- G8-Gipfel in Genua
-
Der G8-Gipfel in Genua war ein Treffen der Gruppe der Acht in der italienischen Stadt Genua. Der insgesamt 27. G8-Gipfel fand vom 18. bis zum 22. Juli 2001 statt. Er wurde von schweren Auseinandersetzungen zwischen der italienischen Polizei und Globalisierungskritikern, bei denen ein Mensch starb und hunderte Personen verletzt wurden, überschattet. Die juristische Aufarbeitung dauert bis heute an.
Inhaltsverzeichnis
Hintergrund
Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte die G8 zum Treffen in Genua geladen. Die Staats- und Regierungschefs tagten im zentral gelegenen Palazzo Ducale. Im Vorfeld des Gipfels fand ein Treffen der Finanzminister am 7. Juli sowie eine zweitägige Konferenz der Außenminister statt, beide in Rom. Hauptthema der Konferenz waren Strategien zur Bekämpfung der Armut in der Welt.[1] Im Rahmen des Gipfels wurde der Global Fund to fight AIDS, Tuberculosis and Malaria gestiftet[2]. Die Teilnehmer stimmten in der Aussage überein, dass eine weitere Liberalisierung des Welthandels eine wichtige Maßnahme gegen Armut sei. Kritik äußerte sich an den Vereinigten Staaten, die eine Ratifizierung des Kyoto-Protokolls weiter ablehnten.[3]
Teilnehmer
Gäste
Von folgenden Staaten und Organisationen haben Vertreter am Gipfel teilgenommen:[5]
- Algerien
- Bangladesch
- El Salvador
- Mali
- Nigeria
- Südafrika
- Vereinte Nationen
- Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
- Weltgesundheitsorganisation
- Welthandelsorganisation
- Weltbank
Proteste
Vorbereitungen
Aufgrund der Erfahrungen mit früheren organisierten Protesten, vor allem beim zurückliegenden EU-Gipfel in Göteborg im Juni des gleichen Jahres, wurden strenge Maßnahmen ergriffen, um „die Proteste friedlich zu halten“. Italien setzte für die Zeit des Gipfels das Schengener Abkommen außer Kraft und ließ sämtliche Grenzen lückenlos überwachen. In Genua selbst wurden 20.000 Polizisten und Carabinieri zusammengezogen. In den Medien und von einigen Politikern wurde vor „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ gewarnt.
Eine Maßnahme zur Gewährleistung der Sicherheit der Gipfelteilnehmer war die Einteilung der Stadt in zwei Zonen. Eine rote Zone wurde mit meterhohen Zäunen abgeriegelt. Sie umfasste den Stadtkern und das gesamte Hafengebiet und war für die Dauer des Gipfels unter keinen Umständen betretbar. Eine weitere, gelbe Zone konnte nur mit eigens von der Stadtverwaltung ausgegebenen Ausweisen (beispielsweise für Anwohner) betreten werden.
Straßen und Autobahnen wurden, teils mit Hilfe von Straßensperren (Checkpoints), kontrolliert; Hafen und Bahnhöfe wurden geschlossen, wie auch der Flughafen, auf dessen Gelände Flugabwehrraketen aufgestellt wurden. Letztere Maßnahme war gegen mögliche terroristische Anschläge gerichtet, vor denen der italienische Geheimdienst mehrfach gewarnt hatte.
Des Weiteren wurden Geräte zur Störung (Jamming) des Mobiltelefonverkehrs in Bereitschaft gehalten und sämtliche Zugänge zur Kanalisation in der Umgebung der roten Zone versiegelt.
In dieser angespannten Situation beschlossen viele Genueser ihre Geschäfte zu schließen und die Stadt zu verlassen.
Im Vorfeld des Gipfels kam es zu zahlreichen Bombenalarmen, dessen Großteil sich jedoch als Fehlmeldung erwies[6]. Eine Briefbombe verletzte einen Carabinieri[7] und eine weitere Bombe die Sekretärin des Journalisten Emilio Fede[8].
