- Gezeitenkräfte
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Die Gezeitenkraft ist eine Kraft, die durch die unterschiedlich hohe Gravitationswirkung auf verschiedene Punkte eines räumlich ausgedehnten Körpers entsteht.
Die Voraussetzung für das Auftreten einer Gezeitenkraft ist, dass der Körper in einem inhomogenen Gravitationsfeld frei fällt, so dass auf verschiedene Teile des Körpers unterschiedlich starke oder unterschiedlich ausgerichtete Gravitationsfelder, ansonsten aber keine äußeren Kräfte wirken. Im kugelsymmetrischen Gravitationsfeld eines Himmelskörpers gilt, dass die Punkte des fallenden Körpers, die der Quelle des Feldes näher sind, einer höheren Fallbeschleunigung ausgesetzt sind als Punkte, die weiter entfernt sind. Durch diese Differenz der Fallbeschleunigungen entsteht in dem fallenden Körper eine Spannung, so als würde man versuchen, ihn in Richtung der Anziehungskraft zu dehnen.
Die Gezeitenkraft hat nur für sehr große Körper oder in Gravitationsfeldern mit hohen Gradienten merkliche Auswirkungen. Auf der Erde sind die Gezeitenkräfte, die Mond und Sonne auf die Erde ausüben, die Ursache der Gezeiten (siehe auch: Erdgezeiten).
Im Gegensatz zu vielen populärwissenschaftlichen Darstellungen ist es keine Voraussetzung für das Auftreten von Gezeitenkräften, dass sich die beteiligten Körper umkreisen. Die Gezeitenkraft tritt auch dann auf, wenn ein Körper geradeaus auf einen anderen Körper herunterfällt. Fällt man mit den Füßen voran nach unten, so werden die Füße etwas stärker von der Erde angezogen als der Kopf, so dass es trotz des freien Falls zu einer inneren Spannung kommt, die den Körper auseinanderzieht, da die Füße schneller fallen wollen als der Kopf.
Inhaltsverzeichnis
Physikalische Beschreibung
Die Gezeitenbeschleunigung, die ein Körper M auf den im Abstand r umkreisten Himmelskörper Mg mit dem Durchmesser 2R verursacht, ist die Differenz der Gravitationsbeschleunigung und der Zentrifugalbeschleunigung. Sie beträgt ungefähr:
- .
Denn:
Die Gravitationbeschleunigung eines Körpers aG in einem äußeren Gravitationsfeld der Masse ist gegeben durch- ,
mit der Gravitationskonstante G und dem Abstand r.
Auf ein Massenelement in einem Abstand R vom Schwerpunkt, der Einfachheit halber auf der Verbindungslinie zwischen Körperschwerpunkt und der Masse, die das Gravitationsfeld erzeugt, wirkt die Beschleunigung
- .
Dabei ist r+R der Punkt auf der der Masse abgewandten, r-R auf der zugewandten Seite.
Da die Bewegung dieses Massenelements jedoch durch die Bewegung des Körperschwerpunktes festgelegt ist, erfährt es eine Effektivbeschleunigung, die Gezeitenbeschleunigung ag, die auf beiden Seiten vom Körperschwerpunkt wegweist:
- mit x = R/r klein gegen 1.
Die Näherung folgt aus der Reihenentwicklung um x=0 und Abbruch nach dem linearen Glied von
Die Gezeitenkraft skaliert mit der dritten Potenz des Abstandes vom Gravitationszentrum und fällt schneller ab als die Gravitationskraft, die quadratisch skaliert. Dies führt z. B. dazu, dass wegen der Abstände die Gezeitenkräfte des Mondes auf die Erde größer sind als die der Sonne, obwohl die Sonne eine größere Gravitationskraft auf die Erde ausübt.
Andererseits nimmt die Gezeitenkraft proportional mit der Ausdehnung des Körpers, auf den sie einwirkt, zu. Das ist zum Beispiel wichtig bei der Einschätzung der Gezeitenwirkung auf die äußerste Atmosphäre eines Planeten, die sich bis weit in den Raum erstrecken kann. In manchen Näherungsrechnungen werden auch starre Modelle ausgedehnter Systeme angenommen, dann wirkt die Gezeitenkraft auf das ganze ausgedehnte Modell. Beispiel: Nimmt man Erde - Mond als starren Kreisel unter dem Einfluss der Sonne an, dann wirkt die Gezeitenkraft der Sonne auf ein System mit Radius 380.000 km ein.
