Ekstatisch

Ekstatisch

Die Ekstase (v. griech. έκστασις, ékstasis = das Außersichgeraten, die Verzückung; von εξíστασθαι, exhistasthai = aus sich heraus treten, außer sich sein) bezeichnet eine Zustandsveränderung des Bewusstseins zu gleichermaßen höchster Hingabe und höchstem Aufnahmevermögen. Damit verbunden ist ein Aus-sich-Heraustreten, währenddessen eigene Empfindungen über die Realität gestellt werden.

Inhaltsverzeichnis

Allgemein

Ekstatische Erfahrungen sind durch die gesamte Geschichte und Kultur der Menschheit sowohl als individuelle wie auch kollektive Erscheinungen verbreitet. Ekstatische Erfahrungen werden gesucht. Neben häufigen Formen religiöser Ekstase gab es auch philosophische Ekstatiker. Heute wird Ekstase häufig auf direktem "synthetischen" Wege gesucht, d. h. ohne Vermittlung etwa durch religiöse Zeremonien oder meditative Praktiken (die ihrerseits freilich immer mit Musik- bzw. Drogenkonsum verbunden sein konnten), sondern durch Musik- und Rauschmittelkonsum allein. Zwei unterschiedliche Wege können zum gleichen Ziel führen. Beide sind als Wege der Mystik in der Geschichte gleichermaßen gegangen worden, gewissermaßen komplementär. In der Gegenwart zeichnet sich eine Reduzierung auf einen Weg ab.

Ekstase durch Minderung

Alle Erfahrungen natürlicher Einschränkung erscheinen dem Ekstatiker auf diesem Weg förderlich:

Ekstatiker begreifen dieses als Voraussetzung, aus dem eigenen Selbst herauszutreten, leer zu werden, damit der Träger der ekstatischen Erfahrung (ein Dämon, Jesus, Gott) stattdessen Platz nehmen und Besitz von dem Individuum ergreifen kann. Sie erfahren dieses als Befreiung von Dämonen, Krankheiten und Belastungen.

So gelten östlich-buddhistische Ekstaseerfahrungen als minimalistisch bewirkte Erfahrungen.

Ekstase durch Steigerung

Ebenso vermögen zahlreiche sensorische Reize identische ekstatische Erfahrungen auszulösen. Dazu zählen:

Ziel: Der ekstatische Höhepunkt

Um das Ziel der Ekstase zu erlangen, wurden verschiedene abstufende Systeme erarbeitet. Es gibt eine höchste Stufe der Ekstase. Diese sieht man im östlich-asiatischen Bereich im tiefsten Nichts, dem Nirvana (siehe Yoga); im mehr westlichen Bereich ganz im Gegensatz dazu im höchsten Genuss (der Vergottung). Erotisch-orgastische Erfahrungen stimmen mit ekstatischen Erfahrungen überein.

Die Erfahrung der Ekstase reicht von Momenten tiefster Verzweiflung bis zu überschäumender Lebensfreude. So werden - wie Ekstatiker berichteten - symbolhaft Erlebnisse von Tod oder Geburt nacherlebt.

Überblick

Die schamanische Reise

Schamanen erreichen einen bewusst herbeigeführten visionären Zustand mit Hilfe von Ritualen, die sehr oft von Trommeln, Rasseln, Gesang und Tanz begleitet werden, in manchen Kulturen auch von der Einnahme pflanzlicher Drogen wie Fliegenpilz, Peyote, Ayahuasca und Cannabis. Ziel der schamanischen Reise ist es, Informationen aus der nicht-alltäglichen Wirklichkeit zu erhalten. Je nach Aufgabenstellung reist der Schamane in die Unter-, Mittel- oder Oberwelt. In der Unterwelt wird Kontakt zum Erdbewusstsein (Tiere, Pflanzen, Elemente) aufgenommen. Die Oberwelt repräsentiert die Welt des Geistigen. Reist der Schamane in die Mittelwelt, dann hat er etwas auf der uns bekannten, gegenwärtigen Erde zu erledigen.

Ekstase im Altertum

Der Dionysoskult

Dionysos (Bacchus), einer der ältesten und beliebtesten griechischen Götter, gilt als Bringer ursprünglicher ekstatischer Erfahrungen durch berauschenden Wein oder erotischen Genuss Satyrspiel. Im Gegensatz zu Apollon, dem Sinnbild der Askese, verkörpert Dionysos den höchsten ekstatischen Genuss. Aufgepeitschte Wildheit äußert sich sowohl bei Männern in den Bacchanalien wie auch bei Frauen, die als wilde Mänaden lebendige Opfertiere zerreißen. Später wird Dionysos bei den Mystikern der Orphik als die Hauptgestalt des Erlösers verehrt.

