Frauenorchester von Auschwitz

Frauenorchester von Auschwitz

Das Mädchenorchester von Auschwitz wurde im Juni 1943 auf Befehl der SS durch die polnische Musiklehrerin Zofia Czajkowska aufgebaut.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeine Hinweise

Die Mitglieder waren weibliche Häftlinge, die durch die Aufnahme ins Orchester vor der Vernichtung durch Arbeit und vor dem Tod in den Gaskammern bewahrt wurden. Die brutale und musikliebende SS-Oberaufseherin Maria Mandl, seit Oktober 1942 inoffizielle Leiterin des Frauenlagers Auschwitz-Birkenau, war eine Befürworterin des Orchesters. Sie unterstützte die Errichtung einer besonderen Baracke (Lagerabschnitt B I b in unmittelbarer Nähe des Stacheldrahtzaunes) für die Musikerinnen. Der Block trug die Nr. 12, ab Herbst 1943 Nr. 7. In der Baracke gab es einen mit Holzdielen ausgelegten Boden und einen Ofen, um die Musikinstrumente vor Feuchtigkeit zu schützen. Josef Kramer, seit Mai 1944 Lagerkommandant, wollte vor allem, dass die Arbeitskommandos im Gleichschritt marschierten, begleitet vom Mädchenorchester. Auch wirkte ein Orchester gut, wenn SS-Größen das Lager besichtigten.

Die Musikerinnen mussten immer wieder auch Privatkonzerte geben. So ließ beispielsweise Josef Mengele, ein Liebhaber klassischer Musik, sich öfter vorspielen. An einem Sonntag musste das Orchester gemeinsam mit einem Liliputzirkus auftreten. Die Kleinwüchsigen vertrauten dem SS-Arzt, der mit ihnen scherzte und sie danach selbst in die Gaskammer führte[1]. Auch Josef Kramer bestand auf Sonderveranstaltungen. Fania Fénelon schilderte solch eine Situation, als eine Läuferin erregt die Tür aufstieß und rief:

Achtung! Mädchen, schnell! Herr Kommandant Kramer kommt! Eingefroren in ein eindrucksvolles Stillgestanden erwarten wir Kramer. Er tritt ein, begleitet von zwei SS-Offizieren... Er geht auf die für diesen Zweck aufgestellten Stühle zu, setzt sich, nimmt die Schirmmütze ab und legt sie neben sich hin... Immer noch Stillgestanden, wie es sich gehört, wenn man mit einem Offizier spricht, fragt Alma ängstlich: 'Was möchte der Herr Lagerführer hören?' 'Die Träumerei von Schumann.' Und sehr gefühlvoll fügt er hinzu: 'Das ist ein bewundernswertes Stück, das geht ans Herz.'... Entspannt hebt der Lagerführer seinen Kopf und teilt mit: 'Wie schön, wie erregend!'[2].

Immer wieder erkrankten viele Musikerinnen an Durchfall, Ödemen, Tuberkulose, Fleckfieber, Typhus, Diphtherie, Malaria etc. Wenn die Krankheit nicht sehr ansteckend war, wurde die Kranke nicht in den Häftlings-Krankenbau verlegt. Wurde doch eine Musikerin in den Krankenbau eingeliefert, verschonte die selektierende SS diese meistens.

Die Geschichte des Orchesters wurde in Romanen, Dokumentationen und Filmen sowie einer Oper verarbeitet.

Einsätze des Orchesters

Ein- und Ausmarsch

Das Orchester spielte am Tor, wenn die Arbeitskolonnen aus- und einmarschierten. Im Sommer rückten die Arbeitskolonnen zwischen 5 und 6 Uhr aus und kamen gegen 20 Uhr zurück. Im Winter maschierten sie zwischen 7 und 8 Uhr aus und kamen gegen 17 Uhr zurück.

Legende: An der Rampe

  • Behauptung (Quelle unbekannt): Auch wenn die Deportationszüge mit jüdischen Menschen aus ganz Europa ankamen, musste das Orchester spielen. Die Ankommenden sollten in Sicherheit gewiegt werden, damit sie ohne Verdacht zu schöpfen und ohne Kampf in den Tod in die nahen Gaskammern gehen würden. Während Transporte ankamen, herrschte jedoch in der Regel Blocksperre für das ganze Lager.
  • Dieser Behauptung stimmt Esther Béjarano zu.
  • Fania Fénelon bestreitet in ihrem Buch, dass das Orchester zu den Selektionen spielen musste, und nennt dies eine Legende.
  • Auch Anita Lasker-Wallfisch widerspricht der Behauptung, dass das Orchester an der Rampe spielen musste. Da der Block, in dem das Orchester untergebracht war, nahe an den Gleisen lag, ist es jedoch plausibel, dass die Ankommenden das Orchester beim Proben gehört haben.[3]
  • Im Buch von Fania Fénelon steht: „Seit dem Morgengrauen ist Blocksperre. Seit fünf Stunden sind alle Türen im Lager verriegelt, sogar bei uns. Nur die Tür des Musiksaals darf offen bleiben. Können die Menschen aus den Zügen unsere Musik hören? Wahrscheinlich hin und wieder Fetzen einer Melodie, sie schauen manchmal zu uns herüber.“[4]

Sonntagskonzerte

An Sonntagen wurden an verschiedenen Orten Konzerte für die SS-Mannschaften gegeben.

