Flugsicherheitsgesetz

Flugsicherheitsgesetz

Das Luftsicherheitsgesetz ist ein deutsches Bundesgesetz, das Flugzeugentführungen, terroristische Anschläge auf sowie Sabotageakte gegen den Luftverkehr verhindern und dadurch die Luftsicherheit erhöhen soll.

Am 15. Februar 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes gegen das Grundrecht auf Leben (Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz) und gegen die Menschenwürde (Artikel 1 Grundgesetz) verstößt und deshalb in vollem Umfang verfassungswidrig und nichtig ist.

Basisdaten
Titel: Luftsicherheitsgesetz
Abkürzung: LuftSiG
Art: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Bundesrepublik Deutschland
Rechtsmaterie: Gefahrenabwehrrecht
FNA: 96-14
Datum des Gesetzes: 11. Januar 2005 (BGBl. I S. 78)
Inkrafttreten am: 15. Januar 2005
Letzte Änderung durch: Art. 9a G vom 5. Januar 2007
(BGBl. I S. 2, 7)
Inkrafttreten der
letzten Änderung:
24. Januar 2007
(Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG)
Bitte beachten Sie den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung.

Inhaltsverzeichnis

Allgemein

Das Luftsicherheitsgesetz wurde am 11. Januar 2005 als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben erlassen. Es ist am 15. Januar 2005 in Kraft getreten.

Das Luftsicherheitsgesetz berücksichtigt die Vorschriften der Verordnung (EG) 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt vom 16. Dezember 2002, dient nach dem Willen des Gesetzgebers aber vor allem dazu, die Befugnisse und Zuständigkeiten für die Luftsicherheit übersichtlicher und klarer zu regeln als bisher. Gewünscht war außerdem die ausdrückliche Regelung der Amtshilfe durch die Streitkräfte. Diese Regelung wurde aber vom Bundesverfassungsgericht weitgehend als verfassungswidrig eingestuft (zum Urteil siehe unten).

Forciert wurde die Verabschiedung des Luftsicherheitsgesetzes durch einen Zwischenfall im Frankfurter Luftraum. Dort war am 5. Januar 2003 der "Irrflieger" Franz-Stephan Strambach mit einem Motorsegler über den Wolkenkratzern des Frankfurter Bankenviertels gekreist und hatte gedroht, sein Flugzeug in eines der Hochhäuser stürzen zu lassen. Mit dem kleinen Segler hätte der Pilot, der niemals eine gültige Pilotenlizenz besaß, vermutlich keinen großen Schaden anrichten können, die Bundesregierung erkannte aber dennoch raschen Handlungsbedarf. Noch im Jahr 2004 brachte sie das Gesetz auf den parlamentarischen Weg.

Das Luftsicherheitsgesetz hat vorrangig den Zweck, Attentate wie die Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA in Deutschland zu verhindern. Dazu ermächtigte und verpflichtete das Gesetz die Luftsicherheitsbehörden, die Fluggesellschaften und die Flughafenbetreiber, bestimmte Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen.

Das Gesetz erlaubte als äußerste Maßnahme eine „unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt“ gegen ein Flugzeug, „wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie [die Maßnahme] das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist“ (§ 14 Absatz 3).

Diese „Abschussbefugnis“ bestand auch dann, wenn sich an Bord des Flugzeugs unbeteiligte Personen, beispielsweise entführte Passagiere, befinden. Das Leben der Unbeteiligten an Bord sollte auf Grundlage des § 14 Absatz 3 zu Gunsten des Lebens anderer Menschen am Boden geopfert werden.

Das Luftsicherheitsgesetz war deshalb politisch, rechtlich und ethisch umstritten.

Bundespräsident Horst Köhler ließ das Gesetz von den Juristen des Bundespräsidialamtes länger als üblich prüfen. Er hatte „erhebliche Zweifel“ daran, dass das Gesetz mit dem grundrechtlich garantierten Recht auf Leben vereinbar ist. Trotz seiner Bedenken unterzeichnete Köhler das Luftsicherheitsgesetz schließlich, regte aber zugleich dessen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht an.

Änderung im Rahmen des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes

Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz vom 5. Januar 2007 hat dem Luftsicherheitsgesetz (Art. 9a des TBEG) eine Kompetenzerweiterung hinsichtlich der Verfassungsschutzbehörden der Länder hinzugefügt. Diese Änderung war erst im späteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum TBEG hinzugefügt worden. Dabei war allerdings übersehen worden, dass es keine Regelung zum Inkrafttreten der Änderung gab, sodass die verfassungsrechtliche Folge des Art. 82 Abs. 2 S. 2 ("...mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf des Tages [...], an dem das Bundesgesetzblatt ausgegeben worden ist") eintrat.

