- EU-Gipfel
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Der Europäische Rat ist das Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU). Sie versammeln sich üblicherweise viermal jährlich zu Treffen, die auch als EU-Gipfel bezeichnet werden. Im politischen System der Europäischen Union nimmt der Europäische Rat eine besondere Rolle ein: Er ist die einzige Institution, deren Funktionsweise nicht im EG-Vertrag, sondern im EU-Vertrag geregelt ist, daher ist er auch – anders als der Rat der Europäischen Union (auch Ministerrat genannt) sowie die supranationalen Institutionen Europäisches Parlament, Europäische Kommission, Europäischer Gerichtshof und Europäischer Rechnungshof – formal kein Organ der Europäischen Gemeinschaft (EG). An der alltäglichen Rechtsetzung der EG ist der Europäische Rat nicht beteiligt. Vielmehr dient er als übergeordnete Institution dazu, die entscheidenden Kompromisse zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu finden und Impulse für die weitere Entwicklung der Union zu setzen.
Inhaltsverzeichnis
Zusammensetzung und Aufgaben
Der Europäische Rat ist eine intergouvernementale Institution. Seine Zusammensetzung und Rolle in der Europäischen Union ist in Art. 4 EUV geregelt. Demnach gibt er der EU „die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen für diese Entwicklung fest“. Daneben behandelt der Europäische Rat auch wichtige Fragen, für die auf Ministerebene (also im Rat der Europäischen Union) kein Konsens gefunden werden konnte; auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) wird häufig thematisiert. An den Gipfeltreffen sind die Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten sowie deren Außenminister und – allerdings nur in beratender Funktion – der Präsident der Europäischen Kommission beteiligt.
Der Europäische Rat handelt grundsätzlich im Konsens, also einstimmig. Die einzelnen Mitgliedstaaten müssen daher zwischen ihren Positionen Kompromisse finden, um eine Blockade der EU zu vermeiden. Die Ergebnisse der Ratstagungen werden in den „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“ festgehalten. Diese sind innerhalb des politischen Systems der EU zunächst nicht rechtsverbindlich. Da jedoch die Staats- und Regierungschefs meist innerhalb der Regierung ihres eigenen Staates eine Richtlinienkompetenz besitzen, dienen die Verhandlungsergebnisse des Europäischen Rates auch als Richtlinie für die Treffen des Ministerrats. Auch die Europäische Kommission handelt meist im Sinne der auf den Gipfeltreffen gefundenen Kompromisse.
Neben der Entwicklung der politischen Leitlinien treffen die Staats- und Regierungschefs auch einige im EG-Vertrag vorgesehene operative Entscheidungen in der EU-Politik, etwa die Ernennung des Kommissionspräsidenten, die mit qualifizierter Mehrheit erfolgt. Formal handelt es sich dabei allerdings nicht um Entscheidungen des Europäischen Rates sondern des Rates der EU „in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs“. Allerdings soll diese Unterscheidung mit dem (noch im Ratifizierungsverfahren befindlichen) Vertrag von Lissabon entfallen.
Der Vorsitz des Europäischen Rates rotiert halbjährlich zwischen den Mitgliedstaaten und wird jeweils von dem Land übernommen, das auch den Präsidenten des Ministerrats stellt.
Der Europäische Rat tritt mindestens zweimal, in der Regel viermal pro Jahr zusammen. Diese Gipfeltreffen finden zumeist in der Mitte und am Ende jedes Halbjahres, also im März, Juni, September und Dezember, statt. Außerdem kann es Sondergipfel geben, auf denen über aktuelle wichtige Themen beraten wird. Die Sitzungen sind nicht öffentlich, allerdings informiert der Ratspräsident das Europäische Parlament über die Ergebnisse und legt diesem einen schriftlichen Bericht vor, außerdem werden am Ende des Gipfels die „Schlussfolgerungen des Vorsitzes“ veröffentlicht.
Eine besondere Rolle nimmt der Europäische Rat bei Reformen des EU-Vertrages (wie dem Vertrag von Nizza oder dem Vertrag von Lissabon) ein. Diese sind völkerrechtlich internationale Verträge zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten und müssen somit von deren Regierungen ausgehandelt und unterzeichnet werden. Auch hier werden die Leitentscheidungen meist auf Gipfeltreffen des Europäischen Rats getroffen, der dann eine Regierungskonferenz einberuft, auf der Beamte der Mitgliedstaaten die genauen Formulierungen aushandeln. Die Unterzeichnung der Verträge erfolgt wiederum auf Treffen des Europäischen Rats.
Die Mitglieder des Europäischen Rates gehören auf nationaler Ebene Parteien verschiedener politischer Spektren an, die sich nationenübergreifend in europäischen Parteizusammenschlüssen organisiert haben. Obwohl im Rat formal keine Koalitionen entlang ähnlicher parteiideologischer Orientierungen gebildet werden und das Verhandlungs- und Abstimmungsverhalten der Regierungschefs eher von pragmatischen Motiven bestimmt wird, bieten die Parteizugehörigkeiten der Staats- und Regierungschefs doch einen Erklärungsansatz für die Politik des Rates insgesamt.
