Ilwedritsch

Ilwedritsch
Elwetritschenbrunnen von Gernot Rumpf in Neustadt an der Weinstraße
Steinskulptur einer männlichen Elwetritsch

Die Elwetritsch (auch Elwedritsch, Ilwedritsch u. ä., Plural Elwetritsche oder Elwetritschen, in pseudowissenschaftlichem Latein bestia palatinensis) ist ein vogelähnliches Fabelwesen, von dem in Südwestdeutschland und hier vor allem in der Pfalz berichtet wird. Man könnte sie als lokale Entsprechung zum Thüringer Rasselbock oder zum bayerischen Wolpertinger ansehen.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung

Der Verbreitungsraum der Erzählungen von der Elwetritsch erstreckt sich vom Pfälzerwald im Westen nach Osten über die Rheinebene hinweg bis in den südhessischen Odenwald. Als „Hauptstadt“ der Elwetritschen gilt Neustadt an der Weinstraße, wo auch ein Elwetritschen-Brunnen steht, den Gernot Rumpf geschaffen hat. Andere Quellen dagegen nennen Dahn in der Südwestpfalz (gleichfalls mit einem Elwetritschen-Brunnen) oder Erfweiler bzw. andere Gemeinden als heimliche Hauptstädte der Fabelwesen. Besonders selten treten diese im Nordpfälzer Bergland auf.

Pennsylvaniadeutsche[1] sind der Meinung, nach Amerika ausgewanderte Pfälzer – von denen diese Volksgruppe vorwiegend abstammt – hätten einige „Elbedritschlicher“ mitgenommen, „so ass sie kenn Heemweh grigge deede“ (hochdeutsch wörtlich: damit sie kein Heimweh kriegen täten). Geschichten vom Elwetritsch sind auch bei Amischen belegt.[2]

Auch in der heute bayerischen Oberpfalz kommt das Fabeltier, dort unter dem Namen Ebatrietscherl bekannt, vereinzelt vor. Vermutlich wurde es im späten Mittelalter von den Söhnen der Pfälzer Kurfürsten eingeführt, als sie damals in Amberg das Regieren lernen sollten. Darüber hinaus sind die Fabelwesen auch im oberfränkischen Fichtelgebirge unter der Bezeichnung Elvertritschla bekannt.

Schreibweise und Wortherkunft

Die überregional gebräuchlichste Schreibweise[3] ist Elwetritsch. In der Pfalz halten sich Elwetritsch und Elwedritsch in etwa die Waage. Elbe(n)-, Elfe(n)-, Elwen-, Ilbe(n)- und Ilwe(n)-(t/d)ritsch sowie Elwetrittche werden erheblich seltener und nur regional begrenzt gebraucht.

Die Herkunft des zweiten Wortteils ist nach einer Ansicht unklar und strittig, während der erste Bezug nimmt auf die Elfen bzw. Elben als weibliche Waldgeister aus der germanischen Mythologie.

Eine andere Ansicht vermutet eine Wurzel im Französischen; danach handelte es sich eigentlich um einen „triche des élèves“ bzw. elsässisch um einen „Eleventriche“, auf Deutsch also um einen Handwerksgesellen-Schwindel oder -Ulk. Auch eine Herleitung aus „Elbentriche“ (etwa Waldgeister-Schwindelmärchen) wäre nach dieser Deutung plausibel.

Einen weiteren Ansatz zur Erklärung des Wortteils -drit, -trit oder -tritt bietet der Neustadter Diplom-Agrarbiologe Stephan Dreyer[4]: Bekanntermaßen ist der Hahnentritt eine ältere bzw. volkstümliche Bezeichnung für den beginnend wachsenden Keimling (Keimfleck, Keimscheibe) im befruchteten Hühnerei. In der Geflügelwirtschaft sagt man zu dem dieser Erscheinung vorausgehenden Begattungsgeschehen auch: „Der Hahn tritt die Henne.“ Dieser „Tretakt“ führt zur Besamung im Eileiter und damit zur Befruchtung vorhandener reifer Eizellen. Nachdem Elwetritschen einer Kreuzung von Hausgeflügel mit Waldgeistern (Elfen etc.; s. u.) entstammen sollen, wäre hier ein „Elbentritt“ analog zum Hahnentritt als Ursprung zu vermuten. Gleiches steckt sinngemäß und sprachlich bzw. von den Folgen her auch im Fehltritt einer Elfe. Zudem ist damit die vorgenannte französische Deutung keinesfalls widerlegt, wenn man nämlich bedenkt, dass das französische „triche“ auch Beschummeln oder Betrug heißen kann, der unzweifelhaft vorliegt, wenn eine Elfe ihren Elferich mit männlichem Hausgeflügel betrügt. Bemerkenswerterweise ist auch die Endung „-che“ bzw. „-sche“ als Verkleinerungsform, u. U. auch als Verharmlosung bekannt.

