Emotionale Intelligenz

Emotionale Intelligenz

Den Begriff Emotionale Intelligenz haben John Mayer (University of New Hampshire) und Peter Salovey (Yale University) zur Beschreibung der Fähigkeit eingeführt, eigene und fremde Gefühle (korrekt) wahrzunehmen, zu verstehen und zu beeinflussen. Dieses Konzept beruht auf der Theorie der multiplen Intelligenzen von Howard Gardner (interpersonale und intrapersonale Intelligenz), deren Kerngedanke bereits von David Wechsler und Edward Thorndike als soziale Intelligenz bezeichnet wurde. Den Grundgedanken verdeutlicht Thorndike im Jahr 1920 mit dem Beispiel, wonach der (fachlich) beste Mechaniker als Vorarbeiter scheitern wird, wenn es ihm an sozialer Intelligenz fehlt.[1] Das Thema „Emotionale Intelligenz“ ist somit ein Beitrag zur Diskussion der Frage nach dem Erfolg im Leben und Beruf. Zur Popularität der Theorie in der Öffentlichkeit hat der Journalist Daniel Goleman beigetragen.

Inhaltsverzeichnis

Definitionen

Manche Autoren stellen die emotionale Intelligenz als Gegensatz zum klassischen Intelligenzbegriff dar. Tatsächlich geht es um die Erweiterung der klassischen Vorstellung von Intelligenz, die lediglich mathematische und verbale (also rein akademische) Fähigkeiten als Voraussetzung für den Erfolg im Leben betrachtet haben.

Daniel Goleman definiert den Begriff Emotionale Intelligenz in Anlehnung an Salovey und Gardner durch die folgenden Fähigkeiten:[2]

  • Die eigenen Emotionen kennen: Die eigenen Gefühle erkennen und akzeptieren, während sie auftreten. Diese Fähigkeit ist entscheidend für das Verstehen des eigenen Verhaltens und der eigenen Antriebe. (Hintergrund: Viele Menschen fühlen sich gegenüber ihren Gefühlen ausgeliefert, lehnen sie ab und bekämpfen oder vermeiden sie – statt sich der Tatsache bewusst zu sein, dass man Emotionen aktiv steuern kann.)
  • Emotionen beeinflussen: Gefühle so handhaben, dass sie der Situation angemessen sind (statt zu dramatisieren oder zu verharmlosen). Dazu gehört die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen und Gefühle der Angst, Gereiztheit, Enttäuschung oder Kränkung abzuschwächen und positive Gefühle zu verstärken. Dies hilft bei der Überwindung von Rückschlägen oder belastenden Situationen.
  • Emotionen in die Tat umsetzen: Emotionen so beeinflussen, dass sie bei der Erreichung von Zielen helfen. Dies ist der Kern der Selbstmotivation und fördert die Kreativität sowie die Häufigkeit von Erfolgserlebnissen. Dazu gehört auch, dass jemand in der Lage ist, kurzfristige (emotionale) Vorteile und Verlockungen hinauszuschieben und impulsive Reaktionen zu unterdrücken. Diese längerfristige Perspektive ist die Grundlage jeglichen Erfolges.
  • Empathie: Dies ist die Grundlage aller Menschenkenntnis und das Fundament zwischenmenschlicher Beziehungen. Ein Mensch (oder auch ein IT-Programm), der/das erkennt, was andere fühlen, kann viel früher die oftmals versteckten Signale im Verhalten Anderer erkennen und herausfinden, was sie brauchen oder wollen. Allerdings weist auch Goleman in anderen Texten darauf hin, dass andererseits auch erkennbar wird, wie sie negativ beeinflussbar sind (leadership ability). Empathie ist also eine wertneutrale Fähigkeit - sie kann individuell positiv oder auch negativ empfundene Wirkung haben. Lediglich gesamtgesellschaftlich betrachtet ist Empathie die Basis erfolgreicher humaner Gesellschaften, es entsteht eine Emergente Ordnung.
  • Umgang mit Beziehungen: Diese Fähigkeit oder Kunst der Gestaltung von Beziehungen besteht im Wesentlichen im Umgang mit den Gefühlen anderer Menschen. Es ist die Grundlage für eine reibungslose Zusammenarbeit in nahezu allen beruflichen Umfeldern. Es ist zugleich die Voraussetzung für Beliebtheit, Wertschätzung und Integration in eine Gemeinschaft, andererseits aber auch für leadership ability (Goleman), also eine Fähigkeit, die positiv wirken, jedoch auch zur Manipulation dienen kann.

