Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (Kleist)

Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden (Kleist)

Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden ist ein Aufsatz des Schriftstellers Heinrich von Kleist, der um 1805 entstand. Die Schrift war wohl für die Zeitschrift Phöbus bestimmt, wurde aber erst postum 1878 veröffentlicht.

Inhalt

Kleist verweist in der Schrift darauf, dass Gedanken aus der Sprechsituation heraus entstehen, und demonstriert das am Beispiel der berühmten Worte Mirabeaus in der Französischen Revolution vor dem Ballhausschwur.

„[…] Mir fällt jener ‚Donnerkeil‘ des Mirabeau ein, mit welchem er den Zeremonienmeister abfertigte, der nach Aufhebung der letzten monarchischen Sitzung des Königs am 23ten Juni, in welcher dieser den Ständen auseinanderzugehen anbefohlen hatte, in den Sitzungssaal, in welchem die Stände noch verweilten, zurückkehrte, und sie befragte, ob sie den Befehl des Königs vernommen hätten? ‚Ja‘, antwortete Mirabeau, ‚wir haben des Königs Befehl vernommen‘ – ich bin gewiß, daß er, bei diesem humanen Anfang, noch nicht an die Bajonette dachte, mit welchen er schloß: ‚ja, mein Herr‘, wiederholte er, ‚wir haben ihn vernommen‘ – man sieht, daß er noch gar nicht recht weiß, was er will. ‚Doch was berechtigt Sie‘ – fuhr er fort, und nun plötzlich geht ihm ein Quell ungeheurer Vorstellungen auf – ‚uns hier Befehle anzudeuten? Wir sind die Repräsentanten der Nation.‘ – Das war es, was er brauchte! ‚Die Nation gibt Befehle und empfängt keine‘ – um sich gleich auf den Gipfel der Vermessenheit zu schwingen. ‚Und damit ich mich ihnen ganz deutlich erkläre‘ – und erst jetzo findet er, was den ganzen Widerstand, zu welchem seine Seele gerüstet dasteht, ausdrückt: ‚So sagen Sie Ihrem Könige, daß wir unsere Plätze anders nicht, als auf die Gewalt der Bajonette verlassen werden.‘ – Worauf er sich, selbstzufrieden, auf einen Stuhl niedersetzte.“

Kleist empfiehlt in seinem Aufsatz, schwierige Fragen mit einem Gesprächspartner zu besprechen. Ihm geht es dabei nicht um die Mäeutik im Sinne Sokrates’, sondern um die Notwendigkeit auf Seiten des Sprechenden, sich eines Sachverhaltes im Moment des „Darüber-Sprechens“ klarer zu werden: Wenn nämlich der Sprechende seine Gedanken ordnet, um seine Sichtweise dem Hörenden zu erläutern, wird er sich der Dinge bewusster und gelangt dadurch zu einer tieferen Einsicht in die von ihm angesprochenen schwierigen Sachverhalte.

Weblinks

Text im PDF-Format aus dem Kleist-Archiv

Text bei gutenberg.spiegel.de


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