Das Heiligtum von Delphi

Aus Delphi sind sowohl Schilderungen von Massenekstasen der Thyaden überliefert, als auch Einzelekstasen. Pythia berauscht sich an den aus der Erdspalte steigenden Dünsten, um dann Orakel zu verkünden.

Auch der Attiskult wie der Isiskult zählen ekstatische Erfahrungen zu ihren Grundelementen. Insbesondere die Mithrasliturgie schildert ekstatische Erfahrungen in Form von Entrückungen und Vereinigungen mit der Gottheit, die wie der Atem ein- und ausgestoßen werden. Ebenso zählen Philo als auch der Neuplatonismus zu den Schöpfern ekstatischer Methoden.

Als philosophische Ekstatiker begegnen Heraklit, der sich der rasenden Sibylle zuwandte sowie Plato, der die Quelle der Kunst in der enthusiastischen Entrückung fest macht.

Ekstase im Judentum

Das Alte Testament schildert die ekstatische Vision des geöffneten Himmels, die dem Erzvater Jakob auf der Flucht vor Esau zuteil wird. Es kennt die Gestalt des Nabi, d.h. des Propheten, denen teilweise Visionen zuteil werden, aufgrund derer sie weissagen. Auch Ekstatikerinnen (Debora) werden geschildert. Auch die großen Propheten, allen voran der in Babylonien aktive Ezechiel, berufen sich auf Visionen und Auditionen. (Jes. 6, Jer. 1, Ez. 1.). Die Schilderungen der Apokalyptik basieren wesentlich auf ekstatischer Erfahrung (Buch Daniel).
Auch das rabbinische Judentum kennt ekstatische Züge und insbesondere der Chassidismus schildert intensive Ekstaseerfahrungen, wobei Baal Schem Tow als wichtigster Ekstatiker gilt.

Ekstase im Islam

Der Prophet Mohammed schildert zahlreiche Entrückungen bzw. Himmelsreisen. In seiner Nachfolge haben die schiitische Trauerreligion und die mystischen Orden (Tariqas) der Sufis mit ihren asketischen Praktiken (Tänzen, Gesängen; seltener auch Selbstgeißelungen) während des Dhikr (Gedenken an Gott) systematische Voraussetzungen für ekstatische Erfahrungen geschaffen. Gerade im Sufismus ist die Ekstase jedoch nicht das Ziel, sondern lediglich ein mögliches Vehikel, um Gott näher zu kommen. Die Sufis selber warnen aber auch davor, dass das Verhaften bleiben in der Ekstase wiederum ein Schleier auf dem Weg zu Gott darstellt und so das Erreichen des Ziels erschweren kann.

Ekstase im Hinduismus

siehe: Bhakti

Ekstase im Christentum

Bibel und Alte Kirche

Johannes der Täufer wird vom Neuen Testament als asketischer Ekstatiker geschildert. Von Jesus werden Verzückungserlebnisse um seine Taufe (Mk 4) oder seine Verklärung Mk 9 berichtet. Ob sie als direkte ekstatische Visionen zu verstehen sind, wird teilweise bezweifelt. Ab dem Urchristentum bricht die Ekstase sich kraftvoll Bahn. Mit dem Pfingstereignis wachsen Visionen und Auditionen an begleiten die ersten Märtyrer (Stephanus). Der Apostel Paulus, selbst seit seiner Bekehrung lebhafter Ekstatiker, lehnt eine Überbetonung dieser Erfahrungen ab.

Die Alte Kirche wie auch die häretischen Bewegungen (z. B. Montanus) kennen zahlreiche teilweise außergewöhnlich aggressiv auftretende Ekstatiker. Polykarp von Smyrna sah im Traum sein Kopfkissen in Flammen stehen, worauf er sein Martyrium prophezeite.

Das Mönchtum

praktiziert asketische Übungen, um ekstatische Erfahrungen zu machen. Es entsteht gleichsam mit dem Ende der Christenverfolgungen, als das durch das Martyrium als Quelle ekstatischer Erfahrung keine Rolle mehr spielt. Der Mönch übernimmt stellvertretend die Rolle des Märtyrers, wodurch ihm ekstatische Erfahrungen intensiver Gottesnähe zuteil werden.

