Heinrich Köstlin

Heinrich Köstlin

Heinrich Adolf Köstlin (* 4. September 1846 in Tübingen; † 4. Juni 1907 in Bad Cannstatt) war ein deutscher evangelischer Theologe, Musikschriftsteller und Musikphilosoph.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Der Sohn des Tübinger Professors für Strafrecht und Dichterjuristen Christian Reinhold Köstlin (1813–1856) und der Sängerin und Liederkomponistin Josephine Caroline Lang (1815–1880) besuchte seit 1860 das Seminar Kloster Schöntal und studierte von 1864 bis 1868 evangelische Theologie an der Universität Tübingen. Nach erfolgreichem Abschluss übernahm Köstlin im benachbarten Weilheim ein Vikariat, bevor er 1869 als Hauslehrer nach Paris ging. Am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 nahm er als Feldprediger teil. Dann kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Repetent am Tübinger Stift. Seit 1873 amtierte er als Pfarrer in Sulz am Neckar, 1875 in Maulbronn, 1878 in Friedrichshafen und 1881 in Stuttgart an der Johanneskirche. Nach einem ersten vergeblichen Versuch 1869, seinen Doktor mit einer Arbeit über Richard Wagner zu machen, promovierte ihn die philosophische Fakultät Tübingen 1877 aufgrund seiner zwei Jahre zuvor erschienenen Musikgeschichte.

Im Jahre 1883 wurde Heinrich Adolf Köstlin Professor für Praktische Theologie am Predigerseminar in Friedberg/Hessen. Es folgten Berufungen zum Oberkonsistorialrat und Superintendenten der Provinz Starkenburg nach Darmstadt 1891 sowie vier Jahre später auf eine Professur für Praktische Theologie an der Universität Gießen, die ihm bereits 1886 die theologische Ehrendoktorwürde verliehen hatte. Nach seinem Ruhestand 1901 zog Köstlin zunächst wieder nach Darmstadt, übersiedelte aber 1904 nach Bad-Cannstatt. Sein Grab ist auf dem Cannstatter Uffkirchhof erhalten.

Heinrich Adolf Köstlin erwarb sich große Verdienste um eine gemeindebezogene Liturgie und um die praktische Seelsorge weit über Hessen hinaus. Dabei verband er Einflüsse von Johann Tobias Beck (1804–1878), Christian Palmer (1811–1875) und Richard Rothe (1799–1867) mit der Theologie seiner Zeit.

Wirken für die Musik

Chorgesang war Heinrich Adolf Köstlin von Kindesbeinen an vertraut: die Mutter übte mit ihren Kleinen etwa die Terzette aus Mozarts "Zauberflöte" ein und Friedrich Silcher (1789–1860), ein Freund des Hauses, pflegte seine frisch komponierten Lieder an den Köstlin'schen Kindern auszuprobieren. So verwundert es nicht, dass Köstlin, der selbst mehrere Instrumente spielte (sein Hauptinstrument war das Cello), sich früh für Musikgeschichte und Musikästhetik zu interessieren begann. Bereits als Repetent hielt er im Wintersemester 1872/73 Vorlesungen über Musikgeschichte an der Universität Tübingen, welche die Grundlage für sein erfolgreiches Buch "Geschichte der Musik im Umriss" bildeten. In Vertretung von Otto Scherzer (1821–1886) übernahm Köstlin für einige Zeit die Leitung der akademischen Liedertafel, die ihn später zu ihrem Ehrenmitglied ernannte. Köstlins Arbeiten zur Musikgeschichte gelten heute als weitgehend überholt. Bleibende Verdienste erwarb er sich um den evangelischen Kirchengesang bzw. das evangelische Chorwesen. Das ehemals blühende evangelische Chorwesen war zu Anfang des 19. Jahrhunderts bis auf unbedeutende Reste zurückgegangen. Köstlin organisierte das evangelische Chorwesens verbandsmäßig und richtete es musikalisch und theologisch neu aus. Er gründete 1875 einen "Bund der Kirchengesangvereine Calw, Nagold und Sulz" aus dem 1877 der "Evangelische Kirchengesangverein für Württemberg" hervorging. Im Jahre 1881 gelang auf Initiative von Köstlin und Ludwig Hallwachs der Zusammenschluss der Vereine von Württemberg, Hessen, Baden, Pfalz und Frankfurt/Main zum "Evangelische Kirchengesangverein für Südwestdeutschland", aus dem 1883 der "Evangelische Kirchengesangverein für Deutschland" (KGVD) hervorging. Köstlin war zunächst stellvertretender, dann von 1901 bis 1905 Vorsitzender des KGVD. Er machte sich insbesondere für die Gründung von freiwilligen Kirchen- und Kinderchören in allen evangelischen Gemeinden stark und setzte sich für die Anerkennung des Chorgesangs als wesentliches Element des Gottesdienstes ein.

