Gemeingermanisch

Gemeingermanisch
Urgermanisch

Gesprochen in

(ausgestorben)
Linguistische
Klassifikation
Offizieller Status
Amtssprache von (ausgestorben)
Karte vorrömerzeitlicher Kultur(en), die mit dem Urgermanischen in Verbindung gebracht werden; ca. 500 v. Chr. bis 50 v. Chr. Die rosa eingefärbte Gegend südlich von Skandinavien repräsentiert die Jastorfkultur.

Das Urgermanische ist der hypothetische gemeinsame Vorläufer aller germanischen Sprachen, also die Ursprache der gesamten germanischen Sprachfamilie, zu der unter anderem die heutigen Sprachen Englisch, Deutsch, Niederländisch oder Schwedisch zählen. Da vom Urgermanischen keine Textzeugnisse erhalten sind, spricht man von einer Rekonstruktsprache, also einer Sprache, die durch die Methode der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft erschlossen wird. Die Rekonstruktion des Urgermanischen erfolgt einerseits anhand der frühest bezeugten altgermanischen Einzelsprachen Gotisch, Althochdeutsch, Altenglisch, Altsächsisch, Altnordisch, Altniederfränkisch und Altfriesisch, andererseits durch den Vergleich mit den übrigen Zweigen der indogermanischen Sprachfamilie. Das Urgermanische ist einer der Fortsetzer der indogermanischen Ursprache.

Die Sprecher dieser Sprachstufe waren Germanen in Nordeuropa. Über die Datierung des Urgermanischen lässt sich – mangels Textzeugnissen – nichts genaues sagen. Man rechnet ungefähr mit einer Zeitspanne ab 500 v. Chr. bis zur Zeitenwende.

Zu den charakteristischsten Merkmalen des Urgermanischen zählt im Bereich der Phonologie das aus der ersten Lautverschiebung erwachsene neue Obstruentensystem. Im Bereich der Morphologie können das auf Ablaut basierende System der starken Verben, die Einführung eines neuen schwachen Dentalpräteritums sowie die Einführung einer schwachen Adjektivflexion als auffällige Merkmale des Urgermanischen gelten.

Inhaltsverzeichnis

Datierung und Einordnung

Das Urgermanische wurde zum Zeitpunkt der beginnenden Auflösung der germanischen Spracheinheit gegen Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. gesprochen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass erstens die protogermanische Sprache zu diesem Zeitpunkt angesichts der Ausdehnung ihres Verbreitungsgebietes sicher bereits dialektal gegliedert war, und dass zweitens die germanische Sprache zu diesem Zeitpunkt bereits eine lange Entwicklung durchlaufen hatte, über deren Ablauf im einzelnen wenig bekannt ist. Möglich sind in der Regel nur so genannte Relativchronologien, d. h. Aussagen darüber, in welcher Reihenfolge verschiedene phonetische und morphologische Veränderungen vor sich gegangen sein müssen. Absolute Datierungen auch nur annähernder Genauigkeit sind für die Frühzeit des Germanischen hingegen kaum möglich.

Verschiedentlich wurde das Germanische mit anderen indogermanischen Sprachzweigen zu einer größeren Gruppe zusammengefasst. Vor Entdeckung des Tocharischen wurde zwischen westlich-indoeuropäischen Kentum-Sprachen und östlich-indoeuropäischen Satem-Sprachen unterschieden, wobei das Germanische mit dem Keltischen und dem Italischen zur Gruppe der Kentum-Sprachen gehörte. In der zweiten Hälfte des 20. Jh. verlor diese Annahme einer gemeinsamen „alteuropäischen Sprache“ stark an Plausibilität und Einfluss. Inzwischen werden Verzweigungsmodelle verwendet, die auch Einflüsse berücksichtigen, die sich durch räumliche Nähe und folgendem Kontakt von Sprechern minder verwandter Sprachen ergeben. Hierbei bildet das Protogermanische mit den Vorläufern der baltischen und slawischen Sprachen eine Dialektgruppe innerhalb der indogermanischen Sprachen. Das Protogermanische löste sich dann aus dieser Gruppe, wobei es möglicherwiese von einer nicht-indogermanischen Sprache beeinflusst wurde (evtl. dem umstrittenen Vaskonischen).

