Geschichte der Sicherheit im Straßenverkehr

Geschichte der Sicherheit im Straßenverkehr

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Geschichte der Sicherheit im Straßenverkehr von etwa 1900 bis 2008 vorwiegend aus deutscher Perspektive.

Inhaltsverzeichnis

Vor 1900

Sobald Menschen angefangen hatten, Fahrzeuge zu benutzen, gab es Unfälle im Straßenverkehr. Auch ohne die Beteiligung von Fahrzeugen kam es zu Unfällen, wenn Fußgänger gegeneinander oder gegen Hindernisse prallen oder Reiter vom Pferd fallen. Schon vor der Erfindung des Automobils kamen Menschen „unter die Räder“, wenn sie von Pferdefuhrwerken überfahren wurden. Durchgehende Pferde waren – besonders in Städten – eine alltägliche Gefahr. Auf den Straßen herrschte – mehr oder weniger harmlose – Anarchie.

Mit der Erfindung und Verbreitung der dampfgetriebenen Eisenbahn entstand eine zusätzliche Gefahr, beispielsweise beim Überqueren von Gleisen in Bahnhöfen oder an Bahnübergängen. Zudem war die Eisenbahn das erste Verkehrsmittel, das die Geschwindigkeit von Fußgängern und Pferden (biogene Geschwindigkeit) wesentlich überschreiten konnte. Anfangs war unbekannt, ob Menschen nicht allein durch die schiere Geschwindigkeit der Eisenbahn Schaden nehmen könnten.

1900

Erst das Automobil als motorisierter Individualverkehr potenzierte die Gefahr, erstens durch die hohen Geschwindigkeiten, die schon nach kurzer Zeit erreicht wurden (La Jamais Contente 1899 bereits über 100 km/h), zweitens durch seine massenhafte Verbreitung (1938 waren im Deutschen Reich 1,2 Millionen PKW, 1,6 Millionen Kräder und 400.000 LKW zugelassen), drittens weil es sich mit Fußgängern, Radfahrern, Pferden, Fuhrwerken und Motorrädern im selben Verkehrsraum bewegt. Ursprünglich hatten Fußgänge] auf der Straße völlige Bewegungsfreiheit.

Im Jahr 1907 war das Risiko, bei Unfällen im Straßenverkehr zu sterben – bezogen auf den Kraftfahrzeugbestand – 62-mal so hoch wie hundert Jahre später.[1]

1908 fand in Frankfurt am Main der 1. Internationalen Kongress für Rettungswesen statt. Der Leipziger Arzt Dr. Paul Streffer fordert die ärztliche Begleitung von Krankentransporten und den Einsatz von Rettungsärzten zur medizinischen Erstversorgung vor Ort und während des Transportes. 1909 erließ der deutsche Kaiser das erste Kraftfahrgesetz für das deutsche Reich, Vorläufer von Straßenverkehrsordnung und Straßenverkehrszulassungsordnung. Im Deutschen Reich galt 1910 gemäß Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Februar 1920 innerorts für Kraftfahrzeuge ein Tempolimit von 15 km/h.

Die Geschichte der angewandten Verkehrspsychologie begann 1910 in den USA mit einem Eignungstest für Straßenbahnfahrer.

In den USA wurde 1912 das erste elektrische Verkehrssignal mit roten und grünen Lampen installiert. Die am 5. August 1914 aufgestellte Lichtsignalanlage in Cleveland, USA, gilt als erste reguläre Verkehrsampel der Welt. 1917 wurde das erste automatische Verkehrssignal in den USA patentiert und in Detroit der erste Turm zur Verkehrsregelung an einer Kreuzung aufgestellt.

1920

Die ersten Fahrbahnmarkierungen gab es 1921 in der englischen Kleinstadt Sutton Coldfield zur Entschärfung eines Unfallschwerpunktes.

Die ersten dreifarbigen Verkehrsampel mit roten, gelben und grünen Lampen nahmen 1920 in New York und Detroit ihren Betrieb auf. In Europa wurden die ersten Verkehrsampeln 1922 in Paris und Hamburg eingerichtet. Berühmtheit erlangte der am 21. Oktober 1924 auf dem Potsdamer Platz in Berlin in Betrieb genommene Verkehrsturm mit manuell bedienten Lichtzeichen. Er war bereits 1926 verkehrstechnisch veraltet. Ab 1926 wurden an vielen Kreuzungen zentral aufgehängte vierseitige Ampeln mit automatisch geschaltetem rot-gelb-grün Signal installiert. Das Überqueren der Fahrbahn für Fußgänger wurde an Kreuzungen mit weißen Fahrbahnmarkierungen unterstützt.

Ab dem 1. März 1923 war per Reichsverordnung innerorts eine Geschwindigkeit von 30 km/h erlaubt. Allerdings konnte die höhere Verwaltungsbehörde das Limit auf 40 km/h erhöhen.[2]

1924 wurde die Deutsche Verkehrswacht gegründet, ein Verein, der sich bis heute mit Unterstützung des Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und der Wirtschaft bemüht, die Verkehrssicherheit zu fördern und Verkehrserziehung und Verkehrsaufklärung betreibt. In Preußen gab es 1910 223 Verkehrstote, im Jahr 1927 schon 2376.

1930

Im Jahr 1930 wurde die schulische Verkehrserziehung durch den preußischen Kultusminister institutionalisiert. Der Schwerpunkt lag auf der Vermittlung von Regelwissen und auf der Aufklärung über Unfallgefahren. Basis der Verkehrserziehung war das Fehlverhalten einzelner Verkehrsteilnehmer, welche durch das Prinzip der Abschreckung diszipliniert werden sollten.[3]

1931 verabschiedete der Völkerbund in Genf das "Abkommen über die Vereinheitlichung der Wegezeichen". Es wurde von 18 Staaten ratifiziert, nicht von Deutschland. Fahrbahnmarkierungen waren nicht enthalten. Die erste Fußgängerampel in Europa wurde 1933 in Kopenhagen, Dänemark errichtet, in Deutschland 1937 am Kleinen Stern in Berlin.

