Erstes Klavierkonzert (Brahms)

Erstes Klavierkonzert (Brahms)

Das 1. Klavierkonzert op. 15 in d-Moll ist ein Konzert für Klavier und Orchester von Johannes Brahms.

„Das gegenwärtige Concert war nun wieder ein solches, in dem eine neue Composition zu Grabe getragen wurde – das Concert des Herrn Johannes Brahms.“

So lautete die Kritik anlässlich der Aufführung des 1. Klavierkonzerts im Gewandhaus in Leipzig am 27. Januar 1859, bei welchem der Komponist selbst am Klavier saß. Es war die zweite Aufführung des Konzerts; seine Uraufführung hatte es bereits am 22. Januar des gleichen Jahres im königlichen Hoftheater zu Hannover unter der Leitung von Joseph Joachim erlebt. Auch dort hatte Brahms höchstpersönlich gespielt. Brahms war ob der Kritik getroffen, ironisch schrieb er an Joachim:

„Noch ganz berauscht von den erhebenden Genüssen, die meinen Augen und Ohren durch den Anblick und das Gespräch der Weisen unserer Musikstadt schon mehrere Tage wurden, zwinge ich diese spitze und harte Sahrsche Stahlfeder, Dir zu beschreiben, wie es sich begab und glücklich zu Ende geführt ward, dass mein Konzert hier glänzend und entschieden – durchfiel.“

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Der junge Johannes Brahms

Im Frühjahr 1854, kurz nach dem Selbstmordversuch Robert Schumanns, begann Brahms mit der Konzeption einer Sonate für zwei Klaviere in d-Moll. Doch musste er ernüchtert feststellen, dass sich seine Ideen mit zwei Klavieren nur unzulänglich umsetzen ließen. Ein Versuch, den Entwurf in eine Sinfonie umzuarbeiten, blieb in den Anfängen stecken, weil Brahms sich mit der Kunst der Orchestrierung nicht gut genug vertraut fühlte und fürchtete, mit dieser Unternehmung zu scheitern.

1855 hatte Brahms die Idee, den Entwurf des Kopfsatzes der Klaviersonate zu einem Klavierkonzert umzuarbeiten. Sie kam ihm sozusagen über Nacht, berichtete er doch Clara Schumann:

„Denken Sie, was ich die Nacht träumte. Ich hätte meine verunglückte Symphonie zu meinem Klavierkonzert benutzt und spielte dieses. Vom ersten Satz und Scherzo und einem Finale furchtbar schwer und groß. Ich war ganz begeistert.“

Bis zum Herbst 1856 entstand so der 1. Satz eines Concerts für das Pianoforte mit Begleitung des Orchesters, der allerdings bis 1859 mehrmals überarbeitet wurde. Das Adagio komponierte Brahms im Winter 1856/57. Der Erstfassung des Rondo-Finales, die er Mitte Dezember 1856 an Joseph Joachim, seinem Ratgeber in Sachen Instrumentierung von Orchesterparts schickte, ließ er Ende April 1857 eine zweite, verbesserte Version folgen.

Die Satzbezeichnungen des Konzerts lauten:

  • Maestoso
  • Adagio
  • Rondo: Allegro non troppo

Das Konzert

Brahms tiefe Verbundenheit zu Robert und Clara Schumann und eben auch seine heimliche Leidenschaft für die Ehefrau seines Mentors geben gerade bei den Werken des jungen Brahms immer wieder Anlass zur Frage, inwieweit sein Gefühlsleben sich darin widerspiegelt. Zu Recht wird gemahnt, nicht zu viel hineinzuinterpretieren und auch bei diesem Konzert sollte man dieser Versuchung widerstehen. Gleichwohl: Die zeitliche Nähe zu Robert Schumanns Selbstmordversuch und seine Einweisung in eine geschlossene Anstalt ist da. Der langwierige Entstehungsprozess des Konzerts wiederum wurde begleitet von Entwicklungen, die Brahms emotional berührten: Hatte er nach dem Tod Schumanns im Jahr 1856 noch die Hoffnung, Clara würde ihn erhören, musste er 1857 resigniert feststellen, dass diese Hoffnung vergeblich war. Dass das Konzert davon gänzlich unberührt geblieben ist, ist schwer vorstellbar.

Der Kopfsatz

Das Maestoso ist ein Stück größtmöglicher Kontraste im 6/4-Takt: Wild und aufrührerisch, aber auch trauernd, von überschwänglicher Glückseligkeit, feierlichem Ernst, aber auch verzweifelt. Die Wechsel in der Dynamik sind sprunghaft, auch gibt es überraschende Wendungen von Moll nach Dur. Der Kopfsatz ist klar als Sonatenhauptsatz strukturiert, wie es in der Wiener Klassik üblich war. Anders als viele seiner romantischen Kollegen fühlte Brahms sich nämlich der Formstrenge der Wiener Klassik verpflichtet. Deutlich sind die Exposition mit einem prägnanten und einem lyrischen Thema, sowie Durchführung und Reprise voneinander abgegrenzt.

