Erprobungsstufenschüler

Erprobungsstufenschüler

Die Orientierungsstufe ist ursprünglich eine eigene Schulform für die Klassenstufen 5 und 6. Die Orientierungsstufe ist heute meistens keine eigene Schulart mehr, sondern einer anderen organisatorisch zugeordnet.

Inhaltsverzeichnis

Ursprüngliche Art der Orientierungsstufe

Traditionell versteht man unter Orientierungsstufe eine Schule, in der die Schüler aller Leistungsstufen gemeinsam unterrichtet werden, im Gegensatz zu einem bereits ab Klasse 5 gegliederten Schulwesen. Aufgabe der Orientierungsstufe ist es, die Schüler in diesen zwei Jahren intensiv in ihrem Lernverhalten zu beobachten, um sie dann an die für sie geeignete weiterführende Schule zu verweisen. Dadurch findet die Differenzierung der Schüler in die drei Schultypen des dreigliedrigen Schulsystems in Deutschland (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) nicht nach der 4. Klasse, sondern erst nach der 6. Klasse statt.

Charakteristisch für die Orientierungsstufe ist, dass ein Übergang nach der 6. Klasse ins Gymnasium möglich ist. Oftmals wurden zusätzliche Gymnasialklassen eingerichtet, die nach der 4. Klasse begannen.

Orientierungsstufe als Teil der Regelschule

Die Bezeichnung „Orientierungsstufe“ wird in einigen Bundesländern auch für die Klassen 5 und 6 innerhalb des gegliederten Schulwesens verwendet. Der Begriff soll auf die Durchlässigkeit verweisen, d.h. der Schüler kann unter bestimmten Bedingungen nach Klasse 5 oder 6 die Schulform wechseln. Die Orientierungsstufe bildet also die Klassenstufen 5 und 6 der jeweiligen Schulart Hauptschule, Realschule oder Gymnasium und ermöglicht durch ihre gezielte Förderung und Beobachtung eine Bestätigung oder eine Korrektur der Schullaufbahnentscheidung, die nach der Grundschule getroffen wurde. In diesem Kontext hat die Orientierungsstufe also eine zweifache Aufgabe: einerseits sollen Schüler in der Orientierungsstufe die neuen Anforderungen der Sekundarstufe und ihrer Schularten kennenlernen und andererseits soll die besonderen Fähigkeiten und Neigungen der Schüler gefördert und beobachtet werden. Die Orientierungsstufe ist damit keine eigene Schulart, sondern in jedem Fall einer Schulart organisatorisch zugeordnet. Manchmal heißt diese Stufe Erprobungsstufe.

Förderung und Integration

In der Orientierungsstufe die Schüler zu fördern knüpft an die Arbeit der Grundschulen an. Es findet eine weitere Binnendifferenzierung statt, d.h. Schüler werden je nach Identitätsentwicklung und Lernmöglichkeiten gefördert. Dies geschieht in Orientierungsstufen der ursprünglichen Art vor allem durch äußere Fachleistungsdifferenzierungen (A-, B- und C-Kurse), auch wenn der Unterricht im Klassenverbund als vorrangig gesehen wird.

Beobachtungen und Beratung

Die systematische Schülerbeobachtung wurde mit Einführung der Orientierungsstufe als neues Element eingeführt. In Niedersachsen wurde für diese Aufgabe ein Schülerbeobachtungsbogen entwickelt. Ein Grund hierfür war wiederum, das Lernen der Schüler individuell fördern zu können. Ein weiterer Grund war die bessere Beratung der Erziehungsberechtigten bei der Schullaufbahnentscheidung.

Regelungen in den einzelnen Bundesländern

In Niedersachsen wurde die Orientierungsstufe zuerst 1972 an einigen Standorten, später flächendeckend eingeführt und 2004 wieder abgeschafft.

In Bremen gingen bis 1977 alle Grundschulen bis zur 6. Klasse, die weiterführenden Schulen begannen ab Klasse 7, Gymnasialklassen zusätzlich ab Klasse 5. 1977 wurde die Orientierungsstufe flächendeckend eingeführt und 2005 wieder abgeschafft. Seit 2005 bestehen Grundschulen bis zur 6. Klasse nur an fünf Standorten, die weiterführenden Schulen beginnen mit Klasse 5.

In Nordrhein-Westfalen wurde die Orientierungsstufe nicht eingeführt. Die Klassen 5 und 6 werden schulformabhängig als Erprobungsstufen an Haupt-, Realschulen und dem Gymnasium geführt. Häufig wird der Begriff Orientierungsstufe synonym verwandt.

In Berlin und Brandenburg geht die Grundschule bis zur 6. Klasse. Nur wenige Gymnasien beginnen als Ausnahme in Klasse 5.