Familie

Heinrich Adolf Köstlin heiratete am 10. März 1873 Sophie Gerok (1847–1930), Tochter des Oberhofpredigers und Lyrikers Karl Gerok (1815–1890) und der Sophie Kapff (1827–1905). Vier Jahre später wurde die Tochter Therese Köstlin (1877–1964) geboren, die bekannte württembergische Dichterin.

Werke (Auswahl)

  • Aus ernsten Tagen. Eine Reihe von Feldpredigten, gehalten im Jahr 1870 und 1871 Stuttgart 1871
  • Geschichte der Musik im Umriß für die Gebildeten aller Stände dargestellt, Tübingen 1875, 6. Aufl. Leipzig 1910
  • Candidatenfahrten. Aus den Papieren eines schwäbischen Pfarrers, Tübingen 1876, 2. Aufl. Freiburg/Br. 1884; 2. Ausgabe unter dem Titel Kandidatenfahrten, Leipzig u. Tübingen 1899
  • Carl Maria von Weber. Friedrich Silcher. Mit den Porträts der beiden Komponisten, Stuttgart 1877
  • Die Tonkunst. Einführung in die Ästhetik der Musik, Stuttgart 1879
  • Die Musik als christliche Volksmacht, Heilbronn 1880
  • Josefine Lang, Leipzig 1881
  • Luther als Vater des evangelischen Kirchengesangs, Leipzig 1882
  • Der Begriff des geistlichen Amtes, Ludwigsburg 1885
  • Im Felde. Bilder und Erinnerungen aus dem Jahr 1870/71, Friedberg 1886, 3. Aufl. Darmstadt 1895
  • Geschichte des christlichen Gottesdienstes. Ein Handbuch für Vorlesungen und Übungen im Seminar, Freiburg/Br. 1887
  • Die Lehre von der Seelsorge nach evangelischen Grundsätzen, Berlin 1895, 2. verb. Aufl. 1907
  • Predigten und Reden, Gießen 1901, 2. Aufl. 1905
  • Herausgeber von Halleluja, Organ für die geistliche Musik in Kirche, Haus, Verein und Schule. 1884–86; Halte, was du hast (seit 1889); Monatsschrift für Pastoral-Theologie (seit 1905)


Literatur

  • Karl Dienst: Köstlin, Heinrich Adolf. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 4, Herzberg 1992, ISBN 3-88309-038-7, Sp. 292–293.
  • Artikel Köstlin, Heinrich Adolf. In: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Band 7, S. 1394
  • Stefan J. Dietrich: Köstlin, Heinrich Adolf (1846–1907). In: Schwabenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1800–1950. Hrsg. von Manfred Bosch, Ulrich Gaier, Wolfgang Rapp u.a., Band 1.2., Biberach/Riß 2006, S. 87–88, 211–212 (Werk- und Literaturverzeichnis)
  • Stefan J. Dietrich: Silchers „Versuchskaninchen“: Heinrich Adolf Köstlin gründete den Evangelischen Kirchengesangverein. In: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg. Stuttgarter Ausgabe. Jahrgang 103, Nr. 16, 20. April 2008, S. 4
  • Maria Köstlin (Hg.): Das Buch der Familie Köstlin. Stuttgart 1931, S. 15, 150–151
  • Christian Rak: Krieg, Nation und Konfession. Die Erfahrung des deutsch-französischen Krieges von 1870/71. Paderborn 2004, S. 202–210
  • Thomas Stahlberg: Seelsorge im Übergang zur „modernen Welt“. Heinrich Adolf Köstlin und Otto Baumgarten im Kontext der praktischen Theologie um 1900. Göttingen 1998 Digitalisat bei google books

