Deggendorfer Gnad

Deggendorfer Gnad
Die Heilig-Grab-Kirche

Die Heilig-Grabkirche St. Peter und St. Paul ist eine Filialkirche der Pfarrei Mariä Himmelfahrt und zählt zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Deggendorfs.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte der Wallfahrt

Am 30. September 1338 ermordeten und schändeten Deggendorfer Bürger alle Juden der Stadt, wodurch sie einige drückende Schulden los wurden und sich zudem die jüdischen Güter aneignen konnten. Noch im gleichen Jahr wurde mit dem Bau der Kirche an der Stelle der zerstörten Synagoge begonnen, da sich die finanzielle Situation der Gemeinde schlagartig verbessert hatte. Bereits am 14. Oktober 1338 sprach der Herzog die Deggendorfer Bürger von aller Schuld frei. Im Jahr 1360 erfolgte die Weihe der Kirche. Mit einem fünftägigen Ablass vom 30. September bis zum 4. Oktober 1361 begann nun die Tradition der „Deggendorfer Gnad“. Erst von nun an wurde der Deggendorfer Massenmord an den Juden nachträglich mit einem angeblichen vorausgegangenen jüdischen Hostienfrevel gerechtfertigt und in direkten religiösen Zusammenhang mit dem Kirchenbau gebracht.

In der Kirche befand sich eine Grube, wo die geschändeten Hostien in einem Brunnen aufgefunden worden sein sollen, wovon der Name „Grabkirche“ herrührt. Die fraglichen zehn Hostien wurden in einem Kultgefäß aufbewahrt und der vermeintliche Hostienfrevel in der Kirche anschaulich dargestellt. Es entwickelte sich eine bedeutende Wallfahrt, wobei während der alljährlichen „Gnad-Woche“, in der die Hostien ausgesetzt wurden, vollkommener Ablass gewährt wurde. 1721 kamen laut einem Schreiben von Stadtpfarrer Lothar Wischelburger an die kurfürstliche Regierung lukrative 40.000 Pilger in der Gnad-Woche.

Auf die Verflechtung der Wallfahrt mit dem Pogrom hatten im 19. Jahrhundert Johann Christoph von Aretin und danach Ludwig Steub hingewiesen. 1967 benannte Bischof Rudolf Graber die nach wie vor bedeutende Wallfahrt in „eucharistische Wallfahrt der Diözese“ um, da die Legende vom Hostienfrevel immer untragbarer wurde. Aber erst aufgrund der Doktorarbeit Manfred Eders, die von kirchlichen Kreisen veranlasst wurde, wurde die Wallfahrt 1992 eingestellt. Im Hirtenwort des Bischofs von Regensburg an die Katholiken in Deggendorf heißt es dazu:

Pogrome, Inschrift, Grabkirche, außen (1993).
„Da jetzt die Haltlosigkeit jüdischer Hostienschändungen auch für den Deggendorfer Fall endgültig bewiesen ist, ist es ausgeschlossen, die 'Deggendorfer Gnad' - noch dazu als 'Eucharistische Wallfahrt der Diözese Regensburg' - weiterhin zu begehen.“

Kunst

Die dreischiffige Basilika mit einschiffigem Chor steht am südlichen Ende des Stadtplatzes. Sie erhielt ihren auffälligen, 70 Meter hohen Turm erst zwischen 1722 und 1727. Zuvor befand sich nur ein Dachreiter auf der Kirche.

Am 1. September 1722 erfolgte die Grundsteinlegung zum Turmbau. Er wurde nach den Plänen von Johann Baptist Gunetzrhainer aus München durch Stadtmaurermeister Johann Mayr begonnen. Fortgesetzt und vollendet wurde er nach Mayrs Erkrankung ab 1723 durch dessen Schwiegersohn Johann Michael Fischer, zu dessen ersten Werken er gehört. Am 9. Oktober 1727 war der Bau vollendet. Der Turm ist reich gegliedert und wird durch eine Nachbildung der Gnad-Monstranz bekrönt, die erst 1728 auf die Kuppel kam. Am Osterfest desselben Jahres erfolgte die feierliche Weihe.

Das Innere wurde bis auf ein Abendmahlsrelief von Martin Leutner 1868 regotisiert. Der sogenannte „Judenaltar“, ein Gedenkaltar aus der Zeit um 1400, stand über dem Ort des behaupteten Hostienfrevels unter der Orgelempore. Ein Teil von ihm befindet sich jetzt als Altartisch am Hochaltar, dem sogenannten „Bäckeraltar“, der um 1510 entstand. Dieser ist ein geschnitzter Flügelaltar mit der Darstellung der Flucht nach Ägypten, der Beschneidung Christi, der Grablegung und des Zwölfjährigen im Tempel. Das Chorbogenkruzifix stammt von etwa 1450 und eine Madonna mit Kind entstand um 1480.

“Die Juden zu Deggendorf”[1] ist ein niederbayerisches Volkslied das auf Andre Summer zurückgeht, in das Jahr 1337 datiert und im „Das Bayernbuch“ eines Joseph Maria Mayer, 1869 in München herausgegeben, veröffentlicht ist. Ein kurzer Auszug der christlichen antijüdischen Propaganda soll hier genügen:

Als man zählt dreizehnhundert Jahr
und sieben und dreißig, das ist wahr,
hat sich ein Sach begeben,
zu Deggendorf im Bayerland,
manchem Biedermann bekannt,
das sollt ihr merken eben.
Da sassen der Juden viel mit Haus,
die lebten sträfiglichen,
die machten z’samm ein‘ Bund durchaus,
zuwegen brächten Christi Leib,
das heilige Sakramente;
zu singen ich das schreib.

Ein‘ Anschlag hätten sie gemacht,
ein Christenweib zuwegen bracht,
mit der ha‘n sie paktiret: (...)
[2]

Einzelnachweise

  1. “Die Juden zu Deggendorf”: Ein niederbayerisches Volkslied - Onlineartikel von Robert Schlickewitz;
  2. Textquelle online mit Verweisen: [1]

Literatur

  • Manfred Eder: Die "Deggendorfer Gnad". Entstehung und Entwicklung einer Hostienwallfahrt im Kontext von Theologie und Geschichte, Deggendorf 1992 (zugleich Dissertation 1991).
  • Björn Berghausen: Das Lied von Deggendorf. Fiktion eines Hostienfrevels. In: Ursula Schulze (Hg.): Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters, Tübingen 2002, S. 233-253.

Weblinks

48.83169444444412.9624111111117Koordinaten: 48° 49′ 54″ N, 12° 57′ 45″ O


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