Engelssturz

Engelssturz
Pieter Brueghel d. Ä.: Sturz der gefallenen Engel, Gemälde von 1562

Der Höllensturz, auch Engel(s)sturz genannt, ist ein zentrales Motiv hauptsächlich der christlichen Eschatologie sowie der christlich-abendländischen Kunst.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Unter Höllensturz werden drei grundsätzlich zu unterscheidende Vorgänge verstanden:

Der gefallene Engel

Im Neuen Testament, in christlichen Interpretationen des Alten Testaments sowie in apokryphen Büchern ist die Vorstellung eines abtrünnigen Engels verbreitet. Der Engel wird für seine Auflehnung mit der Vertreibung aus dem Himmel durch Gott und seine übrigen Engel bestraft. Häufig wurde dieser gefallene Engel dann mit Luzifer oder dem personifizierten Engel mit dem Titel Satan, dem Teufel, in Verbindung gebracht, der nach Lk 10,18 ebenfalls „vom Himmel gefallen“ sein soll.

Als Gründe für den Fall des Engels werden genannt:

  • Streben nach Gottgleichheit: Im Buch Jesaja (Jes 14,12 EU) wird der König von Babylon - in christlichen Interpretationen mit einem Engel identifiziert - angesprochen, der sich über Gott erheben wollte und dafür in die Hölle fuhr: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern! Wie bist du zur Erde gefället, der du die Heiden schwächtest! Gedachtest du doch in deinem Herzen: Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen; ich will mich setzen auf den Berg des Stifts, an der Seite gegen Mitternacht; ich will über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten. Ja, zur Hölle fährest du, zur Seite der Grube.“ (Lutherübersetzung 1545)
  • Stolz: Ezechiel erwähnt in seiner Strafpredigt gegen den König von Tyrus einen „glänzenden, schimmernden Cherub“, dessen „Herz sich hob ob seiner Schönheit“ (Hes 28,14 EU). Daraufhin entweihte er durch „Missetat“ und „unrechten Handel“ sein Heiligtum.
  • Weigerung, dem Menschen Respekt zu bezeugen: Nach anderer Lehre gebot Gott nach Erschaffung des Menschen seinen Engeln, vor diesem niederzuknien. Einige Engel aber weigerten sich, da der Mensch aus niedrigerem Stoff gemacht sei als sie selbst. Biblische Belege für diese Version gibt es nicht. Ihren Ursprung hat sie vielmehr wahrscheinlich im Buch Adam und Eva[1], einem apokryphen Text aus dem 1. Jahrhundert nach Christus. In ihm bekennt der Teufel gegenüber Adam, er hasse die Menschen deshalb, weil er ihretwegen aus dem Himmel vertrieben worden sei. Nach John Miltons Gedicht Paradise Lost rebellierte die Mehrheit der abtrünnigen Engel bereits zu dem Zeitpunkt, als der Plan Gottes, den Menschen zu erschaffen, unter ihnen bekannt wurde.
  • Willensfreiheit: Nach dem Kirchenvater Origenes verleitete die ihnen eingeräumte Willensfreiheit einige Engel dazu, sich mehr und mehr von Gott zu entfernen. Einige wurden dadurch zu Menschen oder gar zu Dämonen und mussten deshalb aus dem Himmel vertrieben werden – nicht ohne die Möglichkeit zu haben, durch Tugend und gottgefälliges Leben dorthin zurückzukehren. Origenes wurde u. a. wegen dieser Lehren als Häretiker exkommuniziert.
  • Lust: Nach dem apokryphen Buch Henoch ist es sexuelle Lust, die den Sturz der Engel herbeigeführt hat. Gott hatte die Grigori, eine bestimmte Engelgruppe, damit beauftragt, den Erzengeln bei der Schaffung des Gartens Eden zu helfen. Auf die Erde herabgestiegen, verliebten sie sich jedoch in die Menschentöchter, verrieten ihnen himmlische Geheimnisse und zeugten mit ihnen sogar Kinder, das Riesengeschlecht der Nephilim (vgl. hierzu auch Gen 6,1). Darüber war Gott so erzürnt, dass er die Grigori aus dem Himmel verstieß, ihnen ihre Unsterblichkeit nahm und sie in Dämonen verwandelte. Die Sintflut sandte er nicht zuletzt, um das Geschlecht der Nephilim auszulöschen.

