Interessensgruppen

Interessensgruppen

Eine Interessenvertretung (auch: Interessengruppe), in Österreich Interessensvertretung, soll die Interessen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe definieren und vertreten.

Inhaltsverzeichnis

Grundgedanke

Der Begriff der Interessenvertretung ist definiert als: „Ein freiwilliger oder durch verschiedene Formen des Zwanges erfolgter Zusammenschluss von natürlichen oder juristischen Personen, der zu einem Mindestmaß verfasst ist, um Interessen der Mitglieder entweder selbst zu verwirklichen oder durch Mitwirkung oder Einwirkung auf Gemeinschaftsentscheidungen durchzusetzen, ohne selbst die Übernahme politischer Verantwortung anzustreben.“[1]

Grundgedanke der Interessenvertretung ist immer die Mitbestimmung, das heißt, Menschen und Unternehmen, die von gesellschaftlichen oder anderen Entscheidungen und Entwicklungen betroffen sind, die Gelegenheit der Mitsprache und darüber hinaus der Beteiligung an Entscheidungen zu geben. Dies dient dem sozialen Frieden.

Da aber nicht alle mit allen zugleich beraten und verhandeln können, ist es in der Regel erforderlich, dass die vertretenen Personen innerhalb der Interessenvertretung die Möglichkeit haben, gemeinschaftlich und demokratisch eine einheitliche Position zu entwickeln, die dann von den Mitgliedern getragen und von den Vertretern nach außen artikuliert wird.

Formenvielfalt

Die Interessen leiten sich meistens direkt oder indirekt aus den Grundrechten ab. Nach diesen Interessenfeldern lassen sich die Interessenvertretungen gliedern (zum Beispiel Arbeit, Verbraucher usw.). In der Demokratie werden sie durch Versammlungsfreiheit, Vereinigungsrecht usw. geschützt.

Manche Interessenvertretungen werden durch gesetzliche Grundlagen ausdrücklich untermauert (zum Beispiel Betriebsräte durch das Betriebsverfassungsgesetz), andere beruhen ausschließlich auf privater Initiative (z. B. ADAC, Bürgerinitiativen). Wenn sie als Vereinigung oder Körperschaft eine relevante Größe und Rechtsform (zum Beispiel Verein) erreicht haben, spricht man von Interessenverbänden.

Zur Interessenvertretung zählen aber auch Betriebsräte, Personalräte, Schülerräte, Fachschaftsräte, AStA, Elternversammlungen in Schulen und Kindergärten, Heimräte in Seniorenanlagen und viele mehr im Bereich der Selbstverwaltung und Mitbestimmung.

Strategien der Einflussnahme

Die Strategien der Einflussnahme sind vielfältig. Während die outside strategy sich primär an die Öffentlichkeit richtet und zu deren Mobilisierung dient, bezeichnet die inside strategy eine eher traditionelle Form des Lobbying, welches meist von wirtschaftlichen Interessen getragen wird. Eine Gemeinsamkeit der beiden Strategien ist die Tatsache, dass sie beide an verschiedenen Punkten des Policy-Cycles anzusetzen versuchen.[2]

Öffentlichkeitsarbeit

Jede Interessenvertretung muss sich auch insbesondere der Kritik der anderen Seite stellen, weil die Interessen entgegengesetzt sind (Interessenkonflikt). Die Auseinandersetzungen werden dann in der Regel auch über die Medien und die Öffentlichkeit ausgetragen. Eine Öffentlichkeitsarbeit nach innen (Information der Mitglieder) und nach außen ist demzufolge ein notwendiger Bestandteil der Interessenvertretung.

Bei der institutionell verankerten Interessenvertretung muss man aber auch berücksichtigen, dass zum Beispiel Informationen aus der Mitwirkung in einem Verwaltungsrat oftmals dem Amtsgeheimnis unterliegt (vgl. Verwaltungsverfahrensgesetz), im Betriebsrat Schweigepflicht über die Beratungen mit Mitarbeitern einzuhalten ist und im Personalrat bei schwebenden Verfahren Stillschweigen gilt.

Lobbying

Ein wesentliches Merkmal des Lobbying ist sein Projektcharakter.[3] Im Gegensatz zu der Öffentlichkeitsarbeit der Interessenverbände, welche als dauerhafte Austauschbeziehung mit der Politik verstanden werden kann, erfolgt Lobbying punktuell, innerhalb spezifischer Rahmenbedingungen und mit dem Ziel, Durchsetzungschancen für einzelne Interessen zu erhöhen. Somit erfordert Lobbyismus andere Strategien der Interessenvertretung.

Probleme

Wenn Interessenvertretungen eine Position erreicht haben, in der sie über Gespräche hinaus auch an Verhandlungen teilhaben können, besteht die Gefahr der Monopolisierung und der anschließenden Instrumentalisierung. So kann es zum Beispiel in einzelnen Betrieben passieren, dass der Betriebsratsvorsitzende plötzlich nur noch die Interessen des Arbeitgebers vertritt, während der Streik am Betriebsrat vorbei kaum noch möglich ist.