Regelungen

Das Luftsicherheitsgesetz regelt die Kontrolle von Personen und Sachen im Flughafen bzw. auf dem Flugplatz (§ 5), gibt vor, welche Personen auf ihre Zuverlässigkeit hin zu überprüfen sind (§ 7) und schreibt vor, welche Sicherungsmaßnahmen die Flughafen- und Flugplatzbetreiber und die Fluggesellschaften zu ergreifen haben (§§ 8–9).

Kontrolle von Personen und Fracht

Kontrolle am Flughafen Berlin-Schönefeld

Die Luftsicherheitsbehörde hat in den nicht allgemein zugänglichen Bereichen des Flughafens bzw. Flugplatzes besondere Befugnisse: Sie darf Personen durchsuchen, die sich in diesen Bereichen aufhalten oder diese betreten wollen. Außerdem darf die Luftsicherheitsbehörde Gepäckstücke durchleuchten und durchsuchen, Personen durchsuchen und Fracht und Post durchleuchten (§ 5). Die Behörde kann die Durchsuchungen entweder von eigenen Mitarbeitern vornehmen lassen oder dritte Personen, zum Beispiel das Sicherheitspersonal des Flughafens, mit der Durchsuchung beauftragen. Die dritte Person wird dann als so genannter Beliehener hoheitlich tätig.

Zuverlässigkeitsüberprüfungen

Neu geregelt wurden die Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Bediensteten an Flughäfen, Flugplätzen und bei den Fluggesellschaften. Selbst Flugpraktikanten, Flugschüler und Mitglieder von Flugsportvereinen werden durch die Luftsicherheitsbehörden überprüft.

Davon ausgenommen sind Piloten, die nur die Ultraleichtflugzeug- oder Segelfluglizenz besitzen, und Flugschüler, die diese Lizenzen erwerben wollen. Der oben genannte „Hobbypilot“ hätte sich also selbst dann, wenn das Gesetz bereits 2003 gegolten hätte, keiner Zuverlässigkeitsüberprüfung unterziehen müssen, da er über keine gültige Fluglizenz verfügte.

Personen, deren Zuverlässigkeit nicht von einer Luftsicherheitsbehörde bestätigt worden ist, dürfen die nicht allgemein zugänglichen Bereiche des Flugplatzes nur betreten, wenn sie über eine gültige Zugangsberechtigung (gültiges Flugticket) verfügen und die Kontrolle (Durchsuchen der Person und des Handgepäcks) abgeschlossen haben, aber keine Tätigkeit im Flughafen, auf dem Flugplatz oder in einem Flugzeug aufnehmen. Die Flugzeugcrew (Piloten und Flugbegleiter), das Boden- und Sicherheitspersonal, Reinigungskräfte und Warenlieferanten unterliegen einer Zuverlässigkeitsprüfung (§ 7), und können ihre Tätigkeit ohne positiv verlaufende Zuverlässigkeitsüberprüfung faktisch nicht ausüben. Piloten mit ausländischem Flugschein sind davon jedoch nicht betroffen.

Zur Überprüfung dürfen die Luftsicherheitsbehörden Auskünfte bei den Polizeivollzugs- und Verfassungsschutzbehörden, dem Bundeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Zollkriminalamt, der Birthler-Behörde sowie beim Bundeszentralregister einholen. Bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung von Ausländern können sich die Luftsicherheitsbehörden auch an die Ausländerbehörden und das Ausländerzentralregister wenden. Bestehen im Einzelfall Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen, so kann die Luftsicherheitsbehörde Auskünfte bei der Staatsanwaltschaft einholen.

Im Zeitraum vom 15. Januar 2005 bis zum 10. November 2006 wurden etwa 513.400 Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt. In 1.520 Fällen wurde die Zuverlässigkeit der betroffenen Personen verneint.[1]

Nicht zulässige Gegenstände

Das Mitführen von gefährlichen Gegenständen wird durch das Luftsicherheitsgesetz unter Strafe gestellt.

Zu den nicht zulässigen Gegenständen gehören alle Waffen aller Art, insbesondere Schuss-, Hieb- und Stoßwaffen, ferner Munition, Sprengstoff, brennbare Flüssigkeiten sowie ätzende und brennbare Stoffe (§ 11 Absatz 1).