Änderungen durch den Vertrag von Lissabon
Im Vertrag von Lissabon, der sich derzeit im Ratifizierungsverfahren befindet, sind für den Europäischen Rat einige Veränderungen vorgesehen. So wird er nun auch offiziell zu einem Organ der EU, seine Beziehungen zu den übrigen europäischen Institutionen werden genauer als bisher definiert und formal festgeschrieben. Außerdem soll an die Stelle des bisher halbjährlich rotierenden Vorsitzes ein für jeweils zweieinhalb Jahre ernannter Präsident des Europäischen Rates treten. Dieser soll durch den Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit ernannt werden und einmal wiedergewählt werden können. Der Europäische Rat würde sich demnach aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten sowie dem Präsident des Europäischen Rates und dem Präsidenten der Kommission zusammensetzen, auch der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik soll an seinen Arbeiten teilnehmen.
Geschichte
Nachdem sich die europäischen Staats- und Regierungschefs zuvor lediglich zu zeremoniellen Anlässen versammelt hatten, fand auf dem Gipfel von Den Haag 1969 erstmals ein politisch bedeutendes Treffen statt, auf dem wichtige Integrationsprobleme in Angriff genommen wurden. Der Erfolg dieses von der Europäischen Bewegung initialisierten Gipfels führte dazu, dass in den folgenden Jahren in unregelmäßigen Abständen ähnliche Treffen wiederholt wurden. 1974 wurde auf dem Gipfel von Paris vereinbart, das Treffen nun regelmäßig alle vier Monate zu veranstalten; später wurde zu Treffen alle drei Monate übergegangen. In die Verträge wurde der Europäische Rat als Institution der EU erst 1987 mit Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte aufgenommen, wo nun mindestens halbjährliche Ratstreffen festgeschrieben wurden. Diese fanden zunächst jeweils in dem Land statt, das die Ratspräsidentschaft innehatte. Als das Ratstreffen 2000 in Nizza zu scheitern drohte, schlug der französische Präsident Chirac als Entgegenkommen für Belgien vor, die künftigen Treffen im Regelfall in Brüssel abzuhalten. Allerdings ist es noch immer üblich, dass sich die Regierungschefs zu besonderen Ereignissen jeweils in dem Staat treffen, der den Ratsvorsitz innehat – so zum Beispiel 2007 anlässlich der Berliner Erklärung oder der Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon.
Ursprünglich waren die Treffen zwischen den Regierungschefs als informelle „Gespräche am Kamin“ gedacht, ohne Außenminister, weder Beamte noch Dokumente. Rechtskräftige Beschlüsse sollten nicht verabschiedet werden. Die Konferenzen fanden in abgelegenen Schlössern, abgeschirmt von der Presse, statt.
Nach den ersten Treffen bildete sich schnell ein festes Ritual heraus, das in den folgenden Jahrzehnten von dem jeweils veranstaltenden Vorsitz eingehalten wurde: Keine Tagesordnung, aber ein Einladungsbrief des Vorsitzenden eine Woche vor der Veranstaltung mit Angabe von wahrscheinlichen Themen, Festlegung der begleitenden Delegationen, geregelter Ablauf der Sitzungen im engsten Kreis. Abfassung eines Schlussdokuments als „Schlussfolgerung des Vorsitzes“.
Mittlerweile ist das Treffen der Regierungschefs zu einer vertraglich festgelegten EU-Institution gereift, die die Richtlinien der europäischen Politik bestimmt. Regelmäßig viermal im Jahr findet diese riesige und kostspielige Veranstaltung statt, die 2000 Journalisten anzieht und mit 12 000 Sicherheitskräften beschützt werden muss. Minister, Botschafter, Beamte, Dolmetscher und Übersetzer umgeben die 27 Regierungschefs und den Kommissionspräsidenten.
Wichtige Treffen des Europäischen Rates
- 1.-2. Dezember 1969 in Den Haag: erstes bedeutendes Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EG, Beschlüsse zu „Vollendung, Vertiefung und Erweiterung“ der EG
- 9.-10. Dezember 1974 in Paris: Beschluss der Staats- und Regierungschefs, sich künftig zwei- bis dreimal jährlich als „Europäischer Rat“ zu treffen.
- 10.-11. März 1975 in Dublin: erstes reguläres Treffen des Europäischen Rates unter irischer Präsidentschaft.
- 16.–17. Juli 1975: Beschluss zur Einführung eines Europäischen Reisepass.
- 12.–13. Juli 1976: Beschluss zur Direktwahl des Europäischen Parlaments.
- 7.-8. April 1978 in Kopenhagen: Termin der ersten Europawahl (7. bis 10. Juni 1979), um die EU auf eine demokratische Grundlage zu stellen.