Eskalation
Die italienische Polizei griff gegen die Globalisierungskritiker insgesamt äußerst hart durch, ließ eine große Zahl festnehmen, verletzte viele zum Teil schwer und brachte viele Demonstranten ins Bolzaneto-Gefängnis. Siehe auch Bolzaneto-Prozess.
Am Mittag des 20. Juli eskalierte die Situation in Genua. Ein Demonstrationszug der Disobbedienti und anderer linker Gruppen wurde von der Polizei mit Tränengas attackiert. Viele der 20.000 in einer schmalen Straße eingeschlossenen Menschen versuchten zu flüchten, zahlreiche andere antworteten auf die Angriffe der Carabinieri mit Steinwürfen. Bei den anschließenden Auseinandersetzungen in den Seitenstraßen wurde der 23jährige Carlo Giuliani von dem 20-jährigen Carabiniere Mario Placanica durch einen Kopfschuss getötet. Giuliani soll sich zuvor mit einem Feuerlöscher auf die Heckscheibe des Carabinierifahrzeuges zubewegt haben.
Der Tod von Carlo Giuliani wird in Teilen der globalisierungskritikischen Bewegungen als Mord angesehen. Der Polizist, ein erst 20-jähriger Wehrpflichtiger, berief sich dagegen auf Notwehr und wurde in einem umstrittenen Prozess freigesprochen. Bis heute sind viele Fragen zum genauen Ablauf der Ereignisse offen. So wurde das Projektil, mit dem Giuliani erschossen wurde, nie gefunden bzw. untersucht. Dennoch behauptet die Staatsanwaltschaft, die tödliche Kugel sei von einem fliegenden Stein in der Luft abgeprallt und habe so Giuliani getroffen. Auch bleiben nach Auswertung des umfangreichen Bildmaterials Zweifel an der offiziellen Darstellung.
Aufarbeitung und Gerichtsverfahren
Wiederholt wurde der Verdacht geäußert, die Polizei habe verkleidete Beamte in den Schwarzen Block als Provokateure eingeschleust.[9][10] Verschiedene Augenzeugen behaupten, die Polizei sei mit großer Härte gegen friedliche Demonstranten vorgegangen, habe sich aber gegenüber dem Schwarzen Block in auffälliger Weise zurückgehalten.[10]
Im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel in Genua wurden drei Prozesse eröffnet. Im Prozess zu den Vorfällen im Gefängnis Bolzaneto sind 45 zum Großteil hochrangige leitende Polizisten wegen Beweisfälschung, Körperverletzung und Folterung von Demonstranten angeklagt worden.[11] Am 14. Juli 2008 sind 15 davon wegen brutalen Vorgehens gegen Demonstranten zu Gefängnisstrafen von fünf Monaten bis fünf Jahre verurteilt worden, während 30 Angeklagte freigesprochen wurden.[12] Die Höchststrafe erhielt dabei der für die Sicherheit in dem Gefängnis verantwortliche Beamte Antonio Biagio Gugliotta. Die Hauptverhandlung über polizeiliche Gewalt in der Diaz-Schule, wo viele Globalisierungsgegner übernachteten, steht noch aus. Daher droht dieses Verfahren wegen besonderer Verjährungsregelungen im italienischen Recht eingestellt zu werden, da in Italien im Unterschied zu anderen europäischen Rechtssystemen die Verjährung durch ein Verfahren nicht gehemmt wird. Darüber hinaus kann ein zur Zeit diskutierter Gesetzentwurf dafür sorgen, dass Prozesse, die sich auf die Zeit vor Mitte 2002 beziehen, ein Jahr ausgesetzt werden. In dem Prozess ging es um Vorfälle in einem Zeltlager der Gipfelgegner und in einer Polizeikaserne, in die festgenommene Demonstranten gebracht worden waren. Allein in dem Lager auf dem Gelände einer Schule wurden 73 Demonstranten verletzt. Es wird damit gerechnet, dass die Verurteilten Berufung einlegen.[13][14][15]
Nach Bekanntwerden von Strafforderungen der Staatsanwaltschaft gegen 25 Demonstranten fanden sich am 17. November 2007 zwischen 30.000 und 50.000[16] Menschen in Genua ein, um gegen die Forderungen der Procura di Genova zu protestieren. Der Unmut wurde zum Einen von der unerwartet hohen Strafforderung (in der Summe 225 Jahre Haft für die Angeklagten) wie auch die Unregelmäßigkeiten bei den Prozessen gegen die Sicherheitsorgane und die, sechs Jahre nach den Vorfällen, immer noch ausstehende parlamentarische Untersuchungskommission hervorgerufen. Die Demonstration verlief, gegen Befürchtungen der bürgerlichen Presse, friedlich und ohne nennenswerte Zwischenfälle[17]. Insgesamt wurde gegen 39 Demonstranten Anklage wegen „Verwüstung und Plünderung“ erhoben.