Die Einleitung beginnt mit einem Orgelpunkt d in den Bässen und einem drohend auf- und abschwellenden Paukenwirbel, der jedoch überraschenderweise durch einen B-Dur-Sextakkord ergänzt wird. Dem zornig klingenden Eingangsmotiv, dass nur aus Tönen dieses B-Dur-Akkordes besteht, folgt eine charakteristische Trillerfigur, die in verschiedenen Tonarten wiederholt wird.

Durch diesen harmonisch unentschiedenen Zustand führt der Weg schließlich nach 28 Takten doch nach d-Moll. Im piano wird von den hohen Streichern eine Melodie vorgetragen, die man für das Seitenthema halten könnte. Ihre Begleitung in den tiefen Streichern geht auf das Eingangsmotiv zurück. Aus diesem lyrischen Thema entwickelt sich eine Überleitung, die schließlich in eine Schlussgruppe mündet, die den Anfang wieder aufgreift.

Nachdem diese in einer Art Ostinato zur Ruhe gekommen ist, setzt das Klavier ein (Takt 91) – man könnte an dieser Stelle bereits eine Durchführung erwarten. Es ist ein nahezu solistischer Part: In piano-Lautstärke entfaltet sich eine eigenartige Melodie, die nur von leisen Tupfern der Trompeten und Pauken begleitet wird. Dadurch, dass die rechte Hand in Terz- und Sextparallelen geführt ist sowie durch die Zweierbindungen entsteht sowohl der Eindruck eines Ländlers in Moll als auch der einer Kette von Seufzern. Diese Motivik erscheint zum ersten Mal bereits in der Schlussgruppe des Orchestervorspiels, gewonnen aus dessem lyrischen Teil. Mit wuchtigen Trillern greift das Klavier schließlich das vom Orchester vorgestellte Hauptthema auf.

Das zweite, lyrische oder choralartige Thema in F-Dur, ab Takt 157 über 17 Takte vom Klavier allein vorgetragen, ist durchdrungen von feierlichem Ernst. Es klingt aus mit einem Jagdhornmotiv (Halali), das in einer triumphaleren Variante bereits kurz vor dem ersten Einsatz des Klavieres zu hören war. Ein ehrwürdiger Gruß an den verstorbenen Freund? Vom Klavier wird es als erstes vorgestellt, später immer wieder von den Waldhörnern aufgegriffen, bis es in extremer Tiefe verklingt.

Die Durchführung beginnt in Takt 226 im Klavier mit dem zum einfachen Quartsprung verkürzten Halali-Motiv. Sie bedient sich ausgiebig der thematischen Elemente des Hauptsatzes, die spannungsreich verarbeitet werden.

Die Reprise schließlich erweist, dass Brahms, der Tradition verpflichtet, die Verarbeitung der Themen entsprechend den Formvorgaben der Wiener Klassik vorgenommen hat. Sie beginnt in Takt 310. Eine für Solokonzerte typische Kadenz, die üblicherweise kurz vor Schluss präsentiert wird, hat der Satz nicht. Allerdings erscheint sie durch die zum Ende des Satzes hin gesteigerte Virtuosität des Klavierparts entbehrlich.

2. Satz

Über seine Arbeit am langsamen, 2. Satz schrieb Brahms am 30. Dezember 1856 an Clara:

„Ich schreibe dieser Tage den ersten Satz des Concertes ins Reine. Auch male ich an einem sanften Portrait von Dir, das dann Adagio werden soll.“

Das Orchester stellt ein in D-Dur gesetztes Thema vor, das das Klavier in abwandelnder Form aufgreift. Insgesamt ist das Adagio ein Dialog zwischen Orchester und Klavier, im Verlaufe dessen das Thema immer weiterentwickelt wird. Am Ende kehrt das Orchester aber zur Eingangsfassung zurück und beschließt diesen Satz. Das thematische Material ist mit dem des ersten Satzes verwandt (dort zuerst im lyrischen Teil der Einleitung).

In seinem Autograph hatte Brahms unter die ersten fünf Takte die Worte „Benedictus qui venit in nomine domini“ (Gelobt sei der, der im Namen des Herren kommt) gesetzt. Die vorgeschriebene Artikulation der ersten Violinen ließe es zu, diese Stimme mit dem Text zu verbinden. Da der zweite Satz der ursprünglichen Sonate für zwei Klaviere zu einem Teil des Deutschen Requiems geworden war, scheint es möglich, dass Brahms auch diese Musik ursprünglich als Messsatz konzipiert hatte. Jedenfalls entspräche der Charakter dem eines Benedictus.

Auffällig ist ein Ausbruch Takt 46, der mit seinen Punktierungen an den Stil Robert Schumanns erinnert (so z. B. auch im Benedictus in Schumanns Requiem op. 148).

3. Satz

Das Rondo, beginnend in d-moll, entspricht ganz den Formen der Musiklehre: Ein kraftvolles, vom Klavier vorgestelltes und vom Orchester wiederholtes Thema kehrt stets wieder, zwischendurch kann der Pianist bei anspruchsvollen Klavierparts sein Können unter Beweis stellen. Nach einer kraftvollen Kadenz, die von der Harmonik an Bachs Wohltemperiertes Klavier erinnert, endet Brahms schließlich auf brillante Weise mit einer sanften Koda in der Tonart D-Dur.

Literatur

  • Renate Ulm: Johannes Brahms, Das symphonische Werk, Bärenreiter, ISBN 3-7618-1264-7

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