Franz Leopold Neumann

Franz Leopold Neumann

Franz Leopold Neumann (* 23. Mai 1900 in Kattowitz; † 2. September 1954 in Visp, Schweiz) war ein deutsch-US-amerikanischer Politologe und Jurist.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Als Student nahm Neumann an der Novemberrevolution 1918/19 teil und trat der SPD bei. Nach seiner juristischen Promotion bei Max Ernst Mayer in Frankfurt am Main 1923 war er von 1925 bis 1927 als Lehrer an der gewerkschaftseigenen Akademie der Arbeit, danach als Assistent von Hugo Sinzheimer, dem Begründer des deutschen Arbeitsrechts, tätig. 1928-1933 arbeitete er in Berlin in Sozietät mit Ernst Fraenkel als Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht. Von 1928 an lehrte er an der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin und arbeitete als Rechtsberater des Vorstands der Sozialdemokratischen Partei.

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde Neumann im April 1933 aus politischen Gründen bedroht und auch verhaftet. So schnell wie möglich, emigrierte er nach England. Dort nahm er an der London School of Economics and Political Science bei Harold Laski und Karl Mannheim ein Studium der Politikwissenschaft und der Soziologie auf, das er 1936 mit einer zweiten Promotion abschloss. Er war einer der ersten, dem die Hitler-Regierung die Staatsbürgerschaft aberkannte.

1936 siedelte er nach New York über. Am aus Frankfurt dorthin vertriebenen Institut für Sozialforschung, das damals der Columbia University angegliedert war, arbeitete er an der Seite von Theodor Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse.

Während dieser Jahre entstand auch sein Hauptwerk Behemoth, eine Strukturanalyse des Nationalsozialismus und zugleich eine US-amerikanische Pionierschrift des Power Structure Research (vgl. Charles Wright Mills Studien zur Machtelite).

Nicht zuletzt wegen finanzieller Probleme des Instituts ging Neumann 1942 nach Washington zum Office of Strategic Services (OSS), für das er einige Jahre als Deutschlandexperte tätig war, und danach als Leiter des wissenschaftlichen Zweigs der Deutschland-Abteilung ins State Department. Seine Arbeit im OSS bestand vor allem darin, die Tätigkeit der künftigen Militärregierung in Deutschland vorzubereiten. In Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Bundesrichter Robert H. Jackson und den amerikanischen Hauptankläger Telford Taylor verfasste er mehrere Anklageschriften. 1946 nahm er für die USA an den Nürnberger Prozessen teil.

Auch wenn Franz Neumanns Leitkonzept des totalitären Monopolkapitalismus hinsichtlich des allgemeinen Trends zur Bürokratisierung von Gesellschaft(en) den Einsichten der Frankfurter Schule um Adorno/Horkheimer verpflichtet blieb, so erhob er auch eigenständige politiksoziologisch empirische Studien: Beispielsweise versprach sich Neumann von einer systematischen Analyse der Nürnberger Nachfolgeprozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher einen wichtigen Beitrag „[to] contribute a great deal toward preventing in the future circumventions and violations similar to those which occurred after Versailles.[1]

1948/50 wurde er als Professor für Politikwissenschaft an die New Yorker Columbia University berufen. Daneben wirkte er an der Gründung der Freien Universität Berlin mit, wo er für den Aufbau des Instituts für Politische Wissenschaft (IfPW) verantwortlich zeichnete, als Gastprofessor tätig war und 1953 schließlich die Ehrendoktorwürde erhielt.

Neumann kam 1954 durch einen Autounfall ums Leben.

Gemeinsam mit Ernst Fraenkel und Karl Loewenstein wird Neumann zu den Gründern der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland gezählt. Sein Renommee gründet sich nicht zuletzt auf seine Totalitarismustheorie, die er etwa gleichzeitig mit derjenigen Hannah Arendts, Ernst Fraenkels und Carl J. Friedrichs entwickelte.

Werke

  • Rechtsphilosophische Einleitung zu einer Abhandlung über das Verhältnis von Staat und Strafe, Jur. Diss., Frankfurt am Main 1923.
  • Tarifrecht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts, Berlin 1931.
  • Koalitionsfreiheit und Reichsverfassung, Berlin 1932.
  • Demokratischer und Autoritärer Staat; Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-596-27361-7
  • Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt am Main 1984; ISBN 3-596-24306-8
  • Wirtschaft, Staat, Demokratie: Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-518-10892-1
  • Karl August Bettermann/Franz Neumann/Hans Nipperdey: Die Grundrechte; Frankfurt am Main 1966, ISBN 3-428-00544-9
  • Die Herrschaft des Gesetzes; Frankfurt am Main 1998; ISBN 3-518-57532-5

Literatur

  • Jürgen Bast: Totalitärer Pluralismus. Zu Franz l. Neumanns Analysen der politischen und rechtlichen Struktur der NS-Herrschaft, Mohr Siebeck 2001.
  • Sonja Buckel: Subjektivierung und Kohäsion. Zur Rekonstruktion einer materialistischen Theorie des Rechts, Weilerswist 2007, S. 80-94, ISBN 978-3-938808-29-0 (zu Neumanns Rechtstheorie im Kontext marxistischer Rechtstheorie)
  • Andreas Fisahn: Eine Kritische Theorie des Rechts. Zur Diskussion der Staats- und Rechtstheorie von Franz L. Neumann, Dissertation, Göttingen 1991, ISBN 3-86111-461-5
  • Peter Intelmann: Zur Biographie von Franz L. Neumann, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts. 1990.
  • Joachim Rückert: Franz Leopold Neumann (1900-1954). Ein Jurist mit Prinzipien, in: Der Einfluß deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung den USA und Deutschland, hgg. von M. Lutter/E. C. Stiefel/M. Hoeflich, Tübingen 1993, S. 437 - 474, ISBN 3-16-146080-4
  • Stefan Vogt: Gibt es einen kritischen Totalitarismusbegriff? Franz Neumann In: jour fixe initiative berlin (Hgn.): Theorie des Faschismus - Kritik der Gesellschaft. ISBN 3-89771-401-9 (Vogt beschäftigt sich hier mit dem Hauptwerk Behemoth und untersucht und vergleicht den Begriff des Totalitären bei Neumann, Max Horkheimer und Hannah Arendt)
  • Sascha Ziemann: Relativismus in Zeiten der Krise: Franz L. Neumanns unveröffentlichte rechtsphilosophische Doktorarbeit von 1923. In: Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, Heft 9/2007, S. 362–370 (PDF).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. In: „The War Crimes Trials“; in: World Politics, Bd. 1´(1946/49) Nr. 2, S. 135-137; namentlich erwähnt er als höchst interessant den des German tobacco king Reemtsma.

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