- Die Schlafwandler
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Die Schlafwandler ist eine Romantrilogie von Hermann Broch. Die drei Teilhandlungen sind durch die Hauptpersonen, den preußischen Offizier v. Pasenow, den rheinischen Kleinbürger Esch und den elsässischen Geschäftsmann Huguenau, miteinander verknüpft. Dargestellt wird der Verfall der deutschen bürgerlichen Gesellschaft.
Inhaltsverzeichnis
1888 Pasenow oder die Romantik (Dezember 1930)
Der erste Band spielt in Preußen. Leutnant Joachim von Pasenow ist die Hauptfigur. Er sieht in der Uniform den Garant der Ordnung im Angesicht der vom Verfall bedrohten Kultur des Zivilistischen. Zu Beginn besucht er mit seinem Vater das Jägerkasino in Berlin, wo er die böhmische Animierdame Ruzena kennenlernt, die seine Geliebte wird und für ihn den Inbegriff körperlicher Lust darstellt. Im folgenden duelliert sich Joachims Bruder und fällt dabei („Er fiel für die Ehre“ laut Joachims Vater). Dieser hätte die elterliche Wirtschaft in Stolpin übernehmen sollen, was nun Joachim zufällt. Eduard von Bertrand, ein Handelsreisender und Freund Joachims, verschafft Ruzena ein Arrangement beim Theater.
Joachim und Bertrand weilen auf Stolpin. Herr von Pasenow beginnt aufgrund des Verlustes seines Sohnes verwirrt zu werden und entwickelt einen Argwohn gegenüber Joachim, der nicht seinen Wünschen entspricht.
Bei einem Ausritt von Joachim, Bertrand und Elisabeth, der Tochter von Baron Baddensen und Joachims Jugendbekanntschaft, die für Joachim Sinnbild für Reinheit ist, lahmt Joachims Pferd nach einem Sprung. Elisabeth und Bertrand reiten allein nach Hause, wobei sich eine Art Liebesgespräch zwischen beiden entwickelt.
Herr von Pasenow, der wollte, dass Bertrand den Hof übernimmt, erkrankt. Joachim reist kurzfristig nach Berlin zu Ruzena, die ein Ende der Beziehung vermutet, kehrt dann wieder nach Stolpin zurück. In Berlin will Ruzena ihre Wohnung räumen, da sie sich von Joachim verlassen fühlt. Bertrand, der von Ruzena immer als schlechter Freund für Joachim bezeichnet wird und der sie zur Rede stellen will, wird dabei am Arm versehentlich angeschossen und muss ins Krankenhaus.
Daraufhin versucht Joachim eine Aussprache mit Ruzena, die sich allerdings von ihm gelöst hat. Joachim, der von den Vorgängen gezeichnet ist, arrangiert ein finanzielles Auskommen für seine ehemalige Geliebte und stellt einen Heiratsantrag an Elisabeth bei Baron Baddensen. Elisabeth hält Rücksprache über die Heirat mit Bertrand im Krankenhaus, die sich gegenseitig auf eine Art faszinieren. Schließlich willigt Elisabeth auf Joachims Antrag ein (Elisabeth zu Joachim über Betrand: „Wir sind anders als er.“)
Ein letztes Treffen von Joachim mit v. Bertrand erfolgt, der ihm wie immer gute Ratschläge erteilt, die Joachim wie immer zwiespältig entgegennimmt. Die Hochzeit erfolgt, und das einander noch nicht vertraute Paar beschließt, einander Zeit zu geben.
1903 Esch oder die Anarchie (April 1931)
Der zweite Teil spielt im mittleren Rheingebiet. Esch ist ein entlassener Buchhalter in Köln und sucht Orientierung angesichts „des anarchistischen Zustandes der Welt in der keiner weiß ob er rechts oder links, ob er hüben oder drüben steht.“ Die Anarchie ist die Anarchie der Werte, also die Orientierungslosigkeit.
Martin Geyring, ein Sekretär der Gewerkschaft, informiert ihn über eine offene Stelle in Mannheim bei der Mittelrheinischen Reederei, dessen Vorstandsvorsitzender von Bertrand ist.
