Gürtelgedicht

Gürtelgedicht

Muwassah[mu'waʃax][1] (arabisch Muwaššaha bedeutet mit doppeltem Perlengürtel bekleidet) ist eine feststrukturierte Gedichtform, die im maurischen al-Ándalus im 11. Jhd. als mehrstrophiges Lob- oder Liebeslied erfunden worden ist.

Inhaltsverzeichnis

Das formale Schema dieses hispanoarabischen und hispanohebräischen Strophengedichtes

Aus dem mittelalterlichen al-Andalus sind uns zahlreiche arabische und hebräische Muwassah-Manuskripte überliefert, die bis heute noch nicht alle vollständig publiziert und entziffert sind. Viele von ihnen sind von den Muslimen und sephardischen bei ihrer Vertreibung aus Spanien in den Orient mitgenommen worden, und sind dort wieder kopiert worden. Oft sind diese Handschriften nur durch Zufall wiederentdeckt worden.

Die Mehrzahl der Muwassahas besteht aus fünf bis sieben Strophen mit folgendem Reimschema:

aa (arabisch Qufl genannt: der Eingangsrefrain)

bbbaa cccaa ...(weitere Strophen)... fffAA (AA wird Harga genannt: der Ausgangsrefrain)

Der jeweils vordere Teil der Strophen (bbb ccc ddd ...) heißt Bayt, das Ende der Strophe (aa) ist wieder der Kehrreim, das Qufl des Eingangsrefrains. Einen besonderen Stellenwert hat das Qufl der letzten Strophe des Muwassahas. Der Schlussreim der letzten Strophe, der Ausgangsrefrain, heißt Harga. Alle Verse des Muwassahas sind in arabischer (oder hebräischer) Hochsprache verfasst; die Harga dagegen, der Höhepunkt des Gedichts, hebt sich davon ab. Die jarcha ist in einer der beiden mittelalterlichen andalusischer Volkssprachengedichtet, sei es in hispano-arabischem Dialekt oder aber in alt-spanischer Sprache und in (Aljamiado-Schreibweise) geschrieben.

Hier als Beispiel die spanische Nachdichtung einer anonymen arabischen Muwassaha. Das Liebesgedicht aus dem 11. Jhd. ist von dem Arabisten und Romanisten Emmilio Gracía Gómez ins heutige Spanisch als Nachdichtung so übertragen worden [2], dass in der Übersetzung das formale Reimschema des arabischen Strophengedichtes erhalten geblieben ist und nachempfunden werden kann: aa bbbaa cccaa ddda eeeaa fffAA

Lunas nuevas salen entre cielos de seda: (a)
guían a los hombres, aun cuando eje no tengan(a)
Sólo con los rubios se deleitan mis ojos: (b)
ramos son de plata que echan hojas de oro. (b)
¡Si besar pudiera de esas perlas el chorro! (b)
¿Y por qué mi amigo a besarme se niega (a)
si es su boca dulce y la sed me atormenta? (a)
Es, entre jazmines, su carillo amapola. (c)
Rayas de jaloque y de algalia la adornan (c)
Si también añado cornalina, no importa (c)
No obra bien si espanta su galán la gacela, (a)
cuando de censores las hablillas acepta. (a)
¿Con mi amigo Áhmad _ hay, decid, quien compita? (d):
Único en belleza, de gacela es cual cría. (d)
Hiere su mirada todo aquel a quien mira. (d)
¡Cuántos corazones bien traspasa con flechas (a)
que empenacha su ojo con pestañas espesas? (a)
Mientras del amigo yo encontrábame al lado (e)
y le ponderaba mi dolencia y maltrato, (e)
ya que él es el médico que pudiera curarlos, (e)
vió el espía que, sin que nos diéramos cuenta, (a)
vínose a nostros, y le entró la verguenza. (a)
Cuánta hermosa moza, que de amor desatina, (f)
ve sus labios rojos, que besar bien querría, (f)
y su lindo cuello, y a su madre los pinta: (f)
¡Mammà, 'ay habibe! so l-ymmella saqrella, (A)
el-quello albo e bokélla hamrella. (A)