Erschließung

Für die Rekonstruktion des Urgermanischen geht man nicht in erster Linie von den modernen germanischen Sprachen aus, sondern von den frühesten bezeugten Sprachstufen der germanischen Sprachfamilie, da diese der Ursprache noch viel näher gestanden haben müssen.

Grundlage des Urgermanischen bilden demnach die altgermanischen Korpussprachen. Da sich diese in Form, Menge und Zeitpunkt der Überlieferung stark unterscheiden, spielen nicht alle altgermanischen Sprachen eine gleich wichtige Rolle für die Rekonstruktion. An erster Stelle stützt man sich auf das Gotische, da wir dank der Wulfilabibel gute Kenntnisse über die archaische Sprache der Westgoten im 4. Jh. besitzen. Die übrigen nord- und westgermanischen Sprachen sind erst im Mittelalter handschriftlich belegt: Althochdeutsch und Altenglisch ab dem 7. Jh., Altsächsisch ab dem 9. Jh., Altniederfränkisch ungefähr ab dem 10. Jh., Altnordisch ab dem 12. Jh. und Altfriesisch ab dem 13. Jh. Das Alter der Überlieferung sagt aber noch nicht alles über den Nutzen einer Sprache für die Rekonstruktion aus. So zeigt beispielsweise das Gotische im Gegensatz zu den späteren Sprachen (fast) keine Spuren des Vernerschen Gesetzes im Verbalbereich mehr, und bietet somit keine Hilfe bei der Rekonstruktion der urgermanischen Verhältnisse, obwohl das Gotische viel früher bezeugt ist als z. B. Althochdeutsch oder Altenglisch, welche ihrerseits das Resultat des Vernerschen Gesetzes noch deutlich zeigen.

Wichtige Hinweise für das Urgermanische liefert zudem ein mehrheitlich auf skandinavischem Boden gefundenes Korpus von Runeninschriften. Etwa ab dem 2. Jh. liegen solche Inschriften vor, die – je nach Lehrmeinung und Terminologie – sprachlich als urnordisch oder als nordwestgermanisch klassifiziert werden. Die Sprache dieser Inschriften steht der germanischen Ursprache, so wie man sie heute rekonstruiert, noch relativ nahe. Da viele Inschriften jedoch nicht eindeutig gedeutet sind oder nur aus einzelnen Wörtern oder Eigennamen bestehen, hält sich die daraus erwachsende Einsicht in Bezug auf das Urgermanische in Grenzen.

Weiteres Wissen über das Urgermanische stammt aus der frühen griechischen und lateinischen Überlieferung ( Personennamen, Ethnonyme, Einzelwörter), z. B. bei Gaius Iulius Caesar und Tacitus. Auch frühe Lehnwörter können wichtige Aufschlüsse geben. Zum einen gibt es frühe germanische Lehnwörter in nicht indogermanischen Sprachen, z. B. im Finnischen und Estnischen kuningas ‘König’, wohl von urgerm. *kuningaz. Andererseits lassen auch Lehnwörter, die (z. B. aus dem Keltischen) ins Germanische gekommen sind, gewisse Schlüsse zu.

Eine weitere wichtige Methode für die Erschließung des Urgermanischen ist der sprachgeschichtliche Vergleich mit den übrigen indogermanischen Sprachzweigen, bzw. der aus diesen Zweigen erschlossenen indogermanischen Ursprache. Auf diese Weise können etwa Aussagen darüber gemacht werden, welche Eigenschaften das Urgermanische nach seiner Ausgliederung aus dem Urindogermanischen verloren haben muss. Zu weggefallenen Merkmalen kann eine Rekonstruktion, die ausschließlich auf den altgermanischen Einzelsprachen fußt, natürlich nichts erbringen.

Phonologie

Phoneminventar

Urgermanische Vokale
Vorderzungenvokale Zentralvokale Hinterzungenvokale
geschlossen [i], [i:] [u], [u:]
mittel [e] [o:]
halboffen [æ:] (=ē1)
offen [a]

Im Urgermanischen gab es also weder ein kurzes /o/ noch ein langes /ā/. Ob es nur einen oder mehrere lange /ē/-Laute gegeben hat, ist umstritten. Häufig werden zwei unterschiedliche Phoneme angesetzt, die zur Unterscheidung als /ē1/ und /ē2/ notiert werden. Nach neuerer Forschungsmeinung handelt es sich möglicherweise nur bei /ē1/ um einen urgermanischen Langvokal (/ǣ/), bei /ē2/ hingegen um einen Diphthong[1].

