EU-Handelspolitik

EU-Handelspolitik
Flagge der Europäischen Union

Unter Gemeinsamer Handelspolitik versteht man einen Politikbereich der Europäischen Union, der die Gesamtheit der Maßnahmen zur Regelung und Steuerung des Außenhandels mit Drittstaaten umfasst. Strikt zu unterscheiden ist sie vom Binnenmarkt, der die Handelsbeziehungen der Mitgliedstaaten untereinander betrifft, aber auch von der Außenhandelspolitik der Mitgliedstaaten, wenn auch deren Kompetenzen durch den EGV insofern erheblich beschnitten worden sind. Enge Beziehungen bestehen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie zur Entwicklungspolitik.

Inhaltsverzeichnis

Rechtsgrundlagen

Geregelt ist die Handelspolitik in Art. 131–134 EGV sowie in dem dazu ergangenen Sekundärrecht. Sie gehört damit der supranational ausgestalteten sog. 1. Säule der EU an, der Europäischen Gemeinschaft. Die Zusammenarbeit ist schon allein deshalb enger als in Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die der intergouvernemental ausgerichteten 2. Säule angehört.

Ziel der Handelspolitik ist nach Art. 131 EGV eine harmonische Entwicklung des Welthandels, eine schrittweise Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr sowie der Abbau von Zollschranken. Eine ausschließliche Zuständigkeit besitzt die Gemeinschaft nur im Bereich des Warenhandels. Im Handel mit Dienstleistungen sowie bei Handelsaspekten des Geistigen Eigentums teilt sie sich die Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten, Art. 133 Abs. 5 EGV.

Innerhalb der EU ist für die Handelspolitik nach Art. 133 Abs. 2 EGV grundsätzlich der Rat zuständig, der im Allgemeinen mit qualifizierter Mehrheit, in den Bereichen Dienstleistungshandel und Geistiges Eigentum aber einstimmig entscheidet. Der Rat wird tätig auf der Basis von Vorschlägen der Kommission. Diese ist gemeinsam mit einem besonderen Ausschuss auch für Durchführung von Vertragsverhandlungen mit Drittstaaten zuständig, unterliegt hierbei aber den Weisungen des Rates. Innerhalb der Kommission gibt es einen eigenen Kommissar für Handel. Ausgesprochen schwach ausgeprägt ist im Bereich der Handelspolitik die Stellung des Europäischen Parlaments. Es ist vor Erlass handelspolitischer Maßnahmen nicht einmal anzuhören und daher im Wesentlichen auf seine allgemeinen Informations- und Initiativrechte (z.B. Art. 192 UAbs. 2 EGV) beschränkt.

Handelspolitische Instrumente

Als Steuerungselemente für den Handelsverkehr mit Drittstaaten stehen der EU zunächst einmal einseitige (autonome) Maßnahmen zur Verfügung. Diese können sowohl die Ein- als auch die Ausfuhr von Gütern betreffen. In Betracht kommen sowohl tarifäre (z.B. Zölle) als auch nicht-tarifäre Maßnahmen (z.B. mengenmäßige Beschränkungen, Pflicht zur Vorlage bestimmter Dokumente, Einhaltung technischer und anderer Standards). Den Gegensatz zu den autonomen Maßnahmen bilden vertragliche Regelungen, die sowohl bi- als auch multilateral ausgestaltet sein können.

Bei der autonomen wie vertraglichen Regelung von Einfuhren aus und Ausfuhren in Drittstaaten ist die EU grundsätzlich souverän. Sie hat allerdings ihre primärrechtliche Selbstverpflichtung zu freiem Handel nach Art. 131 EGV sowie vertragliche Verpflichtungen insbesondere im Rahmen der WTO zu beachten.

Autonomes Einfuhr-Regime

Der Schwerpunkt des Einfuhr-Regimes liegt in der Begrenzung und Steuerung unerwünschter Importe, weniger in der Förderung erwünschter. Zentrale Instrumente sind Zölle, Abschöpfungen und Einfuhrkontingente.

Zölle

Das zentrale tarifäre Instrument ist der Einfuhrzoll, der nach dem Gemeinsamen Zolltarif nach Art. 23 Abs. 1 EGV erhoben wird. Seine Höhe wird für die einzelnen Wirtschaftsgüter nach Art. 26 EGV vom Rat autonom festgesetzt und angepasst. Für bestimmte in der Gemeinschaft nicht verfügbare Rohstoffe und Halbfertigprodukte kann der Gemeinsame Zolltarif vorübergehend ausgesetzt werden, indem zollfreie Einfuhrkontingente zugelassen werden.

