Drangheta

Drangheta

Die ’Ndrangheta (Betonung: 'Ndràngheta) ist die Vereinigung der kalabrischen Mafia, deren Aktionsradius heute ganz Europa, Nord- und Südamerika sowie Australien umfasst. Mit geschätzten 35 Mrd. Dollar Jahresumsatz gilt die ’Ndrangheta heute als mächtigste Mafia-Organisation Europas.

Die Wurzeln der Organisation reichen weit zurück. Im 19. Jahrhundert entstand sie aus Briganten und Rebellen in den Städten Platì und San Luca. Das Einkommen bestritt man vornehmlich aus Erpressungen und Entführungen. Die Herkunft des Namens ist nicht ganz geklärt. Er könnte aus dem in Teilen Süditaliens gesprochenen griechischen Dialekt Griko stammen und mit dem griechischen Wort andragathía (ανδραγαθία „Heldentum“) verwandt sein. Die Auslassung von Anfangsvokalen ist in süditalienischen Dialekten ein häufiges Phänomen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Schon 1861 stießen Beamte des neuen italienischen Nationalstaates in Kalabrien auf die Existenz dieser Geheimorganisation. Damals schon erschien die ‘Ndrangheta bestens organisiert. Doch alle Versuche des Staates, ihre Macht zu zerstören, schlugen fehl. Die Mitglieder der ‘Ndrangheta sind durchweg blutsverwandt.

Selbst unter der faschistischen Diktatur des Benito Mussolini gelang es nicht, diese Verbrecherorganisationen auszumerzen. Sie mutierten und passten sich schnell den neuen Zeiten an. Von einer Regionalregierung der ‘Ndrangheta, die sozusagen die Organisation nach dem „Führerprinzip“ regiert, gehen die Justizstellen jedoch nicht aus. Vielmehr ist es eine Führung nach föderalem Prinzip. Über Jahrzehnte profitierte die ‘Ndrangheta davon, dass sie von den staatlichen Stellen als harmloser als die sizilianische Cosa Nostra und die neapolitanische Camorra erachtet wurde. Das führte nicht zuletzt dazu, dass die ‘Ndrangheta zuletzt den für sie unbequemen Politiker Francesco Fortugno vor einem Wahllokal erschoss. Sie gilt heute als das wirtschaftlich stärkste Syndikat und setzt über 35 Milliarden Euro um. Der Drogenhandel bringt dabei die größten Einnahmen. Durch die Auswanderer hat die ‘Ndrangheta Zweigstellen in Nord- und Südamerika, Mitteleuropa, aber auch in Russland und Australien.

Organisation

Kalabrien in Italien
Provinz von Reggio Calabria

Nach Erkenntnissen europäischer Drogenermittler stellt die ’Ndrangheta die bedeutendsten Gruppen im europäischen Kokain-Handel, noch vor den kolumbianischen Drogenkartellen. Die Dominanz der ’Ndrangheta ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es ihr gelang, Teile des Geschäfts an sich zu reißen, als die sizilianische Cosa Nostra in den 1990ern unter Druck geriet. Weitere wesentliche Ertragsquellen sind Waffenhandel, Geldwäsche und Erpressungen. Das Zentrum der Organisation liegt nach wie vor in Kalabrien in den Provinzen Reggio Calabria und Crotone.

Die ’Ndrangheta zählt aktuell vermutlich etwa 7000 Mitglieder und umfasst etwa 90 Clans oder Cosche (benannt nach dem sizilianischen Wort für die Artischocke, die als Symbol für den Zusammenhalt stehen soll). Im Vergleich zur Cosa Nostra basiert die Mitgliedschaft in der ’Ndrangheta weit stärker auf Blutsverwandtschaft, die einzelnen Mitglieder nennen sich ’ndrinu und der Clan selbst ’ndrina. Der Blutsverwandtschaft ist auch ein größerer Zusammenhalt zu verdanken: Bislang sind erst 157 Kronzeugen aus dieser Organisation ausgestiegen (zum Vergleich: In Sizilien sind es etwa 390). 1998 nahm die deutsche Polizei einen Auftragsmörder des Clan, Giorgio Basile, fest. Er sagte seit dem mehrfach gegen die Organisation aus.

Ähnlich wie in Sizilien die Kleinstadt Corleone gibt es auch in Kalabrien ein Dorf, das als Hochburg der ’Ndrangheta bezeichnet wird: Platì am Fuße des Aspromonte, dem südlichsten Gebirge Italiens. Das Dorf hat unterirdische Gänge und Kammern mit getarnten oder versteckten Türen, die den Mitgliedern des Clans ein Verschwinden bei Gefahr ermöglichen.

