Elberfelder Sozietät

Elberfelder Sozietät

Zioniten (auch Zionsbrüder oder Schwärmer) waren Glaubensgruppen, die sich im 18. Jahrhundert von der Evangelischen Kirche absonderten.

Inhaltsverzeichnis

Zioniten um Elias Eller

Die Zioniten, auch Ellerianische Sekte, Ellerische Rotte, Ronsdorfer Sekte oder Philadelphische Sozietät, waren eine von Elias Eller in Gemeinschaft mit seiner zweiten Ehefrau Anna Catharina vom Büchel und dem reformierten Prediger Daniel Schleyermacher schwärmerische und radikal-pietistische christliche Sekte. Sie wurde in Elberfeld gegründet.

Anfänge

Die Bewohner Elberfelds im frühen 18. Jahrhundert (heute Wuppertal-Elberfeld) waren fast alle Mitglieder der Reformierten Kirche. Es gab dort 1658 nur sechs katholische Familien. Die Bevölkerung war von Politik weitgehend ausgeschlossen, da der katholische Staat keine evangelischen Beamten anstellte. Der gelehrte Stand war lediglich durch Prediger und Lehrer der Lateinschule repräsentiert. Der Bürgerstand verfolgte in religiöser Hinsicht im wesentlichen zwei verschiedene Richtungen:

Eine kleine lutherische Gemeinde war erst kurz zuvor durch eine Gruppe von Eingewanderten entstanden.

Der radikale Pietismus geriet zu dieser Zeit unter den Einfluss der Inspirierten, die eine ekstatisch-visionäre Religiosität lebten. So hatte Anna Catharina vom Büchel seit etwa 1722 Verzückungen und Gesichte, und ab 1726 hielt sie regelmäßig in Elberfeld pietistische Erbauungsstunden ab, die zunächst von der reformierten Kirche geduldet wurden. In der Elberfelder Sozietät trat vom Büchel als Prophetin bald regelmäßig auf und konnte schnell eine feste Gruppe von Anhängern um sich sammeln. Sie war als Dienstmädchen im Hause der Familie Bolckhaus angestellt, wo sie vermutlich erstmals ihren spätern Ehemann Elias Eller antraf.

Eller, Werkführer in der Florettbandfabrik seiner ersten Ehefrau Katharina Bolckhaus, hatte durch seine phantasiereichen Auslegungen der Bibel in Erbauungsstunden eine starke geistliche Autorität unter seinen Gesinnungsgenossen. Zunächst beschlossen seine Anhänger und Anhängerinnen, innerhalb der von Elias Eller mitgetragenen Philadelphischen Societät als Pietistische Gesellschaft oder Konventikel, ähnlich wie zuvor Jane Leade in England, das geistlich-religiöse Leben zu befruchten.

Eller soll vom Büchel in privaten Erbauungsstunden die Offenbarung des Johannes Offb 21,1–2 EU erklärt haben, die besagt, dass bei der Apokalypse, dem Jüngsten Gericht und dem Endkampf zwischen Gott und dem Teufel, letzten Endes Gott als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen wird. Daraufhin werden die Erde und der Himmel erneuert und eine Stadt wird aus dem Himmel herabfahren: das neue Jerusalem. Büchel zeigte sich von hiervon ganz besonders inspiriert.

Schon im ersten Jahr ihrer Prophezeiungen wurden fünfzig Haushalte zu der Bewegung gezählt. Die Offenbarungen Annas wurden von Eller in einem Buch aufgezeichnet, welches den Namen Ronsdorfer Hirtentasche trägt (vergleiche: Jalkut). Die Anhänger wurden in ein Verzeichnis aufgenommen und als Versiegelte bezeichnet. Dieses Verzeichnis war ein Teil der Hirtentasche und ist erhalten.[1] Anna vom Büchel wurde von ihren Anhängern Mutter Zion, Elias Eller Vater Zion genannt. Daneben hatte sie weitere Ehrbezeichnungen wie Hütte Gottes bei den Menschen, Mutter Jerusalem oder Arche des Testaments.

Herausragende Anhänger Ellers und vom Büchels waren reformierte Theologen wie Pastor Daniel Schleyermacher, Großvater des späteren Theologen Friedrich Schleiermacher[2], und Peter Wülffing (1701–1776) aus Solingen.

