folgt der eigentliche Bauprozess durch die Dorfbewohner unter Anleitung der VRO mit Unterstützung von Fachleuten und danach die Einweihung des Dorfes.

Erfahrungsgemäss belaufen sich die Kosten für den Bau eines 50 Familien zählenden Dorfes auf rund 100.000 Euro.

Anschließend unterstützt die VRO die Dorfentwicklungs-Programme der dörflichen Gemeinden, in denen es um soziale und kulturelle Entwicklungsprozesse geht. Hierbei wird viel Wert darauf gelegt, die ursprünglich im Dorf vorhandenen Stärken wieder zu aktivieren: überlieferte Fertigkeiten und Kenntnisse, junge Talente und Ideen, kulturelle Schätze.

Ein drittes großes Tätigkeitsfeld sind die Dorfdienstleistungs-Zentren: Schulen und handwerkliche Ausbildungseinrichtungen, Gesundheitsdienste und Kinder- und Altenheime.

Philosophie

Habt ihr schon einmal etwas miteinander gemacht? (Pater Michael Windey SJ)

Die VRO versteht sich als Anwalt, Sprachrohr und Treuhänder der Armen, die der Welt Bedeutendes zu sagen und zu zeigen haben. Die Würde der Menschen – der Armen – wird gewahrt, indem sie als Gemeinschaft die Herausforderung der Dorferneuerung annehmen und sich bewusst entscheiden, um partnerschaftliche Hilfe anzufragen. Es geht der VRO bei ihrer Arbeit um mehr als um das physische Ergebnis (z.B. sichere, stabile Häuser) und um mehr als die sozio-ökonomischen Verbesserungen (z.B. Brunnen, Wege, Schulen, Krankenstationen usw.). Es geht grundsätzlich um vier wesentliche Aspekte des menschlichen Lebens: Arbeitsmöglichkeiten und eigenes Einkommen: Employment. Soziale, strukturelle und biologische Umgebung: Environment. Bildung, Aufklärung und Erkenntnis: Enlightenment. Kultur, Tradition und Freude: Enjoyment.

Ein Grundgedanke des konkreten und zugleich visionären Dorf-Bauens im Sinne Gandhis und Windeys ist die „Treuhänderschaft". Was wir zu besitzen meinen – seien es Talente oder Reichtümer, Land oder Macht, Arbeit oder Freunde – ist uns zu treuen Händen gegeben, aber es gehört uns nicht. An dieser Stelle begegnen sich die zentralen Ideen der Weltreligionen: ein einfaches Leben in partnerschaftlicher Gemeinschaft mit den Armen führen, die empfangenen Gaben für alle einsetzen und sich selbst gemeinsam mit den anderen als suchenden und lernenden Menschen begreifen. Diese Philosophie lehrt nicht nur die Einfachheit im Besitz, im Denken und im Wort. Sie ist selbst einfach und für alle verständlich, für Ungebildete und Intellektuelle, für Atheisten und Religiöse, für Reiche und Arme. Die VRO versucht, nach solchen einfachen Prinzipien der Menschlichkeit zu handeln.

Einsatzgebiete

Die ursprünglich im Bundesstaat Andhra Pradesh begonnenen Tätigkeiten der VRO wurden im Laufe der Jahre auch auf die Staaten Rajasthan, Maharashtra, Tamil Nadu und Orissa ausgedehnt. Heute ist die VRO in den drei südöstlichen Küstenländern aktiv: Andhra Pradesh, Orissa und Tamil Nadu.


Im Bundesstaat Andhra Pradesh leben mehr als 80 Millionen Menschen auf einer Fläche, die etwa um 1/3 kleiner ist als Deutschland. Nur etwa 1/4 von ihnen lebt in den Städten. Die weitaus meisten Einwohner sind Hindus aus dem Volk der Andhra. Obwohl die Hauptstadt Hyderabad sich rasant zum Hochtechnologiestandort entwickelt hat, ist die Armut innerhalb der Landbevölkerung sehr groß. Rund 7% der Bevölkerung von Andhra Pradesh gehört zur Stammesbevölkerung („scheduled tribes“ oder „Adivasi“), eine übergeordnete Bezeichnung für etwa 600 Stämme: Indiens Ureinwohner, die nie hinduisiert wurden. Sie praktizieren ihre Stammessprachen und -religionen und leben weitgehend getrennt von der Mehrheitskultur. Mehr als 30 dieser Stämme sind in Andhra Pradesh zu Hause. Kastenlose („scheduled castes“ oder „Dalits“) sind im Gegensatz zu den „scheduled tribes“ Teil der hinduistischen Gesellschaft, ohne allerdings einer Kaste anzugehören: es bedeutet, unterhalb der untersten Kaste angesiedelt zu sein. Kastenlose haben im Unterschied zu den Adivasi keine eigenen Sprachen und keine eigenen Religionen. Sie orientieren sich am Hinduismus, auch wenn ihnen der Besuch von Tempeln verboten ist. In Andhra Pradesh sind es 59 Gruppen, die zusammen rund 16% der Bevölkerung ausmachen.