Die Harga in alt-spanischer Sprache als Glanzpunkt des Muwassaha-Gedichtes

Der Ausgangsrefrain der letzten Strophe (AA) ist die Harga. Während die übrigen Verse in arabischer Hochsprache verfasst sind, ist der Schlussrefrain (AA) - obwohl in arabischem Alphabet geschrieben - in alt-spanischer Sprache, in einem mozarabischem Dialekt gedichtet. Viele Bewohner des mittelalterlichen maurischen Al-Andalus waren zweisprachig. Gesprochen wurde zum einen die mozarabische Sprache, d. h. ein romanischer, alt-spanischer Dialekt, und zum anderen ein hispano-arabischer Dialekt. Man schrieb in zwei Alphabeten: die Muslime bedienten sich des arabischen Schriftsystem, die sephardischen Juden des hebräischen Alphabets. Aus diesem Grunde sind uns aus dieser Zeit Muwassahas in arabischen und hebräischen Manuskripten überliefert.

Die Harga der obigen Nachdichtung ist im arabischen Original-Manuskript, also im Aljamiadotext, in Form von zwei Langversen angeordnet, genauso wie in der Nachdichtung. Romanisten transliterieren und transkribieren die Hargas in ihren sprachhistorischen Untersuchungen nicht als Langverse, sondern lösen sie in Halbverse auf, schreiben sie als vierzeilige Gedichte[3]:

Der erste Schritt - die Transliteration des arabischen Aljamiado-Orginaltextes in lateinische Schrift ergibt zunächst folgende Konsonantenabfolge:

mammà 'ay habibi
š l-yumm 'lh šaqrlh
'lql 'lb
'bk'lh hamrlh.

Der zweite Schritt - die Transkription, d. h. der konsonantische Text muss vokalisiert werden:

¡Mammà, 'ay habibe!
so l-ymmella saqrella,
el-quello albo
e bokélla hamrella.

Der dritte Schritt - die Interpretation, die Übersetzung des Textes in die heutige spanische Hochsprache:

Madre, qué amigo!
Bajo la guedejuela rubita,
el cuello albo
y la boquita encarnada.

Ins Deutsche übersetzt:

Mutter, welch ein Geliebter!
Roter, 'Chupamieles'; (chupamiel = Honigsauger)
der Hals ist weiss
das Mündchen rot.

Die besondere Bedeutung der Muwassah-Dichtungen für die romanistische Sprach- und Literaturwissenschaft

Man sieht, dass es sich bei dem Schlussrefrain um das Fragment eines Frauenliedes in alt-spanischem Dialekt handelt, das in Aljamiado-Schreibweise im arabischen Muwassah-Gedicht verborgen ist. Solche motivgleiche volkstümliche Lieder, in denen verliebte Mädchen die Sehnsucht nach ihrem Geliebten besingen, findet man in den alt-Galicisch-Portugiesischen cantigas de amigo wieder. Zwischen Arabisten, Hebraisten und Romanisten ist nun umstritten, ob die arabischen, bzw. hebräischen Poeten in den Hargas tatsächlich Fragmente volkstümlicher romanischer Frauenlieder quasi zitieren oder ob sie die Liedchen selber erfunden haben. Die Mehrheit der Forscher geht inzwischen davon aus, dass die arabischen und hebräischen Dichter in der Tat von oraler romanischer Volkslyrik beeinflusst wurden sowohl formal als auch inhaltlich. Eine solche Strophengedichtform mit doppeltem Reim-Gürtel wie sie einem im Muwassah begegnet, war in der orientalischen Dichtung bis dahin unbekannt; sie kannte nur Monoreime ohne Strophen (siehe dazu Kasside und Ghasel).

Der Tradition nach gilt als Erfinder des Muwassah-Genus der legendäre andalusisch-arabische Dichter Muqaddam Ibn Mu'afa, el ciego de Cabra, der Blinde aus Cabra, der im 10. Jhd. in der Gegend von Córdoba lebte. Vom größten jüdischen Dichter des Mittelalters, Jehuda ha-Levi (11./12.Jhd), sind mehrere Muwassahas mit romanischen Hargas überliefert:

"Bald wurde diese Dichtungsgattung im islamischen Spanien beliebt. Die älteste erhaltene romanische Harga steht in einer von dem jüdischen Dichter Jehuda ha-Levi verfassten Muwassaha, die vor dem Jahre 1042 entstanden ist. Damit kommen wir ein halbes Jahrhundert hinter die älteste Troubadourlieder, die von Wilhelm von Aquitanien etwa um 1100 verfaßt wurden."[4]

