Helene Berr

Helene Berr

Hélène Berr (* 21. März 1921[1] in Paris, Frankreich; † April 1945 im KZ Bergen-Belsen) war eine französische Jüdin, die ihre Erlebnisse während der Zeit des Nationalsozialismus in einem Tagebuch festhielt, das in Frankreich mittlerweile als eines der bedeutendsten Zeugnisse aus der Zeit der Shoa gilt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hélène Berr stammt aus einer jüdischen Familie, die seit vielen Generationen in Frankreich lebt. Sie studierte an der Sorbonne russische und englische Literatur. Außerdem interessierte sich die Violinistin für die Musik. Ihre Abschlussprüfung konnte sie jedoch nicht mehr absolvieren, weil die antisemitischen Gesetze von Vichy ihr die Zulassung verweigerten. Stattdessen engagierte sie sich als ehrenamtliche Sozialarbeiterin im allgemeinen Israelitenverband Frankreichs (Union générale des israélites de France, UGIF). Am 8. März 1944 wurde sie verhaftet und knapp zwei Wochen später – am Tage ihres 23. Geburtstages[1] – zusammen mit ihren Eltern von Drancy nach Auschwitz deportiert. Sie starb, geschwächt durch eine Typhuserkrankung und Misshandlung, im April 1945, wenige Tage vor der Befreiung des Lagers, im KZ Bergen-Belsen, wohin sie evakuiert worden war.[1]

Tagebuch

Hélène Berr begann ihre Aufzeichnungen am 7. April 1942 im Alter von 21 Jahren mit einer Episode über den Autor Paul Valéry. Zunächst ist vom Schrecken des Antisemitismus und des Krieges nichts zu spüren. Das Mädchen schwärmt von der Landschaft rund um Paris und erzählt von der ersten Liebe und ihren Freunden an der Universität Sorbonne. In ihrem mit Zitaten von William Shakespeare und Lewis Carroll gespickten Texten erscheint der Krieg höchstens als böser Traum. Doch allmählich wird sie sich ihrer Situation bewusst. Sie berichtet vom Judenstern, von Vertreibungen aus dem Park und von Gewalt gegen ihre Verwandten und Bekannten. Sie hört von den Gerüchten über die Gaskammern und beklagt die fehlende Perspektive: „Wir leben von Stunde zu Stunde, nicht mal von Woche zu Woche.“ Ein deportierter Jude berichtet ihr von den Plänen der Nationalsozialisten. Der letzte Beitrag handelt von einem Gespräch mit einem deutschen Kriegsgefangenen. Das Tagebuch endet am 15. Februar 1944 mit den Worten aus Shakespeares Macbeth: „Horror! Horror! Horror!“ (Siehe deutsche Ausgabe Seite 316.)

Berr verfügte, dass ihre Aufzeichnungen nach ihrem Tod an ihren Verlobten Jean Morawiecki übergeben werden sollten, der später als Diplomat Karriere machte. Er überließ das Tagebuch, das aus 262 losen Blättern besteht, ihrer Nichte Mariette Job. Diese entschied sich schließlich, das Tagebuch, das seit 2002 bei der Shoah-Gedenkstätte liegt, zu veröffentlichen.

Im Januar 2008 erschien das Buch erstmals in Frankreich. Die Zeitung Liberation erklärte es gleich zur „Literatur-Sensation 2008“[2] und erinnerte an die heftigen Diskussionen um das zwei Jahre zuvor veröffentlichte Buch der jüdischen Autorin Irène Némirovsky. Schon nach zwei Tagen war die erste Auflage von 24.000 Exemplaren vergriffen[3]. Im Februar 2009 erschien die von Elisabeth Edl besorgte deutsche Ausgabe Pariser Tagebuch 1942-1944. Zu diesem Zeitpunkt waren in Frankreich schon über 100.000 Exemplare des Tagebuchs verkauft worden.[1]

Werk

  • Hélène Berr: Journal, 1942-1944, Vorwort von Patrick Modiano, Januar 2008, Éditions Tallandier, ISBN 978-2-84734-500-1.
  • Deutsche Ausgabe: Pariser Tagebuch 1942-1944. Vorwort von Patrick Modiano. Übersetzt von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag, München 2009, ISBN 978-3-446-23268-0.
  • Englische Ausgabe: Journal. Übersetzt von David Bellos. Quercus, Oktober 2008, Gebunden: ISBN 978-1-84724-574-8, Taschenbuch: ISBN 978-1-84724-575-5
  • Préface du «Journal» d'Hélène Berr, Vorwort (französisch)

Siehe auch

Anmerkungen

  1. a b c d Martina Meister: Grauen und Größe. In: Die Zeit. 5. Februar 2009, ISSN 0044-2070, S. 54. 
  2. „Ce sera l’événement éditorial du début de l’année 2008.“, La vie brève, Liberation, 20. Dezember 2007
  3. DER SPIEGEL Nr. 3/2008, S. 94

Weblinks


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