Graswurzel-Bewegung

Graswurzel-Bewegung

Als Graswurzelbewegung wird im deutschsprachigen Raum eine politische oder gesellschaftliche Initiative bezeichnet, die aus der Basis der Bevölkerung entsteht.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsherkunft

Es besteht weitgehender Konsens darüber, dass der Begriff ursprünglich aus dem angloamerikanischen Sprachraum stammt. Die zweite Ausgabe des Oxford English Dictionary verweist auf „McClure’s Magazine“ vom Juli 1912, wo die „Graswurzel” erstmals im Kontext einer Kampagne oder Organisation verwendet wird. Mehrere Quellen legen nahe, dass der Begriff aus dem Umfeld von Theodore Roosevelt und seinem damaligen Präsidentschaftswahlkampf stammt. Die „grass roots“ sollten für den Kandidaten gewonnen werden, also die einfachen Menschen aus der breiten Masse.

Die Erstverwendung des Begriffes im Deutschen ist ungeklärt. Der Anarchismusforscher Günter Bartsch führt ihn auf ein vom US-amerikanischen Dichter Walt Whitman schon früher inspiriertes Konzept eines „grassroots movement” zurück. Andere schreiben die Begriffsbildung dem Friedensforscher Theodor Ebert oder ungenannten Personen aus der einfachen Bevölkerung zu.[1]

In Deutschland aufgetreten ist ein sich als „Graswurzelbewegung“ bezeichnendes loses Netzwerk verschiedener Basisinitiativen spätestens seit Anfang der 1970er Jahre im Umfeld der Neuen Linken. Dort wurde „Graswurzelbewegung“ übernommen als symbolische Bezeichnung für eine vom Anarchopazifismus beeinflusste Bewegung.

1994 wurde der Begriff in Howard Rheingolds Buch „Virtuelle Gemeinschaft” verwendet, um die Entstehung virtueller Gemeinschaften durch Internet oder BBS zu charakterisieren.

Mitunter werden in einem allgemeinen und übergeordneten Sinn auch „Bürgerinitiative” oder „Bürgerbewegung” unter der Begrifflichkeit „Graswurzelbewegung“ subsumiert. Außerdem wird der Begriff heute metaphorisch für jegliche Art von Bottom-up-Ansatz in Politik und Gesellschaft verwendet.

Charakter

Graswurzelbewegungen haben typischerweise basisdemokratische und konsensorientierte Strukturen, da sie den gewöhnlichen lobbyistischen oder parteipolitischen Meinungsbildungsprozess umgehen wollen. Der Wandel soll durch engagierte Artikulation von Bürgerinteressen gegenüber als starr empfundenen staatlichen Organisationen erreicht werden. Das Internet hat eine große Bedeutung für die „Graswurzelorganisierung” von Interessen, da es gerade für Ideen außerhalb des Mainstreams eine kostengünstige Plattform bietet, zum Beispiel in Form von Social Software.

Ideologisch-politische Ausrichtung

Das Ziel von einigen Graswurzel-Initiativen ist es, gesellschaftliche Alternativen zum Bestehenden aufzubauen, bis hin zum revolutionären Anspruch, grundsätzliche Systemveränderungen zu bewirken. Dabei wird sowohl auf den langfristigen Aufbau von Netzwerken gesetzt, als auch auf „spektakuläre“ Einzelaktionen, die in erster Linie Öffentlichkeit schaffen sollen. Nicht selten bedient man sich hierbei der Methoden des zivilen Ungehorsams. Einige Vertreter dieser Richtung haben sich ein gemeinsames Dach in der Art eines Netzwerks gegeben, das sich dem Pars pro Toto-Prinzip folgend auch „Graswurzelbewegung” nennt. Ein wichtiges Sprachrohr dieser Bewegung, die mit einem basisdemokratischen und anarchopazifistischen Anspruch auftritt, ist die seit 1972 erscheinende Zeitschrift Graswurzelrevolution.

Spezifische Ausrichtung

Andere Graswurzelbewegungen lehnen einen umfassenden Ansatz ab, und wollen stattdessen in erster Linie Sacharbeit an einem konkreten Thema leisten. In diesem Licht können etwa private Hilfsorganisationen betrachtet werden oder auch der europäische Protest der Softwareentwickler gegen das Vordringen des Patentsystems in ihren Bereich (Softwarepatente). Die Wikipedia wird ebenfalls als typisches Beispiel für ein Graswurzelprojekt gesehen, wobei hier die thematische Ausrichtung besonders in den Vordergrund gestellt wird.

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Florian Melchert, Fabian Magerl, Mario Voigt (Hrsg.): In der Mitte der Kampagne - Grassroots und Mobilisierung im Bundestagswahlkampf 2005. Berlin/München 2006, ISBN 3-9-3845607-8.
  • Joe Foweraker: Grassroots movements, political activism and social development in Latin America: a comparison of Chile and Brazil. UNRISD, Genf 2001 (Schriftenreihe des United Nations Research Institute for Social Development)
  • Jill M. Bystydzienski (Hrsg.): Democratization and women’s grassroots movements. Indiana Univ. Press, Bloomington (Indiana) 1999; Kali for Women, New Delhi 2002. 397 S. ISBN 81-86706-54-2

Quellen

  1. Bernd Drücke: Zwischen Schreibtisch und Straßenkampf. Klemm & Oelschläger, Ulm 1998, ISBN 3932577051

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