Ebenfalls nicht zulässig ist das Mitführen von „Gegenständen, die ihrer äußeren Form oder Kennzeichnung nach den Anschein von Waffen, Munition oder explosionsgefährdeten Stoffen erwecken“, beispielsweise von Spielzeugpistolen und Laserpointern in Munitionsform.

Nicht zulässig in der Flugzeugkabine sind auch alle Gegenstände, die in der Anlage zur EG-Verordnung 2320/2002 vom 16. Dezember 2002 aufgeführt sind. Dazu gehören beispielsweise Baseballschläger, Tennis- und Badmintonschläger, alle Arten von Messern, Gartenscheren, Elektroschocker, Eispickel, Wanderstöcke, Rasiermesser, Scheren mit langer Klinge (über sechs Zentimetern), Milzbranderreger, Pockenviren und Senfgas.

Strafbar macht sich, wer einen dieser Gegenstände im Handgepäck oder am Körper mit sich führt und damit ein Flugzeug oder einen nicht allgemein zugänglichen Flughafenbereich betritt. Strafbar ist nicht nur das absichtliche oder bewusste Mitführen, sondern auch fahrlässiges Handeln. Das Strafmaß reicht von Geldstrafe bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe (§ 19).

Kostenträger

Nach § 17 Absatz 2 wurde eine Rechtsverordnung erlassen, welche die Abwälzung der entstandenen Kosten mittelbar auf den Fluggast zulässt. Abgeführt wird die so genannte Luftsicherheitsgebühr durch die Fluggesellschaften. Die aktuelle Höhe je nach Flughafen wird durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung veröffentlicht.

Rechtliche Diskussion

Das Luftsicherheitsgesetz war von Anbeginn rechtlich umstritten.

Diskutiert wird unter anderem, ob der vom Gesetz vorgesehene Einsatz der Luftwaffe mit dem Grundgesetz, das einen Bundeswehreinsatz „im Inneren“ nur in Katastrophenfällen vorsieht, vereinbar ist.

Unabhängig davon wehren sich Berufs- und Privatpiloten sowie Flugschüler gegen die umfangreichen Sicherheitsüberprüfungen, denen sie sich seit Inkrafttreten des Gesetzes unterziehen müssen. Sie halten diese Maßnahmen für unverhältnismäßig und deshalb für rechtswidrig. Ähnliches tragen die Flughafenbetreiber vor, die vermehrte Sicherheitskontrollen am Boden durchführen müssen.

Sowohl öffentlich als auch in Fachkreisen wird jedoch vorrangig die in § 14 Absatz 3 normierte „Abschusserlaubnis“ diskutiert. Es stellt sich die Frage, ob der Staat berechtigt ist, ein von Terroristen gekapertes Passagierflugzeug abzuschießen und damit (auch) Unschuldige zu töten, wenn er damit voraussichtlich anderen Menschen das Leben rettet.

Die Kritiker der „Abschusserlaubnis“ tragen vor, dass das Leben der unbeteiligten Flugzeuginsassen nicht weniger wert sei als das potenziell bedrohte Leben am Boden. Neben den rein juristischen Abwägungen liegt hier eine Form des Trolley-Problems vor, wobei aber zu beachten ist, dass die Flugzeuginsassen nicht auf Grundlage eines sicheren Geschehensablaufs, sondern immer nur eines hypothetischen Szenarios getötet würden. Zudem lasse das Grundgesetz eine Quantifizierung von Leben nicht zu. Ein einzelnes Leben sei genauso viel wert wie das Leben Tausender anderer. Insofern sei es rechtlich unerheblich, wie viele Leben am Boden durch einen Abschuss gerettet würden. Auch sei der Staat in größerem Maße dazu verpflichtet, seine Bürger nicht selbst zu töten (Abwehrpflicht gegenüber Flugzeuginsassen), als sie vor Bedrohungen durch andere Bürger beziehungsweise durch Terroristen zu schützen (Schutzpflicht gegenüber bedrohter Bevölkerung auf dem Boden).

Schließlich weisen die Kritiker darauf hin, dass niemand zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden dürfe, ohne dies nicht zumindest irgendwie veranlasst zu haben. Die Flugzeuginsassen seien aber – abgesehen von den Tätern – völlig unbeteiligt und würden im Falle eines Abschusses zum Verfügungsobjekt staatlichen Handels herabgewürdigt. Dies statuiert eine Verletzung der Menschenwürde, Art. 1 GG. Nach der Systematik des Grundgesetzes ist dies das einzige Grundrecht, welches prinzipiell keinerlei Eingriffen, Abwägungen oder Relativierungen zugänglich ist - und zwar weder in Friedenszeiten noch im Verteidigungsfall. Hierauf stützte das Bundesverfassungsgericht letztlich auch seinen Spruch.