Gezeitenkraft
Eine Gezeitenkraft wird durch die Gravitationswirkung eines schweren (Himmels)körpers verursacht, und wirkt auf ein ausgedehntes Objekt in diesem Gravitationsfeld. Allerdings ist die Gezeitenwirkung deutlich geringer als die Gravitationswirkung: Die Gravitation bewirkt allgemein eine anziehende Kraft, die das Objekt beschleunigt. Die Gezeitenwirkung dagegen entsteht, wenn an verschiedenen Stellen des Objektes eine unterschiedlich starke Gravitationskraft wirkt. Sie ist also ein der direkten Gravitationswirkung nachgeordneter Effekt.
Ein starres Objekt im Gravitationsfeld bewegt sich (zumindest im Rahmen der klassischen Mechanik) als ob all seine Masse im Schwerpunkt vereint sei. Da die Gravitation mit der Entfernung abnimmt, ist die Anziehungskraft auf der Seite des Objekts, die der Gravitationsquelle näher ist, höher als auf der gegenüberliegenden Seite. Deswegen entsteht im Objekt eine Zugspannung:
Die Stärke der Gezeitenkräfte hängt von der Differenz der Gravitationskraft an beiden Seiten des Objektes ab. Offensichtlich bewirkt ein steiles Gravitationspotential, wie es in der Nähe kleiner, sehr massiver Objekte (Schwarzes Loch, Neutronenstern) auftritt, starke Gezeitenkräfte. Daneben ist die Ausdehnung des Objektes von Bedeutung: Je größer das Objekt, desto größer kann die Differenz der Gravitationskraft an Vorder- und Rückseite werden.
Exakt wird die Gezeitenkraft durch den Weyl-Tensor beschrieben; sie folgt näherungsweise einem inversen kubischen Gesetz. Diese Näherung lässt sich durch Differenzbildung aus der Gravitationskraft
(M ist die Masse des Körpers, der die Gravitation bewirkt; m ist die Masse des Objekts im Gravitationsfeld; r ist ihr Abstand) zwischen dem nahen und fernen Punkt des Objekts motivieren:
Im Grenzfall kleiner Abstände dr von nahen zu ferneren Massenanteilen von m entsteht hieraus
Die im Bild veranschaulichten Gezeitenkräfte sind so orientiert (Vorzeichen), dass sie auf der massenahen Seite die am Schwerpunkt angreifende Schwerkraft verstärken und auf der massefernen Seite abschwächen.
Wegen der Abhängigkeit mit der dritten Potenz des Abstands nimmt die Gezeitenkraft mit der Entfernung viel stärker ab als die Gravitationskraft.
Die Gezeitenkräfte der Sonne auf der Erde sind weniger als halb so groß wie die des Mondes, während die Gravitationskraft rund 175 mal größer ist. Die Gezeitenkraft des Mondes ruft eine Auslenkung einer Wasseroberfläche von ca. 30 cm hervor, die der Sonne von ca. 14 cm (Eigenschwingungen verursachen an den Küsten deutlich höhere Tiden).
Bezogen auf die Gravitationskraft des Mondes (also MMond/r³Erde-Mond = 1) verursachen Himmelskörper folgende relativen Gezeitenkräfte und absoluten Auslenkungen auf der Erde:
Himmelskörper; Rel. Kraft; Auslenkung Mond 1 30 cm Sonne 0,45 14 cm Mars in Opposition 0,000'002 0,5 µm Mars in Konjunktion 0,000'000'01 3 nm Venus in unt. Konj. 0,000'05 17 µm Jupiter 0,000'006 2 µm
Roche-Grenze
Hauptartikel: Roche-Grenze
Ist der Abstand eines Trabanten zu seinem Zentralkörper sehr gering, so werden die Gezeitenkräfte sehr stark.