Eine weitere Ausnahme vom Gemeinsamen Zolltarif stellt das auch entwicklungspolitische Zielsetzungen verfolgende Allgemeine Präferenzsystem dar. Hierdurch werden bestimmten, in der Anlage I zu VO 2501/01 ausgeführten Entwicklungsländern Zollvergünstigungen eingeräumt, die sich nach dem Produkt richten:

  • sog. nicht-empfindliche Waren (= Waren, von deren Import keine Gefahr für die Produzenten innerhalb der Gemeinschaft ausgeht): völlige Zollbefreiung
  • landwirtschaftliche und gewerbliche Waren aus bestimmten „Drogenländern“ Süd- und Mittelamerikas sowie Pakistans: völlige Zollbefreiung
  • Textilien: Zollsenkung um 20 %
  • empfindliche Waren: Zollsenkung um 3,5%; wenn der Exportstaat bestimmte Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards beachtet: 8,5 %.
Ein "LDC": Markt in Uganda

Den ärmsten Entwicklungsländern (Least developed countries – LDC) wird völlige Zollbefreiung auf alle Exportgüter außer Waffen gewährt. Sämtliche der genannten Vergünstigungen können ausgesetzt werden, um z.B. auf unlautere Handelspraktiken des Exportstaats, auf Missachtung der Menschenrechte oder unzureichende Kontrolle bei der Drogenausfuhr zu reagieren.

Eine vollständige – einseitige - Zollbefreiung sahen auch die vier stark entwicklungspolitisch ausgerichteten Lomé-Abkommen (1975-2000) mit den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) vor. Das Nachfolgewerk, das Cotonou-Abkommen (2000) stellt insofern flexiblere Mechanismen zur Verfügung (FLEX-System im Gegensatz zum alten STABEX-Modell). Die Einfuhrzölle der EG werden lediglich ermäßigt und auch dies nur im Gegenzug gegen stärkere eigenverantwortliche Anstrengungen der AKP-Staaten.

Koreanischer Containerfrachter im Hamburger Hafen

Erhöht werden können die Zölle dagegen im Rahmen handelspolitischer Schutzmaßnahmen: So kann der Rat auf Antrag eines Unternehmens oder eines Mitgliedstaats Antidumping-Zölle nach der VO 384/96 festsetzen, wenn ausländische Unternehmen ihre Waren zu einem geringeren als dem im Herkunftsland üblichen Preis in die Gemeinschaft exportieren (Dumping) und hierdurch eine Schädigung von in der EU ansässigen Produzenten droht. Die Zölle dürfen maximal die Dumpingspanne erreichen, müssen diskriminierungsfrei auf alle Einfuhren von Waren der betreffenden Art angewandt werden. Rückwirkung ist nicht zulässig. Ein vergleichbares Instrumentarium stellt VO 2026/97 für – vom Exportstaat ausgehende – Subvention en zur Verfügung. Nach VO 3286/94 („Trade Barrier Regulation“) können Zölle schließlich auch als Reaktion auf unlautere Handelspraktiken und insbesondere eine Verletzung der WTO-Regularien durch einen Drittstaat angehoben werden.

Abschöpfungen

Eine ähnliche Wirkung wie Zölle haben die im Bereich des Außenschutzes der Gemeinsamen Agrarpolitik eingesetzten Abschöpfungen. Auf aus Drittstaaten importierte Agrarprodukte werden Abgaben in Höhe der Differenz zwischen dem Einfuhrpreis und dem meist höheren in der Gemeinschaft üblichen Preis erhoben, um den Wettbewerbsvorteil der Importprodukte zu beseitigen. Abschöpfungen stellen insofern das Gegenstück zu den Erstattungen des Ausfuhrregimes dar und stehen seitens der WTO ebenso unter Druck wie diese.

Einfuhrkontingente

Wichtigstes nichttarifäres Steuerungsmittel sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen. Nach Art. 1 Abs. 2 VO 3285/94 sind diese grundsätzlich nicht vorgesehen. Soweit durch Importe den in der Gemeinschaft ansässigen Produzenten erhebliche Schäden drohen, kann die Kommission nach Art. 16 der VO die Einfuhren einem Genehmigungserfordernis unterwerfen und zu diesem Zwecke Einfuhrkontingente festsetzen. Auch die auf die Bekämpfung unlauterer Handelspraktiken durch Drittstaaten abzielende VO 3285/94 („Trade Barrier Regulation“) sieht als Instrument die Festsetzung von Einfuhrkontingenten vor.