In Orissa leben knapp 40 Millionen Menschen auf einer Fläche, die weniger als halb so groß ist wie Deutschland. Die meisten sind Hindus und sprechen Oriya, eine der 23 offiziellen Sprachen Indiens. Orissa ist der Bundesstaat mit dem höchsten Prozentsatz an Einwohnern, die unter der Armutsgrenze leben. Mehr als 20% der Bevölkerung von Orissa gehört zu den Adivasi; 62 dieser Stämme sind in Orissa zu Hause.

Tamil Nadu, der südlichste Bundesstaat Indiens, ist etwas mehr als ein Drittel so groß wie Deutschland. 2001 wurden hier 62.405.679 Einwohner gezählt; die Bevölkerungsdichte liegt über dem indischen Durchschnitt. Fast die Hälfte (44%) lebt in Städten. Die meisten Bewohner sind Tamilen. Ihre Kultur ist Teil der indischen Tradition, unterscheidet sich jedoch in mancherlei Hinsicht von den anderen Teilen Indiens. Etwa 1 % der Bevölkerung sind Adivasi; sie leben hauptsächlich im Norden Tamil Nadus. Etwa 25 % sind Dalits. Obwohl Tamil Nadu keiner der ärmsten indischen Bundesstaaten ist, werden insbesondere diese Menschen auch hier ausgegrenzt und benachteiligt. Die Polarisierung zwischen Arm und Reich ist hier besonders ausgeprägt.


Beide Bevölkerungsgruppen – Adivasi und Dalits – wurden im 19. Jahrhundert von Missionsgesellschaften aufgesucht und teilweise christianisiert. Beide Gruppen leben meist in bitterer Armut und in abgelegenen Gegenden bzw. strukturschwachen Gebieten. Bis heute werden sie vielfach diskriminiert. Genau diese Menschen sind es, für die sich die VRO im Sinne Pater Windeys einsetzt.

Preise und Ehrungen

Nationale und internationale Preise und Ehrungen für Pater Windey und die Arbeit der VRO:

  • 1972 Best NGO and Gandhi Award (Guntur)
  • 1994 International Man of the Year Award (USA)
  • 1998-99, 2001 Nomination for Intern Livelihood Award (Finland)
  • 2000 International Environment Award (Nepal)
  • 2001 Millenium Award for Industrial and Social Peace (XLRI)
  • 2002 Global Peace Award (Zug, Switzerland)
  • 2004 Vredesprijs Kerk en Leven-2003 (Belgium)
  • 2005 Knight of the Order of Leopold Award (Belgium)
  • 2006 Servant of the Poor Award (CNRI, New Delhi)

Literatur

  • Josef Hainz(Hrsg.): Feuer muß brennen. Dörfer für Indien. Festschrift für P. Michael A. Windey SJ zum 75. Geburtstag am 28. April 1996 von seinen Freunden in Europa. Gebundene Ausgabe, Kelkheim-Eppenhain, Selbstverlag., 2. Aufl. (1996); ASIN: B0040PIQSO
  • Sustainable Development. Theoretische Konzeption und Fallbeispiel. Seminararbeit von Tobias Schmitt, Universität Tübingen, geographisches Institut (SS 1997), einsehbar über VRO Deutschland e.V.
  • Duffner, Felix: Nutzung der Wasserkraft durch Wasserräder. Institut für Strömungslehre und Strömungsmaschinen an der Universität Fridericana zu Karlsruhe (TH), August 1993, einsehbar über VRO Deutschland e.V.

Weblinks


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