Um die Stabilität eines Körpers zu untersuchen, betrachtet man die Gezeitenkräfte im Vergleich zu den Gravitationskräften, die den Körper selbst zusammenhalten. Die Stabilitätsgrenze ist hierbei erreicht, wenn die Gezeitenkräfte größer werden als die Gravitationskräfte, wobei man zur Abschätzung den Trabanten in zwei Teilkörper unterteilt, mit jeweils der halben Trabantenmasse in einem Abstand, der seinem Radius rt entspricht:
- ,
mit dem Abstand r von der Zentralmasse , c ist hierbei eine Konstante von der Größenordnung 1. Mit den mittleren Dichten ρ und ρt des Zentralkörpers und des Trabanten, sowie dem Radius R des Zentralkörpers erhält man
- .
Eine genauere Rechnung ergibt
- .
Bei einem Abstand von weniger als dem 2,44-fachen des Radius seines Zentralkörpers wird ein Trabant mit gleicher Dichte durch die Gezeitenkräfte auseinander gerissen bzw. kann sich gar nicht erst bilden. Dieser Abstand wird nach Édouard Albert Roche, der diese Abschätzung erstmals durchgeführt hat, Roche-Grenze genannt.
Diese Überlegungen gelten für größere Körper, die durch ihre eigene Schwerkraft zusammengehalten werden (siehe Zwergplanet). Bei kleineren Körpern überwiegt die Stabilität durch Kohäsionskräfte. Bei künstlichen Satelliten spielt der Zusammenhalt durch die eigene Gravitation überhaupt keine Rolle.
Kosmische Beispiele
Die Saturnringe liegen zum großen Teil innerhalb der Roche-Grenze des Saturn. Dies ist neben den Hirtenmonden, deren Stabilität durch innere Kohäsionskräfte erhöht wird, der Hauptgrund für die Stabilität des Ringsystems.
Der Komet Shoemaker-Levy 9 passierte im Juli 1992 den Planeten Jupiter und zerbrach dabei in 21 Fragmente zwischen 50 und 1000 m Größe, die sich auf einer mehrere Millionen Kilometer langen Kette aufreihten. Zwischen dem 16. und dem 22. Juli 1994 schlugen diese Bruchstücke dann auf Jupiter auf.
Bei engen Begegnungen von Sternen mit einem Abstand, der geringer ist als die Roche-Grenze, werden diese in einer so genannten Sternkollision stark verändert, meist wird der kleinere zerrissen.
Auf der Erde führen die Gezeiten in den Meeren zu Ebbe und Flut. Die Gezeiten wirken jedoch auch auf den Erdmantel selbst, so dass auch die Kontinente selbst den Gezeiten mit einer Verzögerung von zwei Stunden folgen, allerdings ist der Effekt mit Vertikalbewegungen von 20 bis 30 Zentimeter deutlich geringer als die mehrere Meter hohen Tiden der Meere.
Durch die Gezeiten in großen Meeren können durch den Tidenhub lokal sehr starke Strömungen entstehen. Die dabei vorhandene kinetische Energie kann mittels eines Gezeitenkraftwerks genutzt werden.
Gezeitenreibung
Die Gezeitenkräfte bremsen die Rotation der beteiligten Körper, dabei wird der Rotations-Drehimpuls aufgrund der Drehimpulserhaltung auf den Bahndrehimpuls des Mondes übertragen. Der Mechanismus dazu ist folgender: Durch die Gezeitenkräfte kommt es zu einer Verformung des Zentralkörpers (Gezeitenberge, d.h. Flutwellen auf der Erde, aber auch die Verformung der festen Erdoberfläche infolge der Gezeiten). Wenn der Planet schneller rotiert, als der Mond umläuft, bewegen sich diese Gezeitenberge immer "vor" dem Mond. Das ist eine Folge der Trägheit der Massen auf dem Zentralkörper (im allgemeinen Sinn, nicht nur Massenträgheit im Sinne von Impulserhaltung). Diese vorlaufenden Gezeitenberge verursachen eine Komponente in der Gravitationskraft, die auf den Mond in Vorwärtsrichtung einwirkt ("Vorwärts" im Sinne des Mondumlaufs). Die so zugeführte Energie wird sofort in potenzielle Energie umgesetzt, wodurch der Mond langsam aber sicher eine höhere und langsamere Umlaufbahn einnimmt.
Eine Gezeitenreibung tritt umgekehrt auch auf dem umlaufenden Mond ein.
Dieser Effekt führt eventuell zu einer gebundenen Rotation des kleineren Körpers, wie es z. B. beim Erdmond der Fall ist. Kommt es bei beiden Körpern zu einer gebundenen Rotation, so spricht man von Korotation.