Autonomes Ausfuhr-Regime

Das Ausfuhr-Regime besteht sowohl in der Begrenzung und Steuerung unerwünschter als auch in der Förderung erwünschter Ausfuhren.

Ausfuhrbeschränkungen

Nach Art. 1 VO 2603/69 unterliegt die Ausfuhr aus dem Gemeinschaftsgebiet grundsätzlich keinen mengenmäßigen Beschränkungen. Nach Art. 5-8 der VO können die Kommission, der Rat sowie die Mitgliedstaaten bei Krisenlagen die Ausfuhr lebenswichtiger Güter beschränken.

Beschränkungen bestehen auch für die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern, die also sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Nach VO 1334/00 ist die Ausfuhr bestimmter, namentlich in einer Anlage aufgeführter Dual-Use-Güter immer genehmigungspflichtig. Die Ausfuhr der übrigen Dual-Use-Güter ist nur genehmigungspflichtig, wenn dem Exporteur von der zuständigen Behörde die drohende ABC-Nutzung oder, wenn das Zielland einem UN-, OSZE- oder EU-Embargo unterliegt, eine drohende generelle militärische Nutzung mitgeteilt worden ist.

Die dritte große Ausnahme von der generellen Ausfuhrfreiheit betrifft Kulturgüter, die nach VO 3911/92 grundsätzlich nur mit Genehmigung des jeweiligen Mitgliedstaats ausgeführt werden dürfen.

Ausfuhrförderung

Umgekehrt werden Ausfuhren aus dem Gemeinschaftsgebiet von der EU in gewissem Rahmen sogar ausdrücklich gefördert. Während für Agrargüter Exportsubventionen in Form von Ausfuhrerstattungen (Ersetzung des Differenzbetrags zwischen dem Gemeinschaftspreis des Produkt und dem meist niedrigeren Weltmarktpreis) gezahlt werden, stehen dem bei anderen Produkten meist die WTO-Regularien entgegen. Möglich bleiben aber Exportkredite (in Deutschland: Hermesbürgschaften) sowie allgemeine Fördermaßnahmen wie etwa „Trade Promotion“ auf Messen oder dergleichen.

Vertragliche Handelspolitik

Zu unterscheiden sind reine Handelsabkommen von sog. Kooperationsabkommen. Während erstere sich auf die Vereinbarung von Zolltarifen, Mengenkontingenten und andere tarifäre wie nicht-tarifäre Handelsbeschränkungen und Vergünstigungen beschränken, beziehen die Kooperationsabkommen zusätzlich etwa Aspekte wirtschafts-, verkehrs-, forschungs- oder entwicklungspolitischer Zusammenarbeit mit ein. Soweit dies der Fall ist, bedarf die Gemeinschaft für den Abschluss des Vertrags einer eigenen Ermächtigungsgrundlage außerhalb des Art. 133 EGV. In seiner AETR-Rechtsprechung hat der EuGH diese aus dem Bestehen einer entsprechenden innergemeinschaftlichen Rechtssetzungskompetenz abgeleitet. Eine besonders starke gegenseitige Bindung erzeugen schließlich Assoziierungsabkommen nach Art. 310 EGV.

Neben dem bilateralen Abkommen gibt es auch multilaterale, also eine größere Zahl von Akteuren einbeziehende Abkommen, deren bekanntestes das WTO-Regularium ist. Während manche Abkommen ausschließlich von der Gemeinschaft abgeschlossen werden, treten bei anderen zusätzlich die Mitgliedstaaten selbst als Vertragspartner auf. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die im Abkommen geregelten Gegenstände ganz oder teilweise in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen. Die WTO-Abkommen haben die Mitgliedstaaten wegen ihrer verbliebenen handelspolitischen Kompetenzen im Bereich des Dienstleistungshandels und des geistigen Eigentums mitunterzeichnet.