Bis etwa 1935 war die Teilung des Verkehrsraums zwischen Fußgängern einerseits und Fahrzeugen andererseits faktisch vollzogen. Die erste „Reichsstraßenverkehrsordnung" von 1934 räumte Kraftfahrzeugen erstmals eine Vorrangstellung ein und hob alle Geschwindigkeitsbeschränkungen auf. "An Kreuzungen und Einmündungen ... haben Kraftfahrzeuge ... die Vorfahrt vor anderen Verkehrsteilnehmern." (§ 27, RGBl 1934 I, S. 463) Kraftfahrzeuge mit Motoren bis 200 cm² durften von jedermann ab 16 Jahren führerscheinfrei gefahren werden. Bereits 1937 musste die Reichsstraßenverkehrsordnung angesichts der mangelnden Verkehrssicherheit revidiert werden. Nicht erst die Schädigung anderer, sondern schon die "Gefährdung des Verkehrs" war jetzt strafbar. Außerdem wird festgelegt: „Fußgänger müssen die Gehwege benutzen. … Fahrbahnen … sind auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung mit der nötigen Vorsicht und ohne Aufenthalt zu überschreiten.“ (§ 37, RGBl 1937 I, S. 1188, vgl.§ 25 StVO) Kinderspiele auf der Fahrbahn werden ausdrücklich verboten (§ 43). Die Straßenverkehrsordnung (StVO) von 1937 blieb bis auf wenige Änderungen bis 1971 in Kraft.

In der StVO von 1937 waren Fahrbahnmarkierungen nicht vorgesehen. Nur die Fahrbahnen der nichtöffentlichen (AVUS, der "Nur-Autostraße" Köln-Bonn) und der Autobahnen hatten eine durchgehende weiße Mittelllinie und farblich abgesetzte Fahrbahnränder.

Der Fahrtenschreiber oder Tachograph war in LKW zuerst Entlastungszeuge bei Geschwindigkeitskontrollen, nachdem wachsende schwere Unfälle in den 1930er Jahren Anlass zur Überprüfung gaben. Am 15. 0ktober 1936 kam mit der Reichstarifordnung, die Entlastung des Fahrpersonals durch Aufzeichnung der Lenk- und Ruhezeiten hinzu.

1938 erließ der Reichsführer-SS Heinrich Himmler ein neues Verkehrsgesetz, das die Ausrüstung mit Pedalreflektoren für alle Fahrräder auf deutschen Straßen verpflichtend machte. Fahrradhersteller mussten Lizenzgebühren an eine SS-Firma entrichten.[4]

1939 wurden - um Benzin zu sparen - wieder Geschwindigkeitsbeschränkungen eingeführt, gültig auch auf den neuen Autobahnen. Private Autofahrten waren ab dem 20. September 1939 allerdings ohnehin nur noch in Ausnahmefällen gestattet. Ab August 1943 war das Rad fahren auch auf den Autobahnen erlaubt. Die erste Ölkrise dauerte in Deutschland von 1939 bis 1945.

Das allmählichen Verschwinden der tierischen Muskelkraft zugunsten des Verbrennungsmotors konzentrierte das Thema „Sicherheit im Straßenverkehr“ zunehmend auf die Sicherheit von Kraftfahrzeugen (vgl. Verkehrssicherheit). Weitgehend unbeachtet blieb die Tatsache, dass eine große Zahl der im Straßenverkehr getöteten Personen keine Fahrzeuginsassen sind. Im Stadtverkehr sind 75 Prozent der Unfallopfer Fußgänger und Radfahrer.

Schon vor dem zweiten Weltkrieg gab es systematische Forschungen an Fahrzeugen in Unfallsituationen. Die Auto Union führte bereits um 1937 ein theoretisch fundiertes und empirisch geprägtes Programm von Crashtests durch.

1938 forderte Professor Kirschner, Chirurg in Heidelberg wie bereits schon 1908 Streffer, der Arzt müsse zum (Notfall-) Patienten kommen und nicht andersherum. Aus Kostengründen blieb es bei der Maxime des schnellen Patiententransports zum (Unfall-) Arzt.

1940

Die außerordentlich schnelle technische Entwicklung im Flugzeugbau vor und während des zweiten Weltkriegs war Anlass zur Erforschung der Belastbarkeit des menschlichen Körpers bei extremer Beschleunigung (z. B. bei Katapultstarts und Landungen auf Flugzeugträgern, Rettungen durch den Schleudersitz und bei Unfällen) und zur Sicherung der Insassen mit Sicherheitsgurten. Der erste Crashtest-DummySierra Sam“ wurde 1949 in den USA für Tests an Schleudersitzen und deren Gurtsystemen entwickelt.

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in den USA umfangreiche militärische und wissenschaftliche Forschungen an Unfällen zuerst bei Flugzeugen, dann auch bei Kraftfahrzeugen, nachdem man festgestellt hatte, dass im Koreakrieg mehr Soldaten bei Autounfällen als durch feindliche Truppen ums Leben gekommen waren.

In Genf fand 1949 die Konferenz der Vereinten Nationen über Straßen- und Automobilverkehr statt. Sie endete mit der Unterzeichnung eines Abkommens über den Straßenverkehr und eines Protokolls über Straßenverkehrszeichen.

Der Fußgängerüberweg oder Zebrastreifen tauchte international erstmals am 19. September 1949 in dem Genfer Protokoll über Straßenverkehrszeichen auf. Die Idee kam 1947 aus England. In Deutschland wurden die ersten Zebrastreifen 1952 markiert. Erst 1964 erhielten Fußgänger Vorrang an Zebrastreifen. In der Folge wurden die ersten Zebrastreifen wieder beseitigt, um den Verkehrsfluß der Autos aufrechtzuerhalten [5]

1950

Jahr Zahl der PKW Unfalltote[6]
1938 1.200.000 8000
1946 <200.000  ?
1955 1.750.000 14.500
1966 20.800.000 21.000

Zehn Jahre nach dem zweiten Weltkrieg begann auch in der Bundesrepublik Deutschland die Massenmotorisierung.

1951 wurde die Technische Überwachung der Kraftfahrzeuge ("TÜV") eingeführt.

Steigende Unfallzahlen führten zur Einrichtung von Medizinisch-Psychologischen Untersuchungsstellen (MPU), die auffällig gewordene Kraftfahrer auf ihre Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr zu prüfen (Medizinisch-Psychologische Untersuchung)

1953 wurden Straßenmarkierungen verbindlich.

In der jungen Bundesrepublik gab es vom 23. Januar 1953 bis zum 31. August 1957 gar keine Geschwindigkeitsbeschränkung für Personenwagen und Motorräder. Erst am 1. September 1957 wurde innerorts wieder ein Limit von 50 km/h eingeführt , begleitet von einer hochemotionalen Debatte um Tempolimits, die im Grunde bis heute anhält. [7]

Nach 1950 begann an der Cornell University in den USA ein Team von Wissenschaftlern in enger Zusammenarbeit mit Unfallstationen, Automobilclubs und Polizeistellen mit der empirischen Auswertung von Autounfällen und setzte 1955 mit dem Fragebogen zum „Automotive Crash Injury Research“ (ACIR) Standards der Unfallforschung.