Als weiterer Effekt vergrößert sich, wenn Bahndrehimpuls und Rotation die gleiche Richtung besitzen, der Abstand der beiden Körper, wenn die Rotation des größeren Körpers schneller als der Umlauf des kleineren Körpers ist. Sind Bahndrehimpuls und Rotation entgegengerichtet, was vor allem bei eingefangenen Körpern auftreten kann, oder umrundet der kleinere Körper den größeren schneller als dieser rotiert, wird der Abstand hingegen verringert.
In einer genaueren Analyse müssen Energie und Drehimpuls in diesem Prozess separat bilanziert werden, da es für beide Größen in der Physik jeweils einen Erhaltungssatz gibt. Die folgenden Erläuterungen gehen zwecks besserer Verständlichkeit von einem isolierten Planet - Mond System aus. Das ist kein vollständiges Modell, da es andere Planeten, die Sonne (Zentralstern) und andere äußere Einflüsse geben kann, die dieses System stören würden (siehe auch Störungsrechnung).
Energieerhaltung: Der Planet verliert Rotationsenergie durch Reibung bei der kontinuierlichen Bildung der Gezeitenberge (Verformung des Planeten auf Grund der Gezeitenkraft), und durch die Übertragung von Energie auf den Mond infolge der Gravitationswirkung der Gezeitenberge. Diese Energie findet sich in der Rotationsenergie des Mondes, einer Erwärmung (Wärmeenergie) der Erde durch Reibung, den Strömungen im Erdinneren (kinetische Energie) und den durch einen MHD-Prozess ausgelösten Veränderungen im Magnetfeld der Erde wieder (genauer: elektromagnetisches Feld).
Drehimpulserhaltung: Der Drehimpulsverlust bei der Abbremsung der Erdrotation wird auf den Drehimpuls des Mondes in seinem Orbit um die Erde (Bahndrehimpuls), auf den Drehimpuls von Strömungen im Erdinneren, und auf das Erdmagnetfeld (elektromagnetisches Feld) der Erde übertragen.
Welche dieser Energie- oder Drehimpulsformen für ein bestimmtes Planet-Mond-System von Bedeutung sind, hängt von den Umständen ab. Da es sich allgemein um Prozesse aus dem Gebiet der Magnetohydrodynamik unter dem Einfluss der Gravitation handelt, ist die Aufgabenstellung in der Regel nicht trivial.
Für exotische Konstellationen muss eventuell berücksichtigt werden, dass auch Elementarteilchen Energie und Drehimpuls tragen können (Teilchenstrahlung).
Auswirkungen
Der Name Gezeitenkraft rührt daher, dass es dieser Effekt ist, der auf der Erde die Gezeiten hervorruft. Gezeitenkräfte sind noch für eine Reihe weiterer Erscheinungen verantwortlich:
- Durch Gezeitenkräfte verformen sich Himmelskörper, sie werden leicht in Richtung der Gravitation in die Länge gezogen. Rotiert der Himmelskörper, so wird er dabei "durchgewalkt", ähnlich wie ein platter Reifen am Auto. Dadurch wird Rotationsenergie in Wärme umgewandelt; die Rotation verlangsamt sich dadurch so lange, bis sich eine gebundene Rotation einstellt. Der Erdmond weist der Erde aufgrund dieses Effektes immer die gleiche Seite zu. Beim Jupitermond Io sind es Gezeitenkräfte, die die Wärmeenergie für den Vulkanismus erzeugen.
- In Doppelsternsystemen können Gezeitenkräfte einen Materiefluss von einem Stern zum anderen verursachen, was in bestimmten Fällen zu Supernovae (Typ 1) führen kann.
- Sind die Gezeitenkräfte stärker als die Kräfte, die ein Objekt zusammenhalten, so können sie auch zum Zerreißen des Objekts führen, so geschehen beim Kometen Shoemaker-Levy 9 (Roche-Grenze).
Weblinks
- Die Gezeiten
- N. Gasch: Rhythmen des Mondes – Geologische Zeugnisse aus alter Zeit
- www.nordwestreisemagazin.de/ebbeflut.htm Die Gezeiten an der Nordseeküste
- Gezeiten-Simulation
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