Hermann Chajm Steinschneider

Hermann Chajm Steinschneider

Erik Jan Hanussen (* 2. Juni 1889 [1] in Wien-Ottakring; † in der Nacht vom 24. März 1933 auf den 25. März 1933 [2] in Berlin) war das Pseudonym des als „Hellseher” und Nazisympathisant bekannt gewordenen österreichischen Trickkünstlers Hermann Chajm Steinschneider.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Kindheit und Jugend

Hermann (Herschel) Steinschneider wurde in ärmlichen Verhältnissen geboren und verlor seine Mutter im Alter von zehn Jahren. Sein Vater Siegfried (1858-1910), ein aus Proßnitz in Mähren stammender und als Handelsreisender bzw. Wanderbühnenschausteller tätiger Arztsohn aus jüdischem Hause, heiratete bald darauf eine Witwe, die zwei weitere Kinder mit in die Ehe brachte. Drei Jahre später brach Steinschneider die Schule ab und rückte von zu Hause aus.

Ein Leben voller Sensationen

Steinschneider versuchte sich in Wien mehrfach als Gesellschaftsreporter, indem er betuchte Bürger mit Kolportagen in Klatschblättern erpresste. Er schlich sich auch in das Vertrauen eines betrügerischen Hellsehers ein, dessen Tricks er veröffentlichte, ironischerweise später jedoch selbst adaptierte.

Als Kunstreiter und Reckakrobat trat er im „Grand Zirkus Oriental” auf und betrieb das „erste elektrische Kettenkarussell der Welt“, das in Wirklichkeit von verborgenen Kindern angetrieben wurde. Er schlug sich ab dieser Zeit über Jahre auf mehr oder weniger legale Weise in Schmierentheatern und Zirkussen mit Zauberkünstlern, sogenannten „Experimental-Psychologen”, Hypnotiseuren oder Varietékünstlern durch. Unter dem Namen des Bariton Titta Ruffo erschwindelte er ein Engagement in einem Opernensemble. Im Ersten Weltkrieg schützte er sich vor gefährlichen Einsätzen, indem er den Zustand in der Heimat voraussagte. Das österreichische Militär bildete er im Wünschelrutengehen aus. Auf der Suche nach Gelegenheitsarbeit versuchte er sich in Berlin in Gaststätten erfolglos als klassischer Zauberkünstler. Steinschneider kopierte die Gedankenlesedarbietung einer Varietékünstlerin „Frau Magda“ und trat in Kleinstadtvarietés in Europa als scheinbar echter Hypnotiseur auf. Später kopierte er die Show des als stärkster Mann der Welt gefeierten Kraftartisten Breitbart, wobei es Steinschneiders zarter Assistentin „unter Hypnose“ gelang, gleichfalls Ketten zu zerreißen u.ä., da beide die gleichen Tricks anwendeten. Der in der Presse ausgetragene Konkurrenzkampf der beiden Rivalen erregte soviel Aufsehen, dass beide nach New York engagiert wurden. Inzwischen nannte er sich - nach einer Vielzahl von Pseudonymen, Deck- und Künstlernamen - Erik Jan Hanussen und rühmte sich dänischer Herkunft. Wieder in Europa zeigte Steinschneider Fakirkunststücke und präsentierte eine Hungerkünstlerin.

Obwohl er sich in seinem Buch Meine Lebenslinie selbst als Hochstapler enttarnt und sogar seine Tricks veröffentlicht hatte, fand er später wieder zu seinem Metier zurück. Er versuchte auch viele Jahre, eine eigene „Schule des Okkultismus” zu gründen, was ihm letztlich aber nie gelang. Er verbesserte das klassische Hellsehkunststück Zettellesen und machte in der Presse spektakuläre Vorhersagen, wobei er häufig falsch lag, Zufallstreffer jedoch groß herausstellte. Mit okkultistischen Beratungsgesprächen verdiente Hanussen nicht nur Geld, sondern erwarb auch gesellschaftliche Kontakte.

1931 wurde Hanussen vor dem Kreisgericht in Leitmeritz (Böhmen) des hundertfachen Betruges angeklagt, weil er - so der veraltete Gesetzestext - „den Schwachsinn“ von Gutgläubigen ausgenutzt habe. Nach einigen Monaten Dauer des Prozesses, der bis in die USA verfolgt wurde, wurde Hanussen freigesprochen und im Urteil die Entscheidung zum Glauben an die Fähigkeiten eines Hellsehers dessen Kunden überlassen. Der Weg zu einer grandiosen Karriere wurde damit erst möglich gemacht.

Der als intelligent geltende Hanussen besaß mehrere eigene Zeitungen, mit denen er genau wie in seinen Beratungsgesprächen die Sehnsüchte der Leser bediente. Hanussens bunte Wochenschau war kurzfristig eine der auflagenstärksten Zeitungen Berlins. Durch „astrologische Börsentipps“ konnte er Aktienkurse beeinflussen. Seine Hellsehshows wurden in Berlin Tagesgespräch und füllten schließlich zweimal täglich die Berliner Scala. Hanussen verkaufte allerhand okkulte Produkte und wurde so reich, dass er sich unter anderem eine Luxus-Yacht leistete und in Berlin ein Gebäude als Palast des Okkultismus ausbauen ließ.

