Göringwerke

Göringwerke

Die Reichswerke Hermann Göring (offizielle Bezeichnung Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“) waren neben der I.G. Farben und der Vereinigte Stahlwerke AG der größte deutsche Konzern im Dritten Reich.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Bereits seit 1919 war bekannt, dass die Eisenerze bei Salzgitter nicht nur im Tagebau vorkommen, sondern bis zu einer Tiefe von 1000 Metern in der Umgebung. Die großtechnischen Voraussetzung zur Verwertung dieser kieselsäurehaltigen Eisenerze lieferten die Forscher Professor Max Paschke und sein Assistent Preetz der Bergakademie Clausthal, als sie im Jahre 1934 ein Hochofen-Verfahren entwickelten, das die Möglichkeit eröffnete das saure Eisenerz zu „Thomas-Roheisen“ zu schmelzen. Im englischen Corby wurde das erste Eisenhüttenwerk gebaut, das dieses Verfahren anwendete. Paul Pleiger reiste im Auftrag der Reichsregierung nach England, besichtigte das Werk und berichtete Hermann Göring positiv darüber. Das Vorkommen bei Salzgitter wurde nach Erkundung mit 396 Tiefbohrungen auf ca. 3 Milliarden Tonnen mit einem Mindesteisengehalt von 23 Prozent geschätzt. Im Rahmen des Vierjahresplans zur Kriegsvorbereitung beschloss die nationalsozialistische Reichsregierung ein Werk mit 34 Hochöfen im Raum Salzgitter zu bauen.[1]

Gründung

Ab April 1937 planten Hermann Göring, Paul Pleiger und Hermann Alexander Brassert die Gründung der Reichswerke AG und diese Aktiengesellschaft mit Sitz in Berlin wurde am 15. Juli 1937 mit einem Kapitaleinsatz von 5 Millionen Reichsmark zunächst zum Abbau der in Deutschland lagernden, eisenarmen Erze gegründet. Der Staat übernahm einem 90prozentigen Aktienanteil und im Juni 1941 wurde der Sitz von Berlin nach Salzgitter verlegt.

An der Spitze der Aktiengesellschaft stand Göring, der zunächst Paul Pleiger zum Vorstandsvorsitzenden ernannte. Im ersten Aufsichtsrat nach Gründung saßen Paul Körner (Staatssekretär und Stellvertreter Görings für den Vierjahresplan), Dietrich Klagges (Ministerpräsident des Freistaats Braunschweig), Kurt Lange (Leiter der Finanzen im Rohstoffamt), Arthur Nasse (Ministerialdirigent im Reichswirtschaftsministerium), Hellmut Röhnert (Vorstandsvorsitzender von Rheinmetall-Borsig), Wilhelm Voss (Vorstandsvorsitzender von 1939 bis 1941) und Wilhelm Keppler (Leiter der Wirtschaftsorganisation in der NSDAP und Aufsichtsratsvorsitzender der Braunkohle Benzin AG (BRABAG)). Die Machtfülle Görings war übergroß, denn jede Bestellung oder Abberufung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie Verabschiedung der Geschäftsordnung bedurften der Zustimmung Görings.[2]

Der Abbau des Eisenerzvorkommens war zwar unrentabel, wurde aber innerhalb der Autarkiebestrebungen des Vierjahresplans zur Rüstungsproduktion als notwendig erachtet. Bei der Herstellung von 1 Tonne Roheisen entstand bei der „sauren“ Verhüttung 1,25 Tonnen Schlacke.[3]
Die Hermann-Göring-Werke waren ein Staatskonzern, denn 90 Prozent der Stammaktien hielt das Reich, vertreten durch das Reichswirtschaftsministerium. Für die klassischen Ruhrindustriellen war dieser Konzern eine wirtschaftliche Konkurrenz, deren Gründung sie bekämpften. Eine Ausnahme davon bildete Friedrich Flick, der die Reichswerke mit Steinkohle belieferte und dafür eine schriftliche Bestätigung einer Bevorzugung bei der Arisierung von den Nationalsozialisten erhielt. Am 21. Oktober 1937 kam es jedoch zu einem „Friedensschluss“, wie ihn die Konzerne selber nannten, als sich bei Karl Kimmich (Vorstandsmitglied der Deutsche Bank AG) Paul Pleiger, Peter Klöckner und Friedrich Flick trafen.