Zuletzt meinen einige Stimmen, dass das Luftsicherheitsgesetz einen Verstoß gegen für die Bundesrepublik geltendes Völkerrecht darstellt, insbesondere gegen Artikel 3bis lit. a des Chicagoer Übereinkommens über die internationale Zivilluftfahrt und Artikel 2 Absatz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die Befürworter des Gesetzes wenden ein, dass sich die Entscheidungsträger im Ernstfall auch ohne das Gesetz auf den Grundsatz des so genannten übergesetzlichen Notstands berufen könnten. Die unbeteiligten Flugzeuginsassen seien ab dem Entführungszeitpunkt praktisch schon todgeweiht. Werde das Flugzeug nicht abgeschossen, stürben die Insassen spätestens bei seinem Absturz. Deshalb dürfe das Leben der Entführten bei der Abwägung nicht berücksichtigt werden.

Auf der anderen Seite kann der bestehende Grundsatz des übergesetzlichen Notstands aber auch als Argument gewertet werden, dass das Luftsicherheitsgesetz unnötig ist.

Verfassungsmäßigkeit des Luftsicherheitsgesetzes

Verfassungswidrigkeit des § 14 Absatz 3

(siehe dazu Hauptartikel: Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz 2005)

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelte am 9. November 2005 unter dem Aktenzeichen 1 BvR 357/05 mündlich über die Verfassungsbeschwerden von sechs Beschwerdeführern, darunter der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) und der ehemalige Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Burkhard Hirsch (FDP).

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily erklärte bei seiner Befragung durch das Gericht, dass auf das Gesetz gestützte Abschüsse von Verkehrsflugzeugen angesichts der dichten Bebauung Deutschlands praktisch nicht in Betracht kämen. Lediglich bei Angriffen mit Kleinflugzeugen sei ein Abschuss denkbar. Dies wurde von den übrigen befragten Fachleuten, darunter dem Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Klaus Peter Stieglitz, bestritten.

In seinem Urteil vom 15. Februar 2006 erklärte der Erste Senat die in § 14 Absatz 3 festgeschriebene Ermächtigung zur unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt für in vollem Umfang unvereinbar mit dem Grundgesetz und daher für nichtig. Die Verfassungswidrigkeit folgt nach dem Bundesverfassungsgericht aus drei Gesichtspunkten. Zum einen fehle dem Bundesgesetzgeber die Zuständigkeit zum Erlass eines Gesetzes, das den Einsatz der Streitkräfte im Inland zur Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen erlaube. Darüber hinaus verstoße die Abschussermächtigung gegen das Grundrecht auf Leben (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und die Garantie der Menschenwürde (Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes). Die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eines Bundeswehrpiloten, der ein entführtes Luftfahrzeug abschießt, hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen gelassen.

In der Urteilsbegründung heißt es: Die einem solchen Einsatz ausgesetzten Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden sich in einer für sie ausweglosen Lage. Sie können ihre Lebensumstände nicht mehr unabhängig von anderen selbstbestimmt beeinflussen. Dies macht sie zum Objekt nicht nur der Täter. Auch der Staat, der in einer solchen Situation zur Abwehrmaßnahme des § 14 Absatz 3 greift, behandelt sie als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.

Unter der Geltung des Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (Menschenwürdegarantie) ist es schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich in einer derart hilflosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten.

Auch die Einschätzung, dass die Betroffenen ohnehin dem Tod geweiht seien, vermag der Tötung unschuldiger Menschen in der geschilderten Situation nicht den Charakter eines Verstoßes gegen den Würdeanspruch dieser Menschen zu nehmen. Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz. Die teilweise vertretene Auffassung, dass die an Bord festgehaltenen Personen Teil einer Waffe geworden seien und sich als solcher behandeln lassen müssten, bringt geradezu unverhohlen zum Ausdruck, dass die Opfer eines solchen Vorgangs nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden. Der Gedanke, der Einzelne sei im Interesse des Staatsganzen notfalls verpflichtet, sein Leben aufzuopfern, wenn es nur auf diese Weise möglich ist, das rechtlich verfasste Gemeinwesen vor Angriffen zu bewahren, die auf dessen Zusammenbruch und Zerstörung abzielen, führt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Denn im Anwendungsbereich des § 14 Absatz 3 geht es nicht um die Abwehr von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind. Schließlich lässt sich § 14 Absatz 3 auch nicht mit der staatlichen Schutzpflicht zugunsten derjenigen rechtfertigen, gegen deren Leben das als Tatwaffe missbrauchte Luftfahrzeug eingesetzt werden soll.

