- Gebrüder Ulrich
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Das Handwerk der Glockengießerei wurde in der thüringischen Stadt Apolda von 1722 bis 1988 betrieben.
Geläute aus der Apoldaer Produktion hängen bis heute in Kirchen auf fünf Kontinenten. Es wurden aber auch Glocken und Glockenspiele für öffentliche Gebäude gegossen. Insgesamt wurden ca. 20.000 Glocken in Apolda hergestellt.
Der letzte Guss einer Glocke fand in den 1980-er Jahren statt. In Apolda erinnern das Glockenmuseum und das Weltglockengeläut an die große Tradition des Handwerks.
Inhaltsverzeichnis
Gießerei Rose / Gebrüder Ulrich
Der erste Glockengießer, Johann Christoph Rose, war zuvor in Oßmannstedt ansässig, zog jedoch 1722 nach Apolda, um dort zwei Glocken für eine geplante Kirche zu gießen. Eine dieser Glocken hängt heute in der Apoldaer Lutherkirche. Später war auch Johann Christophs Bruder Johann Martin Rose als Glockengießer tätig.
Nach dessen Tod übernahmen 1759 zunächst Johann Georg, später auch Johann Gottlob Ulrich, Söhne des Lauchaer Glockengießers Johann Georg Ulrich, die Gießerei und führten sie unter dem Namen Gebrüder Ulrich. Es befindet sich dort das Glockenmuseum Laucha. Mit einem dritten Bruder, Johann Christoph Ulrich, der ebenfalls in die Firma eintrat, gab es schließlich Streitigkeiten, bei denen unter anderem Johann Wolfgang Goethe als Hofrat konsultiert wurde.
Wegen der qualitativ überlegenen Konkurrenz musste die Firma Gebrüder Ulrich 1902 Konkurs anmelden. Allerdings baute Heinrich Ulrich den Betrieb 1910 unter gleichem Namen wieder auf. Ihm gelang es, die die St. Petersglocke des Kölner Doms (Decker Pitter) zu gießen, die größte am geraden Joch freischwingende Glocke der Welt. Nach seinem Tod erfolgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Danach gingen die Geschäfte immer schlechter. Schließlich wurde die Gießerei 1949 von der DDR enteignet und aufgegeben.
Ein zweites Werk wurde 1912 in Kempten eröffnet, das unabhängig arbeitete. Es wurde jedoch bereits 1930 wieder aufgelöst. In Bockenem existierte ab 1918 vorübergehend die Firma Ulrich & Weule, eine Kooperation mit der Gießerei J. F. Weule.[1] Sie stellte Eisenhartgussglocken her.
Glockengießer der Familie Rose
- Johann Christoph Rose (* 1712 in Volkstedt; † 2. September 1749 in Apolda), seit 1722
- Johann Martin Rose († 29. Januar 1758 in Apolda), seit 1750
Glockengießer der Familie Ulrich
- Johann Georg Ulrich (* 1737/8 in Laucha; † 13. Oktober 1812 in Apolda), seit 1750
- Johann Gottlob Ulrich (* 1740/1 in Laucha; † 12. Januar 1825 in Apolda), seit 1763 mit 1.
- Johann Christoph Ulrich (* 1744/5 in Laucha; † 22. Mai 1812 in Apolda), seit 1767 mit 1. und 2.
- Johann Moritz Heinrich Ulrich (* 24. Juni 1821 in Apolda; † 22. Januar 1875 ebenda), 1863 Inhaber mit 5.
- Jakob Friedrich Johann Heinrich Ulrich (1. Juli 1850 in Apolda; † 25. Mai 1903 ebenda), 1884 Inhaber
- Heinrich Karl Ulrich (* 25. März 1876 in Apolda; † 12. Februar 1924 in Weimar), Neugründung 1910
- Jakob Friedrich Johann Heinrich Ulrich (1. Juli 1850 in Apolda; † 25. Mai 1903 ebenda), 1884 Inhaber
- Franz Wilhelm August Ulrich (* 1. Oktober 1825 in Apolda; † 13. September 1897 ebenda), 1863 Inhaber mit 4.
Gießerei Carl Friedrich Ulrich / Franz Schilling
1826 eröffnete Carl Friedrich Ulrich eine zweite, konkurrierende Gießerei. Sie wurde 1878 von Franz Schilling übernommen, einem Schwager Karl Richard Emil Ulrichs, der das Privileg als Hofglockengießer des Weimarer Großherzogs erhielt. Diese Glockengießerei, ab 1911 unter dem Namen „Franz Schilling Söhne“, spezialisierte sich auf Glockenspiele. Man goss dort u. a. sowohl ein Glockenspiel für die NSDAP-Ordensburg Sonthofen als auch später eine Glocke für die KZ-Gedenkstätte Buchenwald.
Während des zweiten Weltkriegs kam die Tätigkeit vollständig zum Erliegen. Danach wurde das Geschäft mühsam wiederaufgebaut. In der DDR wurde der Betrieb 1972 zum VEB Glockengießerei Apolda enteignet. Franz-Peter Schilling, der der letzte Apoldaer Glockengießer sein sollte, wurde als Direktor eingestellt. Er trat 1974 wegen der absurden Betriebsverhältnisse aus, um freischaffend weiterzuarbeiten. Bei der Rückgabe 1990 an das Ehepaar Schilling war die Gießerei bereits verfallen.