Ensemble

Anita Lasker-Wallfisch

Dirigentinnen

  • 1. Zofia Czajkowska, genannt Tschaikowska, Polin, Violine, Interpretation, sie hat sich als Nachkommin des Komponisten Peter Iljitsch Tschaikowski ausgegeben
  • 2. Alma Rosé, Violinvirtuosin, Österreicherin, Tochter des jüdischen Konzertmeisters an der Wiener Hofoper Arnold Rosé und Nichte des Dirigenten und Komponisten Gustav Mahler
  • 3. Sonia Vinogradovna, Piano, (nichtjüdische) Russin

weitere Mitglieder

  • Esther Béjarano, Akkordeon
  • Fania Fénelon, Piano und Gesang, Französin
  • Helena Dunicz-Niwińska, Polin
  • Anita Lasker-Wallfisch, Violoncello, Deutsche
  • Hélène Scheps Violine, Belgierin
  • Violette Jacquet, Französin
  • Ewa Stojowska, Piano und Gesang, Polin
  • Flora Schrijver, Akkordeon, Holländerin
  • Lili Assael and Yvette Assael, Accordeon und Bass, Griechin
  • Julie Stroumsa, Violine, Griechin
  • Fanny Birkenwald, Mandoline, Belgierin
  • Hélène Rounder, Violine und Interpretation, Französin
  • Lily Máthé, Violine, Ungarin
  • Eva Steiner, Gesang, Ungarin
  • Lola Kroner, Flöte, Deutsche
  • Else Felstein, Violine, Belgierin
  • Margita Švalbova, Tschechin
  • Lotte Lebeda, Sängerin, Tschechin
  • Rhejnhardya Schgaethjain, Zupfinstrumente, Rumänin
  • Haningya Kleifka-Wick, Xylophon, Polin
  • Philippa Schleuterstein, lebte zuletzt in Neumünster und Kiel, Sprechgesang
  • Rachela Zelmanowicz (Olewski), Mandoline, Polin
  • Hilde Grunbaum (Simche), Notenschreiberin, Deutsche
  • Rivka Kupfeberg (Bacia), Polin
  • Clara, Französin, Sängerin (alt)
  • Florette, Violinistin, Belgierin
  • Clara Wagenberg/Tamar Berger, geb. 1. Dezember 1923 (Dessau), gest. 1993 in Haifa (Haifa, Israel), Deutsche, Flötistin[5]
  • Sylvia Wagenberg/Schulamith Khalef, geb. 11. Juni 1928 (Dessau), gest. 15. August 2003 (Tel Aviv, Israel), Deutsche, Flötistin

Heute (Stand 2008) sind Esther Béjarano, Hilde Grunbaum (Simche), Rivka Kupfeberg (Bacia) und Anita Lasker-Wallfisch die letzten Überlebenden des Mädchenorchesters.

Literatur

  • Fania Fénelon: Das Mädchenorchester in Auschwitz, ISBN 3423132914 (Autobiographischer Roman)
  • Esther Béjarano/Birgit Gärtner: Wir leben trotzdem, Esther Béjarano - vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Künstlerin für den Frieden, ISBN 3891443536
  • Richard Newman/Karen Kirtley: Alma Rosé, Wien 1906 – Auschwitz 1944
  • Anita Lasker-Wallfisch: Ihr sollt die Wahrheit erben - Die Cellistin von Auschwitz - Erinnerungen, ISBN 3499226707
  • Gerlinde Haas: Gehorchen, um zu überleben
  • Margita Schwalbova: Elf Frauen in Wahrheit

Medien

Film

  • Esther Béjarano und das Mädchenorchester von Auschwitz, Film von Christel Priemer 1992
  • Playing for Time - Spiel um Zeit - Das Mädchenorchester in Auschwitz, Spielfilm USA 1980

Oper

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Fénelon S. 304 ff.
  2. Fénelon, S. 138 ff.
  3. Aussage von Anita Lasker-Wallfisch bei einem Gespräch in Traun am 29. September 2007.
  4. Fania Fenélon: Das Mädchenorchester in Auschwitz. S. 273.
  5. vgl. Werner Grossert: Carla und Sylvia Wagenberg - Zwei Dessauer jüdische Mädchen im "Mädchenorchester" des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, Sonderheft der Dessauer Chronik, Dessau 2007

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