Sieg über Satan in der Apokalypse

Während die Geschichten von den gefallenen Engeln in grauer Vorzeit spielen und häufig mit der Erschaffung des Menschen in Zusammenhang stehen, kann sich das Höllensturz-Motiv auch umgekehrt auf Vorgänge am Ende der Zeiten beziehen:

In der Offenbarung des Johannes (Offb 12,3 EUff.) erscheint der Satan am Himmel in Gestalt eines Drachen mit „sieben Häuptern und zehn Hörnern“, wo er mit seinem Schwanz ein Drittel der Sterne hinwegfegt und den Knaben des Weibes zu verschlingen droht. Daraufhin entbrennt ein Kampf zwischen Gott und Satan: „Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen. Und der Drache stritt und seine Engel und siegeten nicht; auch ward ihre Stätte nicht mehr funden im Himmel. Und es ward ausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt der Teufel und Satanas, der die ganze Welt verführet; und ward geworfen auf die Erde; und seine Engel wurden auch dahin geworfen.“ Die letzten Worte, die der Satan vor seinem Sturz hörte, sollen „Wer ist wie Gott?“ gewesen sein – was eine wörtliche Übersetzung des hebräischen Namens Michael darstellt.

Die endgültige Vernichtung des hinabgestoßenen Satans lässt freilich auf sich warten. In Offb 20,2 EUff. heißt es weiter: „Und er (ein Engel) griff den Drachen, die alte Schlange, das ist der Teufel und Satan, und band ihn tausend Jahre, und warf ihn in den Abgrund und verschloss ihn und tat ein Siegel oben darauf, dass er nicht mehr verführen sollte die Völker, bis dass vollendet würden die tausend Jahre. Danach muss er los werden eine kleine Zeit... Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satanas los werden aus seinem Gefängnis und wird ausgehen, zu verführen die Völker an den vier Enden der Erde... Und der Teufel, der sie verführete, ward geworfen in den Pfuhl von Feuer und Schwefel, da auch das Tier und der falsche Prophet war, und werden gequälet werden Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit.“

Verdammung der Sünder beim Jüngsten Gericht

Daneben hat Höllensturz noch eine dritte Bedeutung: Sie bezieht sich nicht auf die Vertreibung Satans und seines Gefolges aus dem Himmel, sondern auf die Verdammung der Sünder beim Jüngsten Gericht. Sie stellt das Gegenstück zur Aufnahme der Gerechten ins Paradies dar.

Im Christentum ist die Idee insbesondere in Offb 20,12ff. verankert. Hiernach werden die Toten „gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken (...) Und so jemand nicht ward erfunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.“ Wenn die Stelle auch etwa von den Katholiken auf der einen Seite und den Calvinisten auf der anderen höchst unterschiedlich interpretiert wurde, so gilt nach kirchlicher Lehre, dass nur ein Teil der Menschheit erlöst wird und der andere infolgedessen der ewigen Verdammnis in der Hölle anheimfällt.

Im Islam finden sich ähnliche Gedanken u.a. in der 75. Sure des Koran (al-qiyāmah „Die Auferstehung“).

Weniger ausgeprägt ist die Scheidung in „Sünder“ und „Gerechte“ im Judentum, das zwar ein Gehinnom, nicht aber eine Hölle im christlichen Sinne kennt. Verstöße gegen Gottes Gebot werden eher durch die „Trennung vom Volk“ bestraft (vgl. etwa Gen 17,14, Ex 31,14) als durch die Verbannung an einen Ort der Gottferne.

Verwandte Motive

Die Vorstellung einer Gottheit, die den Hochmut oder die Unbotmäßigkeit ihrer Geschöpfe dadurch bestraft, dass sie sie in die Tiefe stößt, ist sehr alt: In Homers Ilias erzählt Hephaistos etwa davon, wie Zeus ihn an der Ferse packte und ihn von der Schwelle des Olymps schleuderte, so dass er nach eintägigem Flug auf die Insel Lemnos herabfiel und „kaum noch Leben atmetete“.

Hesiod berichtet in seiner Theogonie vom Kampf der Götter mit den Titanen, in deren Verlauf letztere mit Blitzen und Felsbrocken in den Tartarus gestoßen wurden.

In J.R.R. Tolkiens Fantasy-Welt opponiert der gefallene Ainu Melkor gegen Iluvatar, den höchsten Gott dieser Welt, und wird in die zeitlose Leere verbannt.

