Akute Belastungsstörung

Akute Belastungsstörung
Klassifikation nach ICD-10
F43.0 Akute Belastungsreaktion
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Die Akute Belastungsreaktion (Abk.: ABR, engl.: Acute Stress Disorder, Abk.: ASD) ist die Folge einer extremen psychischen Belastung, für die der Betroffene keine geeignete Bewältigungsstrategie besitzt. Gleichbedeutend wird teilweise der Begriff akute Belastungsstörung verwendet, dies wird jedoch wiederholt kritisiert, da die akute Belastungsreaktion ausdrücklich keine Störung im Sinne einer Erkrankung darstellt und folglich auch nicht als solche bezeichnet werden sollte (siehe unten, ugs. Nervenzusammenbruch). Im Allgemeinen ist diese Krisensituation mit der Konfrontation mit körperlicher oder seelischer Gewalt gegen sich selbst oder Andere oder einer Verlustsituation verbunden.

Häufige Auslöser einer akuten Belastungsreaktion sind der Tod eines Angehörigen, das Erleben von Unfällen oder das Erfahren von Gewalt. Abhängig von der individuellen Konstitution des Betroffenen können aber auch objektiv weniger einschneidende Erlebnisse zu einer Akuten Belastungsreaktion führen.

Die Akute Belastungsreaktion, die in der WHO-Klassifikation der Erkrankungen (International Classification of Diseases, aktuelle Version ICD-10) als F43.0 kodiert wird, hat zunächst keinen Krankheitswert, sondern ist eine normale Reaktion der menschlichen Psyche auf eine außergewöhnliche Erfahrung.

Inhaltsverzeichnis

Ähnliche Begriffe

  • akute Krisenreaktion
  • Kriegsneurose (combat fatigue, „Shellshock“)
  • Krisenzustand
  • psychischer Schock
  • umgangssprachlich: „Schock“, „Nervenzusammenbruch“

Verlauf

Der Beginn der Akuten Belastungsreaktion setzt üblicherweise mit dem Erleben der belastenden Situation ein und dauert Stunden bis Tage, in seltenen Fällen Wochen. Dabei unterscheiden sich die Symptome in der Akutphase von denen der anschließenden Verarbeitungsphase. Halten die unten genannten Symptome der Verarbeitungsphase länger als 4 Wochen an und liegt dadurch eine psychische oder soziale Beeinträchtigung vor, so spricht man von einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), bei der es sich um eine therapiebedürftige Erkrankung handelt.

Symptome

In der Akutphase - also im so genannten peritraumatischen Zeitraum - ist vor allem eine Betäubung der betroffenen Person auffällig. Sie scheint wichtige Aspekte der Situation nicht zu bemerken oder führt Handlungen durch, die unangebracht oder völlig sinnlos erscheinen (Bewusstseinseinengung, Wahrnehmungs- und Reizverarbeitungsstörung, Desorientiertheit). Außerdem kommen dissoziative Symptome vor, also das Gefühl, nicht man selbst zu sein oder alles wie durch einen Filter oder eine Kamera zu erleben (Depersonalisation, Derealisation). Meistens am eindrucksvollsten für den Außenstehenden sind die starken emotionalen Schwankungen des Menschen, der eine Akute Belastungsreaktion erlebt. Ausgeprägte Trauer kann sich innerhalb kurzer Zeit mit Wut oder Aggression oder scheinbarer Teilnahmslosigkeit abwechseln. Begleitet werden können die oben genannten Zeichen von einer vegetativen Reaktion, also von allgemeinen Stressreaktionen wie Schwitzen, Herzrasen oder Übelkeit.

In der nachfolgenden Verarbeitungsphase verändern sich die Beschwerden, nehmen normalerweise im Verlauf der Verarbeitung ab und verschwinden üblicherweise völlig. In dieser Verarbeitungsphase kommt es oft zu einem Wiedererleben (Intrusion) der Ereignisse, also dem Eindringen des Erlebten in den Alltag. Das kann in Form von Albträumen oder auch als sich aufdrängende Erinnerungen (Flashbacks) geschehen. Diese Flashbacks werden häufig von Wahrnehmungen, die an die belastende Situation erinnern, ausgelöst („getriggert“). Besonders häufig sind dies Gerüche oder Geräusche, zum Beispiel der Geruch von verbranntem Fleisch oder der Lärm eines Autounfalls. Häufige Folge dieses Wiedererlebens ist ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten, zum Beispiel fährt der Betroffene nach einem Verkehrsunfall zunächst nicht mehr dieselbe Strecke wie vorher. Außerdem kann es zu emotionaler Verflachung kommen, also zu einer eingeschränkten Empfindungsfähigkeit. Letztlich findet sich häufig ein erhöhtes Erregungsniveau (Arousal) mit Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit oder Reizbarkeit.

Umgang mit Betroffenen

Die wichtigsten Sofortmaßnahmen sind das Wegbringen des Betroffenen aus dem Gefahrenbereich und das Herstellen einer geschützten Umgebung.

Die Akute Belastungsreaktion ist keine Erkrankung und bedarf daher im medizinischen Sinne keiner Therapie. Insbesondere die Gabe von Beruhigungsmitteln ist obsolet. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Einnahme von Benzodiazepinen im peritraumatischen Zeitraum die Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung begünstigt (Lit.: American Psychiatric Association, 2004). Ob selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wie Fluoxetin eine Möglichkeit zur pharmakologischen Einflussnahme darstellen, ist zurzeit noch nicht gesichert.

Um der Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung vorzubeugen, gibt es Präventionsansätze: Im Rettungswesen oder bei der Arbeit der Polizei können in den meisten Regionen zur Betreuung von Angehörigen, Unfallzeugen und anderen Betroffenen psychologisch geschulte Mitarbeiter von so genannten Kriseninterventionsteams (KIT) nachgefordert werden, die eine Krisenintervention im Rettungsdienst durchführen. Für Einsatzkräfte, die unter dem Einfluss eines belastenden Einsatzes stehen, gibt es gesonderte Dienste, die Stressbewältigung nach belastenden Ereignissen (SbE), durchgeführt von Einsatznachsorgeteams (ENT).

In Fällen, in denen das nicht möglich ist, können Laien oder sonstige Einsatzkräfte vor Ort eine Basiskrisenintervention durchführen. Begünstigend wirken Zuwendung und ein fester Ansprechpartner, da Studien gezeigt haben, dass Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation hilflos und alleine fühlen, eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Akuten Belastungsreaktion aufweisen (Lit.: Elklit/Brink, 2003). Es wird davon ausgegangen, dass eine behutsame Aktivierung der Betroffenen mit dem Ziel, die durch das Erleben des auslösenden Ereignisses aufgezwungene Opferrolle zu verlassen, hilfreich ist. Im Falle eines Todesfalls als Auslöser wird hierfür vor allem die Möglichkeit zur zeitnahen Abschiednahme befürwortet (Lit.: Trappe, 2001). Ein wichtiger Ansatzpunkt ist das soziale Netz, das sich aus Familie und sozialem Umfeld des Betroffenen sowie aus professionellen Beratungs- und Hilfsangeboten zusammensetzt und eine weitere Versorgung gewährleistet. Diese Maßnahmen sollen die Handlungsfähigkeit wieder herstellen und die Situation meistern helfen, um die traumatische Situation in die eigene Biographie zu integrieren und das Ereignis verarbeiten zu können. Über den Nutzen der genannten Präventionsmaßnahmen gibt es über die subjektive Steigerung des Wohlbefindens bei den Betroffenen hinaus kaum wissenschaftliche Nachweise.

Literatur

Weiterführende Artikel


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