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Köstlin — ist der Name einer mehrheitlich in Württemberg ansässigen evangelischen Theologen und Beamtenfamilie, die eine stattliche Zahl bedeutender Persönlichkeiten in Kirche und Gesellschaft hervorgebracht hat. Auch haben Mitglieder dieser Familie auf… …   Deutsch Wikipedia

  • Heinrich Adolf Köstlin — (* 4. September 1846 in Tübingen; † 4. Juni 1907 in Cannstatt) war ein deutscher evangelischer Theologe, Musikschriftsteller und Musikphilosoph. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Wirken für die Musik 3 …   Deutsch Wikipedia

  • Köstlin — Köstlin, 1) Christian Reinhold, Dichter und Kriminalist, geb. 29. Jan. 1813 in Tübingen, gest. daselbst 14. Sept. 1856, ließ sich 1836 in Stuttgart als Advokat nieder und habilitierte sich 1839 in Tübingen als Privatdozent. Daneben hatte er schon …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Köstlin — Köstlin, Christian Reinhold, Jurist und Novellendichter, geb. 29. Jan. 1813 zu Tübingen, gest. als Prof. das, 14. Sept. 1856, verdient um die wissenschaftliche Fortentwicklung des deutschen Strafrechts und Strafverfahrens, Novellist unter dem… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Karl Heinrich Gotthilf Köstlin — (* 20. Juni 1787 in Nürtingen; † 18. August 1859 in Stuttgart) war ein deutscher Mediziner und Reformer der klinischen Psychiatrie in Württemberg sowie Mitglied der Schwäbischen Dichterschule. Leben und Wirken Heinrich Köstlin, war der dritte… …   Deutsch Wikipedia

  • Karl Heinrich Gotthilf von Köstlin — (* 20. Juni 1787 in Nürtingen; † 18. August 1859 in Stuttgart) war ein deutscher Mediziner und Reformer der klinischen Psychiatrie in Württemberg sowie Mitglied der Schwäbischen Dichterschule. Inhaltsverzeichnis 1 Leben und Wirken 2 Familie …   Deutsch Wikipedia

  • August Friedrich Köstlin — (* 4. Juli 1792 in Nürtingen; † 12. August 1873 in Stuttgart) war ein deutscher Jurist, württembergischer Staatsrat und Konsistorialpräsident. Leben und Wirken August Köstlin, der jüngste Sohn des Nürtinger Diakons, nachmaligen Dekans und (Ehren… …   Deutsch Wikipedia

  • August Friedrich von Köstlin — (* 4. Juli 1792 in Nürtingen; † 12. August 1873 in Stuttgart) war ein deutscher Jurist, württembergischer Staatsrat und Konsistorialpräsident. Leben und Wirken August von Köstlin, der jüngste Sohn des Nürtinger Diakons, nachmaligen Dekans und… …   Deutsch Wikipedia

  • Julius Köstlin — (* 17. Mai 1826 in Stuttgart; † 12. Mai 1902 in Halle (Saale)) war ein deutscher evangelischer Theologe, Kirchenhistoriker sowie Mitbegründer des Vereins für Reformationsgeschichte …   Deutsch Wikipedia

  • Karl Wilhelm Gottlieb Köstlin — (* 11. Februar 1785 in Nürtingen; † 11. November 1854 in Tübingen) war ein deutscher evangelischer Theologe, Professor und Ephorus am Evangelischen theologischen Seminar in Bad Urach. Leben und Wirken Gottlieb Köstlin, war der zweite überlebende… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”