- Deutsche Tugenden
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Als Preußische Tugenden bezeichnet man einen nicht festgelegten Kanon etlicher von protestantisch-calvinistischer Moral und von der Aufklärung geprägter Tugenden.
Inhaltsverzeichnis
Historische Entstehung
Diese Tugenden gingen zunächst auf die Könige Friedrich Wilhelm I., den sparsamen, bürgerlichen Verwaltungsreformer und Soldatenkönig, und auf dessen Sohn Friedrich den Großen, zurück. Diese verstanden sich als moralisches Vorbild (der Vater) und Vertreter der Vernunft (der Sohn) für ihren multireligiösen und vielsprachigen – nach heutigen Maßstäben multikulturellen – Vielvölkerstaat. Prägenden Einfluss hatte auch die preußische „Reformära“ nach der militärischer Niederlage 1806 gegen Napoléon Bonaparte bis zum Wiener Kongress 1815 (Gemeinde-, Heeres-, Schul-, Universitäts- und Steuerreform, Judenemanzipation).
Sie verschafften Preußen eine fortschrittliche Rechtsordnung und Verwaltung, ein der Krone loyales Offizierskorps und einen Vernunftpatriotismus, der seinen Aufstieg vom herkömmlichen Barockstaat des Großen Kurfürsten zur modernen Großmacht trotz dessen ökonomisch kümmerlicher Voraussetzungen sehr beförderte (sandige, magere Ackerböden [„des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Streusandbüchse“], große Verwüstungen und Menschenentleerungen im Dreißigjährigen Krieg).
Tugenden
Ausgewählte Beispiele
Zu den Tugenden werden beispielhaft gezählt:
- Aufrichtigkeit
- Bescheidenheit (klassisch hierfür, nach dem Beispiel König Wilhelms I. von Preußen, die Kornblume als Lieblingsblume)
- Fleiß
- Gehorsam (jedoch nicht ohne Freimut)
- Geradlinigkeit
- Gerechtigkeitssinn („Suum cuique“ = Jedem das Seine)
- Gottesfurcht bei religiöser Toleranz
- Härte, gegen sich mehr noch als gegen andere
- Mut
- Ordnungssinn
- Pflichtbewusstsein
- Pünktlichkeit
- Redlichkeit
- Selbstverleugnung (Walter Flex 1915: „Wer je auf Preußens Fahne schwört, hat nichts mehr, was ihm selbst gehört.“)
- Sparsamkeit
- Tapferkeit ohne Wehleidigkeit („Lerne leiden ohne zu klagen“)
- Treue
- Unbestechlichkeit
- Unterordnung
- Zurückhaltung („Mehr sein als scheinen!“)
- Zuverlässigkeit
Von diesen Tugenden leitet sich auch die veraltete Redensart her, jemand täte etwas pour le Roi de Prusse (wörtlich „für den König von Preußen“, d. h. umsonst, ohne etwas dafür zu nehmen).
Typische Zitate
- „Üb’ immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab …“ (Glockenspiel der Potsdamer Garnisonkirche)
- Theodor Fontane lässt in seinem Roman Der Stechlin einen Offizier sagen: „Dienst ist alles, und Schneidigkeit ist nur Renommisterei. Und das ist alles, was bei uns am niedrigsten gilt. Die wirklich Vornehmen gehorchen nicht einem Machthaber, sondern einem Gefühl der Pflicht. Was uns obliegt, ist nicht die Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, sondern lediglich die Pflicht. Es ist dies außerdem etwas speziell Preußisches. Wir sind dadurch vor anderen Nationen ausgezeichnet, und selbst bei denen, die es nicht begreifen und übel wollen, dämmert die Vorstellung von unserer daraus entspringenden Überlegenheit.“
- „Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte“ (Inschrift auf dem Grabstein des Johann Friedrich Adolf von der Marwitz in Friedersdorf, der während des Siebenjährigen Krieges den Befehl des Königs, Schloss Hubertusburg zu plündern, verweigerte)
- „Wir sind nicht auf dieser Welt, um glücklich zu sein und zu genießen, sondern um unsere Schuldigkeit zu tun“ (Otto von Bismarck, an Johanna, 26. Juni 1851). Gewöhnliche Variation: Wir sind nicht in die Welt gekommen um glücklich zu sein, sondern um unsere Pflicht zu tun.
Kritik
Die preußischen Tugenden wurden stets auch kritisiert, so im Bürgertum wegen ihrer ursprünglichen Wissenschafts- und Kunstferne, staatswirtschaftlichen und soldatischen Ausprägung – „Befehl und Gehorsam“ (für seine negative und radikale Ausprägung siehe auch Kadavergehorsam) – und Demokratiefeindlichkeit. Auch die Arbeiterbewegung wandte sich vor allem gegen die beiden letztgenannten Züge. In der 1968er Bewegung wurden sie, weil insbesondere die Treue- und Gehorsamspflicht zumeist auch gegenüber der nationalsozialistischen Regierung geübt worden war, äußerst misstrauisch angesehen und als „Sekundärtugenden“ gegenüber deren Konzept emanzipatorischer „Primärtugenden“ abgewertet.
Preußische Tugenden werden jedoch auch heute gelegentlich in der politischen Debatte thematisiert. So forderte beispielsweise Anfang Januar 2006 der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck in einem dpa-Gespräch die Rückbesinnung auf positive preußische Tugenden und sprach „bewährte Grundeigenschaften wie Anständigkeit, Verlässlichkeit und Pflichterfüllung“ an.
Literatur
- Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, München: C. H. Beck, 1919
- Hans-Joachim Schoeps: Kapitel „Preußische Tugenden“ in „Preußen – Bilder und Zeugnisse“ (zuletzt postum in „Preußen – Geschichte eines Staates“, Frankfurt a. M./ Berlin 1995. ISBN 3549054963, S. 442f.)
- Christian Graf v. Krockow: „Die Pflicht und das Glück“ (Rede am 17. August 1991 im Neuen Palais zu Potsdam) in: Hans Bentzien: Die Heimkehr der Preußenkönige, 1. Auflage, Berlin 1991. ISBN 3353008772
Weblinks
- www.Preussen.org
- www.Preussen.de: Ministerpräsident Platzeck: „Der Umgang mit dem preussischen Erbe in Brandenburg“
- Noblesse oblige – Erwartungen Reichskanzler Bismarcks an die Menschen und ihr Zusammenleben
Siehe auch
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