Zur Operationalisierung und Messung der Emotionalen Intelligenz in einem Test haben Salovey und Mayer dieses Konzept in vier Bereiche gegliedert. Es sind:

  • Wahrnehmung von Emotionen
  • Nutzung von Emotionen
  • Verstehen von Emotionen und
  • Beeinflussung von Emotionen.

Der erste Bereich Wahrnehmung von Emotionen umfasst die Fähigkeit, Emotionen in Mimik, Gestik, Körperhaltung und Stimme anderer Personen wahrzunehmen. Der zweite Bereich der Nutzung von Emotionen zur Unterstützung umfasst Wissen über die Zusammenhänge zwischen (eigenen und fremden) Emotionen und Gedanken, welches z.B. zum Problemlösen eingesetzt wird. Das Verstehen von Emotionen spiegelt die Fähigkeit wider, Emotionen zu analysieren, die Veränderbarkeit von Emotionen einzuschätzen und die Konsequenzen derselben zu verstehen. Die Beeinflussung von Emotionen erfolgt auf Basis der Ziele, des Selbstbildes und des sozialen Bewusstseins des Individuums und beinhaltet z. B. die Fähigkeiten, Gefühle zu vermeiden oder gefühlsmäßige Bewertungen zu korrigieren (Mayer, Salovey, Caruso, 2004).

Erfassung

Mayer, Salovey und Caruso haben einen Test zur Messung der EI entwickelt, welcher dem Konzept herkömmlicher Leistungstests folgt. Der MSCEIT (Mayer-Salovey-Caruso Emotional Intelligence Test; Mayer, Salovey, Caruso, 2002, zitiert nach Mayer et al., 2004) misst jeden der vier Bereiche des Modells mit je zwei Untertests, welche im folgenden beschrieben werden:

Wahrnehmung von Emotionen:

  • Emotionen in Gesichtern identifizieren
  • Emotionen in Landschaften und Designs identifizieren

Nutzung von Emotionen zur Unterstützung des Denkens:

  • emotionale Empfindungen mit anderen taktilen oder sensorischen Stimuli vergleichen
  • Emotionen identifizieren, die bestimmte Denkaufgaben bestmöglich unterstützen

Verstehen von Emotionen:

  • Wissen, unter welchen Umständen emotionale Zustände wechseln und wie ein emotionaler Zustand in einen anderen übergeht
  • Mehrere Emotionen in komplexeren affektiven Zuständen identifizieren

Umgang mit Emotionen:

  • Maßnahmen zur Veränderung des eigenen emotionalen Zustandes in hypothetischen Szenarien vorschlagen
  • Maßnahmen zur Beeinflussung des emotionalen Zustands anderer Personen zur Zielerreichung vorschlagen

Die Testgütekriterien des MSCEIT erwiesen sich in Untersuchungen mit 5000 Datensätzen als gut. Die interne Konsistenz (Reliabilität) ist mit r=.98 für den Gesamttest sehr hoch. Die Validität wurde mittels Korrelationen mit anderen Intelligenz- und Persönlichkeitstest erhoben und zeigte, dass der MSCEIT kaum Überschneidungen mit anderen Teilintelligenzen aufweist. Auch die Zusammenhänge mit den Big Five (Persönlichkeitsmerkmale) waren ausreichend gering, um die diskriminante Validität als gegeben ansehen zu können.