Am Donnerstag, dem 17. Juli 2008 beantragte die Staatsanwaltschaft Genua gegen 28 Polizisten zwischen drei Monaten und fünf Jahren Haft – zusammen knapp 110 Jahre. Für einen weiteren angeklagten Polizisten wird Freispruch beantragt. Der Polizist, der in einem Nachtlager der Demonstranten zwei Molotowcocktails deponiert haben soll, mit denen die Beamten später eine Provokation durch die Globalisierungskritiker zu belegen versuchten, soll die fünfjährige Haftstrafe bekommen, so die italienische Nachrichtenagentur ANSA[18].
13 Polizisten wurden am 14. November 2008 erneut zu Haftstrafen von bis zu vier Jahren verurteilt. Ein Gericht in Genua sah zum Abschluss des dreijährigen Prozesses die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs und der Körperverletzung als erwiesen an. Die verurteilten Polizisten müssen den Opfern zudem Schadensersatz leisten. 16 weitere Angeklagte sprachen die Richter dagegen frei, unter ihnen die drei Hauptverantwortlichen der Ordnungskräfte. In dem Prozess ging es um eine Razzia in einer Schule im Juli 2001. Viele der dort untergebrachten Globalisierungskritiker aus Italien und dem Ausland gaben an, sie seien im Schlaf von den Beamten angegriffen und mit äußerster Brutalität zusammengeschlagen worden. Mindestens einer der verurteilten Beamten bestätigte, dass wehrlose Personen geschlagen worden seien. Das Urteil löste im Gericht unter den betroffenen Personen heftige Reaktionen und Proteste aus; der Reporter Mark Covell, der nach dem Überfall im Koma lag, sagte, es gebe keine Demokratie in Italien.[19]
Die Vorgänge um den G8-Gipfel in Genua wurden von Amnesty International scharf verurteilt. Die internationale Organisation sprach von „massiven Verstößen gegen die Menschenrechte”.[20] Weiterhin sprach Amnesty von der „größten Außerkraftsetzung von demokratischen Rechten in einem westlichen Land nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs“.[21]
Medien
Die Ereignisse in der Polizeikaserne und die Gerichtsverfahren veranlassten die britische Zeitung The Guardian zu der Aussage: „Genoa tells us that when the state feels threatened, the rule of law can be suspended. Anywhere.“ (Genua sagt uns, dass, wenn der Staat sich bedroht fühlt, die Regeln der Gesetze außer Kraft gesetzt werden können – überall.)[22]
Die Dokumentation Die Story - Gipfelstürmer des WDR vom 24. Juli 2002 belegt mit zuvor unveröffentlichten Bilddokumenten die Menschenrechtsverletzungen seitens der in Genua eingesetzten Sicherheitskräfte. Sie wurde mit dem Deutschen Fernsehpreis als beste Dokumentation 2002 ausgezeichnet. Außerdem produzierte der WDR das Hörspiel Genua 01 von Fausto Paravidino. Das Hörspiel erhielt den ARD Online Award 2004.
