Erfindungshöhe

Erfindungshöhe

Die erfinderische Tätigkeit (oder Erfindungshöhe) ist in vielen nationalen und übernationalen europäischen Patentgesetzen eine Norm, die bestimmt, ob eine technische Erfindung patentfähig ist. Sie reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Im Verlaufe der ersten industriellen Revolution mit ihren großen Fortschritten erschienen in allen Industrieländern zahlreiche technisch triviale Objekte und nichttechnische Methoden, auf die auch Ausschließungsrechte beansprucht wurden. Diese „Erfindungen“, unwillkürlich als nicht patentwürdig abgeschätzt, konnten insbesondere in den Ländern mit einem Vorprüfungssystem und mit den gesetzlichen Normen der Neuheit und der Nützlichkeit allein nicht abgewehrt werden:

In England setzte sich die Anforderung durch, dass eine patentfähige Erfindung ein neues, mit Fleiß und Scharfsinn geschaffenes Prinzip sein muss (so Vizekanzler Sir John Leach)[1], dass sie sich auf einen „inventive step“ gründen müsse (Patentgesetz von 1932). In den Vereinigten Staaten von Amerika behauptete sich die Regel aus den 1850iger Jahren, dass eine patentfähige Erfindung auf einem Erfindungsakt beruhen muss, der das übersteigt, was sich auch ein Fachmann (scillful mechanic) ausdenken könne.[2]

In Deutschland wurde hingegen verlangt, dass eine patentfähige Erfindung eine wesentliche Verbesserung sei, dass sie ein vorteilhafteres Ergebnis zeitige.[1] In den 1880iger Jahren erarbeitete das Kaiserliche Patentamt, dem erstklassige Ingenieure als „Mitglieder“ angehörten, das Bewertungskriterium „Technischer Fortschritt“, das später zum „Wesentlichen technischen Fortschritt“ erweitert wurde. Die nord-, mittel- und osteuropäischen Staaten übernahmen das Kriterium ebenfalls. Anfang des 20. Jahrhunderts befand indessen das Reichsgericht – vermutlich auf sein amerikanisches Gegenstück blickend, den Supreme Court –, dass einer Erfindung ein Schaffen eignen müsse, das über das gewöhnliche fachmännische Können erheblich hinausgegangen ist; es wurde dann „Erfindungshöhe“ genannt. Das Reichspatentamt zögerte jedoch, sich dieser psychologischen Sicht anzuschließen. Um 1930 setzten sich schließlich der „Technische Fortschritt“ und die „Erfindungshöhe“ als zwei gleich gewichtete Kriterien der Patentfähigkeit durch. So blieb es bis zum europäisch harmonisierten Patentgesetz von 1981.

Die nord-, mittel- und osteuropäischen („deutsch-orientierten“) Patentrechte beurteilten also, ob das vom Erfinder Erfundene technisch fortschrittlich ist. Die angelsächsischen Rechte bewerteten hingegen eine dem Erfinder unterstellte Gedankenfolge seines Erfindens. Das Kriterium der einen war also technisch fundiert und zielte auf das Ergebnis, das der anderen war begabungspsychologisch geprägt und zielte auf das gedankliche Wie des Entstehens.

Die europäischen nationalen und übernationalen Patentgesetze der 1970iger und 1980iger Jahre übernahmen ausdrücklich nicht – gegen den Willen der Schweiz – das Kriterium des technischen Fortschrittes. Sie normierten stattdessen das begabungspsychologische Kriterium einer „erfinderischen Tätigkeit“. (In den anderen nationalen Gesetzen stehen dafür die Worte inventive step, activité invention oder actividad inventiva.) Die „erfinderische Tätigkeit“ müsse „der Fachmann“ beurteilen. Der Bruch von einem technischen zu einem begabungs-psychologischen Kriterium verlief nicht ohne Bedenken.[3]

Damals hatten sich offensichtlich die Europäer den Amerikanern und deren „skilled person“ und „non obvioness“ voll angepasst. Der US-Code 35 von 1952 (Patentgesetz) bestimmt nämlich in Sec. 103: Es gibt kein Patent, wenn der Unterschied der Erfindung (the subject matter) zum Stande der Technik (the prior art) nur derart ist, dass sie für einen einschlägigen Fachmann (a person have ordinary skill) naheliegend gewesen wäre (have been obvious).