Aussehen und Verhalten

Elwetritschen werden meist als hühnerähnlich beschrieben. Allerdings könnten die Tiere ihre Flügel kaum gebrauchen, weshalb sie überwiegend im Unterholz oder unter den Rebstöcken lebten. Der Legende nach sind sie eine Kreuzung von Hühnern, Enten und Gänsen, die sich mit im Wald lebenden Fabelwesen wie Kobolden und Elfen vermischt hätten. Manchmal werden Elwetritschen auch mit einem Hirschgeweih abgebildet, ihr Schnabel wird oft als sehr lang dargestellt. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gingen Künstler vermehrt dazu über, Elwetritschen teilweise auch als weiblich zu kennzeichnen, indem sie sie mit Brüsten abbildeten.

Eier

Schlüpfende Elwetritsch

Laut der Legende wachsen auch die Eier der Elwetritschen, bevor sie aus dem ausgewachsenen Ei schlüpfen. Eier in verschiedenen Größen sind am Elwetritschenbrunnen in Neustadt an der Weinstraße künstlerisch dargestellt.

Vorkommen im Alltag

Jagd

In etlichen pfälzischen Gemeinden wird Touristen der Erwerb eines Elwedritschen-Jagdscheins als launiger Zeitvertreib angeboten; Einheimischen ist die Jagderlaubnis dagegen selbstverständlich „in die Wiege gelegt“ worden. Die Elwetritschenjagd wird als eine hohe Kunst ausgegeben, da Elwetritschen als sehr scheu gelten. Die günstigste Jagdzeit sind dunkle Neumondnächte.

Der Fänger benötigt einen Sack, eine Öllampe und einen Knüppel. Natürlich sind auch Treiber vonnöten. Diese versuchen, durch lautes „Tritsch, tritsch“-Rufen und durch das Schlagen mit Stöcken gegen Bäume oder Weinbergspfähle die Elwetritschen aufzuscheuchen, damit sie in den Sack des (häufig ahnungslosen) Fängers flüchten. Dieser wird gelegentlich heimlich im Freien zurückgelassen, bis er endlich durchgefroren – und ohne Jagdbeute – heimfindet. Dann gibt es den obligatorischen Festschmaus und dazu passende Getränke zum Aufwärmen, z. B. Wein oder Obstbrände. In einem Weingut im pfälzischen Bissersheim wird sogar ein spezieller „Elwedritsche-Drobbe“ (-Tropfen) hergestellt.

Bei einer anderen Variante der Jagd nimmt man einen Sack, der an beiden Enden eine Öffnung hat. Man stellt den Sack mit Hilfe eines Astes zu einer Art Schlauch auf. An die hintere Öffnung des Sackes stellt man die Lampe. Nun wartet man, bis eine Elwetritsche, durch das Licht angezogen, den Sack durch die vordere Öffnung betritt. Dann schließt man den Sack. Allerdings entkommt die Elwetritsche dabei meist durch die zweite Öffnung.

Um sich vor Angriffen der Elwetritschen zu schützen, trinken die Jäger vor und während der Jagd reichlich Alkohol, dessen Geruch angeblich die Elwetritschen auf Distanz hält.

In letzter Zeit wird vermehrt die Forderung laut nach der Einführung eines nachhaltigen und bestandsschonenden „Elwetritschen-Watching“.

Brauchtumspflege

In mehreren pfälzischen Städten gibt es Vereine, die sich der Brauchtumspflege der pfälzischen Sagen annehmen. Der älteste ist der Elwetrittche-Verein von 1982 in Landau. Ein ebenfalls in dieser Stadt ansässiger Square Dance-Verein nennt sein einmal jährlich stattfindendes Dance-Special die Landauer Elwetrittche-Jagd. In Pirmasens gibt es eine Elwetritsche-Akademie.

Fußball

Im Frankenthaler Vorort Flomersheim wird alljährlich im August ein Fußballturnier um einen Wanderpokal ausgetragen, der Elwedritsche-Pokal heißt und den der örtliche Keramikkünstler und Pfälzer Mundartdichter Walter Rupp (s. Literatur und Weblinks) gefertigt hat.

