- Deltafunktion
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Die Delta-Distribution (auch δ-Funktion; Dirac-Funktion, -Impuls, -Puls, -Stoß (nach Paul Dirac); Stoßfunktion; sowie Einheitsimpulsfunktion genannt) wird in der Naturwissenschaft durch ein kleines Delta δ dargestellt und symbolisiert eine spezielle irreguläre Distribution, die in der Mathematik und Physik von grundlegender Bedeutung ist.
Inhaltsverzeichnis
Definition
Sei eine glatte Funktion und sei
- φε(x) = ε − nφ(ε − 1x)
eine Funktionenfolge in ε. Diese trägt den Namen Dirac-Folge. So ist die Delta-Distribution für alle Testfunktionen definiert als
- .
Der erste Integralausdruck ist nur symbolisch zu verstehen. Es gibt keine Funktion δ, welche der obigen Definition genügt. Denn man kann im zweiten Integralausdruck den Grenzwert nicht in das Integral hereinziehen.
Definition über Dirac-Maß
Das durch ein positives Radon-Maß μ erzeugte Funktional (für ) ist eine Distribution.
Die Delta-Distribution wird von folgenden Radon-Maß - man spricht hier speziell vom Diracmaß - erzeugt:
Ein Maß lässt sich physikalisch interpretieren, z.B. als Massendichte oder Ladungsdichte des Raums. Dann entspricht die Delta-Distribution einem Massenpunkt der Masse 1 oder einer Punktladung der Ladung 1 im Ursprung.
Befinden sich an den Stellen Punktladungen qi, wobei die Summe über alle Ladungen endlich bleibt, dann wird für ein Maß auf der σ-Algebra aller Teilmengen von definiert, die der Ladungsdichte entspricht (iA = Summe über alle i mit ):
Für dieses Maß ist dann die zugehörige Distribution:
Alternative Schreibweisen
Der Wert, den die Delta-Distribution nach Anwendung auf eine Testfunktion liefert, schreibt man auch als
bzw. formal auch als
Diese Schreibweise ist eigentlich nicht richtig, weil die Delta-Distribution eine irreguläre (= singuläre) Distribution ist, d. h. sie lässt sich nicht durch eine lokal integrierbare Funktion in obiger Weise darstellen. Bei Verwendung der Integral-Schreibweise ist zu beachten, dass es sich nicht um ein Riemann-Integral oder Lebesgue-Integral, sondern um die Auswertung des Funktionals δ an der Stelle f, also δ(f) = f(0), handelt.
Ableitungen
Die Delta-Distribution kann wie jede Distribution beliebig oft distributiv differenziert werden:
Und die n-te distributive Ableitung:
Die Heaviside-Funktion Θ(x) ist nicht stetig differenzierbar, aber die distributive Ableitung existiert, diese ist nämlich die Delta-Distribution:
Da muss die Funktion im Unendlichen verschwinden.
Irregularität
Die Irregularität der Delta-Distribution lässt sich mit einem Widerspruchsbeweis zeigen:
Angenommen δ wäre regulär, dann gäbe es eine lokal integrierbare Funktion , also eine Funktion, die über jeden kompakten Intervall [a,b] bzgl. des Lebesgue-Maßes integrierbar ist
so dass für alle Testfunktionen f(x) gilt:
Insbesondere muss dies für obige Testfunktion φb(x) gelten. Die Wirkung der Delta-Distribution auf diese ist:
Mit der angenommenen regulären Distribution
lässt sich folgende Abschätzung durchführen:
Weil wird das Integral für b < bc (wobei bc ein von der Funktion δ(x) abhängiger kritischer Wert ist) kleiner 1 (und konvergiert gegen 0 für b gegen 0). Man erhält φb(0) < φb(0), also einen Widerspruch; somit ist die Delta-Distribution nicht durch eine lokal integrierbare Funktion darstellbar. Der Widerspruch ergibt sich, weil die Menge {0} für das Lebesgue-Maß vernachlässigbar ist, nicht aber für das Dirac-Maß.
Praktische Definition
Insbesondere Physiker verwenden gerne die folgende praktische Definition, die allerdings mathematisch nicht ganz sauber ist, da ein einzelner Punkt das Lebesgue-Maß null hat und damit beide Bedingungen nicht unter einen Hut zu bringen sind:
- und
Man kann sich leicht überzeugen, dass es keine gewöhnliche Funktion gibt, die die obigen Bedingungen erfüllt. Deshalb ist eine exakte Definition nur im Rahmen der Theorie der Distributionen möglich (man spricht auch von Verallgemeinerten Funktionen). Die Delta-Distribution kann nicht wie eine gewöhnliche Funktion behandelt werden (z.B. kann man sie nicht quadrieren).
Anschaulich stellt man sich die Delta-Distribution meistens als eine beliebig hohe und beliebig schmale Funktion vor, deren Fläche den Wert 1 besitzt. Man lässt nun die Funktion immer schmaler und dafür immer höher werden - die Fläche darunter muss konstant 1 bleiben. Am Ende dieses Gedankenexperiments erhält man einen Graphen, den man wegen der unendlichen Amplitude nicht mehr zeichnen kann. Es existieren auch mehrdimensionale Dirac-Distributionen, diese werden anschaulich zu mehrdimensionalen „Keulen“ mit dem Volumen 1.
Für verschwindende Breite und zunehmende Höhe, bei Erhaltung des Flächeninhalts, gewinnt man aus dem Rechteckimpuls - und auch aus geeignet geglätteten, beliebig-oft differenzierbar gemachten Rechteckimpulsen - die Delta-Distribution einschließlich ihrer sämtlichen Ableitungen. Man muss sich klarmachen, dass viele Approximationen der Delta-Distributionen durch glatte Funktionen möglich sind und alle zum selben Resultat führen.