Urgermanische Konsonanten
Konsonanten labial alveolar velar labiovelar
stimmlose Verschlusslaute p t k
stimmlose Frikative f þ x
stimmhafte Frikative ƀ đ ǥ ǥʷ
Nasale m n
Sibilanten z, s
Liquide, Halbvokale w r, l j

Die stimmhaften Frikativlaute standen vermutlich in allophonischem Verhältnis mit den plosiven Entsprechungen b, d, g, , weshalb die Notation mit diesen Buchstaben ebenfalls zulässig ist.

Lautliche Entwicklungen zum Urgermanischen

Zwischen dem Urindogermanischen und dem Urgermanischen stehen einige einschneidende lautliche Veränderungen. Die wichtigsten sind:

  • Festlegung des Wortakzents auf der ersten Silbe.
  • Die erste Lautverschiebung, auch Grimms Gesetz genannt. In mehreren Schritten wurden dabei die alten Verschlusslautreihen grundlegend umgebaut. Dabei entstand eine Reihe neuer Frikativlaute wie -f- oder -þ- (dentaler Frikativ, engl. th- in thunder).
  • Durch das Vernersche Gesetz wurden stimmlose Frikative in bestimmten lautlichen Umgebungen stimmhaft.
  • Alle Laryngallaute schwanden.
  • Silbischen Resonanten wurde ein -u- vorgestellt.
  • Jede /ā/ wurde zu einem /ō/ und jedes /o/ zu einem /a/, was die Abwesenheit von /ā/ und /o/ im Urgermanischen erklärt.
  • Abschwächung und Verlust von Lauten und Silben am Wortende.

Morphologie

Kategorien

Zum Urgermanischen hin hat sowohl im Nominal- als auch im Verbalbereich ein starker Kategorienabbau stattgefunden.

Von den acht indogermanischen Kasus (Fällen) sind in der germanischen Ursprache nur noch vier Hauptkasus übrig: Nominativ, Akkusativ, Genitiv, Dativ. Als fünfter Kasus ist der Instrumental zu nennen, der aber im Schwinden begriffen ist und nicht mehr in allen altgermanischen Sprachen als separate Kategorie existiert. Vom Vokativ sind einige Formen erhalten, doch ist er meistens mit dem Nominativ zusammengefallen. Die Funktionen des Instrumentals, des Lokativs und des Ablativs sind in den anderen Kasus (vor allem im Dativ) aufgegangen – ein Vorgang, den man Synkretismus nennt. An weiteren Kategorien kennt das Urgermanische die drei Numeri Singular, Dual und Plural, die drei Genera Maskulinum, Neutrum und Femininum, die drei Modi Indikativ, Konjunktiv, Imperativ, sowie die zwei Diathesen Aktiv, (Medio)passiv. Das komplexe Tempus/Aspektsystem des urindogermanischen Verbums wurde stark vereinfacht, und es blieben nur die zwei Tempora Präsens und Präteritum übrig, während Griechisch und Latein 6 oder 7 davon hatten. Jedoch:

  • haben spätere germanische Sprachen (beispielsweise Englisch) ihr Zeitensystem mithilfe von periphrastischen Konstruktionen wieder stark ausgebaut.
  • hatte die indogermanische Ursprache möglicherweise nicht wirklich so viele Verbalkategorien, da manche Kategorien wie das Futur erst einzelsprachlich entstanden sein dürften. Vgl. etwa die Imperfekt-Formen im Lateinischen auf -ba-, die sich vom urindogermanischen Verb /bʱuː/ „sein“ ableiten (ama-ba-m, wörtl. also „ich war am lieben“).
  • enthält die germanische Vergangenheit Formen des Aorists und des Perfekts, wie das lateinische Perfekt.

Neuerungen

Die zentralen Neuerungen des Urgermanischen sind:

  • Ausbau des Systems der starken Verben, wo die Flexion mit einem Zusammenwirken von distinktiven Endungen sowie von Ablaut (Binnenflexion) operiert.
  • Einführung einer neuen Kategorie von „schwachen“ Verben ohne Ablaut. Sie bilden das Präteritum mit einem Dentalsuffix, dessen Herkunft umstritten ist. Möglicherweise handelt es sich um ein Periphrase mit dem Wort tun, oder um ein Suffix idg. *-to-.
  • Einführung einer schwachen Adjektivflexion. Die schwachen Adjektivformen weisen die Endungen der substantivischen n-Stämme auf und finden in syntaktisch bestimmten Kontexten (insbesondere direkt nach dem Demonstrativpronomen) Verwendung. Vgl. dazu ein glückliches Huhn (stark) und das glückliche Huhn (schwach).