Kritik

Die Kritik konzentriert sich in erster Linie auf den Begriff „Emotionale Intelligenz“ und auf die Frage, inwiefern er zu den traditionellen Konstrukten der Intelligenz passt und diese sinnvoll ergänzt. Inhaltlich beschreibt das Konzept dagegen höchst relevante Fähigkeiten des Menschen.[3] Diese werden in der Wissenschaft unter den Stichworten „Emotion Regulation“ oder „Self-Regulation“ diskutiert.[4] Ob sich der Begriff „Emotionale Intelligenz“ in der Wissenschaft durchsetzen wird, dürfte in erster Linie davon abhängig sein, inwiefern es gelingt, dieses Konzept durch entsprechende Tests zu validieren. Einen Vorstoß in diese Richtung im deutschen Sprachraum unternahm Heiner Rindermann mit dem Fragebogen zur Messung der Emotionalen Kompetenz. Dieser Test zur Operationalisierung und empirischen Überprüfung dieses Konzeptes beruht auf einer Normstichprobe von über 600 Personen und erzielt – so der Autor - zufriedenstellende Werte bei Validität und Reliabilität.[5] Er meint ferner, der Begriff Intelligenz sollte für kognitive Fähigkeiten reserviert bleiben und nicht überdehnt werden, zumal die Korrelation zwischen emotionaler Kompetenz und (kognitiver) Intelligenz nicht hoch sei (S. 9). Bei dem Test werden vier Dimensionen emotionaler Kompetenzen erhoben, nämlich die Fähigkeiten (1) zum Erkennen eigener Gefühle, (2) zum Erkennen der Gefühle von anderen, (3) zur Regulation eigener Gefühle und (4) zum Ausdruck von Gefühlen als emotionale Expressivität. Was die inhaltliche Relevanz und Bedeutung des Themas (ob Emotionale Intelligenz oder Emotionale Kompetenz) angeht, zeigen empirische Studien, dass Menschen, die die Fähigkeit besitzen, eigene und fremde Gefühle zu steuern, im beruflichen und privaten Leben erfolgreicher sind; sie leiden weniger unter psychischen Störungen, haben bessere persönliche Beziehungen, sind zufriedener und weniger anfällig für ungünstige Gewohnheiten wie Rauchen, ungesunde Ernährung etc.[6] Weitere Forschungsergebnisse zu den Themen, die das Konzept der Emotionalen Intelligenz ergänzen oder weiter führen findet man in den Artikeln Emotionsregulation, Umsetzungskompetenz und Volition.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. D. G. Myers: Psychology. New York 2010
  2. D. Goleman: Emotionale Intelligenz. München und Wien 1996, S. 65 f.
  3. C.-H. Lammers: Emotionsbezogene Psychotherapie. Stuttgart 2008, S. 38
  4. J. J. Gross (Hrsg.): Handbook of Emotion Regulation. New York 2007
    J. P. Forgas et. al: Psychology of Self-Regulation. New York, 2009
  5. Heiner Rindermann: Emotionale-Kompetenz-Fragebogen, Einschätzung emotionaler Kompetenzen und emotionaler Intelligenz aus Selbst- und Fremdsicht. Hogrefe , Göttingen 2009
  6. J. P. Tangney: High self-control predicts good adjustment, less pathology, better grades, and interpersonal success. In: Journal of Personality. Band 72, 2004

Literatur

  • Jerrell C. Cassady, Mourad Ali Eissa (Hrsg.): Emotional Intelligence. Perspectives on Educational and Positive Psychology. Peter Lang, New York 2008, ISBN 978-1-4331-0196-0.
  • Christian Bourion: Emotional Logic and Decision Making: The Interface Between Professional Upheaval and Personal Evolution. 2004, ISBN 978-1-4039-4508-2. (Original: La logique emotionnelle, 2. Ausgabe 2001, ISBN 978-2-7472-0236-7)
  • Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz. Hanser-Verlag, München 1996, ISBN 3-446-18526-7.
  • Daniel Goleman: Die heilende Kraft der Gefühle: Gespräche mit dem Dalai Lama über Achtsamkeit, Emotion und Gesundheit. dtv, München 1998, ISBN 3-423-36178-6.
  • Daniel Goleman: Dialog mit dem Dalai Lama – Wie wir destruktive Emotionen überwinden können. dtv, München 2005, ISBN 3-423-34207-2.
  • R. Schulze, P. A. Freund, R. D. Roberts: Emotionale Intelligenz. Ein internationales Handbuch. Hogrefe, Göttingen 2006, ISBN 978-3-8017-1795-7.
  • P. Salovey, J. D. Mayer: Emotional Intelligence. In: Imagination, Cognition, and Personality. Band 9. S. 185–211.
  • J. D. Mayer, P. Salovey, D. R. Caruso: Emotional Intelligence: Theory, Findings and Implications. In: Psychological Inquiry. Band 15, 2004. S. 197–215.
  • J. H. Otto, E. Döring-Seipel, M. Grebe, E. D. Lantermann: Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung der wahrgenommenen emotionalen Intelligenz. In: Diagnostica. Band 47, 2001. S. 178–187.
  • H. Weber, H. Westmeyer: Die Inflation der Intelligenzen. In: E. Stern, J. Guthke (Hrsg.): Perspektiven der Intelligenzforschung. Pabst Science Publishers, Lengerich 2001.

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