Obwohl er Jude war, suchte er ab 1930 die Nähe zum Nationalsozialismus und unterstützte in seinen astropolitischen Zeitungen den Aufstieg Hitlers. Seine Voraussage des Reichstagsbrands wurde mit seinen sehr guten Kontakten zur SA-Führung erklärt, wobei er sich gewisse von Hitler auffällig protegierte Mitglieder durch Finanzierung ihrer Spielschulden und andere, insbesondere sexuelle Dienstbarkeiten, zu verpflichten wusste. Wie und durch wen Hanussen aber zu dem Wissen über den bevorstehen Reichstagsbrand wirklich kam, ist nach wie vor unbekannt. Durch sein „Geldverleihen” erwarb er sich viele Freunde. So auch den späteren Polizeipräsidenten von Berlin, Wolf-Heinrich Graf von Helldorf, der ihm sogar eine SA-Gruppe zur Verfügung stellte, um das Lokal seines größten Konkurrenten, das „Romanische Café”, zu stürmen und ihn zum „Hitlergruß” zu zwingen.

Ermordung

Den Nazis war inzwischen Hanussens nur unzureichend getarnte jüdische Herkunft bekannt geworden. Kurz nach der Machtergreifung wurde am 8. April 1933 in Grünewald, einem Waldgebiet zwischen Zossen und Baruth im Süden von Berlin, seine von Wildfraß gezeichnete und verweste Leiche gefunden. Neuere Dokumente deuten darauf hin, dass Hanussen zwei Wochen zuvor, in der Nacht vom 24. auf 25. März 1933, in einer Polizeikaserne in Berlin-Schöneberg/Tempelhof durch ein dreiköpfiges SA-Kommando ermordet worden war.[3]

Literatur

  • Hanussen-Steinschneider, Erik Jan Das Gedankenlesen /Telepathie/ (1920) Mit Porträt
  • Hanussen, Erik Jan Meine Lebenslinie (Autobiographie), ISBN 3-8004-1185-7
  • Bruno Frei Der Hellseher. Leben und Sterben des E.J.H. Strasbourg: Sebastian Brant, 1934, wieder (2. Aufl.) Köln: Prometh, 1980, Nachwort und Hg. Antonia Grunenberg ISBN 3-922009-33-6
  • Wilfried Kugel: Hanussen - Die wahre Geschichte des Hermann Steinschneider (1998), ISBN 3-928234-75-7
  • Mel Gordon: Hanussen: Hitler's Jewish Clairvoyant (2001) (engl.), ISBN 0-922915-68-7

Filme

Hanussens Lebensgeschichte wurde mehrfach verfilmt:

Hanussen selbst produzierte während seiner großen Zeit in Österreich (verschollene) Filme, in denen er Hypnotiseure spielte:

  • Hypnose (1919)
  • Der rätselhafte Tod (1921)

Einzelnachweise

  1. s. http://www.steinschneider.com/biography/hanussen/hermann_ikg.htm
  2. nach Kugel S. 250f: um oder wahrscheinlich nach Mitternacht durch Erschießen im Hof oder Keller der Kaserne der Feldpolizei in der General-Pape-Straße in Berlin-Tempelhof/Schöneberg - s. Wiki-Artikel zu Alexander August Wilhelm von Pape - nach Ausrauben sei die Leiche zur Vertuschung des Mords in eine versteckte Tannenschonung im Staakower Forst „ca. 20 Meter von der Chaussee Neuhof-Baruth bei Kilometerstein 48“ - zwischen Zossen-Neuhof und Baruth - gebracht worden s. http://www.steinschneider.com/biography/hanussen/hermann_tomb.htm
  3. Pierre Gegoire: Der Reichstagsbrand. Die Provokation des 20. Jahrhunderts. Forschungsergebnis, 1978, S. 87. Die Täter werden als Wilhelm von Ost, Rudolf Steinle und Kurt Eggert identifiziert. Edouard Calic: Reinhard Heydrich. Schlüsselfigur des Dritten Reiches, 1982, S. 161 gibt mindestens Eggert und Steinle jedoch als SS-Leute an

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Hermann Steinschneider — Erik Jan Hanussen (* 2. Juni 1889 [1] in Wien Ottakring; † in der Nacht vom 24. März 1933 auf den 25. März 1933 [2] in Berlin) war das Pseudonym des als „Hellseher” und Nazisympathisant bekannt gewordenen österreichischen Trickkünstlers Hermann… …   Deutsch Wikipedia

  • Erik Jan Hanussen — um 1930 Erik Jan Hanussen (* 2. Juni 1889[1] in Wien Ottakring; † in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1933[2] in Berlin; eigentlich Hermann Chajm Stein …   Deutsch Wikipedia

  • Judenfeindlichkeit — Der wandernde Ewige Jude, farbiger Holzschnitt von Gustave Doré, 1852, Reproduktion in einer Ausstellung in Yad Vashem, 2007 Judenfeindlichkeit (auch Judenhass, Judenfeindschaft, gegebenenfalls Judenverfolgung) bezeichnet eine pauschale Ablehnung …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”