Beispielparadigmen

Als Beispielparadigma dient hier das Substantiv mit der Bedeutung ‘Gabe’, das Verb für ‘tragen’ sowie das Demonstrativpronomen ‘dieser’.

gotisch altnordisch althochdeutsch altsächsich altenglisch urgermanisch
Nom. Sg. giba gjǫf geba geƀa giefu *ǥeƀō
Gen. Sg. gibos gjafar gebā geƀa giefe *ǥeƀõz
Dat. Sg. gibai gjǫf gebu geƀu giefe *ǥeƀãi, -õi
Akk. Sg. giba gjǫf geba geƀa giefe *ǥeƀōn
Nom. Pl. gibos gjafar gebā geƀa giefa *ǥeƀõz
Gen. Pl. gibo gjafa gebōno geƀo(no) giefa, -ena *ǥeƀõn
Dat. Pl. gibom gjǫfum gebōm geƀun giefum *ǥeƀōmiz
Akk. Pl. gibos gjafar gebā geƀa giefa, -e *ǥeƀōz, -õz

(Rekonstruktionen nach Bammesberger 1990:101).


gotisch altnordisch althochdeutsch altsächsich altenglisch urgermanisch
1. Sg. Präs. baíra ber biru biru bere *ƀerō
2. Sg. Präs. baíris berr biris biris biris, -est *ƀerezi
3. Sg. Präs. baíriþ berr birit biriđ birið, -eð *ƀeređi
1. Pl. Präs. baíram berum berumēs berađ berað *ƀeramiz
2. Pl. Präs. baíriþ berið beret berađ berað *ƀeređi
3. Pl. Präs. baírand bera berant berađ berað *ƀeranđi

(Rekonstruktionen nach Bammesberger 1986:105).


mask. fem. neutr.
Sg. Nominativ *sa * *þat
Genitiv *þes(a) *þezōz *þesa
Dativ *þazmai *þezai *þazmai
Akkusativ *þanōn *þōn *þat
Instrumental *þē
Pl. Nominativ *þai *þōz *þō
Genitiv *þezōn *þezōn *þezōn
Dativ *þaimiz *þaimiz *þaimiz
Akkusativ *þanz *þōz *þō

(Nach Bammesberger 1990:224).

Syntax

Die Erschließung der urgermanischen Syntax ist mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, weil die frühesten Texte nur bedingt Rückschlüsse auf die urgermanische Satzstellung zulassen. Die Gründe dafür sind:

  • Die frühen Runeninschriften bestehen selten aus vollständigen Sätzen. In den meisten Fällen liegen Einzelwörter oder einzelne Namenbelege vor, die für die Syntaxforschung nicht verwertbar sind.
  • Die frühesten Texte sind zu einem großen Teil Übersetzungsliteratur, die sich teilweise in der Satzstellung sklavisch an ihr griechisches oder lateinisches Original hält. Solche Texte weisen eine „verzerrte“ Syntax auf, die nicht als typisch germanisch gelten kann. Insbesondere bei Interlinearübersetzungen (z. B. dem althochdeutschen Tatian) ist die Verwertbarkeit für die germanistische Syntaxforschung ausgesprochen klein.
  • Bei altgermanischen Texte, die nicht Übersetzungsliteratur sind, handelt es sich sehr oft um metrisch gebundene Poesie. In diesen Fällen ist die Syntax oft durch das Versmaß (z. B. der germanischen Langzeile im Fall des Beowulfs oder des Endreims im Fall der althochdeutschen Evangelienharmonie von Otfrid) beeinflusst.

Trotzdem sind Aussagen über die Syntax im Urgermanischen möglich. Die Runeninschrift auf dem Goldhorn von Gallehus legt beispielsweise eine Subjekt-Objekt-Verb Stellung im urgermanischen Hauptsatz nahe.