Nachdem er umfangreiche Forschungen zu Sicherheitsgurten in Flugzeugen vorgelegt hatte, verbunden mit einem Patent für einen 3-Punkt-Sicherheitsgurt für Flugzeuginsassen, veröffentlichte der amerikanische Ingenieur Hugh De Haven 1952 einen Bericht über das Problem der “second collision” in Kraftfahrzeugen, verbunden mit dem Konzept des "packaging of car occupants” durch Sicherheitsgurte. Er stellt die Sicherheit von Autoinsassen auf dasselbe Niveau wie den Transport von losen Eiern in Stahlbehältern ("The level of safety which we accept for ourselves, our wives and our children is, therefore, on a par with shipping fragile valuable objects loose inside a container").

Die Versicherungsgesellschaft Liberty Mutual Insurance Company gründete 1954 das „Research Center for Safety“. In Zusammenarbeit mit der Cornell University werden 1959 und 1961 das Survival Car I und II, entwickelt. Dabei geht es vor allem um die Gestaltung des Innenraums, um die Folgen des „second accident“ zu minimieren, bei dem die Insassen mit dem Fahrzeuginneren kollidieren.

1957 berichtete „das Auto, Motor und Sport“ aus den USA: "bei einer ... Testserie im Laboratorium von ‚Consumers Reports’ ... mussten von 190 Sicherheitsgürteln, die von 39 unterschiedlichen Firmen stammten, etwas über zwei Drittel als ‚unzureichend’ bezeichnet werden."

In Schweden entwickelte Nils Bohlin, aus der Flugzeug-Sicherheitsforschung kommend, 1958 den Dreipunktsicherheitsgurt für Kraftfahrzeuge (Deutsches Patent von 1961), der umgehend serienmäßig in alle schwedischen Neufahrzeuge eingebaut wurde. Volvo begann gleichzeitig ein umfangreiches Forschungsprojekt zur Unfallauswertung, um den Sicherheitsgewinn durch Gurte empirisch nachzuweisen. Die Auswertung von 28.000 Unfällen wurde 1967 publiziert und bewies eindrucksvoll den Nutzen von Sicherheitsgurten.

Unabhängig von den Forschungen in den USA arbeitete in Deutschland von 1939-46 und wieder ab 1948 bei Daimler-Benz der Ingenieur Béla Barényi am Schutz der Insassen bei Unfällen. Er entwickelte das 1952 patentierte Konzept der „gestaltfesten Fahrgastzelle, umgeben von Knautschzonen vorn und hinten“ (Patent DE-854157). Außerdem fordert er die Sicherheitslenksäule, die verhindert, dass der Fahrer tödlich verletzt wird, wenn die Lenksäule bei einem Unfall wie ein Spieß in den Innenraum dringt, das Sicherheitslenkrad mit Pralltopf, das beim Aufprall einer Person nachgibt, verbesserte den Seitenaufprallschutz und entschärfte und polsterte den Innenraum. Ab 1955 wurden bei Daimler-Benz zudem die Ergebnisse der Cornell-Forscher ausgewertet.

Die Berechnung des Crashverhaltens von Fahrzeugen mittels der Finite-Elemente-Methode FEM begann in den 1950er Jahren. Die Methode basiert hier auf den Arbeiten bei der Daimler AG in Stuttgart, die das selbst entwickelte FEM-Programm ESEM (Elektrostatik-Element-Methode) einsetzte, lange bevor die computerunterstützte Konstruktion (CAD) Anfang der 1980er Jahre ihren Einzug hielt. Die Ergebnisse wurden erstmals in der Baureihe Mercedes-Benz W 111(Typ 220S) von 1959 umgesetzt und in Crashtests erprobt.

In England forderte 1961 ein neu gegründeter Internationaler Verein für Sicherheitsgurte die Regierungen verschiedener Länder auf, Sicherheitsgurte für Personenwagen obligatorisch zu machen und wies darauf hin, dass in Schweden bereits 77% aller neuen PKW mit Sicherheitsgurten ausgestattet waren. Seit 1959 bauten Volvo und Saab serienmäßig Dreipunktgurte in ihre schwedischen Neufahrzeuge ein.

Bereits um das Jahr 1960 waren damit die wesentlichen Grundlagen und Konzepte des Insassenschutzes in Personenkraftwagen bekannt. Der Rover P6 Modell 2000 von 1963 galt als das erste serienmäßige Sicherheitsauto.

Das "Verkehrssicherungsgesetz" (Gesetz zur Sicherung des Straßenverkehrs) vom 19. Dezember 1952 schrieb den Tachograph in Deutschland u. a. für Lastkraftwagen über 7,5 Tonnen vor. Neue LKW und Busse mussten seit 23. März 1953, alle anderen LKW und Busse seit dem 23. Dezember 1953, nach StVZO § 57a mit dem Tachograph ausgerüstet sein.

Auch in den 50er Jahren war das Ziel der Verkehrserziehung die Anpassung der Kinder an den Straßenverkehr: „Das Kind sollte zu einem Menschen erzogen werden, "...der von sich aus die Ordnung liebt und sucht ... und sich deshalb auch in ein Ordnungsgefüge, wie es die Straßenverkehrsgesetzgebung darstellt, willig eingliedert." [8]

Auf der internationalen Polizeiausstellung in Essen 1956 wurden Notrufanlagen vorgestellt, mit denen die Bevölkerung die Polizei jederzeit kostenfrei alarmieren konnte. Die hellgrüne Polizei-Rufsäule, der „Eiserne Schutzmann“, gehört schnell zum gewohnten Straßenbild in den Städten.

In 1950er Jahren begannen vereinzelte Notärzte, den Krankentransportdienst zu unterstützen. Dies blieb jedoch auf "Freizeitaktivitäten" beschränkt und behielt bis Ende der 1960er Jahre den Charakter von lokalen Aktivitäten. Die "Rückspiegelrettung" blieb die Regel: Der Fahrer war mit dem Patienten allein im Auto. Eine für den Fahrer sichtbare Verschlechterung des Zustandes führte nicht zu einer sofortigen Behandlung, sondern zu einer Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit, um das Krankenhaus schneller zu erreichen.

Das deutsche Verkehrszentralregister in Flensburg begann 1958 mit der Erfassung aller Strafurteile in Verkehrssachen und entzogenen Führerscheine. 1961 folgten Regeln für die Behandlung von Mehrfachtätern, das präventive Punktesystem erst 1974.