In Hamburg gab es 1972 erste Versuche der Orientierungsstufe mit 9 Standorten. Im Jahre 2002 gab es nur noch 2 Standorte.

In Bayern fand bis 1999 die Selektion zum Gymnasium nach der 4., zur Realschule aber erst nach der 6. Klasse statt. In den Klassen 5 und 6 wurden alle Schüler, die nicht aufs Gymnasium gingen, gemeinsam in der Hauptschule oder an einer der Grundschule angegliederten Teilhauptschule I unterrichtet. Nach Abschluss der 5. Klasse konnte man in die 5. Klasse Gymnasium wechseln, sofern die Noten ausreichten, verlor also ein Jahr. In der 7. Klasse konnten diese auf eine Realschule, nicht jedoch aufs Gymnasium wechseln. Seit 1999 beginnt auch die Realschule in Klasse 5. Als Ausnahme existiert in München-Neuperlach seit 1973 eine Schule als Orientierungsstufe.

In Hessen gibt es an allen Gesamtschulen und zusätzlich an einigen Haupt- und Realschulen eine "Förderstufe", die in etwa der Orientierungsstufe entspricht, ohne dass jedoch dieser Name verwendet wird.

In Sachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und dem Saarland wird der Begriff "Orientierungsstufe" heute für die Klassen 5 und 6 innerhalb des gegliederten Schulwesens verwendet.

Differenzierung innerhalb der Orientierungsstufe

(Beispiel: Niedersachsen bis 2004) Ursprünglich fand in der 6. Klasse in den Fächern Englisch und Mathematik eine Differenzierung in A-, B- und C-Kurse (anfangs sogar noch D-Kurse) statt, später dann auf I-Niveau bzw. II-Niveau. Ebenfalls auf I-Niveau und II-Niveau wurden in der 5. und 6. Klasse zusätzlich zum Unterricht im Klassenverband Stunden außerhalb des geschlossenen Klassenverbandes in Deutsch erteilt, in Englisch und Mathematik in der 5. Klasse. Dies gab bereits ersten Aufschluss über die Fähigkeiten der Schüler und der daraus resultierenden Empfehlung für die weiterführenden Schulen. Außerdem wurde der Unterricht in den Kursen speziell auf das Lernverhalten der Schüler zugeschnitten. So entsprachen die Anforderungen in A-Kursen etwa denen eines Gymnasiums, in B-Kursen der Realschule und in der C-Kursen der Hauptschule. Nach der 6. Klasse erhielten die Schüler eine Empfehlung für die weiterführenden Schulen, welche allerdings nicht bindend war.

Historisches

Bereits 1959 veröffentlichte der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen einen "Rahmenplan zur Umgestaltung und Vereinheitlichung des öffentlichen Schulwesens", in dem er die Einführung einer "Förderstufe" in den Klassen 5 und 6 empfahl (das Wort "Orientierungsstufe" gab es damals noch nicht).

In den 60er Jahren wuchs die Kritik am Schulsystem jedoch immer mehr. Empirische Untersuchungen hatte bewiesen, dass sowohl in der Begabtenförderung als auch in der Prognosen für die weiterführenden Schulen viele Mängel entstanden waren. Begabte erhielten nicht die nötige Förderung, was vor allem in Zeiten des erhöhten Wissenschaftlerbedarfs bedenklich schien. Die Prognosen welche Schüler nach der Grundschule auf die weiterführenden Schulen selektierten erwiesen sich ebenfalls als mangelhaft. Hinzu kamen neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Lernen und zur Unterrichtsdidaktik, die grundlegende Änderungen nahelegten.

Im "Bildungsgesamtplan" der Bund-Länder-Kommission von 1973 wurde somit die bundesweite Einführung der Orientierungsstufe empfohlen. Allerdings war schon damals klar, dass diese Empfehlung nicht bundesweit umgesetzt werden würde, da sich die fünf damals von der CDU/CSU regierten Bundesländer dagegen aussprachen.

In der Folgezeit wurde die Orientierungsstufe in SPD-regierten Ländern eingeführt, etwa 1977 in Bremen.

Kritik

Häufig wird an der Orientierungsstufe kritisiert, dass es nicht möglich sei, alle Schüler individuell ihren Begabungen entsprechend zu fördern. Während einige Schüler durch die Art und Geschwindigkeit des Unterrichts überfordert würden, gäbe es für andere überhaupt keine Herausforderungen, so dass sie sich langweilten; anschließend im Gymnasium bekamen diese Schüler allerdings häufig Probleme, da sie in den zwei Jahren auf der OS das Lernen völlig verlernt hatten.

Literatur

  • Claudia Schuchart: Orientierungsstufe und Bildungschancen. Eine Evaluationsstudie. Waxmann, Münster [u.a.] 2006, ISBN 3-8309-1588-8

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