In Mannheim wohnt er bei Balthasar Korn und seiner unverheirateten Schwester Erna. Er lernt Direktor Gernerth, Chef eines Varietètheaters, kennen und besucht mit Korn und Erna eine Veranstaltung. Eine Messerwerferszene mit Künstler Teltscher und der schönen Gehilfin Ilona hinterlässt einen bleibenden Eindruck auf Esch, der fix davon überzeugt ist, die unschuldige Ilona vor den Messern zu retten. In dieser Zeit freundet er sich mit Fritz Lohberg, Besitzer eines kleinen Zigarettenladens, an. Ilona wird Geliebte vom groben Korn unter Mitwirkung von Erna, die anstatt Esch lieber ihren Bruder als Ilonas Geliebten sehen will.
Es kommt zu einem Streik bei der Mittelrheinischen, und Martin wird bei einer Gewerkschaftsversammlung wegen Aufwiegelei verhaftet, was Esch als ungerecht empfindet. Direktor Gernerth hat eine Idee zur Veranstaltung von Damenringkämpfen, Esch schlägt Köln als Ort vor, um vielleicht so Ilona aus den Fängen Korns zu befreien, die mittlerweile diesen aufrichtig liebt. Lohberg und Erna beteiligen sich auf Anfrage Eschs finanziell am Theatergeschäft, und Esch kündigt seine Anstellung.
In Köln nimmt Esch wieder sein altes Leben auf, verkehrt oft in einem Gasthaus von Mutter Hentjen und organisiert mit Agent Oppenheimer die Schaukämpfe. Mutter Hentjen wird die Geliebte von Esch. Die Ringkämpfe gehen zunächst gut und Esch träumt sogar von einem amerikanischen Theaterprojekt. Esch setzt sich in den Kopf, nach Badenweiler zu fahren, um v. Bertrand zu überzeugen, den immer noch inhaftierten Martin freizulassen. Auf dem Weg dorthin kommt er nach Mannheim und logiert einige Tage bei den Korns. Erna ist inzwischen mit Lohberg liiert, und Esch zahlt einen Teil der Theatereinlage zurück.
Esch besucht Martin, der ihm von Dummheiten abrät, bevor er bei v. Bertrand vorspricht, dem er sagt, dass er ihn anzeigen werde. Als er wieder in Köln ist, beschließen er und Mutter Hentjen zu heiraten und er macht eine Anzeige bei der Polizei wegen v. Bertrands Homosexualität. Direktor Gernerth ist währenddessen mit dem Geld des Theaters durchgebrannt und Teltscher will mit Ilona ein Theater in Duisburg starten. Eine Hypothek auf Mutter Hentjens Gasthaus wird dafür aufgenommen, obwohl auch dieses Unterfangen bankrott geht und Ilona noch immer nicht errettet ist. Esch nimmt eine Stelle als Oberbuchhalter in Luxemburg an.
1918 Huguenau oder die Sachlichkeit (April 1932)
Der letzte Teil spielt im Moselgebiet. Wilhelm Huguenau desertiert im Krieg an der belgischen Front und flieht in eine Kleinstadt in einem Nebental der Mosel. Durch Ausgeben als Abgesandter einer Industriegruppe verschafft er sich das Gehör von Ortsverwalter Major von Pasenow und den hiesigen Honoratioren und wird zum Herausgeber des „Kurtrierschen Boten“, einer Zeitung der zuvor August Esch vorgestanden ist, die er allerdings verkaufen wollte. Den Leitartikel der neuen Erstausgabe verfasst v. Pasenow selbst, welcher versucht ein Gewinnen des Krieges mit ritterlichen Mitteln zu erreichen (anstatt Gaskrieg).
Huguenau versucht Esch, der ein sehr religiöser Mensch ist, bei v. Pasenow anzuschwärzen, was ihm aber nicht gelingt. Huguenau ist weiter bemüht sich als Bestandteil der hiesigen Gesellschaft zu etablieren und initiiert die Gründung des Vereins „Moseldank“.
Esch, der v. Pasenow wegen seines patriotischen Leitartikels aufsucht, freundet sich mit diesem an, was Huguneau zuwider ist. Esch beginnt Bibelstunden abzuhalten. Ein Zwischenfall im Gefangenenhaus ermöglicht Huguenau eine derbe Berichterstattung darüber, um so das Verhältnis zwischen Esch und v. Pasenow zu trüben.
V. Pasenow findet unterdessen heraus, dass Huguenau ein Deserteur ist. Da der Krieg aber in einer schwierigen Phase ist und ein Anrücken der Franzosen vermutet wird, findet dies keine sofortige Behandlung. Die nahe liegende Kaserne wird durch eine Explosion zerstört und die Gefangenen aus dem Gefangenenhaus befreit, Plünderungen beginnen. In den folgenden Wirren erleidet Pasenow einen schweren Autounfall, er wird von Esch gerettet. Als Esch anschließend in die Stadt eilt, wird er von Huguenau von hinten erstochen.
