Haus an der Moskwa

Haus an der Moskwa
Das Haus an der Uferstraße, 2007

Das Haus an der Uferstraße oder Haus am Kai (russisch Дом на на́бережной/ Dom na nabereschnoi) ist eine inoffizielle, aber weit verbreitete Bezeichnung für ein Wohngebäude in Moskau direkt am Ufer des Flusses Moskwa, an der Bersenewskaja-Uferstraße schräg gegenüber dem Kreml. Dem Zweck des Bauwerks entsprechend lautete dessen offizieller Name ursprünglich Haus der Regierung (Дом прави́тельства/ Dom prawitelstwa).

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Das Gebäude wurde in den Jahren 1928–1931 auf einer Fläche von rund drei Hektar errichtet. Es steht auf der künstlichen Insel zwischen der Moskwa und dem Wasserumleitungskanal nahe dem historischen Stadtviertel Samoskworetschje, neben der Bolschoi-Kamenni-Brücke, die am anderen Ufer direkt neben den Kremlmauern endet.

Es wurde nach dem Entwurf von Boris Iofan gebaut, einem berühmten Architekten der Stalin-Ära, der in Moskau für zahlreiche Bauten jener Zeit sowie für das nie realisierte Projekt des Palastes der Sowjets (das übrigens direkt gegenüber dem Haus an der Uferstraße am gegenüberliegenden Moskwa-Ufer stehen sollte) bekannt wurde. Damit stellt das Haus eines der ersten Bauwerke im Stile des Sozialistischen Klassizismus dar. Das monumentale, mit seiner von Grau dominierten Fassade recht düster anmutende Gebäude bot den Regierungsmitgliedern und hochrangigen Parteifunktionären, für die es gebaut wurde, einen für die damalige Zeit außerordentlich hohen Wohnkomfort, insbesondere im Vergleich zu der damals in großen Städten der Sowjetunion vorherrschenden extremen Wohnungsnot. Während sich die einfache Stadtbevölkerung fast ausschließlich mit mehrfach belegten Zimmern in heruntergekommenen Altbauten begnügen musste, erhielten die Bewohner des neuen Hauses an der Uferstraße geräumige Mehrzimmerappartements mit fünf Meter hohen Zimmern, Telefonanschluss, Gasherd und Zentralheizung sowie etlichen nur den Hausbewohnern zugänglichen Gemeinschaftseinrichtungen wie Sporthalle, Tennisplatz, Kindergarten, Bibliothek und Wäscherei. Bis zur Fertigstellung des Hauses wurden die Mitglieder des Staatsapparats vorwiegend im Kreml selbst sowie in einigen Hotels der Stadt untergebracht.

Seine traurige Berühmtheit erlangte das Haus während der Stalinschen Säuberungen Mitte bis Ende der 30er-Jahre. In dieser Zeit wurden rund 250 Hausbewohner, die unter verschiedenen Vorwänden als „Hochverräter“ und „Volksfeinde“ eingestuft wurden, verhaftet und die meisten davon hingerichtet. Die meist nachts durchgeführten Verhaftungen versetzten die gesamte Bewohnerschaft des Gebäudes in Angst und Schrecken. Diese Zustände beschrieb der Schriftsteller Juri Trifonow in seinem 1976 erschienenen Roman Das Haus an der Uferstraße (in Deutschland auch bekannt als Das Haus an der Moskwa). Trifonow lebte dort in den 1930er-Jahren noch als Kind und erlebte die Verhaftung seines Vaters Walentin Trifonow mit, der 1938 durch Erschießung hingerichtet wurde. Gerade dieses Buch Trifonows war es, das dem Haus seinen bis heute gängigen Spitznamen „Haus an der Uferstraße“ beschert hat.

Im Oscar-prämierten Spielfilm von 1994 Die Sonne, die uns täuscht ist das Haus an der Uferstraße Schauplatz der ersten und der letzten Szene.

Heutzutage dient das Gebäude nach wie vor als Wohnhaus, wenngleich es längst nicht mehr zu den luxuriösesten Wohnquartieren Moskaus zählt. Nichtsdestoweniger sind die Wohnungen vor allem aufgrund der zentralen Lage und der Repräsentativität des Hauses begehrt und daher sehr teuer. Im Gebäude ist seit 1989 auch ein Museum untergebracht, in dem sich Besucher mit der Geschichte des Hauses bekannt machen können.