Zur Erfüllung staatlicher Schutzpflichten dürfen nur solche Mittel verwendet werden, die mit der Verfassung in Einklang stehen. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Verfassungsmäßigkeit des § 8

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, welches sich als erstes deutsches Gericht mit dem Luftsicherheitsgesetz befasst hat, bescheinigte zumindest dem § 8 des Gesetzes, der die Sicherungsmaßnahmen der Flugplatzbetreiber regelt, die Verfassungsmäßigkeit. Es sah deshalb von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ab.[2]

Verfassungsmäßigkeit der Zuverlässigkeitsüberprüfung gem. § 7

Als erstes nordrhein-westfälisches Gericht hat sich das VG Minden mit der durch das Luftsicherheitsgesetz vorgeschriebenen Zuverlässigkeitsüberprüfung befasst. Diese Überprüfung geschieht nur auf Antrag des Piloten. Nachdem ein Pilot diesen Antrag trotz Aufforderung nicht gestellt hatte, widerrief die zuständige Behörde dessen Fluglizenz. Das VG Minden hält diesen Widerruf in seinem - nicht rechtskräftigen (Stand: 09. März 2007) - Urteil vom 08. März 2007, Aktenzeichen 7 K 185/06, für rechtmäßig. Insbesondere teilt es nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Pilot mit Blick auf das Zustandekommen des Luftsicherheitsgesetzes und einer Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vorgetragen hatte.[3]

Das VG Darmstadt hält dagegen die Zuverlässigkeitsüberprüfung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 LuftVG für verfassungswidrig. Es hat das Gesetz daher im Wege der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorgelegt. Die Gründe, die das Verwaltungsgericht für die Verfassungswidrigkeit anführt, liegen derzeit (Stand: 5. Juli 2007) noch nicht vor.[4]

Das VG Berlin hat offen gelassen, ob die Sicherheitsüberprüfung nach dem LuftSiG verfassungsmäßig ist (insbesondere, ob der Bundesrat dem LuftSiG hätte zustimmen müssen).[5]

Das VG Stuttgart hat zur Verfassungsmäßigkeit der Norm nicht ausdrücklich Stellung genommen, ihre Reichweite aber mit einem – noch nicht rechtskräftigen (Stand: 26. April 2007) – Urteil (Aktenzeichen 3 K 3209/06) einfach-rechtlich erheblich einschränkt. Danach dürfen Piloten, die im Zeitpunkt des Inkrafttreten von § 7 LuftSiG bereits Inhaber einer gültigen Lizenz gewesen sind, für die Dauer der Gültigkeit dieser Lizenz nicht zur Zuverlässigkeitsprüfung aufgefordert werden. Für diese Maßnahme bedürfe es einer gesetzlichen Grundlage, die nicht ersichtlich sei.[6]

Zitate

„Der Gesetzentwurf regelt in sehr engen Grenzen auch die Zulässigkeit eines Flugzeugabschusses. Es wäre unredlich und unverantwortlich, einer Klärung gerade in diesem extremen Fall auszuweichen. In einer Demokratie kann nur die Politik eine derart schwere Verantwortung übernehmen. Wir dürfen diese Last nicht den Soldatinnen und Soldaten aufbürden. Nur der Verteidigungsminister kann seinen Piloten einen entsprechenden Befehl geben.“

Bundesinnenminister Otto Schily

„Dieses Gesetz ist die Einführung des finalen Rettungstotschlags. Der Staat gibt sich das Recht, die Opfer einer Straftat zu töten, wenn der Verteidigungsminister meint, dass dies für alle besser sei.“

Ex-Bundestagsabgeordneter Burkhard Hirsch

„Es gibt Güterkollisionen, die sich einer exakten legislatorischen Beschreibung entziehen.“