Auslandsexpansion

Hermann Göring bei den Feierlichkeiten zum ersten Spatenstich am 13. Mai 1938 in Linz

Im März 1938 wurde nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich die Österreichisch-Alpine Montangesellschaft übernommen und am 4. Mai 1938 die Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ Linz als Tochtergesellschaft der Göringwerke gegründet. Das Gründungskapital von 5 Millionen Reichsmark in 1937, das nun nicht mehr ausreichte, wurde daraufhin im April 1938 auf 400 Millionen Reichsmark erhöht. Damit war die Voraussetzung dafür geschaffen worden, dass weitere Gesellschaften des Auslands eingegliedert werden konnten und dies waren in Österreich die Eisenwerke Oberdonau GmbH in Linz und die Automobil-, Waggon- und Maschinenbaufabriken.

Nach der Besetzung der Tschechoslowakei wurden die Škoda-Werke in den Konzern eingegliedert und bereits Ende März bestanden die Reichswerke aus 84 Gesellschaften u. a. mit eigenem Transport- und Schifffahrtsunternehmen. Am 7. Juli 1939 erfolgte die Gründung der Holding Reichswerke AG „Hermann Göring“. Nach dem Überfall Polens wurden den Reichswerken alle Rüstungsbetriebe Polens treuhänderisch übereignet.[4]

Die eigene Kohlebasis zur erweiterten Eisen- und Stahlherstellung war das nächste Ziel der Holding Hermann Göring, das dadurch erreicht wurde, dass die jüdische Petschek-Gruppe mit ihrem Kohlevorkommen in Mitteldeutschland und Nordböhmen staatlicherseits arisiert und damit enteignet wurde. Dieses Vorkommen wurde mit dem Flick-Konzern gegen die Steinkohlevorkommen der Harpener Bergbau AG getauscht. In Österreich kam durch den Besitz der Alpine Montangesellschaft das Kohlevorkommen Donawitz hinzu und in der Tschechoslowakei wurde die Sudetenländische Bergbau AG in Brüx gegründet. Die Kohlehydrierung zur Treibstoffherstellung wurde in dem Sudetenländischen Treibstoffwerk aufgebaut. Die oberschlesischen Kohlevorkommen bei Kattowitz wurden des Weiteren einverleibt und der Aktienbesitz im Ruhrgebiet bei der Bergbau AG Ewald-König Ludwig aufgestockt.[5]

Nach dem Frankreich-Feldzug wurde Paul Raabe, der ab 1940 Vorstandsmitglied der Reichswerke war, im Juni 1940 zum Generalbeauftragten für die Verteilung der Eisenerzgewinnung in Lothringen und Luxemburg bei den zuständigen Militärbefehlshabern in Frankreich und Belgien ernannt, wo sich die Reichswerke die größten und leistungsfähigsten Montanwerke Hagondange und Hayange sicherten.[6] Nach der Aufteilung der Werke unter den deutschen Stahlkonzernen behielt Paul Raabe als einzigem die Verfügung über die dortigen Eisenerzvorkommen für die Reichswerke.[7]

Nach der Eroberung der Ukraine sollten die Werke zur Munitionsherstellung im Donezbecken an die Reichswerke übergehen. Edmund Geilenberg, der Geschäftsführer der Stahlwerke Braunschweig GmbH, die sich im Eigentum der Reichswerke befand, war für sog. Iwan-Programm des Oberkommandos des Heeres verantwortlich, das die Aufgabe hatte Munitionsbetriebe in der Ukraine in Betrieb unverzüglich wieder in Betrieb zu nehmen. Als die Munitionswerke der Ukraine wieder in Betrieb gingen, eroberte die Rote Armee das Gebiet wieder zurück.

Nach 1942

1942 wurde der Konzern neu strukturiert und die profitabelsten Tochtergesellschaften reprivatisiert. Der Konzern sollte nach dem Krieg vollständig reprivatisiert werden.