1960

Anfang der sechziger Jahre beauftragt die britische Regierung eine Kommission unter Vorsitz von Colin Buchanan (englisch), eine Bilanz der bisherigen Stadtverkehrsplanung aufzustellen und Vorschläge für neue Planungskonzepte zu entwickeln. Der Buchanan-Report "Traffic in towns" von 1963 enthält wegweisende Konzepte: "Sicher zu sein, sich jederzeit sicher zu fühlen, keine Angst zu haben, daß dem Ehegatten oder den Kindern ein Verkehrsunfall zustößt, sind sicher Grundvoraussetzungen eines zivilisierten Lebens. Gegenüber diesem Maßstab ... lassen die vom Kraftverkehr geprägten Lebensbedingungen in unseren Städten viel zu wünschen übrig." Buchanan unterscheidet als einer der ersten zwischen dem notwendigen Autoverkehr (Wirtschafts- und Geschäftsverkehr) und dem beliebigem Autoverkehr. Da ein Großteil der Verkehrsprobleme seiner Meinung nach aus der extremen Zunahme des beliebigen Verkehrs resultiert, solle dieser konsequent begrenzt werden. Weiterhin macht er den Vorschlag einer umfeldabhängigen Kapazitäts- und Geschwindigkeitsbegrenzung. Für schützenswerte Bereiche ("Environment-Zonen") schlägt er drastische Restriktionen vor. Die Qualität des Straßenraumes für Fußgänger und Aufenthalt solle hier absoluten Vorrang haben.[9] Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Sachverständigenkommission des deutschen Bundestages 1965.

Wesentlich wirksamer war aber das von Hans Bernhard Reichow 1959 entwickelte Konzept: "Die autogerechte Stadt - Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos".

Ebenfalls um 1960 begann man, neue Konzepte im Straßenbau umzusetzen. Autobahnen erhielten Leitplanken auf dem Mittelstreifen. Das Rettungswesen wurde verbessert. Die gesamte Infrastruktur des Straßenverkehrs wurde unter Sicherheitsgesichtspunkten optimiert.

1961 erfand der Verkehrspsychologe Karl Peglau in der DDR die rot-grüne Fußgängerampel samt Ampelmännchen.

Hinten angeschlagene "Selbstmördertüren" waren seit dem 1. Juli 1963 an Neufahrzeugen nicht mehr zulässig.

1964 erhielten in der Bundesrepublik Fußgänger Vorrang an den seit 1952 massenhaft verbreiteten Zebrastreifen. Umgehend begann vielerorts der Rückbau der Zebrastreifen, um den ungehemmten Verkehrsfluß der Kraftfahrzeuge zu sichern. Zebrastreifen wurden beim Straßenausbau zunehmend durch Ampelanlagen ersetzt. 1967 gab es in West-Berlin mehr als 700 Zebrastreifen, 1990 noch 79 (plus 85 in Ost-Berlin), 2006 waren es wieder 240 in ganz Berlin.[10]

Das Straßenbaufinanzierungsgesetz von 1963 stellte mit der Zweckbindung der Mineralölsteuer die Finanzmittel zu Verfügung.

Zum Thema einer breiten öffentlichen und politischen Debatte wurde das Thema Fahrzeugsicherheit erst 1965 mit Ralph Naders Bestseller „Unsafe at any speed“ (englisch).

Im bundesdeutschen Fernsehen thematisierte „Der 7. Sinn“ ab 1966 Aspekte der Verkehrssicherheit. Seit Januar 1966 ist der Verbandkasten in Kaftfahrzeugen (nicht bei Motorrädern) Pflicht.

Die USA verabschiedeten 1966 das "National Traffic and Motor Vehicle Safety Law", damit ist die Regierung ermächtigt, Sicherheitsstandards für Kraftfahrzeuge zu entwickeln und festzulegen - auch gegen den Widerstand der Automobilindustrie.

Seit 1967 arbeitet man in den USA und Europa an der Entwicklung serienreifer Airbag-Systeme. Der 1969 verabschiedete Plan, in den USA automatische Insassen-Schutzsysteme bis zum 1. Januar 1973 für Neuwagen vorzuschreiben, wird wegen der technischen Probleme des Airbags auf den 1. Januar 1976 verschoben.

Die US-amerikanische Verkehrsbehörde (DOT) startete 1968 ein Programm zur Entwicklung von Experimental-Sicherheitsfahrzeugen (ESV) und initiierte die internationale „Technical Conference on the Enhanced Safety of Vehicles“ (ESV). Die Konferenz findet heute alle zwei Jahre statt, die 21. Konferenz 2009 in Stuttgart.

1968 wurde in Deutschland die Typprüfung von Sicherheitsgurten vorgeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt lagen Ergebnisse empirischer Unfallforschung aus USA, Schweden und England vor, aber nicht aus Deutschland. Auto Motor und Sport schreibt: "Daß Anschnallgurte eine erfolgreiche Vorsichtsmaßnahme sind, ist sowohl durch Statistiken, als auch durch Versuche erwiesen."

Fritz B. Busch dagegen schrieb: "Das sicherste an den Sicherheitsgurten scheint mir zweifellos das Geschäft, das im Augenblick damit gemacht wird!" und "Ich bin dagegen, daß man dem Autofahrer noch mehr Angst macht. Er fürchtet sich schon zur Genüge." Er warnt vor der "Anschnall-Psychose".

Seit 1.Mai 1968 müssen PKW und LKW ein Warndreieck mitführen.

Am 3. Mai 1969 starb der achtjährige Björn Steiger, nachdem er auf dem Weg nach Hause angefahren und lebensgefährlich verletzt wurde. Seine Eltern gründen daraufhin die Björn-Steiger-Stiftung. Die Situation 1969:

  • Nur in einzelnen Großstädten gab es die Notrufnummern 110/ 112.
  • An Bundes-, Landes- und Kreisstraßen gab es keine Notrufmöglichkeiten.
  • Die Telefone an den deutschen Autobahnen waren nicht für den Notruf installiert.
  • Es gab keinen flächendeckenden Notfalltransport rund um die Uhr. Er wurde weitgehend von engagierten, ehrenamtlichen, aber schlecht ausgebildeten Helfern durchgeführt.
  • Die „Rückspiegelrettung" war die Regel. Der Fahrer beobachtete im Rückspiegel den Zustand des Patienten, denn er war meist allein im Fahrzeug.
  • Es gab keine Rettungsleitstellen.
  • Es gab keine Rettungswagen.
  • Notärzte waren nur an wenigen Standorten stundenweise im Einsatz.
  • Es gab nicht einmal eine Planung eines Notrufmeldesystems.
  • Es gab keine staatlichen Zuständigkeiten.
  • Es gab keine Gesetze oder Verordnungen für die Notfallhilfe.
  • Aber es gab jedes Jahr 20.000 Verkehrstote

Im Juni 1969 wurde der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) gegründet und startete die Langzeitkampagne "Klimawechsel im Verkehr" für eigenverantwortliches, partnerschaftliches Verhalten. Der Mensch steht im Mittelpunkt des Verkehrsgeschehens. Der bekannteste Slogan: "Hallo Partner - danke schön".