Einzelnachweise
- ↑ http://www.g8italia.it/_en/docs/KJIHGZ31.htm
- ↑ http://www.theglobalfund.org/en/about/road/
- ↑ http://edition.cnn.com/2001/WORLD/europe/07/22/genoa.oakley/index.html
- ↑ http://www.g8italia.it/_en/docs/LKJIHGZF.htm
- ↑ http://www.g8italia.it/_en/docs/QKZUPJ11.htm
- ↑ Bombenalarm -Artikel bei Repubblica.it
- ↑ Briefbombe verletzt Carabinieri - Artikel bei Repubblica.it
- ↑ Briefbombe gegen TG4 - Artikel bei Repubblica.it
- ↑ Erinnerung an Genua auf den Seiten des Deutschlandfunks
- ↑ a b Italienische Aufklärung auf den Seiten des Tagesspiegels
- ↑ taz.de: Verhandeln bis zur Verjährung der Tat, 13. Oktober 2005
- ↑ reuters: Haftstrafen für Polizisten wegen Gewalt bei G8-Gipfel in Genua, 15. Juli 2008
- ↑ de.indymedia.org: G8 Genua: Niedrige Urteile gegen Polizei Abgerufen am 15. Juli 2008
- ↑ taz.de: Verurteilte Polizisten zufrieden Abgerufen am 15. Juli 2008
- ↑ stern.de:G8-Urteile in Genua – "Suspendierung des Rechtsstaates" Abgerufen am 31. Juli
- ↑ Online-Ausgabe von La Repubblica
- ↑ Il Manifesto - Ausgabe vom 18.November 2007
- ↑ focus.de: Haftstrafen wegen Polizeigewalt beim G-8-Gipfel in Genua gefordert Abgerufen am 31. Juli 2008
- ↑ http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/4229777.stm
- ↑ http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,147546,00.html
- ↑ http://www.tagesspiegel.de/politik/international/Genua-G-8-Urteil;art123,2667104
- ↑ guardian.co.uk:The bloody battle of Genoa Abgerufen am 31. Juli 2008
Weblinks
- die story: Gipfelstürmer - Die blutigen Tage von Genua beim WDR und Dokumenation auf Google-Video
- Genua in Banden auf den Seiten von Die Zeit
- Erinnerung an Genua auf den Seiten des Deutschlandfunks
- Ein unglaubliches Puzzlespiel. Prozesse gegen Polizeiverantwortliche beim G8-Gipfel in Genua aus: ak - analyse & kritik
- Genova citta' aperta - Italienische Collage mit Interviews von Anti-G8-Aktivisten
1975 (Rambouillet) – 1976 (San Juan) – 1977 (London) – 1978 (Bonn) – 1979 (Tokio) – 1980 (Venedig) – 1981 (Ottawa) – 1982 (Versailles) – 1983 (Williamsburg) – 1984 (London) – 1985 (Bonn) – 1986 (Tokio) – 1987 (Venedig) – 1988 (Toronto) – 1989 (Paris) – 1990 (Houston) – 1991 (London) – 1992 (München) – 1993 (Tokio) – 1994 (Neapel) – 1995 (Halifax) – 1996 (Lyon) – 1997 (Denver) – 1998 (Birmingham) – 1999 (Köln) – 2000 (Okinawa) – 2001 (Genua) – 2002 (Kananaskis) – 2003 (Évian-les-Bains) – 2004 (Sea Island) – 2005 (Gleneagles) – 2006 (St. Petersburg) – 2007 (Heiligendamm) – 2008 (Tōyako)
Wikimedia Foundation.