Zoo

Im Landauer Zoo befindet sich ein Gehege mit Figuren dieser Fabelwesen.

Sonstiges

Die Elwetritsch ist inoffizielles Markenzeichen der Privatbrauerei Bischoff aus Winnweiler, auf sie spielt die Sorte Black Elwis, ein Mischgetränk aus Bier und Cola, an.

Forschung

Im Verbreitungsgebiet der Fabelwesen wird die Elwetritsch nicht nur im Rahmen der Erzählforschung oder Volkskunde, sondern auch als wissenschaftlicher Witz zoologisch und damit vorgeblich naturwissenschaftlich untersucht. So ist ein pfälzisches „Forscherteam“ unter Leitung des schon erwähnten Stephan Dreyer bestrebt, in Zusammenarbeit mit noch nicht ganz namhaften „Tritschologen“ die Existenz von Elwetritschen auch in anderen Wirbeltiergruppen zu belegen. In den bisher publizierten Forschungsergebnissen der Gruppe wird auch die Ernährungsweise (ursprünglich angeblich nur von Trauben der Rebstöcke) als vielmehr sehr mannigfaltig dargestellt[4].

Zur Weiterpflege und Modernisierung der Systematik werden gar Fisch-, Lurch-, Kriechtier- und Säugetiertritschen diskutiert. Gehandelt hat bereits die pfälzische Gemeinde Otterstadt bei Speyer. Sie ließ 2004 durch Gernot Rumpf den Otterdritschenbrunnen errichten, der die Verbindung zwischen Elwetritschen und Fischottern herstellt. Die Dokufiktion „Das Elwedritsch Projekt“ – eine beabsichtigte Analogie zum Blair Witch Project – der Ludwigshafener Medienwerkstatt CUT e. V. (2001) geht gar von der Existenz von Raubdritschen aus und gewährt darüber hinaus noch andere spannende Einblicke in das sagenumwobene Leben dieser Kreaturen. Auch die Methode der historischen Jagd mit Sack und Laterne wird im Film vom Pfälzer Mundartdichter und Elwedritsche-Experten Paul Tremmel ausführlich erläutert. Die Jagd ist aber in ihrer Umsetzung durch Laien mit unvorhersehbaren Risiken verbunden, wobei sich letztlich die Geister scheiden, ob die Elwedritschen dem Menschen freundlich gesinnt sind oder nicht, bzw. ob sie geschlachtet und gegessen werden dürfen oder unter Artenschutz zu stellen sind.

Historisch und fabel-„naturwissenschaftlich“ erwiesen scheinen die verwandtschaftlichen Beziehungen zum bayerischen Wolpertinger (Hirschgeweih, Säugetierbezug) zu sein. Auch deswegen ist die überwiegende Definition und biologische Klassifizierung der Tritschen – ob Elwe-, Ilwe- oder sonstige – als Vögel oder vogelartige Fabelwesen in Frage zu stellen. Womöglich gibt es auch sekundäre Kreuzungen dieser beiden Fabelwesengruppen, die dann wohl aus der Zeit stammen müssen, als die Pfalz noch bayerisch war. Allerdings müsste es in diesem Fall auch im räumlich dazwischengelegenen badisch-schwäbischen Korridor zu Bayerisch-Schwaben hin ähnliche Wesen geben, und auch entlang der recht kurzen Verbindung zwischen Odenwald und Franken sollten Elwetinger oder Wolperdritschen vorkommen. Über entsprechende Forschungen ist bisher jedoch nichts bekannt.

Siehe auch

Literatur

  • Stephan Dreyer: Beiträge zur Elwedritschologie. Schlaraffia Perla Palatina, Neustadt/Weinstr. 2003–2008
  • Gedichte und Texte über die Elwetritschen haben die pfälzischen Autoren Albert H. Keil, Walter Rupp (s. Weblinks) und Hans-Jürgen Schweizer – teils in Standarddeutsch, teils in Pfälzer Mundart – geschrieben.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Deutsch-Pennsylvanischer Arbeitskreis
  2. Laut Informanten in einer Amisch-Gemeinde in Kansas (Interviews im Rahmen des Projektes Linguistic Atlas of Kansas German Dialects [1]
  3. Suchmaschinenabfragen (2003)
  4. a b Dreyer: Beiträge zur Elwedritschologie (s. Literatur)

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