In den 60er und 70er Jahren wiesen die Unfallstatistiken in Deutschland die höchsten Kinderunfallzahlen in ganz Europa aus. Die verkehrspädagogische Forschung begann zu erkennen, dass Kinder je nach Alter nur begrenzt in der Lage sind, sich autogerecht und damit „verkehrssicher“ zu verhalten.

Am 1. April 1969 wurde mit der VO (EWG) 543/69 zum ersten Mal in der EWG eine gemeinsame Verordnung über Lenk- und Ruhezeiten erlassen.

1970

Von 1953 bis 1982 starben insgesamt 442.669 Menschen bei Verkehrsunfällen in Deutschland – ein großer Teil davon Fußgänger und Radfahrer. Der Höhepunkt war im Jahr 1970 erreicht: 21.332 Verkehrstote wurden gezählt, mehr als 9000 davon innerorts. Der Kraftfahrzeugbestand hatte auf 20,8 Millionen zugenommen.[11])

1970 wurde als europäisches Pendant zum US-amerikanischen ESV das "European Enhanced Vehicle-safety Committee" (EEVC) gegründet, um alle nationalen Europäischen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten abzustimmen, und den besten Nutzen aus den vorhandenen Ressourcen bei der Teilnahme an dem ESV-Programm zu ziehen.

Von 1970 bis 1973 wurden weltweit eine große Zahl von „Experimental Safety Vehicles“ (ESV) (englisch) vorgestellt und auf internationalen Kongressen diskutiert. Alle ESV waren zu groß, zu schwer und zu teuer für die Serienproduktion, lieferten aber wichtige neue Konzepte und Elemente.

In der Praxis wurde der Unterschied zwischen Schlummerrolle und Sicherheitskopfstütze erkannt. Bei Auffahrunfällen (40 % der Unfälle auf Autobahnen) soll die Kopfstütze den Genickbruch verhindern. Ein ADAC Test von Kopfstützen aus Serienautos und dem Zubehörhandel stiess 1970 auf ein unerwartetes Problem: "Bei Vorversuchen ... brachen die meisten serienmäßigen Autositze zusammen. Weder die Bodenverankerung, noch die Lehnenverriegelung hielten einer Aufprallgeschwindigkeit von 28 km/h stand." Man musste den stabilsten Sitz verwenden und die Aufprallgeschwindigkeit um ein Drittel reduzieren. Trotzdem versagten die meisten Kopfstützen.[12] In den USA sind Kopfstützen auf den Vordersitzen seit 1969 vorgeschrieben.

Der ADAC unternahm ab 1967 erste Versuche mit gecharterten Hubschrauben und stellte am 1. November 1970 in München „Christoph 1“, den ersten deutschen Rettungshubschrauber in Dienst. 2008 gab es in Deutschland etwa 100 Rettungshubschrauber.

Ab 1.Oktober 1972 gilt außerorts generell Tempo 100, außer auf Autobahnen und Straßen mit getrennten Richtungsfahrbahnen. Nach der Bundestagswahl 1972, bei der die SPD erstmals stärkste Fraktion wurde, verkündete die Bundesregierung eine Kehrtwende in der Verkehrspolitik. Der Städtebauminister Hans-Jochen Vogel erklärte: „Das Auto mordet die Großstadt. Mit jeder Milliarde, die wir in den Straßenbau investieren, bringen wir die Stadt ihrem Tod näher“. Im Juni 1973 stellt Bundesverkehrsminister Lauritzen ein Kursbuch vor mit dem Titel „Der Mensch hat Vorfahrt“. Das Programm endet sich vor allem gegen die weitere Verbreitung des Autos in Ballungsgebieten.

Im Juli 1973 wurde die 0,8-Promille-Grenze eingeführt. Am 23. September 1973 wurde das Konzept "Notruf 73" beschlossen und bis 1980 von Bund und Ländern umgesetzt.

Der zunehmende Druck aus Hilfsorganisationen, Kliniken und der Björn-Steiger-Stiftung führte zu den ersten Innovationen im Rettungswesen (siehe Geschichte des Rettungswagens und Notarztwagen):

  • Einführung von Fahrzeugfunk
  • Zwei-Mann-Besatzung mit Sanitäter-Ausbildung
  • Möglichkeit der Heranziehung eines Notarztes zur Einsatzstelle
  • die Maxime der Erstversorgung zur Herstellung einer sicheren Transportfähigkeit.

Die erste Ölkrise von November 1973 bis März 1974 drückte auf Tempo und Fahrleistung. Ab dem 24. November 1973 galt für vier Monate Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 außerorts. Sonntagsfahrverbote galten an vier Sonntagen vom 26. November bis 16. Dezember. Es folgt eine erregte öffentliche Debatte, um ein dauerhaftes Tempolimit auf Autobahnen zu verhindern.

Mit Ölkrise und Sonntagsfahrverboten begann die Renaissance des Fahrrads als Verkehrsmittel. Mit der Energiemenge von 1 Liter Benzin in Nahrungsmitteln kam ein Radfahrer 500 km weit. 1974 wurden in der Bundesrepublik erstmals mehr Fahrräder als Autos verkauft.

Im November 1973 kündigte Bundesverkehrsminister Lauritzen ein umfassendes Sicherheitsprogramm an. Die wichtigsten Punkte:

  • Dreipunktgurte auf den Vordersitzen aller neuen PKW, verbunden mit dem Appell, ältere Autos nachzurüsten.
  • Einheitliche Gurtschlösser
  • Anschnallpflicht, wenn Gurte vorhanden sind
  • Erschwerte Führerscheinprüfung
  • Punktesystem im Verkehrsstrafenregister
  • Einheitlicher Notruf 110
  • Neuordnung des Unfallrettungswesens
  • Ausbau älterer Autobahnen mit Stand-, Beschleunigungs- und Verzögerungsspuren.

In den 1970ern entwickelt sich aus (Anti-) Schleuderkursen zunehmend das Fahrsicherheitstraining.[13] In Österreich und der Schweiz ist die Bezeichnung "Schleuderkurs" bis heute üblich.