Der Begriffsinhalt des Kriteriums

Die vereinheitlichten europäischen Patentgesetze bestimmen – neben anderem – einhellig: Eine Erfindung ist nur dann patentfähig, „wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt“ (§ 4 Satz 1, Art. 56 des Europäischen Patentübereinkommens = EPÜ). Der Fachmann ist dabei keine reale, sondern eine fiktive Rechtsperson. Das heißt, es fehlt an Erfindungshöhe, wenn man von einem Fachmann erwarten kann, dass er, ausgehend vom Stand der Technik, auf diese Lösung alsbald und mit einem zumutbaren Aufwand gekommen wäre, ohne erfinderisch tätig zu werden. Der Begriff „Stand der Technik“ verkörpert nicht, wie es das Wort „Stand“ eingibt, den momentanen Ist-Stand eines technischen Fachgebietes, sondern dessen Umfang mit allen seinen seit eh und je entstandenen Dingen und Methoden, auch mit allem, was technisch längst überholt ist oder was schon von vornherein unwirksam war. Zu diesem Stand zählt jedenfalls alles, was die Öffentlichkeit irgendwann, irgendwo und irgendwie erfahren konnte; ausnahmsweise zählt dazu auch das, was gesetzlich als schon „bekannt“ festgesetzt wurde. Alles andere „gilt als neu“ (Art. 54 EPÜ).

Das Kriterium der Erfinderischen Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts, des Bundesgerichtshofs und der technischen Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts rein objektiv zu verstehen. Es spielt keine Rolle, wie die zu beurteilende Erfindung tatsächlich gemacht worden ist und ob sie subjektiv für den Erfinder eine besondere Leistung bedeutet hat. Mangelnde Erfindungshöhe führt in der allgemeinen Praxis recht häufig zur Zurückweisung der Patentanmeldung und ist in der weit überwiegenden Zahl des Widerrufs oder der Nichtigerklärung von Patenten der maßgebende Grund.

Von Kritikern werden die Kriterien als unscharf und nicht valide angesehen; die erfinderische Tätigkeit sei nicht oder nur schwer operabel.[4]

Literatur

  • F.-K. Beier: Zur historischen Entwicklung des Erfordernisses der Erfindungshöhe. In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Inland. 1985, S. 606–616.
  • Alfred W. Kumm: Vom Spezialisten zum Generalisten der Technik. Ein Wegweiser zum technologischen Denken, Analysieren und Bewerten. Haag & Herchen, 2003, ISBN 3-89846-264-1

Anmerkungen

  1. a b R. Klostermann: Die Patentgesetzgebung aller Länder. Verlag Guttentag, Berlin 1876, S. 27, 28, 54, 58, 59 und A. W. Kumm: Die Erfindungen und ihre Kriterien – Untersuchung einiger patentrechtlicher Grundbegriffe im Hinblick auf die europäischen Vereinheitlichungsbestrebungen. In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Auslands- und internationaler Teil (GRUR Inter.), 1963, S. 289–297.
  2. F.-K. Beier: Zur historischen Entwicklung des Erfordernisses der Erfindungshöhe. In: GRUR Inland 1985, S. 606–616.
  3. Die gesetzliche Verankerung der „erfinderischen Tätigkeit“ wurde schon früh als bedenklich bewertet. So auch noch 1985 von Beier, Zur historischen Entwicklung des Erfordernisses der Erfindungshöhe, S. 616 (Schlusswort).
  4. Zu den Problemen etwa A. W. Kumm: Die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit – ein rational unlösbares Jahrhundert-Problem. In: epi (European Patent Institute) Information, 1998, S. 23–26.

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