Darstellungen in der Kunst

Um 1500 schuf Albrecht Dürer innerhalb einer Serie über die Apokalypse einen Holzschnitt, der den Heiligen Michael gemeinsam mit anderen Engeln dabei zeigt, wie sie mit Schwertern, Lanzen und Armbrüsten dem Satan in Gestalt gehörnter und geflügelter Drachen zu Leibe rücken.

1562 entstand Pieter Brueghels Gemälde Der Sturz der gefallenen Engel, das heute in den Musées royaux des Beaux-Arts in Brüssel hängt. Es zeigt die Engel Gottes in hellen Gewändern und schimmernden Rüstungen vor einer strahlenden Sonnenscheibe. Während die einen Posaunen blasen, hauen und stechen andere mit Schwertern und Lanzen auf allerlei teuflische Wesen mit grotesk verzerrten Gesichtern ein. In der Manier Hieronymus Boschs werden sie etwa als Salamander, Lurche, Fische oder Insekten dargestellt, die sich in ihrer Verzweiflung Gliedmaßen abbeißen, den mit Eiern gefüllten Bauch aufreißen oder einen Darmwind fahren lassen.

Eine weitere Ausführung des Themas wurde von Tintoretto 1592 gemalt und gelangte spätestens 1754 nach Dresden, wo es heute in der Galerie der Alten Meister hängt. Das Bild erscheint diagonal in zwei Hälften geteilt. Links unten drängen sich im Dunkel der als siebenköpfiger Drache dargestellte Satan und feuerspeiende Furien. Den in strahlendes Licht getauchten rechten oberen Bildteil beherrschen indes die dynamische Figur des Heiligen Michael, ein weiterer Engel sowie Gottvater und Maria auf der Mondsichel. Zentrales Verbindungsglied zwischen den beiden Bildhälften ist die diagonal nach unten stechende Lanze des Erzengels. Vereinzelt wird das Bild auch Tintorettos Sohn Domenico oder seiner Werkstatt zugeschrieben.

Als Ritter mit schimmernder Rüstung und wehendem rotem Mantel stellt Peter Paul Rubens den Erzengel Michael auf seinem in der Alten Pinakothek in München hängenden Gemälde Der Engelssturz dar. Beschirmt von Gottvater und unterstützt von weiteren, blitzeschleudernden Engeln stößt er ein schlangenartig gewundenes Ungeheuer in die Tiefe. Mit diesem stürzen aber auch von Satan verführte Sünder, muskelbepackte, dramatisch verdrehte Leiber mit verzerrten Gesichtern.

Weitere bekannte Höllenstürze Satans stammen u. a. von Raffael (1518, Prado), Johann Michael Rottmayr (1697, Burgkapelle Tittmoning), Giuseppe Castiglione (18. Jahrhundert), William Blake (1826, Lithographie-Illustration zum Buch Hiob), Eugène Delacroix (1861, St. Sulpice, Paris), Gustave Doré (1865, Bibelillustration) und Marc Chagall (1923-47, Kunstmuseum Basel).

Höllenstürze der Menschen (vgl. die dritte der o. g. Wortbedeutungen) sind meist nur als Teil von Darstellungen des Jüngsten Gerichts zu sehen, deren bekannteste die von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom von 1541 sein dürfte. Eine Ausnahme bildet Peter Paul Rubens' Der Höllensturz der Verdammten von 1620, ebenfalls in der Alten Pinakothek in München. Das Gemälde bevölkern realistisch dargestellte und nach des Meisters Manier recht üppig ausgefallene menschliche Leiber. Die Farbflächen scheinen ineinanderzufließen und werden lediglich durch den stärker beleuchteten Korridor in der Bildmitte strukturiert. 1959 fiel das Werk einem Attentat mit Salzsäure zum Opfer, wurde aber erfolgreich restauriert.

Eine bekannte Darstellung des nicht dem Christentum, sondern der griechischen Mythologie zuzurechnenden Höllensturzes der Titanen, stammt vom italienischen Manieristen Giulio Romano und befindet sich im Saal der Giganten im Palazzo del Te in Mantua.

Literatur

  • Christoph Auffarth, Loren T. Stuckenbruck (Hrsg.): The Fall of the Angels. Brill, Leiden 2004 (Themes in Biblical Narrative, 6), ISBN 90-04-12668-6.
  • Mareike Hartmann: Höllen-Szenarien. Eine Analyse des Höllenverständnisses verschiedener Epochen anhand von Höllendarstellungen. Lit, Münster 2005 (Ästhetik – Theologie – Liturgik, 32), ISBN 3-8258-7681-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. [1]

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