EU-Haftbefehl

EU-Haftbefehl

Der Europäische Haftbefehl (EUHB) ist ein für die EU vereinheitlichter Haftbefehl, der auf einem [1] Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 beruht. Er vereinfacht und verkürzt die Auslieferung von Straftätern, da sich das um Auslieferung ersuchte Land die juristische Prüfung der zugrundeliegenden Tatbestände erspart. Die justizielle Entscheidung für den Haftbefehl, die in einem EU-Mitgliedstaat ergangen ist, wird in diesem Rahmen automatisch vom ersuchten Mitgliedsland anerkannt und die gesuchte Person wird dort festgenommen und zwecks Strafverfolgung oder Vollstreckung "übergeben" (ausgeliefert). Der EUHB verpflichtet allerdings kein Land, seine eigenen Staatsbürger an andere EU-Länder auszuliefern. Viele übergeben ihre Staatsbürger jedoch für ein Strafverfahren im Ausland und holen sie zur Strafvollstreckung dann wieder ins eigene Land zurück. Der Rahmenbeschluss nennt 32 Tatbestände wie Betrug, Computerkriminalität und Rassismus, bei denen die Auslieferung sogar dann zulässig ist, wenn die Tat nach dem Recht des ausliefernden Staates gar nicht strafbar oder bereits verjährt ist.

Der Rat der Justiz- und Innenminister der EU-Mitgliedstaaten hat auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments den [2] Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten verabschiedet.

Inhaltsverzeichnis

Entstehungsgründe

  • Die Verwirklichung der Idee, einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (Art. 29 Abs. 1 EU) zu schaffen, insbesondere durch effektive Bekämpfung der organisierten Kriminalität,
  • Verstärkung und Vereinfachung internationaler Kooperation in Strafsachen,
  • Entstehung eines einheitlichen europäischen Rechtsraumes für Auslieferungen durch Abschaffung des förmlichen Auslieferungsverfahrens.

Diese Ziele sollen durch eine bessere Vereinbarkeit, eine stärkere Konvergenz der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen und Entscheidungen in der gesamten Union erreicht werden.

Unterschiede zum bisherigen Auslieferungsrecht

  • direkte Zusammenarbeit der Justizbehörden ohne Inanspruchnahme des diplomatischen Weges und Verzicht auf das sogenannte Bewilligungsverfahren,
  • verkürzte Übergabefristen,
  • Anwendung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung der gerichtlichen und außergerichtlichen Entscheidung führt dazu, dass ein EUHB, der in einem Anordnungsmitgliedstaat erlassen wird, in jedem anderen Mitgliedstaat (Vollstreckungsstaat) nur unter Vorbehalt der Ablehnungsgründe (Art. 3 des Rahmenbeschlusses) zu vollstrecken ist,
  • weitgehender Verzicht auf das Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit,
  • allgemeine Verpflichtung zur Auslieferung eigener Staatsangehöriger,
  • Einbindung von Hilfsinstrumenten und Organen (wie: Eurojust, Europäisches Justizielles Netz, SIS)

Inkrafttreten

Dieses neue Instrument der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sollte bis zum 31. Dezember 2003 durch die Vornahme aller notwendigen Durchführungsmaßnahmen in die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten der EU implementiert werden (Art. 34 Abs. 1). Die Frist zur Inkorporierung des EUHB in das nationale Recht bezüglich der 10 neuen Beitrittskandidaten lief gemäß Beitrittsvertrag (Art. 2) am 1. Mai 2004 aus.

Polen

In Polen erlaubt die Verfassung weiterhin nicht die Auslieferung polnischer Staatsbürger. Die Bestimmungen, die in die Strafprozessordnung zur Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses eingefügt wurden, sind verfassungswidrig. Das polnische Verfassungsgericht ordnete an, der Gesetzgeber habe innerhalb von 18 Monaten die Bestimmungen der Strafprozessordnung verfassungs- und völkerrechtskonform zu gestalten. Nach Ablauf von 18 Monaten nach Verkündung des Urteils treten die verfassungswidrigen Bestimmungen außer Kraft. Das Urteil wurde am 4. Mai 2005 verkündet.