Die Kooperationsfirma Schilling & Lattermann in Morgenröthe-Rautenkranz stellte ab 1918 Stahl- und Eisenhartgussglocken her, bis am 30. November 1968 diese Gießerei abbrannte.[1] Außerdem existierte ab 1888 eine Filiale in Allenstein.
Friedrich Wilhelm Schilling, ein Enkel von Franz Schilling, war zwischen 1949 und 1971 in Heidelberg Glockengießer. Die Gießerei wurde nach seinem Tod gegen seinen erklärten Wunsch weitergeführt und schließlich 1982 mit der Glockengießerei Bachert in Karlsruhe zusammengelegt, die fortan Karlsruher Glocken- und Kunstgießerei hieß.
Glockengießer der Familie Ulrich
- Carl Friedrich Gottfried Ulrich (* 22. März 1801 in Apolda; † 22. Dezember 1848 ebenda), Begründer
- Ernst Friedrich Christian Ulrich (* 17. März 1830 in Apolda; † 2. September 1861 ebenda), Inhaber ab 1849
- Karl Richard Emil Ulrich (* 6. Juli 1835 in Apolda; † 16. Mai 1894 ebenda), Inhaber ab 1862
Glockengießer der Familie Schilling
- Franz Friedrich August Schilling (* 31. Oktober 1830 in Apolda; † 15. Januar 1926 ebenda), Inhaber ab 1878
- Otto Wolfgang Schilling (* 20. März 1882 in Apolda; † 25. August 1962 ebenda), ab 1911 Inhaber mit Franz August
- Friedrich Wilhelm Hans Kurt Schilling (* 2. September 1914 in Apolda; † 6. Juni 1971), Glockengießer in Heidelberg
- Franz August Schilling (* 2. Februar 1897 in Apolda; † 10. Oktober 1977 ebenda), ab 1911 Inhaber mit Otto Wolfgang
- Franz-Peter Schilling (* 13. Februar 1930 in Jena; † 9. September 2001 in Apolda), 1972-1974 Direktor des VEB, danach freischaffend
- Otto Wolfgang Schilling (* 20. März 1882 in Apolda; † 25. August 1962 ebenda), ab 1911 Inhaber mit Franz August
Geläute und Glockenspiele aus Apolda
- Apolda, Lutherkirche: 1 Glocke (e1), Johann Christoph Rose, 1722, älteste Glocke aus Apolda; 1 Glocke (gis1), C. F. Ulrich, 1870; 1 Glocke (cis1), Schilling Söhne, 1948.
- Berlin, St. Mauritius: 3 Glocken aus Bronze, Franz Schilling, 1892.
- Berlin, St. Mauritius: 2 Glocken aus Stahl, 1924.
- Berlin, Französischer Dom: Carillon mit 60 Glocken, Franz-Peter Schilling, 1987.
- Buenos Aires, Palacio Legislativo: Carillon: 30 Glocken; Geläut: 5 Glocken, Schilling Söhne, 1930, größtes Carillon Südamerikas.
- Dresden, Kreuzkirche: 5 Glocken (e0–g0–ais0–h0–d1), Franz Schilling, 1899.
- Dresden, Dreikönigskirche: 3 Glocken (as0–c1–es1), Franz-Peter Schilling, 1973.
- Erfurt, Dom: 3 Glocken (a0–c1–d1), Schilling Söhne, 1961.
- Erfurt, Bartholomäusturm: Carillon mit 60 Glocken, Franz-Peter Schilling, 1979.
- Köln, Dom: St. Petersglocke (c0, Ø 3220 mm, 24.000 kg), K. Richard Heinrich Ulrich, 1922, größte Glocke aus Apolda.
- Leipzig, Nikolaikirche, 6 Glocken mit einem Gesamtgewicht von 7800 kg
- Lingen (Ems), St. Josef Basilika, 4 Bronzeglocken, 1937 geliefert, 1942 abgegeben.
- Lößnitz, St. Johanniskirche: Carillon mit 23 Glocken, Schilling Söhne, 1939. Einziges Carillon mit Welte-Rollenspielautomatik.
- Lutherstadt Wittenberg, Schlosskirche: 3 Glocken (h0–d1–e1), Schilling Söhne, 1960.
- Magdeburg, Klosterkirche St. Marien: 10 Glocken, Franz-Peter Schilling, 1977.
- Nürnberg, Friedenskirche: Friedensglocke (fis0, Ø 2343 mm, 8.330 kg), Franz Schilling, 1927.
- Rom, Christuskirche: 3 Glocken, Franz Schilling, 1915.
- Satow (Mecklenburg), Dorfkirche: 1 Glocke, Franz Schilling, 1919.
- Tanunda, Tabor Lutheran Church: 3 Glocken, Franz Schilling, 1909.
- Windhoek, Christuskirche: 3 Glocken, Franz Schilling, 1910.
Literatur
- Margarete Schilling: Kunst, Erz und Klang. Die Werke der Glockengießerfamilien Ulrich/Schilling vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin, 1992
Weblinks
Einzelnachweise
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