Die um 500 verfassten Schriften des Dionysius Areopagita - ein ganzes Jahrtausend als quasiapostolisch geschätzt - beschrieben Ekstase als Heraustreten aus sich selbst und zum Gehobenwerden hin zum überwesentlichen Strahl des göttlichen Dunkels.

Die Mittelalterliche Mystik

Die Mittelalterliche Mystik findet z. B. in Bonaventura 1221-1274 einen Führer durch die ekstatische Erfahrung, die er einstuft als:

Feuer, Salbung, Ekstase, Kontemplation, Verkostung, Ruhe, Herrlichkeit ("gloria").

In der Ekstase werde die Seele durch den "betörenden Duft der vorausgehenden Salbung hingerissen und aller leiblichen Empfindungen entrückt".
Den flämischen Gelehrten Jan van Ruysbroek nannte man aufgrund seiner intensiven Beschäftigung mit dem Phänomen der Ekstase den doctor ecstaticus.
Auch Franz von Assisi zählt zu den Empfängern in Ekstase erfahrener Offenbarungen.
Das gesamte Mittelalter wird durch zahlreiche inspirierte Gruppen gekennzeichnet, die sich zwischen Kirche und Häresie bewegen.

Die Frauenmystik, besonders die deutsche Mystik beschrieb die Höhepunkte ekstatischer Erfahrung im Wesentlichen mit Hilfe erotischer Kategorien. Hier finden entsprechende Passagen des Hohelied Aufnahme und Reflexion.
Ekstatische Frömmigkeit und hingebende Verliebtheit verschmelzen bei Mechthild von Magdeburg 1210 - ca. 1285

O Du gießender Gott in Deiner Gabe!
O Du fließender Gott in Deiner Liebe!
O Du brennender Gott in Deiner Begier!
O Du schmelzender Gott in der Einigung mit Deiner Geliebten!
O Du ruhender Gott an meinen Brüsten, ohne den ich nicht sein kann!

oder:

O Herr, minne mich gewaltig, oft und lang. Je öfter du mich minnest, umso reicher werde ich. Je gewaltiger du mich minnest, um so schöner werde ich. Je länger Du mich minnest, umso heiliger werde ich hier auf Erden.

Ähnliche Erfahrungen und Sehnsüchte schilderten Frauen wie Mechthild von Magdeburg und Gertrud von Helfta oder Männer wie Bernhard von Clairvaux.

Der Mystiker Meister Eckhart (1260-1328) prägte für das Fremdwort Ekstase die deutschen Äquivalente Verzückung bzw. Entzückung.

Reformation und Gegenreformation

Der radikale Flügel der Reformation verstand die im 15. Jahrhundert aufbrechenden ekstatischen Erfahrungen als geistliche Legitimation für sein Vorgehen gegen die etablierte Kirche. Wenn Martin Luther auch die mystische Theologia Deutsch veröffentlicht hatte, stand er der Wucht dieses Phänomens, das in Thomas Müntzer seinen theologischen Wortführer fand, verständnislos und mit völliger Ablehnung gegenüber. In reformatorischer Rationalität prägte er für vom Enthusiasmus inspirierten Ekstatiker die abwertende Bezeichnung "Schwärmer".

Umso mehr fand die aufkommende Gegenreformation in dieser Situation einen für ekstatische Erfahrungen bereiten Nährboden, in dem zahlreiche Ekstatiker und Ekstatikerinnen Wurzeln schlugen. Die wichtigste scheint Theresa von Ávila (1515-1582), die in der religiösen Ekstase der Unterschied zwischen geistlicher und körperlicher Hingabe nahezu aufhob: "Es gibt nur eine Liebe", und eine Stufenfolge schuf von der "Vereinigung" über die "Verzückung" bis hinauf zur "Liebeswunde". Der Bildhauer Gian Lorenzo Bernini hat dieses unzweideutige Ineinanderfallen von körperlichem und geistlichem Lustgefühl in der Statuengruppe "Ekstase der Heiligen Theresa" zum Ausdruck gebracht. Ihr eng verbunden und geistlich verwandt war Johannes vom Kreuz. Ein bedeutender Ekstatiker war auch der heilige Philipp Neri.

