Ethnische Gruppe

Ethnische Gruppe

Ethnie (die ethnische Gruppe) oder Ethnos (von griechisch ἔθνος, ethnos, „Volk“) ist ein Begriff aus der Ethnologie. Völkerkundler (Ethnologen) fassen mit diesem Begriff benannte Populationen von Menschen zusammen, die Herkunftssagen, Geschichte, Kultur, die Verbindung zu einem spezifischen Territorium und ein Gefühl der Solidarität miteinander teilen.[1]

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Das griechische Wort éthnos beschreibt die Abgrenzung seiner selbst eigentümlicher Traditionen durch Selbst- und Fremdzuweisung. Ethnische Gruppierungen definieren sich entweder aus der gemeinsamen Vergangenheit oder durch eine gemeinsame Zukunftsperspektive. Die Gemeinsamkeit zeigt sich in Tradition, Sprache, Religion, Kleidung oder Lebensmitteln. Die sich mit Ethnien befassenden Wissenschaften sind die Ethnologie, die Völkerkunde, die Europäische Ethnologie (Volkskunde), die Kulturanthropologie/Sozialanthropologie, Religionsethnologie sowie die Ethnosoziologie und die Sozialgeographie. Als Ausweichbegriff und zur Präzisierung zum Volksbegriff bezeichnet „Ethnos“ in Abgrenzung zum politischen Volksbegriff Demos einen ethnischen Volksbegriff.[2]

Der Begriff Ethnie ist teilweise dem der Volkszugehörigkeit und der Kulturnation verwandt. Beispiele sind europäische Ethnien – wie die Deutschen, die Russen oder asiatische Ethnien – wie die Turkvölker oder die Chinesen. Ob die Indogermanen (Indoeuropäer) einer gemeinsamen Ethnie zugeordnet werden können bzw. hierfür Ethnie als Oberbegriff einer höheren Ordnung einer Gruppe verwendet werden kann, ist umstritten.

Adjektiv ethnisch

Während die Begriffe Volk und Ethnie weiterhin im aktuellen Wortschatz vorkommen, bietet sich im wertfreien Zusammenhang nur das entsprechende Adjektiv ethnisch an. Das Wort völkisch hat durch den historischen Gebrauch eine abweichende Bedeutung erlangt. So hat sich die Verbreitung des Begriffs Ethnie in der deutschen Sprache als Entsprechung zu seinem Adjektiv ethnisch vollzogen.

Das Adjektiv ethnisch wird verwendet, um eine Volks- oder Volksgruppenzugehörigkeit von dem einer bloßen Staatsbürgerschaft zu unterscheiden, die verschieden sein kann. So sind nicht alle Staatsbürger Finnlands, Frankreichs, Deutschlands, Russlands, usw. auch ethnische Finnen, Deutsche, Franzosen, usw. und umgekehrt, sondern wohnen auch außerhalb ihrer Nationalstaaten.

Ebenso wird mit dem Begriff ethnisch dargestellt, dass nicht nach linguistischen Gesichtspunkten gruppiert wird. So benutzen möglicherweise verschiedene ethnische Gruppen die gleiche Sprache, (s. Einwanderungsländer USA, Kanada, usw.) selbst die gleiche Muttersprache. Andererseits gibt es zumeist innerhalb der Sprache einer Ethnie starke Dialektunterschiede.

In Analogie zum angloamerikanischen Sprachgebrauch werden auch solche Kulturen und Kulturelemente ethnisch genannt, die in einer westlichen bzw. in der globalen Zivilisation als Überreste von Urbevölkerungen und deren Traditionen lebendig sind. Beispiel hierfür sind die indianischen Ureinwohner Nordamerikas, die sich als Angehörige einer „Indianischen Nation” („Indian Nation”) und damit einer gemeinsamen Ethnie verstehen. Entsprechendes gilt für die Ureinwohner Australiens.