Verbesserte Heuristik
Statt der unsauberen praktischen Definition ist es sinnvoller, δ durch Limes-Bildungen mit einer Folge lokal integrierbarer Funktionen δε zu definieren (ε > 0), die folgende Eigenschaften besitzen:
Mit den Funktionen δε(x) sind nun reguläre Distributionen δε gegeben, also Distributionen, die sich als Integral mit Kern δε(x) schreiben lassen:
Nur im Limes erhält man das ungewöhnliche Verhalten der Delta-Distribution, wobei zu beachten ist, dass die Limes-Bildung nicht unter dem Integral, sondern davor erfolgt.
Die Ableitungen der regulären Distributionen können mittels partieller Integration berechnet werden (hier exemplarisch für erste Ableitung, analog für höhere)
und ergeben im Limes das Verhalten der distributiven Ableitung:
Beispiele für Approximationen
Im Folgenden werden verschiedene Approximationen δε(x) angegeben, zunächst stetig differenzierbare:
- Die angegebenen Funktionen sind Glockenfunktionen (Normalverteilungen) mit einem sehr schmalen und sehr hohen Maximum bei x=0, die Breite ist ~ und die Höhe ~ . Der Flächeninhalt unter der Funktion ist aber immer 1, für alle ε.
- Fresnel-Darstellung
- die man sich vorstellen kann, als eine Linie, die auf einen Zylinder gewickelt ist, und deren Wicklungen durch das x2 immer enger werden; die Grundfläche (in x-y-Ausrichtung) des Zylinders wird aus dem Imaginär- und Realteil der Funktion gebildet, die Funktion entwickelt sich dann in z-Richtung.
Es sind aber auch Approximationen möglich, die nur stückweise stetig differenzierbar sind:
- Exponentialfunktion um Ursprung abfallend
Eigenschaften
- Definierende Eigenschaft der Delta-Distribution: Faltungseigenschaft, auch Ausblendeigenschaft, Siebeigenschaft genannt
- bzw. mit den Eigenschaften Translation und Skalierung (siehe unten) folgt:
- speziell für den Fall der konstanten Funktion 1:
- Linearität:
- Translation:
- für ist auch die Bezeichnung δa gebräuchlich.
- Skalierung:
- d. h. die Delta-Distribution ist homogen vom Grad −1.
- Dimension
- Eine direkte Folgerung aus der Skalierungseigenschaft ist die Dimension bzw. Maßeinheit der Delta-Distribution. Sie entspricht genau der reziproken Dimension ihres Arguments. Hat x beispielsweise die Dimension einer Länge, so hat δ(x) die Dimension (1/Länge).
- Hintereinanderausführung:
- wobei xi die einfachen Nullstellen von g(x) sind (sofern g(x) nur endlich viele und nur einfache Nullstellen hat).
- damit folgt als ein Spezialfall die Rechenregel
- Fouriertransformation: Sei die Fouriertransformation, dann gilt
- Anschaulich bedeutet das, dass in der Delta-Distribution alle Frequenzen enthalten sind, und zwar mit gleicher Stärke.
- Die Fourierdarstellung bzw. ist eine in der Physik wichtige Darstellung der Delta-Distribution:
- Laplace-Transformation: Sei die Laplace-Transformation, dann gilt
Praktische Anwendung
Praktische Bedeutung hat der Dirac-Stoß bei der Ermittlung der Impulsantwort in der Akustik (in anderen Sparten der Physik spricht man auch von einer δ-Größe, wenn man meint, dass die betreffende Größe einer schmalst-möglichen Verteilung genügt). So hat jeder Raum ein eigenes Schallverhalten. Mit einem Dirac-Impuls (angenähert durch ein Klatschen mit den Händen) kann dieses Verhalten (durch Messen des „Echos“, also der Systemantwort) ermittelt werden.
Typische, technisch realisierbare Dirac-Werte:
- Hochspannungstechnik ca. 1–100 ns Halbwertsbreite
- Hochfrequenztechnik ca. 10–100 ps Halbwertsbreite
- Laserpulstechnik ca. 10–100 fs Halbwertsbreite
Eine wichtige Anwendung der Delta-Distribution ist die Lösung inhomogener linearer Differentialgleichungen mit der Methode der Greenschen Funktion.
Mehrdimensionale Delta-Distribution
Im Mehrdimensionalen ist der Raum der Testfunktionen gleich , der Raum der unendlich oft stetig partiell differenzierbaren Funktionen mit kompaktem Träger, versehen mit einem sehr starken Konvergenzbegriff, nämlich der gleichmäßigen Konvergenz nicht nur der Funktion, sondern aller partiellen Ableitungen.
Die Delta-Distribution hat auf die Testfunktion die folgende Wirkung:
In der Integralschreibweise unter Verwendung von Translation und Skalierung:
Die "mehrdimensionale" Delta-Distribution lässt sich als Produkt von "eindimensionalen" Delta-Distributionen schreiben:
Speziell im Dreidimensionalen gibt es eine Darstellung der Delta-Distribution, die häufig in der Elektrodynamik eingesetzt wird um Punktladungen darzustellen:
Literatur
- W. Walter: Einführung in die Theorie der Distributionen, BI-Wissenschaftsverlag.
- G. Friedlander, M. Joshi: Introduction to the Theory of Distributions, Cambridge University Press.
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