Bundestagsabgeordneter Ernst Burgbacher

„Damit wird das Leben zugunsten eines anderen Lebens geopfert.“

Bundespräsident Horst Köhler

„Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.“

Das Bundesverfassungsgericht

Siehe auch

Literatur

Monografien und Kommentare

  • Alexander Archangelskij: Das Problem des Lebensnotstandes am Beispiel des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeuges. Berlin, 2005.
  • Anke Borsdorff, Christian Deyda: Luftsicherheitsgesetz für die Bundespolizei. Luebecker Medien Verlag 2005, ISBN 3-9810551-0-1.
  • Elmar Giemulla, Heiko van Schyndel: Frankfurter Kommentar zum Luftverkehrsrecht, Bd. 1.3 "Luftsicherheitsgesetz" Luchterhand Verlag 2006, ISBN 3-472-70440-3.
  • Elmar Giemulla, Heiko van Schyndel: Luftsicherheitsgesetz Luchterhand Verlag 2006, ISBN 3-472-06614-8.
  • Manuel Ladiges: Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum unter besonderer Berücksichtigung des § 14 Abs. LuftSiG und der strafrechtlichen Beurteilung der Tötung von Unbeteiligten, 557 Seiten, Duncker & Humblot Verlag 2007, ISBN 978-3-428-12436-7.

Aufsätze

  • Harald L. Weber: Essay zum Thema Luftsicherheit und Terrorismus - Hintergrund der gesetzgeberischen Tätigkeit seit dem 11. September 2001 Luftsicherheit und Terrorismus
  • Arndt Sinn: Tötung Unschuldiger auf Grund § 14 III Luftsicherheitsgesetz-rechtmäßig?, In: Neue Zeitschrift für Strafrecht 2004, S. 585 ff.
  • Manfred Baldus: Streitkräfteeinsatz zur Gefahrenabwehr im Luftraum. Sind die neuen Luftsicherheitsgesetzlichen Befugnisse der Bundeswehr kompetenz- und grundrechtswidrig? In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, S. 1278 ff.
  • Anton Meyer: Wirksamer Schutz des Luftverkehrs durch ein Luftsicherheitsgesetz? In: Zeitschrift für Rechtspolitik 2004, S. 203–207.
  • Ulrich Sittard, Martin Ulbrich: Das Luftsicherheitsgesetz. In: Juristische Schulung 2005, S. 432–436.
  • Wolfgang Mitsch: Luftsicherheitsgesetz – Die Antwort des Rechts auf den 11. September 2001. In: Juristische Rundschau 2005, S. 274–279.
  • Bodo Pieroth, Bernd J. Hartmann: Der Abschuss eines Zivilflugzeugs auf Anordnung des Bundesministers für Verteidigung. In: Juristische Ausbildung 2005, S. 729 ff.
  • Ekkehart Reimer: Die Schwäche des Rechtsstaats ist seine Stärke. Anmerkung zu BVerfG, Urt. v. 15.2.2006 (Luftsicherheitsgesetz) In: StudZR 2006, S. 601 ff.
  • Torsten Hartleb: Der neue § 14 III LuftSiG und das Grundrecht auf Leben. In: Neue Juristische Wochenschrift 2005, S. 1397 ff.
  • Wolfgang Hecker: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. In: Kritische Justiz 2006, S. 179-194.
  • Ulrich Palm: Der wehrlose Staat? Der Einsatz der Streitkräfte im Innern nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz. In: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR), 132. Bd., 2007, S. 93-113.
  • Dieter Wiefelspütz: Änderung des Art. 35 GG, »Quasi-Verteidigungsfall« oder Neuordnung der Wehrverfassung. In: Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG), 22. Jg., 2007, S. 97-134.

Weblinks

Gesetze und EG-Verordnung

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Über das Gesetz

Quellen

  1. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan Mücke, Ernst Burgbacher, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP. Bundestagsdrucksache 16/3413 vom 10. November 2006.
  2. Beschluss des OVG Lüneburg vom 3. Mai 2005, Aktenzeichen 12 MS 132/05
  3. Pressemitteilung des VG Minden vom 09. März 2007
  4. Presseerklärung des VG Darmstadt vom 28. Juni 2007, Az.: 5 E 1854/06 (3) und 5 E 1495/06 (1)
  5. Pressemitteilung Nr. 10/2007 des VG Berlin vom 28. März 2007 zu den Beschlüssen vom 2., 9. und 13. März 2007 - VG 13 A 121.06, VG 13 A 81.07 und VG 13 A 90.07
  6. Die Aufforderung an Piloten, sich aufgrund der Antiterrorgesetze einer Zuverlässigkeitsprüfung zu unterziehen, ist rechtswidrig, Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 26. April 2007
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