Am 15. August 1944 gehörten den Reichswerken 260 Unternehmen mit einem Nominalkapital von 2,8 Milliarden Reichsmark. Die Reichswerke waren der größte und kapitalstärkste Konzern im Reich geworden.[8]

Im April 1945 befreiten die alliierten Truppen ungefähr 40.000 Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und ausländische Arbeitskräfte, sie machten zu diesem Zeitpunkt etwa 40% der Gesamtbelegschaft der Reichswerke aus. Der Konzern beschäftigte auf seinem Höhepunkt über 600.000 Arbeiter, darunter ab 1943 über 50 Prozent Zwangsarbeiter. Nach Kriegsbeginn setzten die Reichswerke sowohl Kriegsgefangene, Deportierte aus den besetzten Gebieten als auch KZ-Häftlinge ein.

Beispiel: Salzgitter/Braunschweig

Die Lage der Beschäftigten der Reichswerke ist im Raum Salzgitter/Braunschweig am besten erforscht und zeigt beispielhaft die Verhältnisse, die für die Reichwerke galten auf. Die neugegründeten Reichswerke wurden in einem ländlich strukturierten Gebiet mit geringem Arbeitskräftepotential aufgebaut.

Der Friedhof Jammertal bei Lebenstedt ist heute einer der zentralen Gedenkorte in Salzgitter. Dort sind etwa 3000 Opfer des deutschen Faschismus bestattet worden.

Zwangsarbeit

In der Vorkriegszeit und in der ersten Phase des Krieges bis 1941 wurde der Industrieaufbau für Rüstungsziele forciert und von 1942 an überwogen Rationalisierungsziele und Ausweitung der Rüstungsproduktion. Die ersten Anwerbeaktionen für deutsche Arbeitskräfte erfolgte im Reich und waren durchaus erfolgreich, da die Reichswerke höhere Löhne zahlten oder Aufstiegschancen avisierten. Ab 1938 wurden verstärkt ausländische Arbeitskräfte angeworben, die die Werke aufbauen mussten. Zunächst wurden Ausländer aus den verbündeten und neutralen Ländern Italien und Rumänien angeworben. Anschließend kamen Arbeitskräfte aus dem besetzten Polen und der Tschechoslowakei als Zwangsarbeiter. In der nächsten Phase wurden Arbeitskräfte aus den besetzten Niederlanden, Belgien und Frankreich angeworben oder Kriegsgefangene eingesetzt. Bis Ende 1941 arbeiteten 4.650 Kriegsgefangene aus westeuropäischen Ländern in acht Lagern der Reichswerke Hallendorf (Lager mit den Nummern 8 und 10), Bruchmachtersen (Lager 17), Heerte (Lager 35), Gebhardshagen (Lager 4), Salzgitter-Ohlendorf, Engelstedt, Bad Grund und in den betriebseigenen Versorgungsbetrieben.[9] Ab Juni 1942 wurden niederländische Justizstrafgefangene, die im Gefängnis Wolfenbüttel untergebracht waren eingesetzt und es erfolgte die Zwangsrekrutierung von zivilen Arbeitern aus der Sowjetunion. Im September 1943 waren es 5.800 (darunter 1.700 Frauen) und im Mai 1944 9.800 (darunter 2.300 Frauen. Zu Beginn des Jahres 1942 waren in den Lagern Salzgitter-Drütte (Lager 32), Reppner (Lager 24), Beinum (Lager 13) und Heiningen (Lager 16) 2.060 sowjetische Kriegsgefangene untergebracht.[10]

KZ-Häftlinge

Die SS errichtete speziell im Raum Braunschweig/Salzgitter drei Konzentrationslager als Außenkommandos/Nebenlager des KZ Neuengamme bei Hamburg: das KZ Salzgitter-Drütte, KZ Salzgitter-Watenstedt und KZ Salzgitter-Bad für die Reichwerke ein.