- 12.–13. März 1979: Gründung des Europäischen Währungssystems.
- 25.–26. Juni 1984: Beschluss über Haushaltsrabatt für das Vereinigte Königreich
- 2.-3. Dezember 1985 in Luxemburg: Einigung über die Einheitliche Europäische Akte: Einrichtung eines gemeinsamen Binnenmarkts bis Ende 1992.
- 12.–13. Februar 1988: Beschluss über siebenjährige Finanzplanung.
- 27.-28. Juni 1988 in Hannover: Planung der Währungsunion.
- 26.-27. Juni 1989 in Madrid: Einigung auf die Schaffung einer gemeinsamen Währung (Euro).
- 9.-10. Dezember 1991 in Maastricht: Einigung über den Vertrag von Maastricht (am 7. Februar 1992 unterzeichnet): das Europäische Parlament wird zum Gesetzgeber (gemeinsam mit dem EU-Ministerrat), Einführung der „Unionsbürgerschaft“.
- 21.–22. Juni 1993 in Kopenhagen: Vorbereitung der EU auf die Osterweiterung, Formulierung der Kopenhagener Kriterien für künftige Beitrittsländer.
- 3.-4. Juni 1999 in Köln: geprägt durch den nachfolgenden Weltwirtschaftsgipfel
- 10.–11. Dezember 1999 in Helsinki: Beschlüsse zur EU-Erweiterung 2004
- 23.–24. März 2000 in Lissabon: diplomatische Sanktionen gegen Österreich wegen Regierungsteilnahme der FPÖ (im September aufgehoben); „Lissabon-Strategie“ zur sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Erneuerung bis 2010
- 7.-9. Dezember 2000 in Nizza: Unterzeichnung des Vertrags von Nizza.
- 15.-16. Juni 2001 in Göteborg
- 13.-15. Dezember 2001 in Laeken: Einberufen des „Europäischen Konvents“ für die Zukunft Europas. Unter Vorsitz von Valéry Giscard d’Estaing soll der Entwurf einer EU-Verfassung entstehen, um sie demokratischer und bürgernäher zu machen.
- 12.-13. Dezember 2002 in Kopenhagen: Beschluss zur Aufnahme von zehn Ländern zum 1. Mai 2004 (Unterzeichnung der Beitrittsverträge am 16. April 2003 in Athen.
- 19.-20. Juni 2003 in Saloniki: Hauptthema Asyl- und Flüchtlingspolitik.
- 17.-18. Juni 2004 in Brüssel: Einigung über den EU-Verfassungsvertrag (Unterzeichnung am 29. Oktober in Rom).
- 16.-17. Juni 2005 in Brüssel: Scheitern der Budgetregelung 2007-2013; Beschluss einer „Denkpause“ nach Ablehnung der EU-Verfassung in Referenden in Frankreich und den Niederlanden
- April 2006: der im März beschlossene Sondergipfel zur Lösung des Verfassungsproblems. Das Vorsitzland Österreich soll konsensfähige Vorschläge erarbeiten.
- 21.-22. Juni 2007 in Brüssel: unter der deutschen Ratspräsidentschaft werden die Eckpunkte des Vertrags von Lissabon ausgehandelt, der die in zwei Ländern abgelehnte Verfassung ersetzen soll.
- 15.-16. Oktober 2008 in Brüssel: Unter dem Vorsitz Frankreichs werden Maßnahmen zur aktuellen Banken- und Finanzkrise ab 2007 erörtert. Beschlossen wird u. a. eine gesamteuropäische Erhöhung der Einlagensicherung für private Sparkonten auf 100.000 € und eine koordinierte Vorgangsweise zur allfälligen Stützung von Banken bei Insolvenzgefahr (geplanter Stützungsfonds). Einige Staaten wie Deutschland, Irland und Österreich haben dies schon zuvor getan.
- 1. März 2009 in Brüssel: Unter dem Vorsitz Tschechiens wird nach einer gemeinsamem Lösung der Finanzkrise gesucht.
Siehe auch
Weblinks
- Seite des Europäischen Rats auf der Homepage der Europäischen Union
- Dossier zur deutschen Ratspräsidentschaft 2007 Hrsg. von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin. Mit zahlreichen Links auf relevante Webseiten und mit Literaturhinweisen zur Thematik
- EU-De-Briefings der deutschen Bundesregierung zu Europäischen Räten
Literatur
- Marcell von Donat: Das ist der Gipfel! - Die EG-Regierungschefs unter sich, Nomos-Verlag, Baden-Baden 1987.
Einzelnachweise
(Europäischer Rat)* | Europäisches Parlament | Rat der Europäischen Union (EU-Ministerrat) | Europäische Kommission | Europäischer Gerichtshof | Europäischer Rechnungshof | (Europäische Zentralbank)*
*ab Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon
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