In den USA wird 1975 das druckluftgetriebene Airbag-System ACRS ausgeliefert, muss wegen technischer Unzulänglichkeit aber zurückgezogen werden.

Crashtests wurden in Deutschland ab etwa 1976 nicht nur von den Herstellern, sondern auch von unabhängigen Prüfinstitutionen wie Fachzeitschriften und Automobilclubs durchgeführt. Erstmals werden damit die Ergebnisse öffentlich. Die Zeitschrift auto motor und sport veröffentlichte im Februar 1976 die Ergebnisse eines in Eigenregie durchgeführten vergleichenden Crashtests mit den sieben meistverkauften Kleinwagen in Europa, deren Konstruktion teilweise bis in die Zeit vor dem zweiten Weltkrieg zurückreichte. Die ältesten Konstruktionen (VW Käfer 1200 und Citroen 2 CV) boten den schlechtesten Insassenschutz. Wesentlich besser waren zum Testzeitpunkt moderne Konstruktionen (Fiat 127 und VW Polo). Bei zwei Autos versagten die Gurtsysteme.

Ab 1. Januar 1976 müssen mehrspurige Kraftfahrzeuge eine Warnblinkanlage haben.

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es seit dem 1. Januar 1976 die Helmpflicht für Motorradfahrer, seit Mitte 1978 auch für Moped- und Mokickfahrer, seit dem 1. August 1980 mit Bußgeld. Mofafahrer müssen seit dem 1. Oktober 1985 einen Helm tragen.[14]

Die Ausrüstung von PKW mit Dreipunktgurten auf den Vordersitzen dauerte in der Bundesrepublik Deutschland bis 1978. Ebenfalls 1978 ging bei Daimler-Benz das Antiblockiersystem ABS in Serie.

1979 startete die US-Verkehrsbehörde "National Highway Traffic Safety Administration" (NHTSA) das "New Car Assessment Programme" (NCAP). Das Programm schrieb einen Crashtest mit Dummies bei einem Frontalaufprall mit zunächst 35 mph (56 km/h) auf eine Betonwand vor.

Am 18. April 1979 gründete der Verkehrsberater Jan Tebbe in Bremen den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC).

1980

Seit der Einbaupflicht für Sicherheitsgurte 1974 werden die meisten Autos auch mit Kopfstützen ausgestattet. Kopfstützen sind aber auch 1982 noch ein Problem: "die Vorderlehnen sind häufig zu weich und knicken bei einem Heckaufprall nach hinten durch." Der gesamtwirtschaftliche Nutzen scheint nicht erwiesen, deshalb bleibt eine Vorschrift aus.[15] Auch 1988 sind viele Kopfstützen noch mangelhaft, auch dank einer antiquirten, aber seit 1973 unverändert gültigen ECE Regelung.[16]

Der Fahrer-Airbag wird von Daimler-Benz ab 1980 angeboten, der Beifahrerairbag folgt 1985.

Erst im September 1993 wird der Airbag in den USA vorgeschrieben – als allein wirkendes passives Rückhaltesytem. In Europa gibt es keine entsprechende Vorschrift, hier galt 1980 im Gegensatz zu den USA bereits weitestgehend Anschnallpflicht und der Airbag als zusätzliches unterstützendes System (SRS). Mittlerweile gilt auch in allen Bundesstaaten der USA bis auf New Hampshire Anschnallpflicht. Trotzdem muss der Airbag in den USA Schutz garantieren, wenn die Insassen nicht angeschnallt sind. Der amerikanische Full-Size Airbag hat etwa das doppelte Volumen und die doppelten Kosten des Euro-Size-Airbag.[17]

Ab 1980 gilt eine neu gefasste StVO. Wichtigste Neuerung ist § 3 Absatz 2a: "Die Fahrzeugführer müssen sich gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, daß eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist."

Verkehrsberuhigte Bereiche werden 1980 in der StVO eingeführt. Erstmals gilt wieder: „Fußgänger dürfen die Straße in ihrer ganzen Breite benutzen.“ (§42 Abs. 4a StVO) Tempo-30-Zonen wurden im Modellversuch ab 1983 erprobt. Seit 2001 enthält §45 StVO Regelungen zu Tempo-30-Zonen, Zonen-mit Geschwindigkeitsbeschränkungen von weniger als 30 km/h, verkehrsberuhigten Bereichen, Fußgängerbereichen und Regelungen zum Anwohnerparken.

Trotzdem gilt auch 1990: „Insgesamt ereignen sich jeweils 70-80 Prozent aller schweren und tödliche Innerortsunfälle an Hauptverkehrsstraßen, wobei überhöhte Geschwindigkeiten hier 80 Prozent aller Unfallursachen ausmachen.“

Am 23. Februar 1985 wird in Berlin der FUSS e.V. als »Fußgängerschutzverein« mit dem Anliegen gegründet, die Stimme der Fußgänger in die öffentliche Diskussion einzubringen.

Seit 1985 ist eine Mofa-Prüfbescheinigung vorgeschrieben, vorher war keinerlei Ausbildung erfordelich.

Für Motorräder wird 1986 der Stufenführerschein eingeführt.

Am 1. November 1986 wurde in der Bundesrepublik Deutschland für Fahranfänger der Führerschein auf Probe eingeführt.

Allein in Nordrhein Westfalen wurden von 1980-1990 zwei Milliarden DM in über 10.000 Maßnahmen zur Geschwindigkeitsdämpfung und Verkehrsberuhigung investiert.

Seit 1987 führt der ADAC eigene Crashtests durch und veröffentlicht die Ergebnisse (PDF).

Zwischen 1980 und 1990 werden an Fahrrädern immer mehr Reflektoren vorgeschrieben. Bis 1980 sind nur Reflektoren an den Pedalen und ein kleiner roter Reflektor (Katzenauge) hinten vorgeschrieben. 1992 sind insgesamt 11 Reflektoren vorn, hinten und an den Seiten Pflicht.

Unzureichende Bremswerte bei Nässe werden als Sicherheitsproblem an Fahrrädern erkannt, Mindestwerte werden Vorschrift. Die deutsche Sicherheitsnorm für Fahrräder DIN 79100-2 erschien 1978, wurde stetig dem technischen Fortschritt angepasst und schließlich durch europäische Normen ersetzt.