Zu den wichtigsten Handelsverträgen der Gemeinschaft zählen:

  • Multilaterale Abkommen im Rahmen der WTO (1994), insbesondere
    • Rahmenübereinkommen vom 15. April 1994
    • Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994; betrifft Warenhandel)
    • Abkommen über den Dienstleistungshandel (GATS)
    • Abkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums (TRIPS)
    • Vereinbarung über die Beilegung von Streitigkeiten (DSU)
Die WTO-Regularien beziehen ca. 150 Mitgliedstaaten mit ein und stellen damit de facto ein universelles Welthandelsregime dar.
  • Multilaterales Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum von 1992/93. Er schafft eine Freihandelszone zwischen der EG und den EFTA-Staaten Norwegen, Island und Liechtenstein
  • Bilaterale Abkommen mit dem EFTA-Staat Schweiz
  • Bilaterale Kooperationsabkommen mit den nicht in die EU aufgenommenen Staaten Osteuropas, insbesondere Russland und der Ukraine
  • Bilaterale Abkommen mit den Mittelmeeranrainerstaaten (MEDA-Gruppe; sog. Barcelona-Prozess)
  • Kooperationsabkommen mit dem Kooperationsrat der Arabischen Golfstaaten (1989) sowie dem Jemen (1998)
  • Cotonou-Vertrag mit den AKP-Staaten (Schwarzafrika, Karibik, Pazifik) von 2003; er ist das wohl am stärksten entwicklungspolitische motivierte Handelsabkommen
  • Bilaterales Kooperationsabkommen mit Kanada (1976)
  • Bilaterale Kooperationsabkommen mit den Staaten Lateinamerikas
  • Bilaterales Kooperations-Rahmenabkommen mit Südkorea (2001)
  • Bilaterales Kooperationsabkommen mit Indien (1994) sowie den anderen Staaten des indischen Subkontinents
  • Bilaterales Rahmenabkommen mit der ASEAN-Gruppe (1980)

Bemerkenswert ist, dass gerade mit den wichtigsten Akteuren der Weltwirtschaft, nämlich den USA, der VR China, Japan sowie auch mit Australien keine umfassenden Handelsabkommen bestehen. Geregelt werden allenfalls jeweils partikulare Einzelaspekte, während der Handel im Übrigen allein an den WTO-Regularien zu messen ist.

Eine Sonderstellung am Rande der vertraglichen Handelspolitik nehmen die handelshemmenden Grauzonenmaßnahmen ein (Grey Area Trade Policy), die etwa als Voluntary Export Restraint Agreements (VERA), Orderly Marketing Arrangement (OMA), Gentlemen’s Agreements, Administrative Guidance u.ä. bezeichnet werden. In ihnen verpflichten sich Staaten oder Unternehmen „freiwillig“ mit unterschiedlichem Grad der Rechtsverbindlichkeit zur Einhaltung bestimmter Handelspraktiken oder zur Selbstbeschränkung. Oftmals werden derartige Zusagen freilich durch die latente Drohung der EU mit stärkeren Schutzmaßnahmen erzwungen. 1993-2000 verpflichtete sich etwa Japan im Rahmen einer derartigen Zusage zu einer Begrenzung seiner Automobilexporte in die EU.

Schutzklausel

Nach der „Schutzklausel“ des Art. 134 EGV kann die Kommission im Falle schwerer Störungen des Handelsverkehrs die Mitgliedstaaten dazu ermächtigen, selbständig bestimmte, von der Kommission näher zu bezeichnende Schutzmaßnahmen zu treffen. Angesichts des umfangreichen und vielfach verfeinerten handelspolitischen Instrumentariums (Anti-Dumping-Zölle, Anti-Subventionszölle, Trade Barrier Regulation, Autonome Zollaussetzung etc.) spielt die Vorschrift heute kaum mehr eine praktische Rolle.

Embargo

Eine Sonderrolle in der gemeinsamen Handelspolitik nimmt das Embargo nach Art. 301 EGV ein. Hier werden die Ein- und Ausfuhren mit bestimmten Drittstaaten nicht aus handelspolitischen Gründen eingeschränkt, sondern um Ziele der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durchzusetzen. Beispiele sind das Waffenembargo gegen China im Anschluss an das Tian'anmen-Massaker 1989 sowie Maßnahmen gegen Burma wegen Menschenrechtsverletzungen (2000) oder Afghanistan wegen Begünstigung der Al-Qaida (2002).

Literatur

  • Thomas Oppermann: Europarecht. Ein Studienbuch. 3., vollst. neu bearb. Aufl. Beck, München 2005, ISBN 3406535410. S. 658ff.
  • Jörg Monar: Außenwirtschaftsbeziehungen. In: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. 9. Aufl. Nomos, Baden-Baden 2006, ISBN 3832913785. S. 77 ff.

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