Ethnische Gruppe

Meist ist die Selbstidentifikation mit der eigenen ethnischen Gruppe so stark, dass sie dem handelnden Individuum als völlig selbstverständlich, gar natürlich erscheint. Es ist dieses kollektive Gefühl des Einander-zugehörig-Seins bzw. Anders-Seins, das für die Konstitution einer ethnischen Gruppe ausschlaggebend ist. Das Konzept der kulturellen Differenzierung zwischen dem "Wir" und den kulturell "Anderen" nennt man Ethnizität. Ethnische Gruppen haben weniger etwas mit unveränderlicher Faktizität zu tun, als vielmehr mit der Innen- und Außensicht von Kollektiven. Es gibt auf der Welt eine Vielzahl ethnischer „Wir-Gruppen“, die einer Vielzahl von anderen ethnischen Gruppen gegenüberstehen. Allerdings sind diese Gruppen und ihr Verhältnis zu den „Anderen“ keine unveränderlichen biologischen Tatsachen. Ethnische Gruppen sind sozial konstruiert und ihre Grenzen verändern sich im Lauf der Zeit. Dies unterscheidet das Ethnizitätskonzept wesentlich vom überholten Konzept menschlicher Rassen, das von einer physischen, biologischen Differenzierung der Menschheit ausgeht. Ethnische Gruppen können beispielsweise miteinander verschmelzen (vgl. die Mestizen in Südamerika) oder sich durch einen Konflikt abspalten (vgl. die Entstehung der heute oft als eigene ethnische Gruppe betrachteten Schiiten durch den Kampf um die Nachfolge des Propheten Mohammed im 7. Jh nach Christus).

Das Verhältnis zwischen ethnischen Gruppen kann aufgrund der jeweiligen politischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten verschieden sein. Die ethnische Zugehörigkeit ihrer Mitglieder kann in einer Gesellschaft, die ethnisch niemals homogen ist, nebensächlich sein oder aber von essentieller Bedeutung für die soziale Stellung des Individuums. Kulturelle und ethnische Identität bilden sich in Abgrenzung zu den „Anderen“. Dies kann auch zu Ethnozentrismus – die Interpretation der Umwelt durch die Maßstäbe der eigenen Gruppe – und Xenophobie – Angst vor Fremdem führen. Ethnozentrismus und Xenophobie kommen oft ins Spiel im Zusammenhang mit politischen Debatten zur Migration.

Im Deutschen wird für ethnische Gruppe auch oft der Begriff „Volksgruppe“ gebraucht. Oft leben verschiedene Volksgruppen in einem Staatsgebiet. Beispielsweise bestand der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn im 19./ 20. Jh. aus verschiedenen Ethnien (Deutschsprachige, Ungarn, Slowenen, Bosniaken, Kroaten, Italienern, usw.). Das gilt auch heute noch für die Schweiz, die keine ethnische Einheit bildet, sondern aus verschiedenen ethnischen Gruppen (deutsch-, französisch-, italienisch-, rätoromanischsprachige Schweizer) besteht. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass so gut wie kein Staat ethnisch homogen ist. Besonders heterogen sind Staaten, deren Existenz und willkürliche Grenzziehung auf die Kolonialzeit zurückgehen, so zum Beispiel die Staaten Süd- und Mittelamerikas, Afrikas, Asiens und Polynesiens (z. B. Indonesien).

Zusammensetzung

Ethnische Gruppen sind niemals homogen, auch wenn sie oft so wahrgenommen werden. Die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer ethnischen Gruppe ist vielschichtig und im Kontext von Migration und diasporischen Realitäten manchmal auch nicht eindeutig. Neue ethnische Gruppen können sich beispielsweise im Zuge von Konflikten bilden, oder auch durch Migration. Als jüngeres Beispiel der Geschichte kann man die Afroamerikaner erwähnen, eine sehr heterogene ethnische Gruppe, die überhaupt erst aufgrund der Ereignisse der letzten 500 Jahre entstehen konnte. So zum Beispiel auch die in Jamaika lebenden Maroons, deren Ursprung auf geflüchtete Sklaven zurückgeht, die aus Westafrika in die Karibik verschleppt wurden.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. A. D. Smith The Ethnic Origins of Nations, Oxford 1986, S. 32, zitiert in Peter B. Golden An Introduction to the History of the Turkic Peoples, S. 1
  2. Emerich K. Francis, Ethnos und Demos. Berlin 1965. Vgl. auch: Heckmann, Friedrich(1991): Ethnos, Demos und Nation bzw. Heckmann: [1] sowie Wolfram Stender: Ethnische Erweckungen. Zum Funktionswandel von Ethnizität in modernen Gesellschaften – ein Literaturbericht. In: Mittelweg 36, 24.6.2000 [2]

Weblinks

Quellen


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