Deutschland

Das zuerst vom Bundestag verabschiedete Gesetz über den Europäischen Haftbefehl (EuHbG)[3] war nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 verfassungswidrig und nichtig. Das Gesetz greife unverhältnismäßig in das Grundrecht auf Auslieferungsfreiheit [4] und die Rechtsweggarantie [5] ein. Deutschland habe die EU-Vorgabe nicht grundrechtsschonend umgesetzt, so die Urteilsbegründung. Zu dem Urteil haben drei Richter jeweils ein Sondervotum abgegeben. Beschwerdeführer war der in Auslieferungshaft für Spanien einsitzende terrorverdächtige Deutsch-Syrer Mamoun Darkazanli.

siehe auch: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehl

Bundestag und Bundesrat reagierten darauf mit einem Gesetzgebungsverfahren für eine erneute Auflage des EuHbG. Dabei wurden die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig monierten Punkte überarbeitet, die übrigen Regelungen weitgehend aus dem ursprünglichen Gesetz übernommen.

Das neue Umsetzungsgesetz wurde am 20. Juli 2006 vom Bundespräsidenten Horst Köhler unterschrieben und am 25. Juli 2006 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.[6] Das Gesetz trat am 2. August 2006 in Kraft.

Einzelnachweise

  1. Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002
  2. Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002
  3. Gesetz über den Europäischen Haftbefehl
  4. (Art. 16 GG)
  5. (Art. 19 Abs. 4 GG)
  6. Quelle: Deutscher Bundestag, Bundesgesetzblatt 2006 I Nr.: 36 Seiten 1721 bis 1726. (PDF; 0,1 MB)

Literatur

  • Heiko Ahlbrecht: Internationales Strafrecht in der Praxis. Müller, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-8114-4352-5
  • Stefan Braum: Der Europäische Haftbefehl – Motor europäischer Strafrechtspflege? – Bemerkungen zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Mai 2007 Rechtssache C-303/05 (Advocaten voor de Wereld VZW vs. Leden van de Ministerraad) – In: wistra. Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 26. Jg., 2007, S. 401-405.
  • Eckhart von Bubnoff: Der Europäische Haftbefehl. C.F. Müller, Heidelberg 2005, ISBN 3-8114-7345-X.
  • Bernd von Heintschel-Heinegg, Daniel Rohlff: Der Europäische Haftbefehl. In: GA 2003, ISSN 0017-1956, S. 44.
  • Johannes N. Henke: "Der Europäische Haftbefehl - Entwicklung und Schwierigkeiten", Meidenbauer, München 2008, ISBN 978-3-89975-846-7
  • Pawel Nalewajko: Der Europäische Haftbefehl: aktuelle Entwicklungen in Polen. In: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Nr. 3/2007, S. 113-118 online-Ausgabe (PDF, 0,1 MB)
  • Daniel Rohlff: Europäischer Haftbefehl. Lang, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-631-51181-7.
  • Helmut Seitz: Das Europäische Haftbefehlgesetz. In: Neue Zeitschrift für Strafrecht 2004, ISSN 0720-1753, S. 546.
  • Frank Schorkopf (Hrsg.): Der Europäische Haftbefehl vor dem Bundesverfassungsgericht. Siebeck, Tübingen 2006, ISBN 3-16-148983-7.
  • Bernd Schünemann: Europäischer Haftbefehl und EU-Verfassungsentwurf auf schiefer Ebene. In: Zeitschrift für Rechtspolitik 2003, ISSN 0514-6496, S. 185.* Carsten Wegner: Vorschlag der Europäischen Kommission für einen Europäischen Haftbefehl. In: Der Strafverteidiger 2003, ISSN 0720-1605, S. 105.

Weblinks


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