Trotzdem versuchte der italienische Staat immer wieder Herr der Lage zu werden. Beispielsweise stürmten 2003 insgesamt über 1000 Carabinieri das Dorf mit nur 2800 Einwohnern, wobei 131 Verdächtige festgenommen wurden. Am 17. Juli 2007 konnte ein einflussreicher Führer eines ’Ndrangheta-Clans, Giuseppe Bellocco, im Rahmen einer großangelegten Aktion gefasst werden.[1]

Einen der ranghöchsten Führer der Organisation hat die italienische Polizei am 19. Februar 2008 in Reggio Calabria festgenommen.[2]

Ermittlungen im Zusammenhang mit den Mafiamorden von Duisburg am 15. August 2007 zeigten, dass die ’Ndrangheta auch in Deutschland, insbesondere in Nordrhein-Westfalen mittlerweile über feste Stützpunkte verfügt.[3]

Die sieben Prinzipien

Nach diesen Regeln funktioniert die ’Ndrangheta:[4]

  • Umiltà – Demut gegenüber anderen (sogenannten „Ehrenwerten“ und der Bevölkerung)
  • Fedeltà – Uneingeschränkte Treue, deren Bruch mit dem Tod bestraft wird
  • Politica – Geheimsprache zwischen den „Ehrenwerten“, bei dem die Wahrheit zu sagen das oberste Gebot ist
  • Falsa Politica – Sprache gegenüber Polizisten und Verrätern, die nie die Wahrheit erfahren dürfen
  • La Carta – Alle wichtigen Ereignisse werden aufgeschrieben
  • Il Lapis – Der Boss ist verpflichtet, eine geheime Chronik zu führen
  • Il Coltello – (wörtlich: Das Messer) Die Interessen der Organisation stehen an erster Stelle und werden mit Androhung des Todes beschützt

In Konsequenz bedeutet die Anwendung der Prinzipien die Efferatezza (dt. Grausamkeit) gegenüber den Betroffenen wegen Missachtung der Menschenrechte und des Legalitätsprinzips.

Anschläge im Ausland

Anti-’Ndrangheta-Demonstration im Oktober 2005 in Locri - "Und nun tötet uns alle!"

In der Nacht auf den 15. August 2007 wurden sechs Italiener im Alter von 18 bis 39 Jahren in der Nähe des Duisburger Hauptbahnhofs getötet. Das italienische Innenministerium bestätigte die Mafiakontakte der Erschossenen. Fünf der sechs Erschossenen kamen aus San Luca und die Tat ist Teil einer Faida zwischen zwei dort ansässigen Familien. Es ist das erste Mal, dass die ’Ndrangheta in diesem Ausmaß Morde im Ausland verübt hat.[5] In einem Spiegel-Interview vom 19. August 2008 spricht „ein Pate“ allerdings davon, dass es sich bei den Morden um keine Fehde handelte, sondern eine Abspaltung innerhalb der Gesellschaft verhindert werden sollte.[6]

Literatur

  • Enzo Fantò (Hrsg.): Massomafia. ’Ndrangheta, politica e massoneria dal 1970 ai giorni nostri. Koinè, Rom 1997, ISBN 88-8106-010-8.
  • Stefano Morabito (Hrsg.): Mafia, ’Ndrangheta, Camorra nelle trame del potere parallelo. Gangemi, Rom 2005, ISBN 88-492-0896-0.
  • Letizia Paoli: Mafia Brotherhoods – Organized Crime, Italian Style, Oxford: UP 2003, ISBN 0-19-515724-9.
  • Andreas Ulrich: Das Engelsgesicht. Die Geschichte eines Mafia-Killers aus Deutschland. Goldmann, München 2007, ISBN 978-3-442-12973-7.

Filme

  • Das dunkle Business der 'Ndrangheta. Dokumentation, Frankreich, 58 Min., Regie: Agnès Gattegno, Produktion: BFC Productions, arte France, Erstsendung: 16. Dezember 2008, Inhaltsangabe von arte
  • Deutschland im Visier. Das geheime Netz der kalabrischen Mafia. Dokumentation, Deutschland, Italien, 2008, 45 Min., Regie: Christian Gramstadt und Markus Rosch, Produktion: BR, Erstsendung: 2. April 2008, Inhaltsangabe der ARD
  • Ndrangheta - Das blutige Business einer Mafia. Frankreich, 2008, 90 Min., Regie: Corradino Durruti, Produktion: arte, Erstausstrahlung: 5. Juni 2008, Inhaltsangabe von arte
  • Im Netz der Mafia - Auf den Spuren der Mörder von Duisburg. Dokumentation, Deutschland, 2008, 45 Min., Regie: Ulrike Brödermann und Philipp Zahn, Produktion: ZDF, Erstsendung: 19. August 2008, Inhaltsangabe des ZDF
  • Uomini d'onore. Dokumentation, Italien, 2006, 84 Min., Regie: Francesco Sbano, Inhalt: [7]

Weblinks

Belege

  1. „Italienische Polizei verhaftet Mafiaboss Bellocco. Eine zehnjährige Flucht ist zu Ende“, tagesschau, 17. Juli 2007
  2. "Super-Boss" der kalabrischen Mafia festgenommen. AFP, 19. Februar 2008
  3. Tobias Piller, ndrangheta auch in Deutschland stabil. FAZ.net vom 15. August 2008
  4. Grafik: „Treue bis in den Tod. Die sieben Prinzipien der ’Ndrangheta“, Spiegel Online, 15. August 2007
  5. „Italienische Regierung: Morde von Duisburg eine Mafia-Fehde“, Deutsche Welle, 15. August 2007
  6. „Pate der Mafia - "In Deutschland fühlen wir uns sehr wohl"“, Spiegel, 19. August 2008
  7. Uomini d'Onore, italienische Wikipedia

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