Das KZ Salzgitter-Drütte wurde am 13. Oktober 1942 durch 250 KZ-Häftlinge in den Lagerräumen unter der Hochstraße hergestellt. Die Zahl der KZ-Häftlinge stieg bis Mitte 1944 auf über 2.700 Männer an, um im September 1944 auf 3.150 anzusteigen. Es war damit zahlenmäßig das größte Außenlager des KZ Neuengamme.
Im KZ Salzgitter-Watenstedt waren bis zu etwa 2.000 KZ-Häftlinge in unmittelbarer Nähe des Dorfes Leinde bei Salzgitter-Watenstedt untergebracht, die im Werk der Stahlwerke Braunschweig GmbH arbeiten mussten. Jeden Tag starben unter diesen unmenschlichen Verhältnissen, die bewusst herbeigeführt wurden, nach Schätzungen 20 bis 30 Häftlinge.
Das KZ Salzgitter-Bad wurde im September 1944 durch die SS und die Hermann-Göring-Werke in Salzgitter-Bad errichtet. In einem ehemaligen „Zivilarbeiterlager“ der „Bergbau- und Hüttenbedarf AG“ wurden etwa 500 Frauen untergebracht.
Alle drei Lager wurden am 7. April 1945 vor den anrückenden alliierten Soldaten geräumt.

Arbeitserziehungslager

1940 errichtete die Gestapo Braunschweig auf dem Gelände der Reichswerke das Arbeitserziehungslager Hallendorf bei Salzgitter-Watenstedt, auch Lager 21[11] genannt, das nicht nur zur Abschreckung und Unterdrückung der Bevölkerung und sondern auch zur Disziplinierung der ausländischen Zwangsarbeiter, vor allem der Polen, diente. 1942 wurde dieses Männerlager um ein Frauenlager in unmittelbarer Nähe erweitert. In diesen Lager wurden etwa 26000 bis 28000 Männer und etwa 7000 Frauen schikaniert, mussten zwangsarbeiten und wurden unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht, gequält und bestraft. Bis zu 1000 Ermordete dieser Arbeitserziehungslager sind namentlich bekannt.

Standortübersicht

Standorte des Konzerns mit den wichtigsten Werken 1944 waren neben anderen:[12] Der Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten Salzgitter waren ausgegliedert die sogenannte Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe Montanblock und die Reichswerke AG Linz.

Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten Salzgitter (Hauptsitz)

Montanblock Reichswerke AG für Berg- und Hüttenbetriebe

Leitungsgremien

Den Konzern leiteten:

Literatur

  • Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft. Berlin 1969
  • August Meyer: Das Syndikat. Reichswerke „Hermann Göring“. Braunschweig/Wien 1986
  • Matthias Riedel: Eisen und Kohle für das Dritte Reich. Paul Pleigers Stellung in der NS-Wirtschaft. Göttingen 1973
  • Gerd Wysocki: Arbeit für den Krieg. Herrschaftsmechanismen in der Rüstungsindustrie des "Dritten Reiches" ; Arbeitseinsatz, Sozialpolitik und staatspolizeiliche Repression bei den Reichswerken "Hermann Göring" im Salzgitter-Gebiet 1937/38 bis 1945. Braunschweig 1992. ISBN 3-925151-51-6

Weblinks und Quellen

Einzelnachweise

  1. Karsten Watsack: Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. S. 81. Verlag Dipl.-Ing. Karsten Watsack. Ilsede 2003. ISBN 978-3935944014
  2. Gerd Wysocki: Arbeit für den Krieg. S. 27
  3. Karsten Watsack: Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter. S. 81.
  4. Gerd Wysocki: Arbeit für den Krieg. S. 27 f.
  5. Gerd Wysocki: Arbeit für den Krieg. S. 28
  6. Johannes Bähr et al: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. S. 462. Oldenbourg Verlag. München 2008. ISBN 978-3-486-58683-1
  7. Johannes Bähr et al: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. S. 826
  8. Gerd Wysocki: Arbeit für den Krieg. S. 28 f.
  9. 'Gerd Wisocki: Arbeit für den Krieg. S. 119
  10. Gerd Wisocki: Arbeit für den Krieg. S. 132
  11. http://www.gedenkstaette-salzgitter.de/lager21.htm Arbeitserziehungslager Hallendorf]
  12. Gerd Wisocki: Arbeit für den Krieg. S. 31

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