Ahhijawa

Ahhijawa

Achijawa (Aḫḫijavā) ist die Bezeichnung für ein Land (Staat oder Region), ein Volk oder ein Königreich in hethitischen Keilschrifttexten des 15. bis 13. Jahrhunderts v. Chr. Aus den Dokumenten geht hervor, dass Achijawa westlich von Hatti lag. Es ist unklar, ob mit Achijawa ein Gebiet in Kleinasien, der Ägäis und/oder auf dem griechischen Festland gemeint ist. In Kleinasien werden sowohl Nordwest- als auch West- und Südwest-Kleinasien als Gebiet für Achijawa diskutiert. In der Forschung wird es manchmal mit dem griechischen Achaia gleichgesetzt, was allerdings sehr umstritten ist. Möglicherweise handelte es sich aber hierbei um ein mykenisches Reich des griechischen Festlandes, etwa des böotischen Thebens, das auch Teile des Küstenstreifens in Westkleinasien umfasste.

Geschichte

Achijawa hatte wechselhafte Beziehungen zum Hethiterreich. Der älteste bisher gefundene Text, der Ahhija(wa) erwähnt, stammt aus der Regierungszeit des hethitischen Großkönigs Arnuwanda I. (Anfang des 14. Jahrhunderts v. Chr.). Er beschreibt teilweise Ereignisse, die bereits in der Regierungszeit seines Vorgängers stattfanden. Somit stand Achijawa bereits spätestens gegen Ende des 15. Jahrhunderts v. Chr. im Blickfeld der Hethiter. Als diese unter Madduwatta um 1400 v. Chr. ihren Einfluss in das südwestliche Kleinasien ausdehnten, kamen sie in Konflikt mit Attariššija von Ahhija (Achchija) (wohl identisch mit Achijawa) der sie vertrieb. Später sollen sie jedoch gemeinsam gegen Hatti intrigiert haben und Alašija auf Zypern überfallen haben.

Mursili II. zog um oder kurz vor 1300 v. Chr. gegen die Stadt Milawanda, das von vielen mit Milet gleichgesetzt wird, und zerstörte es wohl. Im 13. Jahrhundert spielte die Korrespondenz Muwattalis II. (1290–1272) und Hattušilis III. (1265–1240) eine wichtige Rolle. Nämlich der bekannte Alaksandu-Vertrag der auf die Vasallenschaft von Troia hinweist und der Tawagalawa-Brief. In diesem Brief beschwert sich der Hethiterkönig, dass er des bekannten „Seepiraten“ Pijamaradu nicht habhaft werden könne, weil dieser jedes mal in Milawanda, offenbar dem Einflussgebiet des achijawischen Königs, Unterschlupf fände. Dabei fällt der Name Tawagalawa, als Bruder des Königs, der griechisch ausgesprochen Eteokles lautet.

Einige Jahre vor der Mitte des Jahrhunderts unterstützte der König von Ahhijawa offenbar jenen aufständischen und piratisierenden westanatolischen Fürsten Pijamaradu. Der hethitische Herrscher Hattušili III. war jedoch um gute Beziehungen zu Ahhijawa bemüht und bat den König von Ahhijawa, den er als gleichberechtigt anerkannte, die Aufständischen nicht weiter zu unterstützen. Er spricht den König als Bruder an, was sonst nur noch dem Ägyptischen Pharao zukam.

Zur Zeit Tuthallia IV. (ca. 1240–1215 v. Chr.) wurde der Herrscher von Ahhijawa allerdings als feindlich angesehen und aus einer Liste der gleichgestellten, befreundeten Großkönige nachträglich gestrichen. Möglicherweise war der Grund die Politik Tuthallias IV., der versuchte, den Handel zwischen Achijawa und Assyrien zu unterbinden. Im Sausgamuwa-Vertrag wurde ein regelrechtes Embargo verhängt: der Vasall in Amurru sollte verhindern, dass Schiffe von Ahhijawa in seine Häfen einlaufen und Kontakt mit assyrischen Händlern aufnehmen.

Forschung

Die Gleichsetzung der Ahhijawa mit den Achaiern ist seit 80 Jahren bis heute heftig umstritten. Erstmals wurde sie 1924 von Emil Forrer vorgeschlagen. Achaier wurde in der Antike einerseits die ursprüngliche Bevölkerung eines Teils Mittelgriechenlands genannt; andererseits begegnet der Ausdruck Achaier aber auch bei Homer an zahlreichen Stellen in der Ilias als eine von drei Bezeichnungen für die Griechen vor Troja. Der Streit, ob mit Achijawa Achaier, also (mykenische) Griechen, gemeint sind, ist immer noch nicht entschieden. Die vorherrschende Meinung der Althistoriker und klassischen Archäologen befürwortet inzwischen eine Gleichsetzung, die Hethitologie ist eher skeptisch. Eine eigene Position nimmt der Geologe Eberhard Zangger ein, der die These vertritt, dass Ahhijawa mit einem – von ihm angenommenen – mächtigen Reich in Westanatolien gleichzusetzen ist (welches möglicherweise mit Arzawa identisch ist), das sich von Troja im Norden bis nach Milet und Karien im Süden erstreckte. Dieses Reich hätte somit eine Pufferfunktion zwischen dem Hethiterreich im Osten und den mykenischen Staaten mit der Ägäis im Westen eingenommen, hätte dabei selbst aber eine bedeutende Position. Die Indizien hierfür sind noch zu gering. Außerdem wird für den südlichen Teil Westanatoliens die hethitische Bezeichnung Arzawa und Milawanda angenommen.