1990

Nach 1985 wurden Autositz, Sicherheitsgurt, Gurtstraffer und Airbag zu einem integrierten fahrzeugspezifischen Rückhaltesystem weiterentwickelt. Neben Fahrer- und Beifahrerairbag wurden Seiten-, Kopf-, Thorax-, Knie-, Fuß- und Fondairbags entwickelt. Moderne Fahrzeuge sind mit bis zu zehn Airbags ausgestattet. Nach dem ABS wuren eine Vielzahl weiterer Fahrerassistenzsysteme als Systeme zur Fahrerunterstützung, Unfallvermeidung oder zur Minderung von Unfallfolgen entwickelt. Dazu gehören Reifendruckkontrolle, Fahrdynamiksysteme (ESP), Bremsassistenten, Abstandsregelung, Kurvenlicht, Spurassistenten, Nachtsichtgeräte, Navigationssysteme oder Einparkhilfen. Die verschiedenen Systeme bauen teilweise aufeinander auf und werden zunehmend elektronisch vernetzt. Damit wird das Fahrzeug zu einem integrierten Sicherheitssystem.

Bis Anfang der 1990er entwickelt das EEVC Crashtests mit Dummies für den Insassenschutz beim Front- und Seitenaufprall und ein Prüfpaket für den Fußgängerschutz an der Fahrzeugfront.

Gesetzlich vorgeschrieben ist in Europa zu diesem Zeitpunkt lediglich ein Crashtest mit frontalem Aufprall auf eine Betonwand, der einzig und allein prüfen soll, ob die Lenksäule in den Innenraum eindringt. Getestet wird der leere Wagen, ohne Dummies.

1992 haben fast alle Autos Kopfstützen an den Vordersitzen, die Hälfte ist allerdings zu niedrig eingestellt. Als Maßstab gilt noch die Augenhöhe. Viele Kopfstützen lassen sich gar nicht hoch genug einstellen.[18]

1992 wird in Nordrhein-Westfalen die Arbeitsgemeinschaft "Fahrradfreundliche Städte und Gemeinden in NRW" (AGFS) gegründet.

Die Bestrebungen, die vom EEVC entwickelten Crashtests in europäische Gesetzgebung umzusetzen, werden von der Automobilindustrie vehement abgelehnt. Im Juni 1994 schlägt das Transport Research Laboratory (TRL) dem Verkehrsministerium vor, auf Basis der EEVC Tests ein NCAP Programm in Großbritannien zu starten, das später auf Europa ausgedehnt werden soll. Von vornherein ist vorgesehen, die Testergebnisse zur Information der Verbraucher öffentlich zu machen. Die versammelte Autoindustrie lehnt das Vorhaben strikt ab ("manufacturers’ response was very negative").

1995 wird das NCAP Programm in Großbritannien beschlossen und es beginnen Gespräche mit der EU, um weitere Partner zu finden. 1996 werden die ersten Tests durchgeführt und auf der "International Technical Conference on the Enhanced Safety of Vehicles" (ESV), in Melbourne präsentiert. Europäische Verbraucherorganisationen unterstützen das Projekt.

Im November 1996 wird mit internationaler Beteiligung "Euro NCAP" gegründet. Im Februar 1997 werden die ersten bewerteten Ergebnisse veröffentlicht. Die Autoindustrie reagiert mit scharfer Ablehnung. Die Kriterien seien so streng, dass kein Auto beim Insassenschutz auch nur vier Sterne erreichen könne. Fünf Monate später bekommt der Volvo S40 als erstes Auto eine 4-Sterne-Wertung.

Im Gegensatz zu großen Fortschritten im Insassenschutz bleibt der Fußgängerschutz unbefriedigend. [19]

Seit 1995 gibt es die "Arbeitsgruppe Fußverkehr" als gemeinsame Arbeitsgruppe des FUSS e.V., dem Fachverband für Fußverkehr in Deutschland, und der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung e.V. (SRL).

1996 veröffentlicht der ADAC den ersten PKW-PKW-Crashtest.

1997 folgen Versuche zum Partnerschutz.

Crashtests mit zwei Fahrzeugen sehr unterschiedlicher Größe oder Bauart rückten den „Partnerschutz“ in den Focus der Aufmerksamkeit. Das Unfallgeschehen in der Realität und die Ergebnisse aus PKW-PKW-Tests zeigten, dass die alleinige Erfüllung des Selbstschutzes nicht ausreichend ist. Etwa 20 % der getöteten PKW-Insassen kommen bei PKW-PKW-Kollisionen ums Leben. Allerdings sind etwa 50% dieser Unfälle Front-Seiten-Kollisionen. [20]

Das Konzept „Vision Zero" wird 1995 von der schwedischen Straßenverwaltung entwickelt. 1997 erklärt das Schwedische Parlament „Vision Zero" zur Richtlinie der Verkehrssicherheit. Die Grundphilosophie: Die Sicherheit aller Elemente des Verkehrssystems wird soweit gesteigert, bis das gesamte System fehlertolerant ist und niemand mehr getötet oder schwer verletzt wird. Das Verkehrssystem muss auf den Menschen abgestimmt werden, nicht umgekehrt.

Seit dem 1. Juni 1998 sind Kopfstützen auf den äußeren Vordersitzen bei neuen Fahrzeugtypen, seit 1. Oktober 1999 für alle neuen Kraftfahrzeuge bis 3,5t vorgeschrieben.

Die Einführung der 0,5 Promille-Grenze (ohne Fahrverbot) am 1. Mai 1998 führt zu einem starken Rückgang der Alkoholunfälle und der Zahl der dabei Getöteten.

1999 sind sichere Kopfstützen immer noch nicht selbstverständlich. Etwa 70 % der Autoinsassen stellen ihre Kopfstütze zu niedrig ein. Allerdings gilt 1999 die Oberkante des Kopfes als Maßstab und nicht mehr die Augenhöhe, wie noch 1992. Der Heckaufprall ist mittlerweile als häufigster Kollisionstyp bei Unfällen zwischen PKW erkannt (54 % der Unfälle).[21]

2000

Ab 1. April 2001 drohen Fahrverbote schon ab 0,5 Promille. Die 0,8 Promille Grenze entfällt.

Seit dem 1. Januar 2002 gibt es strenge Einsatzkriterien für Zebrastreifen (R-FGÜ 2001) die deutlich machen, dass ggf. die Straße an den Fußgänger angepasst werden muss und nicht umgekehrt.

2004 stellt der Verkehrsclub Deutschland (VCD) den Masterplan „Vision Zero - Null Verkehrstote" vor.[22]

Noch 2005 kommt die Stiftung Warentest bei einem (Test von Kinderfahrrädern) zu dem Ergenbis: "Lieblos gebaut, schlampig verarbeitet, schnell kaputt." Fazit: "Gute Kinderfahrräder gibt es nicht. Zumindest nicht in diesem Test."

