Identitätskonflikt

Identitätskonflikt

Der Grundkonflikt ist ein Fachbegriff aus der Psychoanalyse und der Tiefenpsychologie, und beschreibt einen „zentralen“ Konflikt in der Lebensentwicklung eines Menschen. Der Begriff wurde von Sigmund Freud gebildet. Um einen solchen Konflikt zu bewältigen ist es erforderlich, zwischen zwei Zielen zu entscheiden, die sich gegenseitig ausschließen und zueinander im Widerspruch stehen. Da es sich bei diesen Grundkonflikten immer darum handelt, sich mehr für die eine oder mehr für die andere Seite des Konfliktes zu entscheiden, werden sie auch „Ambivalenz-Konflikte“ genannt.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Innere Konflikte zwischen widersprüchlichen Bedürfnissen sind etwas ganz normal Menschliches und Alltägliches. So mag es eine Seite geben, die sich Nähe zum Partner wünscht und eine andere, die abgegrenzt und für sich allein sein möchte, oder eine Seite wünscht sich Freiheit und Unabhängigkeit, während eine andere Seite Geborgenheit und Häuslichkeit sucht, oder eine Seite möchte sich anpassen und unauffällig sein, während eine andere sich auflehnen und wehren will.

Psychodynamische Theorien beschäftigen sich mit Störungen bei der Lösung solcher innerer Konflikte. Belastungen oder Störungen treten auf, wenn der Mensch zur Lösung eines Konfliktes keine angemessene Strategie entwickeln konnte. (Fachlich formuliert ist in diesem Fall das Strukturniveau nicht hoch genug entwickelt.) Wenn ein Anteil des Konfliktes nicht bewusst wahrgenommen werden kann, weil er zum Schutze der noch wenig ausgereiften Persönlichkeit verdrängt werden musste, besteht das Problem, dass der Konflikt nicht bewusst gelöst werden kann.

Das bedeutet, wenn ein Mensch als Kind z. B. nie sichere Geborgenheit erfahren hat oder in diesem Grundbedürfnis schwer enttäuscht wurde, kann/muss er den Wunsch danach sehr gut verdrängen. Möglicherweise taucht das Bedürfnis nach Geborgenheit nie wieder in einem bewussten Konflikt auf, doch der Erwachsene leidet später darunter, keine Momente tiefer Sicherheit und Ruhe erleben zu können.

Seit Freud wurden in der Weiterentwicklung der Psychoanalyse immer wieder neue Konzepte vorgestellt, in denen die Grundkonflikte des Menschen differenziert und spezifiziert wurden. Die Entwicklung neuer Konflikttheorien ist eng verknüpft mit der Erforschung von Grundbedürfnissen und zunehmenden Erkenntnissen aus der Entwicklungspsychologie. Das differenzierteste und heute anerkannteste Modell der Grundkonflikte wird in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) beschrieben.

Grundkonflikte nach der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD)

Die psychodynamische Betrachtungsweise sieht die Grundkonflikte als Bestandteil der menschlichen Entwicklung unter dem Blickwinkel der Konfliktverarbeitung. Dabei unterscheidet die OPD acht Grundkonflikte [1] [2], nach denen acht Konflikttypen bestimmt werden können. Um eine Behandlungs-Diagnose zu stellen, wird der Patient gemäß dem Stand seiner Entwicklung und Reifung in die vorgegebenen und umschriebenen/operationalisierten Konflikttypen eingeordnet. Eine eindeutige Zuordnung eines Menschen zu einem einzigen Konflikttypus ist oft nicht möglich, weil häufig mehrere Grundkonflikte gleichzeitig noch unzureichend bewältigt wurden.

1. Abhängigkeit/Autonomie: Im einen Extrem würde ein Mensch mit diesem Grundkonflikt eine Abhängigkeit erzeugende Beziehung suchen als „willkommene Abhängigkeit“. Im anderen Extrem eine emotionale Unabhängigkeit aufbauen und die Bindungswünsche unterdrücken

2. Unterwerfung/Kontrolle: Im einen Extrem nimmt der Mensch die Gegebenheiten hin als Schicksal, dem er sich fügt, dabei sind Erleben und Verhalten geprägt von Gehorsam und Unterwerfung. Im anderen Extrem bestimmen Kontrolle und Auflehnung („Bekämpfen“) das Erleben und Verhalten.

3. Versorgung/Autarkie: Im einen Extrem führen Versorgungs- und Geborgenheitswünsche zu starker Abhängigkeit und der Mensch wirkt passiv und anklammernd. Im anderen Extrem nimmt der Mensch keine Hilfe an und wehrt die Wünsche nach Hilfe ab, indem er sich als anspruchslos darstellt. In einer altruistischen Konfliktverarbeitung bekommen Andere die Versorgung, nach der er sich selbst unbewusst sehnt.

4. Selbstwert/Objektwert: Es bestehen Selbstwertkonflikte, die im einen Extrem als Minderwertigkeit erlebt werden, während Andere aufgewertet oder idealisiert werden. Im anderen Extrem werden kompensatorische Anstrengungen erbracht, die das Selbstbild bis hin zum Größenwahn stützen, während Andere abgewertet werden.

5. Über-Ich- und Schuldkonflikte: Im einen Extrem führt die Schuldübernahme bis zur masochistischen Unterwerfung. Im anderen Extrem sieht der Mensch die Schuld nur beim anderen, wobei ihm jegliche Form eines eigenen Schuldgefühls fehlt.