Ein Grundproblem kann sich entwickeln, wenn eine Interessenvertretung ohne Beteiligung der Basis agiert. Eine Meinung, von der nicht sichergestellt ist, dass sie von der eigenen Basis mehrheitlich gewünscht, verstanden und getragen wird, ist in der Regel auch nach außen unglaubwürdig und beschädigt das Ansehen der Interessenvertretung.

Ferner können sich auch Interessenvertretungen entwickeln, die zwar die ökonomischen Bedürfnisse ihrer wirtschaftlich oder politisch starken Mitglieder wahren, aber den Interessen der Gesellschaft gegebenenfalls schaden können. Ursachen können fehlendes Bewusstsein für die gesellschaftliche Verantwortung und die möglicherweise schadhaften Auswirkungen des eigenen Handelns auf andere oder auch ein Beharren auf Ideologien sein.

In totalitären Staaten widerfährt den Interessenvertretungen die Gleichschaltung und Kontrolle durch den Staat.

In diesem Zusammenhang steht die Frage, ob sich Interessenvertretungen eng an ihre eigentliche Zweckbestimmung halten müssen, oder ob ihre gesellschaftliche Verantwortung es zugleich sogar verlangt, dass sie zu anderen politischen Themen Stellung nehmen. Zum Beispiel ist an den Hochschulen das Allgemeinpolitische Mandat umstritten.

Rechtsgrundlagen

Eine gesetzliche Grundlage für die Bildung von Interessengruppen wurde 1869 mit der Gewerbefreiheit sowie 1867 mit der Festlegung der Koalitionsfreiheit geschaffen. Im preußischen Kaiserreich und der Weimarer Republik herrschte oftmals eine sehr enge Parteibindung zwischen den Verbänden und den politischen Parteien vor.

Die Rechtsgrundlage für Betriebsräte ist im Betriebsverfassungsgesetz festgelegt. Schon 1920 gab es das Betriebsrätegesetz.

Personalräte folgten in den 20er Jahren. Die Arbeit der Personalräte ist in den Mitbestimmungsgesetzen der Länder geregelt, zum Beispiel im Landespersonalvertretungsgesetz Berlin (LPersVG).

Auch die Allgemeinen Studierendenausschüsse (AStA) entstanden in den 20er Jahren. Ihre Arbeit ist den Hochschulgesetzen der Länder geregelt. In einigen Bundesländern gibt es jedoch keine Regelungen. Dort arbeiten provisorisch die Unabhängigen Studierendenausschüsse (UStA) an den Hochschulen.

Auch die Mitbestimmung in Seniorenanlagen ist gesetzlich geregelt (Heimmitwirkungsverordnung). In Studentenwohnheimen ergaben sich Rechtsgrundlagen nur aus den Förderbestimmungen (zum Beispiel Bundesjugendplan). Mieterbeiräte im sozialen Wohnungsbau wurden Anfang der 80er Jahre von der sozialliberalen Koalition diskutiert, aber nicht verwirklicht.

Literatur

  • Marco Althaus, Sven Rawe, u.a. (Hrsg.): Public Affairs Handbuch
  • Florian Busch-Janser: Staat und Lobbyismus - Eine Untersuchung der Legitimation und der Instrumente unternehmerischer Einflussnahme ISBN 3-938456-00-0
  • Steffen Dagger; Manuel Lianos: Neues Spiel, neues Glück - Public Affairs in Brüssel, in: Politik & Kommunikation Nr. 21, 11/2004.
  • Willi Dickhut: Gewerkschaften und Klassenkampf; Verlag Neuer Weg, Düsseldorf; 1988; ISBN 3-88021-169-8
  • Thomas Leif, Rudolf Speth (Hrsg.) (2006): Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland, Wiesbaden.
  • Mirco Milinewitsch: Professionalisierung der Interessenvermittlung durch externes Public Affairs Management ISBN 3-938456-50-7
  • Adi Ostertag, K. Buchholz, K. Klesse, R. Schmidt: Mitbestimmung und Interessenvertretung. Qualifizierte Mitbestimmung in Theorie und Praxis; Bund-Verlag, Köln; 1981; ISBN 3-7663-0504-2
  • Willems, Ulrich und Thomas von Winter (2007): Interessenverbände als intermediäre Organisationen. Zum Wandel ihrer Strukturen, Funktionen, Strategien und Effekte in einer veränderten Umwelt. In Dies. (Hrsg.): Interessenverbände in Deutschland. Wiesbaden. S.13-50.

Einzelnachweise

  1. Sahner (1993): Vereine und Verbände in der modernen Gesellschaft
  2. Willems/ von Winter (2007): Interessenverbände als intermediäre Organisationen. Zum Wandel ihrer Strukturen, Funktionen, Strategien und Effekte in einer veränderten Umwelt, S.35
  3. Leif, Speth (2006): Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland, S.14

Siehe auch


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