Seit dem 1. Oktober 2005 gilt erstmals eine europäische Richtlinie über die Gestaltung der Frontpartie von Fahrzeugen zum Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern (2003/102/EG). Die Richtlinie legt für die EU-Typprüfung von neuen Fahrzeugtypen bis 2,5t Grenzwerte fest, die bei der Kollision eines Fahrzeugs mit einem Fußgänger nicht überschritten werden dürfen.[23]

Am Beispiel des Fußgängerschutzes verdeutlicht die Automobilindustrie ihre Forderung nach einem integrierten Sicherheitsansatz aus aktiver und passiver Sicherheit. Nur mit der Kombination aus aktiven Elementen wie dem Bremsassistenten und passiven Elementen wie der „fußgängerfreundlichen“ Fahrzeugfront könne eine wirksame Optimierung des Fußgängerschutzes erreicht werden. [24]

2007 zeigte ein ADAC-Crashtest mit zwei Autos deren Baujahre 20 Jahre auseinander liegen, den Fortschritt der letzten 20 Jahre: „Obwohl die Mittelklasse-Limousine Sierra deutlich größer ist, fällt das Verletzungsrisiko drastisch höher aus als beim modernen Kleinwagen Fiesta.“

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) erklärt am 16. Oktober 2007 „Vision Zero“ zum neuen Leitbild der Verkehrssicherheitsarbeit im DVR.[25]

Die Sicherheit für Fahrzeuginsassen endet auch bei den modernsten Serienfahrzeugen spätestens beim Aufprall mit 80 km/h gegen ein festes Hindernis. (ADAC Crashtest, WDR Crashtest) Das 1971 für das Experimental Safety Vehicle formulierte Ziel: "Das ESV "muß bei eine Geschwindigkeit von ca. 80 km/h gegen eine Betonbarriere knallen können, ohne daß die Insassen ernsthaften Schaden erleiden." hatte sich bereits 1974 als praktisch nicht erreichbar herausgestellt.

Die Sicherheit für Fußgänger endet bei Tempo 30. Auch im Jahr 2008 ist Tempo 30 vor Schulen und Kindergärten in Deutschland nicht selbstverständlich.[26]

Im Jahr 2006 werden 5091 Personen im Straßenverkehr getötet, 1384 davon innerorts, 645 auf Autobahnen und 3062 auf anderen Straßen, 23 % aller Getöteten sind Fußgänger oder Radfahrer[27])

2008 ist die Zahl der Verkehrstoten in Deutschland so niedrig wie noch nie seit Einführung der Statistik.

Literatur

  • Heiner Monheim, Rita Monheim-Dandorfer: Straßen für alle, Hamburg 1990
  • Kurt Möser: Geschichte des Autos, Frankfurt/Main 2002
  • Harry Niemann, Armin Herrmann (Hrsg.): Geschichte der Verkehrssicherheit im Wechselspiel zwischen Fahrzeug, Fahrbahn und Mensch, Bielefeld 1999.
  • auto motor und sport (zuerst: Das Auto, Motor und Sport), Jahrgang 1957ff
  • Erhard Schütz, Eckhard Gruber: Mythos Reichsautobahn - Bau und Inszenierung der Straßen des Führers, Lizenzausgabe Augsburg 2006 (zuerst Berlin 1996)
  • Dorothee Hochstetter: Motorisierung und "volksgemeinschaft": Das nationalsozialistische Kraftfahrkorps (nskk) 1931-1945, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2005 (Dissertation Berlin 2003)
  • Deutsches Reichsgesetzblatt - Teil 1 - Inneres, 1934 und 1937, Österreichische Nationalbibliothek, ALEX (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  • Statistisches Bundesamt Deutschland Startseite → Weitere Themen → Verkehr → Verkehrsunfälle (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  • ADAC Startseite → Verkehr → Statistiken (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  • Helmut Engel: Das Auto, Geburt eines Phänomens - eine Berliner Geschichte, Berlin 2000
  • Maria Limbourg: Von der Verkehrserziehung zur Mobilitätserziehung in: Institut Wohnen und Umwelt: Mit dem Fahrrad durchs NetzKonzepte und Grundlagen einer zeitgemäßen Mobilitätserziehung. Darmstadt 2004, zitiert nach Pdf (Abgerufen am 19. Oktober 2008)

Einzelnachweise

  1. Statistisches Bundesamt, Verkehrsunfälle (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  2. Reichsgesetzblatt 1923 I, S. 180 (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  3. Von der Verkehrserziehung zur Mobilitätserziehung, S. 3 (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  4. Querfinanzierung historisch betrachtet (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  5. Berlin → Zebrastreifen → Geschichte (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  6. Statistisches Bundesamt: Entwicklung der Zahl der im Straßenverkehr Getöteten 1953-2007 (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  7. FAZ 6. Juli 2007: 50 Jahre Tempo 50 (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  8. Vonolfen, W. (1954). Der Verkehrsunterricht – Handbuch für Erzieher. Dortmund, 1954, S.16.
  9. ILS Vorlesung Stadtentwicklung, Exkurs: Der Buchanan-Report "Traffic in towns" (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  10. Berlin → Zebrastreifen → Geschichte (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  11. Statistisches Bundesamt, Verkehrsunfälle (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  12. auto motor und sport 1970, Heft 17, S. 26
  13. Rhein-Zeitung 21. Januar 1997 (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  14. Institut für Zweiradsicherheit, Helmtragepflicht (abgerufen am 22. Oktober 2008
  15. auto, motor und sport 1982, Heft 16, S. 31ff
  16. auto, motor und sport 1988, Heft 2, S. 110ff
  17. Jörg Böhm, Passive Sicherheit von Kraftfahrzeugen durch moderne Rückhaltesysteme (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  18. auto, motor und sport 1992, Heft 16, S. 146ff
  19. Euro NCAP history (englisch) (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  20. Bundesanstalt für Straßenwesen, Partnerschutz im Pkw-Pkw-Unfall, 2005 (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  21. auto, motor und sport 1999, Heft 16, S. 146ff
  22. Masterplan Vision Zero (Abgerufen am 21. Oktober 2008)
  23. EUROPA > Zusammenfassungen der Gesetzgebung > Schutz von Fußgängern und anderen ungeschützten Verkehrsteilnehmern (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  24. Verband der Automobilindustrie, Jahresbericht 2006 (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  25. Vorfahrt für „Vision Zero“ (Abgerufen am 21. Oktober 2008)
  26. Tagesspiegel Berlin, 15. Juli 2008 (Abgerufen am 19. Oktober 2008)
  27. ADAC Statistik (Abgerufen am 19. Januar 2009)

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