Aus diesem Grunde sind Muwassah-Manuskripte für die literatur- und sprachgeschichtliche Forschung von besonderer Bedeutung. Die in alt-spanischer Sprache gedichteten und in arabischen oder hebräischen Buchstaben geschriebenen Schlussverse, die Hargas des Muwassaha, liefern der Romanistik die ältesten vollständig erhaltenen iberoromanischen Texte (mozarabische Dialekte und sind wichtige Quellen zur Beantwortung der strittigen Frage nach der Entstehungsgeschichte abendländischer Lyrik.

Aus dem Muwassah ist in al-Ándalus eine weitere Gedichtform geboren worden, das Zagal, spanisch el zéjel, eine bedeutende lyrische Gattung. Im Unterschied zum Muwassah ist das Zagal durchgehend in vulgär-arabischer Umgangssprache gedichtet, wobei in den Gedichten an den verschiedensten Stellen, also nicht nur am Schluss, auch alt-spanische Wörter - in Aljamiado-Schreibweise -, anzutreffen sind. Nach der Reconquista haben spanische Dichter diese Gedichtform übernommen. Das Zagal hat in Spanien als Volksliedchen Verbreitung gefunden.

Siehe auch

Literatur

  • Alan Jones: Romance Kharjas in Andalusian Arabic Muwassah poetry: a palaeographic analysis. Ithaca London 1987, ISBN 0863720854.
  • Federico Corriente: Poesía dialectal árabe y romance en Alandalús : cejeles y xarajat de muwassahat. Gredos Madrid 1998, ISBN 8424918878.
  • Emilio García Gómez: Las jarchas de la serie árabe en su marco. Madrid 1965, 2. Aufl. Seix Barral Barcelona 1975.
  • Martin Hartmann: Das Muwassah, das arabische Strophengedicht. Nebst: Metrum und Rhythmus, die Entstehung der arabischen Versmasse. (Neudr. d. Ausg. Weimar 1897 und Giessen 1896) 1981, ISBN 978-90-6022-713-8.
  • Alan Jones & Richard Hitchcock: Studies on the Muwasssah and the Kharja : proceedings of the Exeter international colloquium. Reading: Published by Ithaca for the Board of the Faculty of Oriental Studies, Oxford University 1991, ISBN 0863721508.
  • Reinhold Kontzi: Zwei romanische Lieder aus dem islamischen Spanien. (Zwei mozarabische Harǧas); in: Romania cantat. Gerhard Rohlfs zum 85. Geburtstag gewidmet. Band II Interpretationen. Tübingen: Narr 1980, ISBN 3878085095, S.305-318.
  • Yasemin Soytemel: Mozarabische Jarchas. Liebesgedichte aus dem islamischen Andalusien des 11. und 12. Jahrhunderts; in: Tranvia. Revue der Iberischen Halbinsel, 2001, Heft 63, pp. 28-29

Weblinks

Fußnoten

  1. die Kollektivform - das Muwaššah - bezeichnet die Gattung; die Muwaššaha (Singular) bezeichnet das individuell-konkrete Gedicht. Die arabische Pluralform ist Muwaššahat. In der deutschen Literatur findet man als pluralische Schreibweise in der Regel: Muwassahas.
  2. Emilio García Gómez: Las jarchas de la serie árabe en su marco. Madrid 1965, 2. Aufl. Seix Barral Barcelona 1975, Muwassaha mit Harga Nr. 14, pp. 176-77.
  3. Jarcha Nr. 35 - Harga-Darstellung in Halbversen mit Erläuterung der dreischrittigen Entzifferung: 1. Transliteration - 2. Transkription (Vokalisation) - 3. Interpretation (Übersetzung); diverse Konjekturen. Aus der Diplomarabeit von: Alma Wood Rivera: Las jarchas mozárabes: Una compilación de lecturas. 1969.
  4. Reinhold Kontzi: Zwei romanische Lieder aus dem islamischen Spanien. (Zwei mozarabische Harǧas); in: Romania cantat. Gerhard Rohlfs zum 85. Geburtstag gewidmet. Band II Interpretationen. Tübingen: Narr 1980, ISBN 3878085095,S.308.

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