Religiöse Ekstase in der Neuzeit

Zu den großen deutschen Ekstatikern zählt u.a. der von seiner Kirche ungeliebte Protestant und Schuhmacher Jakob Böhme, der auch in seinen ekstatischen Schilderungen Frömmigkeit und Erotik verschmolz:

»die züchtige Jungfrau...wird dich führen zu deinem Bräutigam, der den Schlüssel hat zu den Toren der Tiefe... der wird dir geben von dem himmlischen Manna zu essen: das wird dich erquicken und du wirst stark werden und Ringen mit den Toren der Tiefe. Du wirst durchbrechen als die Morgenröte.«

Im England des 17. Jahrhunderts war es der Visionär, Ekstatiker und Wanderprediger George Fox, der Massenekstasen auslöste, die sich in Gestalt eines Zitterns äußerten, wonach die von ihm gegründete Gemeinschaft der Freunde Quäker (von quake) genannt wurden.

Für John Wesley und die methodistische Mission bildeten Ekstasen einen Prüfstein ihres Missionserfolges, über deren Heftigkeit und Stärke sich Wesley während seiner Erweckungsreden akribische Notizen anfertigte. Bei den Anfang des 19. Jahrhunderts ausgelösten Gruppen- und Massenekstasen während der methodistischen Camp Meetings in den USA wurden insbesondere Frauen und Afroamerikaner berührt.

Ekstase in der Gegenwart

Im Rahmen der charismatischen Bewegung haben ekstatische Erlebnisse wieder an Bedeutung gewonnen, bekanntgeworden unter dem Schlagwort Torontosegen.

Ekstase - Symbol oder Wirklichkeit?

Frauen sehen sich nach ekstatischen Erfahrungen - historisch und weltweit gesehen - in besonderer Weise als die Geliebten Gottes, wie die Tradition des Hieros gamos, oder rätselhafte Erzählungen wie Genesis 6,1-4 u. v. a. belegen. Im Voodoo feiern Frauen Götterhochzeiten, bis hin zur Ausstellung von Trauurkunden und der Geburt von Geisterkindern. Nicht immer sind diese mystischen Ekstasen Sublimierungen und "rein symbolisch" (Walter Nigg).
In Kudagama (Sri Lanka) strömen besessene Frauen auf der Suche nach Heilung zum katholischen Schrein. Bei dem Exorzismus wird der Dämon vertrieben, indem er mit Christus mystisch seinen Platz vertauscht. Dabei "umklammern die Frauen den Schaft des hl. Kreuzes mit den Beinen und masturbieren darauf" (Stirrat, 1997) Ziel ist, dass die Durchdringung durch Christus und der Orgasmus zusammenfallen. In diesem Fall gibt es keine symbolische Sublimation. Erotik und Religion fallen in der Ekstaseerfahrung ineinander. Die Grenzen zwischen Symbolik und Wirklichkeit - in der Ekstase werden sie relativ.

Ekstase in der Psychologie

Außer in der transpersonalen Psychologie haftet dem Erleben der Ekstase eher ein Makel der Bewertung als Kontroll- und damit Realitätsverlust an. In der traditionellen Psychologie wird nur unzureichend zwischen krankhaften Veränderungen und spirituellen Erfahrungen differenziert.

Die Ekstase entsteht bei übermäßig starkem Affekt in religiöser Entzückung, Tanzexzessen und als Zustand höchster Beglückung bei Angst-Glücks-Psychosen (nach Karl Leonhard). Die Bewusstseinslage trägt in diesem Zustand den Stempel des Traumhaften, es können Offenbarungen erlebt werden.

Ähnliche Bilder sind auch bei Haftpsychosen und bei hysterischen Ausnahmezuständen möglich, hier aber mit deutlichen psychogenen Halluzinationen.

In desorientiertem Dämmerzustand bei Epileptikern sieht man gelegentlich ekstatische Entrückungen, unter Umständen mit kriminellen Handlungen. Die Kranken sehen den Himmel offen, verkehren mit Abwesenden, hören sphärische Musik, empfinden die wunderbarsten Gerüche und Geschmäcke und ein nicht zu beschreibendes sexuell gefärbtes Entzücken, das den ganzen Körper durchzieht.

In unerträglichen, psychisch belastenden Situationen kann man bei Schizophrenen geradezu eine Flucht in den Dämmerzustand sehen. Es wird eine andere Welt mit direkter Wunscherfüllung herbeiphantasiert. Auch hierbei ist ein ekstatischer Charakter der abnormen Wahrnehmung und Beobachtung möglich.

Literatur

  • Stoned Free - How to get High Without Drugs; Patrick Wells with Douglas Ruschkoff; Loompanics Unlimited; ISBN 1-55950-126-X; (englisch)

Siehe auch

Ecstasy, Ethnologie, Psychologie, Transpersonale Psychologie, Religion, Musik, Kunst, Rausch, Trance, Fest, Kult, Voodoo, Besessenheit

Weblinks


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