Huguenau gelingt es den schwer gezeichneten Pasenow als Pflegeersatz beim Transport nach Köln in ein Krankenhaus zu begleiten. Dort behebt er von einem Konto Geld des „Kurtrierschen Boten“ und erwirkt einen Militärfahrschein in seine colmarsche Heimat. Er lässt sich von Fr. Esch seine erschlichenen Anteile der Zeitung abkaufen. Huguenau heiratet und führt das väterliche Geschäft weiter.
Parallel dazu werden mehrere Geschichten erzählt die sich zum Teil treffen, z. B. bei der Siegesfeier des Vereins „Moseldank“ zur Erinnerung an die Schlacht bei Tannenberg: Lazarett in der Kleinstadt mit Geschichten um Landwehrmann Gödicke, der im Krieg verschüttet wurde, und Leutnant Jaretzki, der bei einem Gasangriff einen Arm verlor. Die Geschichte der schönen Hanna Wendling auf ihrem Anwesen und ihr Rechtsanwaltsgatte, der einmal Fronturlaub hat. Die Geschichte der Liebe zwischen dem Juden Nuchem Sussin und einem Heilsarmeemädchen in Berlin.
Dazu ein geschichtsphilosophischer Exkurs: der Zerfall der Werte. Die Ansicht wird vertreten, dass es früher im Mittelalter einen Zentralwert gegeben hat, dem alles untergeordnet war (Gott). Nach diesem Zentralwert hat man sein Leben ausgerichtet. Während es im Mittelalter dadurch eine gewisse Ordnung gegeben hat, hat sich jetzt die Welt in Teilsysteme aufgeteilt. Alles bekommt einen Selbstzweck. Der Krieg ist zum Krieg führen da und nicht mehr um den christlichen Glauben zu verbreiten. Man arbeitet der Arbeit wegen. Dies führt zu einem Verlust der Ordnung und zu einer Amoral, bei der alle Werte wegfallen und es keine Ethik mehr gibt.
Interpretation
Während die Romanteile von 1888 in Sprache, Darstellungsweise und Aufbau dem Realismus gleicht, ist der Teil von 1918 auch formal ein aufgelöster Roman. Genauso wie sich die Werte aufgelöst haben, hat sich auch der Roman in Parallelgeschichten aufgelöst und bindet sich an keine Konvention.
Von Pasenow glaubt an die alten Werte, auch wenn sie „romantisch“ (vgl. den Untertitel zum 1. Roman) verklärt sein mögen. Esch wiederum versucht sich verzweifelt zu orientieren. Jedoch glaubt er nach langer Suche (2. Roman) zu wissen, welche Werte wichtig sind, bleibt aber ein skurriler Außenseiter. Huguenau, der weder Moral noch Glauben an etwas besitzt, steht für die Verkommenheit der Werte. Als Opportunist verkörpert er den Tiefpunkt der neuen Zeit ohne Wertesystem. Bemerkenswerter Weise ist er jedoch nicht nur negativ dargestellt. In seiner „Sachlichkeit“ (Untertitel des 3. Romans), seiner Bindung an bürgerliche Konventionen (als „philiströs“ von Broch verurteilt) und eine vom Kommerz geprägte Welt (als Angehöriger eines kaufmännischen „Partialsystems“) stellt er den Prototyp des Menschen der Moderne dar. Aber auch Hugeneau ahnt etwas von einem absoluten Postulat jenseits der Alltagswelt, einer Sehnsucht nach einem Richtung gebenden, Werte setzenden „Totalsystem“ (Broch). Jedoch verdrängt der Kaufmann das aus seinem Alltag völlig.
So manifestiert sich der Werteverlust in allen drei Charakteren.
„Der soziale Querschnitt, der in den drei Bänden gezogen ist, offenbart fast in allen Charakteren sich als Nazi-Nährboden.“ (Hermann Broch) Dazu passt der kritische Hinweis des Autors (am Ende der Trilogie) auf den Wunsch des orientierungslos gewordenen Menschen nach einem „Führer“. Bald nach Fertigstellung des Romans (1928) sollte aus diesem Wunsch in verhängnisvoller Weise Wirklichkeit werden.
Romane von Hermann BrochDie Schlafwandler | Die Unbekannte Größe | Die Verzauberung | Der Tod des Vergil | Die Schuldlosen
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