Bei den Befürwortern der Gleichsetzung von Achijawa mit Achäern, also mykenischen Griechen, gibt es zwei Ansichten darüber, was genau mit Achijawa gemeint ist:

Die erste setzt ein mykenisches Großreich voraus, das sich vom griechischen Festland bis zur Ostägäis und dem Küstenstreifen des Westkleinasiatischen Festlandes (z. B. Milet) erstreckte. Als Zentrum dieses Reichs wird Mykene oder neuerdings auch Theben angenommen. Denn im böotischen Theben wurden unlängst zahlreiche kostbare assyrische Siegel gefunden, die ein Geschenk des assyrischen Herrschers waren. Demzufolge hat dieser versucht, das (hypothetische) mykenische Großreich als Verbündeten zu gewinnen. Das würde auch erklären, warum die kadmeischen Sagen um Theben eine so bedeutende Rolle in der griechischen Mythologie einnehmen. In den Epen Homers sind die Griechen allerdings nur im Krieg zu einem Bund von Stadtstaaten zusammengeschmiedet, und zwar unter der Führung Agamemnons, des Königs von Mykene. Jedoch wird in dem Schiffskatalog der Ilias der König von Theben an erster Stelle genannt. Gegen die These spricht auch, dass nach Ausweis der Linear-B-Dokumente es am Ende des 13. Jahrhundert viele kleinere und offenbar autonome mykenische Stadtstaaten gab, jeweils um eine der Burgen (Palastwirtschaft). Eine Oberhoheit Mykenes, Thebens oder gar Orchomenos', wie früher angenommen wurde, ist nirgends sonst belegt. Ein weiteres Argument gegen diese These ist, dass Ahhijawa von Zentralanatolien offenbar auf dem Landwege zu erreichen war, was wiederum für Zanggers Theorie sprechen würde.

Die zweite Meinung geht davon aus, dass hinter Achijawa ein ostägäisches Reich steckt, das einige Inseln, eventuell Teile Kretas und Milet (=hethitisch Millawanda(?)) umfasste. Auch diese These kann mit einigen guten Argumente aufwarten: Zum einen hätte ein solches Reich und dessen Zentrum dem Reich der Hethiter viel näher gelegen; des weiteren scheint Ahhijawa seinen Höhepunkt erst erreicht zu haben, als sich auf dem griechischen Festland die Lage zuspitzte. Nebenbei sei bemerkt, dass die Inseln und Milet von den Zerstörungen und Umwälzungen, die sich gegen 1200 v. Chr. ereigneten, weitgehend verschont blieben. Im 12. Jahrhundert v. Chr. bildeten einige östliche Inseln und Milet eine kulturelle Koine. Sollte Milet eine Residenz – eventuell von mehreren – des Herrschers von Ahhijawa gewesen sein, wäre Achijawa durch hethitische Boten auch auf dem Landwege erreichbar gewesen.

Für die Berührung mykenischer und hethitischer Kultur in Anatolien siehe auch:

  • Kuşaklı-Sarissa, ein hethitischer Fundort, der ca. 800 km von der Ägäisküste entfernt die bisher östlichste Verbreitung hellenisch-mykenischer Ware darstellt
  • den luwischen Siegelfund in Troja

Die Gegner der Gleichsetzung Achijawa = Achaier lokalisieren das Land in unterschiedlichen Regionen West-, Südwest- oder Nordwest-Kleinasiens.

Literatur

  • Robert Fischer: Die Ahhijawa-Frage. Mit einer kommentierten Bibliographie, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-447-05749-3
  • Emil Forrer: Vorhomerische Griechen in den Keilschrifttexten von Boghazköi. in: Mitteilungen der Deutschen Orient-Gesellschaft zu Berlin. Bd 63 (1924).
  • Robert Oberheid: Emil O. Forrer und die Anfänge der Hethitologie. Eine wissenschaftshistorische Biografie, de Gruyter, Berlin 2007 ISBN 978-3-11-019434-0
  • Gustav Adolf Lehmann: Die politisch-historischen Beziehungen der Ägäis-Welt des 15.-13. Jh. v. Chr. zu Ägypten und Vorderasien. In: Joachim Latacz (Hrsg.): Zweihundert Jahre Homer-Forschung. Colloquium Rauricum 2. Teubner, Stuttgart 1991, 105-126. ISBN 3-519-07412-5
  • Joachim Latacz: Troja und Homer. Piper, München, 2003. ISBN 3-492-23647-2
  • Wolf-Dietrich Niemeier: Hattusa und Ahhijawa im Konflikt um Millawanda/Milet. in: Die Hethiter und ihr Reich. Das Volk der 1000 Götter. Theiss, Stuttgart 2002. ISBN 3-8062-1676-2
  • Eberhard Zangger: Ein neuer Kampf um Troja. Archäologie in der Krise. Droemer Knauer, München 1996. ISBN 3-426-77233-7
  • Eberhard Zangger: Die Zukunft der Vergangenheit. Archäologie im 21. Jahrhundert. Droemer Knaur, München 2001. ISBN 3-426-77504-2

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