6. Ödipal-sexuelle Konflikte: Im einen Extrem nimmt der Mensch seine Erotik und Sexualität nicht wahr, im anderen Extrem bestimmt sie alle Lebensbereiche, ohne dass eine Befriedigung gelingt. Dies meint nicht sexuelle Funktionsstörungen anderer Herkunft.

7. Identitätskonflikte: Bei sonst hinreichenden Ich-Funktionen übernimmt der Mensch die Geschlechts-, Rollen oder Gruppenidentität anderer oder überspielt die Identitätsambivalenz kompensatorisch.

8. Fehlende Konflikt- und Gefühls- Wahrnehmung: Bei diesem Grundkonflikt werden Konflikte, Gefühle und Bedürfnisse bei sich und anderen nicht wahr genommen oder sie werden durch sachlich-technische oder philosophische Beschreibungen ersetzt.

Unterschiedliche Modelle der Grundkonflikte

Kurze Übersicht über unterschiedliche aufeinander folgende theoretische Auffassungen zum psychoanalytischen Verständnis intrapsychischer Konfliktlagen:

Nach der Triebtheorie

Sigmund Freud entwickelte seine Triebtheorie in mehreren Phasen (etwa 1905 bis 1914 für die erste Phase) und konstruierte dabei immer ein dualistisches Modell, wobei das neue jeweils das vorige ersetzte:

  • Hunger und Liebe (Selbsterhaltung versus Arterhaltung)
  • Liebe und Hass (libidinöse versus aggressive Triebe)
  • Lebenstrieb und Todestrieb

Der Konflikt beschreibt hier einen körperlichen Spannungszustand, der Unlust bereitet und aufgehoben werden soll, statt dessen soll ein „Lustgefühl“ hervor gerufen werden. Diesem sogenannten Lustprinzip wird das Realitätsprinzip gegenüber gestellt, welches aufgrund äußerer Umstände für den Aufschub einer unmittelbaren Befriedigung plädiert oder sich dem Lustprinzip gänzlich entgegenstellt. Nach Freuds Drei-Instanzen-Modell wird menschliches Verhalten wesentlich von den unbewussten Konflikten zwischen den triebhaften Impulsen des Es, dem strengen bewertenden Über-Ich und dem realitätsorientierten Ich bestimmt.

Im Rahmen der Selbstpsychologie

Stavros Mentzos definiert fünf phasentypische Konflikte der psychischen Entwicklung des Kindes, wobei er die Objekt-Beziehungs-Psychologie (Selbstpsychologie) von Heinz Kohut zugrunde legt[3]:

  • Symbiotische Verschmelzung gegen Subjekt-Objekt-Differenzierung (1. Lebensjahr)
  • Abhängigkeit gegen Autonomie (2. – 3. Lebensjahr)
  • Dyadische gegen triadische Beziehung (ödipaler Konflikt) (4. – 6. Lebensjahr)
  • Sicherheit in der Familie gegen Chancen und Risiken der Peergroup (Pubertät, Latenz, Adoleszenz)
  • Infantile Bindungen gegen Genitalität und Identität (in der Ablösung von den Eltern)

Beschreibung mittels Motivationssystemen

Lichtenberg unterscheidet fünf verschiedene Motivationssysteme,[4] die miteinander in Konflikt treten können, auf die er durch Ergebnisse der Säuglingsbeobachtung schließt:

  • die biologische Notwendigkeit, physiologische Bedürfnisse zu befriedigen
  • ein elementares Bedürfnis nach Bindung, das sich später zu einem Bedürfnis nach Zugehörigkeit erweitert
  • das Bedürfnis, Dinge zu erforschen und sich selbst zu behaupten
  • das Bedürfnis, auf unangenehme Stimuli aversiv zu reagieren, durch Widerspruch oder Rückzug
  • das Bedürfnis nach sinnlichem Vergnügen, Zärtlichkeit und sexueller Erregung

Siehe auch

Quellen

  1. *Arbeitskreis OPD: Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung Huber, Bern 2006 ISBN 978-3456842851
  2. Leichsenring, Falk (Herausgeber): Lehrbuch der Psychotherapie, Bd. 2 Psychoanalytische und tiefenpsychologisch fundierte Therapie; 2004, ISBN 3-932096-32-0
  3. Mentzos, Stravos: Neurotische Konfliktverarbeitung. Fischer, Frankfurt/Main (1982,1984), ISBN 3-596-42239-6
  4. Lichtenberg, J. D./ Lachmann, F. M./ Fosshage, J. L. Das Selbst und die motivationalen Systeme Brandes&Apsel Frankfurt am Main 2000 ISBN 3-86099-161-2 Buchbesprechung
  • Ermann, Michael (S.87-115 Psychoanalytische Entwicklungs- und Strukturdiagnostik) Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (1995/2007) 5te überarbeitete Auflage, W. Kohlhammer GmbH Stuttgart ISBN 978-3-17-019664-3

Literatur

  • Michael Wolf (Hrsg.): Selbst, Objekt und der Grundkonflikt. Brandes & Apsel Verlag, 2001, ISBN 3860993054
  • Gerd Rudolf: Der depressive Grundkonflikt und seine Verarbeitungen. Krankheitsbilder in der Folge des depressiven Grundkonflikts. In: Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik. 2000, Stuttgart, S. 149-207

Weblinks


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