Haarmensch

Haarmensch
Klassifikation nach ICD-10
L68 Hypertrichose

Inkl.: Verstärkter Haarwuchs Exkl.: Angeborene Hypertrichose Exkl.: Persistierende Lanugobehaarung

L68.1 Hypertrichosis lanuginosa acquisita
L68.2 Lokalisierte Hypertrichose
L68.8 Sonstige Hypertrichose
L68.9 Hypertrichose, nicht näher bezeichnet
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Als Hypertrichose oder Hypertrichosis (gr. ὑπέρ: über, θρίξ: Haar) bezeichnet man das Symptom einer über das übliche Maß an geschlechtsspezifischer Behaarung hinausgehende Haardichte bzw. eine Behaarung an sonst stets unbehaarten Stellen. Die Hypertrichose kann lokal begrenzt an einzelnen Stellen auftreten (beispielsweise als behaarter Nävus pilosus, Tierfellnävus) oder den gesamten Körper mit Ausnahme der Fußsohlen und Handflächen betreffen. Letzteres kann als angeborenes Syndrom bei Fortbestehen der fetalen Lanugohaare auftreten (Hypertrichosis congenita lanuginosa, Hypertrichosis universalis congenita) und bietet dann das medizinhistorische Bild der sogenannten „Wolfsmenschen“.

Diese Form wird autosomal dominant vererbt und tritt daher familiär gehäuft auf.[1] Die Lanugobehaarung kann auch nach der Geburt als erworbene Form neu auftreten (Hypertrichosis lanuginosa acquisita); dies ist sehr selten im Rahmen von Krebserkrankungen als sogenanntes paraneoplastisches Syndrom besonders bei Eingeweidetumoren der Fall (Herzberg-Potjan-Gebauer-Syndrom).

Eine angeborene Form der lokal begrenzten Hypertrichose ist eine verstärkte, teilweise der Kopfbehaarung ähnliche Behaarung über dem Kreuzbein. Dies ist bei Erkrankungen der Fall, bei denen das Neuralrohr in der Embryonalentwicklung nicht vollständig geschlossen wurde (sogenannte Dysraphien), wie beispielsweise der Spina bifida.

Tognina Gonsalvus

Einige Medikamente können eine generalisierte Hypertrichose auslösen. Ein Beispiel ist das Blutdruckmedikament Minoxidil, das bei äußerlicher Anwendung auch zur Therapie eines umschriebenen Haarausfalls verwendet wird.[2]

Von der Hypertrichose sind alle Formen der hormonell bedingten Änderungen des geschlechtsspezifischen Behaarungstypes abzugrenzen, die bei der Frau als Hirsutismus bezeichnet werden.


Geschichte der „Haarmenschen“ und bekannte Fälle

In früheren Jahrhunderten waren sogenannte Haarmenschen in vielen Fällen der Schaulust ihrer Umgebung ausgesetzt; sie nutzten ihre körperliche Besonderheit teils aber auch, mehr oder weniger freiwillig, als Quelle ihres Lebensunterhaltes.[3] In der Renaissance lebten Haarmenschen an den königlichen Höfen Frankreichs, Italiens und der Niederlande, wo sie unterrichtet wurden und als menschliche Kuriositäten Teil des Hofstaates waren.[4] Bekannt in der Überlieferung wurden zum Beispiel Petrus Gonsalvus und seine Tochter Tognina Gonsalvus (16. Jahrhundert). Einige berühmte Haarmenschen arbeiteten als Freaks auf den Jahrmärkten und Side Shows des 19. Jahrhunderts,[5] wie etwa Julia Pastrana (1834–1860) und Lionel der Löwenmensch (1890–1932).


Der Mythos des Werwolfs hängt wahrscheinlich auch mit dieser Erkrankung zusammen.

Quellen

  1. Lee IJ et al.: Hypertrichosis universalis congenita: a separate entity, or the same disease as gingival fibromatosis? Pediatr Dermatol. 1993 Sep; 10(3): S. 263–266 PMID 8415305
  2. Lucky AW et al.: A randomized, placebo-controlled trial of 5% and 2% topical minoxidil solutions in the treatment of female pattern hair loss. J Am Acad Dermatol. 2004 Apr; 50(4): S. 541–553 PMID 15034503
  3. Roberto Zapperi: Der wilde Mann von Teneriffa. Die wundersame Geschichte des Pedro Gonzalez und seiner Kinder. München, C.H. Beck 2004
  4. [1] Kunsthistorisches Museum Wien, Geschichte des Haarmenschen Petrus Gonsalvus
  5. Leslie Fiedler: Freaks. Myths and Images of the Secret Self. New York 1978

Weblinks

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