Auszug nach Ronsdorf

Kontinuierlich forderte vom Büchel zum Auszug aus Elberfeld, das sie mit Babel gleichsetzte, auf. Ab spätestens 1726 prophezeite sie unter anderem, dass sie und Elias Eller das neue Zion aufbauen würden, und dass sie berufen sei mit Elias Eller einen Sohn zu zeugen, der als neuer Heiland und Messias die Welt beherrschen würde (siehe auch Offb 12,5 EU). Im Alter von 36 Jahren heiratete sie am 26. Januar 1734 Elias Eller, nachdem dieser sich 1727 von seiner ersten Frau Katharina Bolckhaus getrennt hatte und sich 1733 scheiden ließ. Bereits 1727 hatte Eller angekündigt, vom Büchel heiraten zu wollen. Am 4. Juli 1734 wurde der erste Sohn Benjamin geboren, der jedoch am 21. November 1735 überraschend verstarb. Anschließend gebar sie im Juli 1736 die Tochter Anna, die kurz nach der Geburt im August des gleichen Jahres verstarb. 1738 wurde am 1. Januar Sarah († 1770) und ein Jahr darauf am 6. Dezember Rahel geboren.

Mit seiner speziellen Auslegung der reformierten Erwählungslehre (Prädestination) geriet Eller mit den Elberfelder reformierten Gemeinden in Konflikt. Um dem Druck auszuweichen, kaufte er 1737 einen Teil seines früheren Familienhofes Ronsdorf (1494 erstmals erwähnt) jenseits der Grenze von Elberfeld zurück, und noch im gleichen Jahr zogen die ersten Zioniten aus Elberfeld in die neue entstehende Siedlung namens Ronsdorf, welche die Anhänger der philadelphischen Sozietät als das Himmlische Jerusalem ansahen. Vom Büchel hatte vorhergesehen, dass die Führung des Auszuges aus Elberfeld nach Ronsdorf unter ihrer und Ellers Anleitung geschehen sollte, beide seien aus dem Stamme Juda, dem Geschlechte Davids, entsprossen, und beide würden nun das Tausendjährige Reich herbeiführen.

Alle Häuser der Siedlung waren nach dem Vorbild des biblischen Lagers der Israeliten auf die „Stiftshütte“, d. h. das Gemeindehaus und Wohnhäuser von Eller und Schleyermacher ausgerichtet. Elias Eller wurde zum Bürgermeister von Ronsdorf gewählt. Gleichzeitig war er in seiner Gemeinde Kirchmeister. Faktisch war Eller neben dem Pfarrer Schleyermacher die prägende Figur in der neuen Gemeinde. Durch gute Kontakte nach Berlin zum preußischen Hof gelang es die kirchliche Unabhängigkeit von Elberfeld und mit eigenem Stadtrecht die kommunale Unabhängigkeit von Lennep zu erlangen.

Niedergang

Gegner Ellers warfen ihm Promiskuität innerhalb seiner Sekte mit der Stammmutter Anna vor, einen zunehmenden Trend zur Sinnlichkeit „mit groben Ausschweifungen“ (speziellen Auslegungen von Liebesmahlen) innerhalb der Führung der Sekte.[3][4]

In den folgenden Jahren spaltete sich mit Schleyermacher eine an der Echtheit der Offenbarungen zweifelnde größere Gruppe von der Gemeinschaft ab, und Schleyermacher wurde in Folge von der Gemeinde ausgeschlossen. 1745 wurde Pfarrer Peter Wülffing aus Solingen, ein Anhänger Ellers, als Prediger gewählt. Nach Ellers Tod 1750 trat sein Stiefsohn Johannes Bolckhaus allein an die Spitze der Sekte, und die schon früher als Prophetin aufgetretene Tochter Ellers, Sarah, versuchte in ihren göttlichen Aussprachen Bolckhaus und Wülffing im Kampf gegen Schleyermacher und die Zweifler zu stärken. Durch Verleumdungen und Bestechung wurde eine Untersuchung wegen Gotteslästerung, Hexerei und Majestätsverbrechen angeordnet, in deren Verlauf am 24. April 1750 ein Kommando von 160 Soldaten zur Verhaftung Schleyermachers nach Elberfeld abgesandt wurde. Dieser konnte jedoch zu seiner in Arnheim/Holland verheirateten Schwester fliehen.