Bekannte Bewohner (Auswahl)

Zitat

„In diesem Haus habe ich einmal gewohnt. Nein, dieses Haus ist längst gestorben und verschwunden, ich habe in einem anderen gewohnt, aber in diesen gewaltigen dunkelgrauen Betonmauern, die wie eine Festung sind. Das Haus überragte die zweigeschossigen Häuser, kleinen Villen, Kirchen, Glockentürme, alten Fabriken, Uferstraßen mit Granitbrüstung, und an beiden Seiten floss die Moskwa vorbei. Es stand auf einer Insel, war wie ein schwerfälliges, aberwitziges Schiff ohne Masten, Schornsteine und Steuerrad, ein riesiger Kasten, eine mit Menschen vollgestopfte Arche, bereit, davonzuschwimmen. Wohin? Niemand wusste das, niemand hatte eine Ahnung. Den Leuten, die auf der Straße an den Mauern vorbeigingen, in denen Hunderte von winzigen Zitadellenfenstern leuchteten, erschien das Haus unerschütterlich und ewig wie ein Feld: nach dreißig Jahren hat sich das Dunkelgrau der Mauern nicht verändert.“

Juri Trifonow[1]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Juri Trifonow: Das Verschwinden. Berlin 1989, S. 5, zitiert nach: Karl Schlögel: Terror und Traum: Moskau 1937. Hanser, München 2008, S. 93.

55.744737.6118180555567Koordinaten: 55° 44′ 41″ N, 37° 36′ 43″ O


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Haus an der Uferstraße — Das Haus an der Uferstraße, 2007 Das Haus an der Uferstraße oder Haus am Kai (russisch Дом на набережной / Dom na nabereschnoi) ist eine inoffizielle, aber weit verbreitete Bezeichnung für ein Wohngebäude in Moskau direkt am Ufer des Flusses …   Deutsch Wikipedia

  • Haus am Kai — Das Haus an der Uferstraße, 2007 Das Haus an der Uferstraße oder Haus am Kai (russisch Дом на набережной/ Dom na nabereschnoi) ist eine inoffizielle, aber weit verbreitete Bezeichnung für ein Wohngebäude in Moskau direkt am Ufer des Flusses… …   Deutsch Wikipedia

  • Haus am Roten Tor — Das Apartmentgebäude an der Kotelnitscheskaja Uferstraße Sieben Schwestern ist eine Bezeichnung für die sieben im Auftrag Stalins im sogenannten stalinistischen Zuckerbäckerstil erbauten Hochhäuser in Moskau. Manchmal werden sie auch Stalins… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Staat bin ich — Geflügelte Worte   A B C D E F G H I J K L M N O …   Deutsch Wikipedia

  • Der Rote Platz — Roter Platz, Blickrichtung Süd Der Rote Platz bei Nacht …   Deutsch Wikipedia

  • Haus Czartoryski — Wappen der Fürsten Czartoryski Czartoryski ist der Name eines polnisch litauischen Fürstengeschlechts, das seine Abstammung auf Gediminas, Großfürst von Litauen († 1341), zurückführt. Der Name Czartoryski leitet sich von der Besitzung… …   Deutsch Wikipedia

  • Der Meister und Margarita — (russisch Мастер и Маргарита/ Master i Margarita) ist der bekannteste Roman des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow und ein Klassiker der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Bulgakow schrieb den Roman ab 1928 und diktierte… …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Stationen der Metro Moskau — Linienplan der Metro Moskau Dies ist die Liste aller Stationen der Metro Moskau, die sich in Betrieb befinden. Das Moskauer Metrosystem hat aktuell 182 Stationen[1] auf insgesamt zwölf Linien: Nummer Linienname Anzahl Stationen …   Deutsch Wikipedia

  • Liste der Gebäude auf dem Newski-Prospekt — Die Liste der Gebäude auf dem Newski Prospekt beinhaltet alle bis heute bestehenden Gebäude auf der Sankt Petersburger Straße Newski Prospekt. In der ersten Tabelle finden sich die Häuser an der südlichen (ungeraden) Straßenseite, in der zweiten… …   Deutsch Wikipedia

  • Die Deklination der Eigennamen — § 40. Die Personennamen (Vor und Familiennamen) werden meistens ohne Artikel gebraucht und bekommen nur im Genitiv eine Endung, nämlich die Endung s. In Erwins Kopf verhallte das letzte Echo: „Schluß!“ (A. Seghers) Als Emmis Bruder dreimal statt… …   Deutsche Grammatik

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”