Wortschatz

Der protogermanische Wortschatz enthält viele Wörter, für die ein indogermanischer Ursprung schwer nachzuweisen ist oder rundheraus abgestritten wird (vgl. Germanische Substrathypothese). Diese Unsicherheiten betreffen vor allem Bereiche der gesellschaftlichen Gliederung sowie Schiffswesen und Seefahrt und haben zur Behauptung einer Beeinflussung durch eine zuvor vorhandene Sprache (Substrat) und einer Entstehung des Germanischen als Einwanderersprache geführt; für die meisten der für diese Hypothesen ins Feld geführten Lemmata sind jedoch auch schon indogermanische Etymologien vorgeschlagen worden.

Lehnwörter belegen v. a. nahe (nachträgliche) Beziehungen (vgl. Sprachbund) zu den keltischen Sprachen. Daneben wurde das Finnische schon früh mit mehreren germanischen Wörtern beeinflusst, die es in nahezu unveränderter Form bis heute bewahrt hat, so die Worte kuningas ‘König’ aus urgermanisch *kuningaz und rengas ‘Ring’ aus urgermanisch: *hrengaz (in beiden Worten steht z für stimmhaftes s).

Textproben

Verschiedene Linguisten haben Textproben in der erschlossenen protogermanischen Sprache verfasst. Carlos Quiles Casas hat im Jahr 2007 folgende Version der bekannten indogermanischen Fabel Das Schaf und die Pferde von August Schleicher veröffentlicht (Quelle: Englische Wikipedia/A Grammar of Modern Indo-European, 2007), die er auf 500 v. Chr. datiert:

Awiz eχʷaz-uχ Awiz, χʷesja wulno ne ist, speχet eχʷanz, ainan krun waǥan weǥantun, ainan-uχ mekon ƀoran, ainan-uχ ǥumonun aχu ƀerontun. Awiz nu eχʷamaz weuχet: χert aǥnutai meke witantei, eχʷans akantun weran. Eχʷaz weuχant: χluđi, awi! χert aknutai uns wituntmaz: mannaz, foþiz, wulnon awjan χʷurneuti seƀi warman wistran. Awjan-uχ wulno ne isti. þat χeχluwaz awiz akran ƀukeþ.

Der Münchner Indogermanist Wolfram Euler schlug ebenfalls im Jahre 2007 für denselben Text folgende protogermanische Rekonstruktion vor (Sprachstand um Christi Geburt):

Awiz eχwôz-uχ Awis, þazmai wullô ne wase, eχwanz gasáχ, ainan kurun waganan wegandun, anþeran mekelôn burþînun, þriđjanôn gumanun berandun. Awiz eχwamiz kwaþe: „Χertôn gaángwjedai mez seχwandi eχwanz gumanun akandun.“ Eχwôz kwêđund: „Gaχáusî, awi, χertôn gaángwjedai unsez seχwandumiz: gumôn, faþiz awjôn wullôn sez warman westran garwidi; avimiz wullô ne esti.“ Þat gaχáusijandz awiz akran þlauχe.

Die deutsche Übersetzung lautet:

Das Schaf und die Pferde Ein Schaf, das keine Wolle hatte, sah Pferde, das eine, das einen schweren Wagen zog, das andere, das eine große Last trug, und das dritte, das einen Menschen trug. Das Schaf sprach zu den Pferden: „Das Herz engt sich mir ein, wenn ich sehe, wie der Mensch die Pferde treibt.“ Die Pferde sprachen: „Hör zu, Schaf! Das Herz engt sich uns ein beim Anblick: Der Mensch, der Herr, bereitet aus der Wolle der Schafe für sich ein warmes Kleidungsstück, und die Schafe haben keine Wolle.“ Als das Schaf das hörte, floh es vom Acker.

Anmerkungen

  1. Kortlandt, Frederik: Germanic *ê1 and *ê2. In: NOWELE 49 (2006), 51–54.

Literatur

  • Bammesberger, Alfred: Der Aufbau des germanischen Verbalsystems. Heidelberg 1986.
  • Bammesberger, Alfred: Die Morphologie des urgermanischen Nomens. Heidelberg 1990.
  • Hutterer, Claus Jürgen: Die germanischen Sprachen: Ihre Geschichte in Grundzügen. Budapest 1999. 4. Auflage.
  • Orel, Vladimir: A Handbook of Germanic Etymology. Leiden 2003.
  • Prokosch, E.: A Comparative Germanic Grammar. Philadelphia 1939.
  • Streitberg, Wilhelm: Urgermanische Grammatik. Heidelberg 1974. 4. Auflage.
  • van Coetsem, Frans: The Vocalism of the Germanic Parent Language. Heidelberg 1994.

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