Nachdem Ronsdorf 1754 aus der Synode ausgeschieden war, nahm der Verfall der Glaubensgemeinschaft immer mehr zu. Wülffing verstritt sich mit Bolckhaus und wurde auf dessen Betreiben von der Düsseldorfer Regierung suspendiert. Am 31. Mai 1768 wurde die Gemeinde mit der Wahl eines neuen Predigers namens Herminghaus wieder in die reformierte Landeskirche aufgenommen.

Zioniten in Norwegen

Eine Glaubensgruppe von Zioniten hatte sich im 18. Jahrhundert in Norwegen von der Evangelisch-Lutherischen Kirche abgespalten. Ziel der Glaubensgruppe war es, ein Reich des Königs von Zion zu errichten, ein allgemeines Reich Christi zu gründen. Dabei verwarfen sie die Kindertaufe und praktizierten statt dessen die Gläubigentaufe ausschließlich mit Angehörigen Ihrer Gemeinschaft. Das Abendmahl wurde nicht gehalten. Männer trugen in der Regel lange Bärte und lederne Gürtel um den Leib, oder weiße Binden um den Arm, auf welche das Wort Zion und eine geheimnißvolle Zahl genäht war. Der Prophet der Gruppe hieß Jürgen Kleinow, ihr Apostel war Sören Bölle. Ihre Zusammenkünfte hielten sie zuweilen auf einem Hügel, und ihr Gebet täglich unter großem Geschrei im Freien.

1743 wurde die Gemeinschaft aus Norwegen verwiesen, erhielt aber von König Christian IV. die Erlaubnis sich im damals dänischen Altona niederzulassen. Aufgrund ihrer Ablehnung aller gesetzlicher Ordnung wurde ihnen 1744 von der Regierung befohlen Dänemark zu verlassen. Einige wanderten aus und strebten eine Vereinigung mit den Mennoniten an, von denen sie aber abgelehnt wurden. Andere unterwarfen sich dem Landesgesetz, nachdem sie die äußeren Zeichen der Sekte abgelegt hatten. 1747 gab es in Altona noch die Ausländische Gesellschaft, in der die Zionisten still praktizierten, jedoch verlor die Sekte bald an Bedeutung und löste sich auf.[5][6]

Abgrenzung

In der Mitte des 18. Jahrhunderts gab es eine weitgehende internationale Vernetzung des radikalen Pietismus. Es entsprach dem Selbstverständnis der Radikalpietisten, über alle Grenzen hinweg mit Gleichgesinnten Kontakt zu halten, da sie sich als wahre Gemeinde Christi verstanden. Ob allerdings die Rondorfer Sekte mit den norwegischen Zioniten in Kontakt stand und inwieweit sich ihre Glaubensinhalte deckten, ist nicht geklärt.

Siehe auch

Literatur

  • Krug, Geschichte der Schwärmerei etc. im Großherzogtum Berg, Elberfeld 1851
  • Theodor Wotschke, Vom Tode der Zionsmutter Anna Eller 1743 in Ronsdorf, in: Mhh. f. rhein. KG 27, 1933, 28
  • Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Band XXII (2003) Spalten 156-160 Autor: Claus Bernet, Verlag Traugott Bautz

Weblinks

  • wissen.spiegel.de, 31. August 2003, Biographie Anna Catharina vom Büchel
  • zeit.de, 1. März 1951, Stadt Zion über der Wupper

Einzelnachweise

  1. Spektakulärer Einblick in die Geschichte der Ronsdorfer Stadtgründung, 6. März 2009, sonntagsblatt-online.de, Zugriff März 2009
  2. Kirchengeschichtlicher Sensationsfund in Ronsdorf, 10. Februar 2009, kirche-kuellenhahn.de, Zugriff März 2009
  3. zeno.org, Brockhaus' Kleines Konversations-Lexikon 1911
  4. zeno.org, Meyers Großes Konversations-Lexikon 1905
  5. Pierer's Universal-Lexikon, 4. Auflage 1857–1865
  6. Oekonomische Encyklopädie von J. G. Krünitz

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