Interferenzrohr (Akustik)

Interferenzrohr (Akustik)

Der Begriff Richtrohrmikrofon (engl. shotgun mic) oder auch Interferenzmikrofon bezeichnet eine Mikrofonbauform hinsichtlich ihrer akustischen Funktionsweise. Hier handelt es sich um eine Sonderbauform, da der Mikrofonkörper durch ein vorgebautes Interferenzrohr konzeptioneller Teil der akustischen Bauform ist.

Richtcharakteristik Keule

Inhaltsverzeichnis

Funktionsweise

Ein Richtrohrmikrofon besitzt eine ausgeprägte Keulencharakteristik, die zustande kommt, indem einem Druckgradientenmikrofon ein mit seitlichen Schlitzen oder Bohrungen versehenes, nach vorn offenes Interferenzrohr vorgebaut wird. Dieses bewirkt eine deutliche Verstärkung der Richtwirkung im Bereich mittlerer und hoher Frequenzen. Richtrohrmikrofone eignen sich dadurch vor allem für Situationen, in denen eine Mikrofonierung aus nächster Nähe (meistens aus optischen Gründen) nicht in Frage kommt:

  • Stützmikrofonierung auf Theaterbühnen
  • Kino-, Film- und Fernsehaufnahmen („Tonangel“)
  • an der Kamera befestigtes Kameramikrofon

Neben dem Wort „Richtrohrmikrofon“ gibt es das Wort „Rohrrichtmikrofon“ mit der gleichen Bedeutung.

Interferenz- oder Richtrohrmikrofon
Sennheiser MKH 416

Die Mikrofonkapsel in Druckgradientenbauweise besitzt zunächst eine Nieren- oder Hypernierencharakteristik. Schallwellen, der aus 0°-Richtung entlang der Rohrlängsachse eintreffen, addieren sich gleichphasig am Rohrende. Schallwellen, die nicht frontal auf das Interferenzrohr treffen, werden durch die seitlichen Schlitze ins Rohr hinein gebeugt. Es kommt zur Phasenverschiebung; Interferenz (Überlagerung) führt bei dem seitlich eintreffenden Schall zur Auslöschung innerhalb des Rohres. Aufgrund dieses Funktionsprinzips werden Richtrohrmikrofone auch als Interferenzmikrofone oder Interferenzempfänger bezeichnet [1].
Die tiefste Frequenz, bei der diese Auslöschung funktioniert, richtet sich nach der Länge des eingesetzten Richtrohres; Die Bündelung funktioniert in etwa ab der Frequenz, deren Wellenlänge der Richtrohrlänge entspricht.
Rechenbeispiel: Soll das Richtrohr ab etwa 100 Hz wirksam sein, so ist die Wellenlänge bei Schallgeschwindigkeit c = 343 m/s bei 20°C:


\frac {343\,\mathrm{m}/\mathrm{s}} {100/\mathrm{s}} = 3{,}43\,\mathrm{m}

Man würde also eine Richtrohrlänge von deutlich über 3 m brauchen[2]. Aus Gründen der Handlichkeit ergibt sich die wirksame Keulencharakteristik bei den gängigen Richtrohrlängen von 0,3 m erst oberhalb 1 kHz und nimmt zu höheren Frequenzen hin zu. Unterhalb 1 kHz entspricht die Richtwirkung der der Mikrofonkapsel − eine Nieren- oder Hypernierencharakteristik. Streng genommen hat das Richtrohrmikrofon daher zwei Richtcharakteristiken. Als Druckgradientenmikrofon klingt das Richtrohrmikrofon recht tiefenarm. Bei Beschallung aus der Nähe reagiert es mit einer deutlichen Bassanhebung (Nahbesprechungseffekt). Gelegentlich wird es daher auch als Reportagemikrofon (Handmikrofon) eingesetzt. Üblich sind Wandlertechniken nach dem Prinzip des Kondensator- oder Elektretmikrofons.

Falsche Erwartungen

Bei Richtrohrmikrofonen (Interferenzrohr), häufig an Camcordern und anderen Fernseh- und Film-Kameras, führt die Länge des Rohrs zu Hoffnungen, die in der Praxis nicht eintreffen. Der häufig gemachte Vergleich mit einem Teleobjektiv und der Möglichkeit des Heranzoomens ist nichtzutreffend, weil kein Richtmikrofon den auf seiner Achse einfallenden Schall vergrößert. Die Richtwirkung kommt nur daher, dass der Schall aus anderen Richtungen unterdrückt wird. Im reflexionsarmen Raum kann man mit einer Kugel genauso gut „entfernte“ Schallquellen aufnehmen wie mit einem beliebig starken Richtmikrofon. Erst durch den reflektierten Schall (Raumschall im Diffusfeld) und durch den Störschall ergibt sich eine Existenzberechtigung von Richtmikrofonen. Wenn der Diffusschall viel größer ist als der direkte Schall, also außerhalb vom Hallradius, funktioniert diese Auslöschung nicht mehr. Daher nimmt die feststellbare Richtwirkung jedes Richtmikrofons ab, wenn der Abstand zur Schallquelle größer wird und der Diffusfeldanteil dabei wächst. Wir haben als Mensch beim Hören Fähigkeiten der Signalfilterung, die nicht einfach auf ein Richtrohrmikrofon übertragen werden können.

Quellen

  1. Michael Dickreiter, Handbuch der Tonstudiotechnik, 6. Auflage 1997, Band 1, Seite 171
  2. Thomas Görne, Mikrofone in Theorie und Praxis, 2. Auflage 1996, Seite 97

Literatur (neu)

Michael Dickreiter, Volker Dittel, Wolfgang Hoeg, Martin Wöhr, "Handbuch der Tonstudiotechnik", 7. völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Herausgegeben von der ARD.ZDF medienakademie, Nürnberg, 2 Bände, Verlag: K G Saur, München, 2008, ISBN 3-598-11765-5 oder ISBN 978-3-598-11765-7

Siehe auch

Richtcharakteristik | Aufnahmebereich | Mikrofonierung | Mikrofon-Windschutz | Nahbesprechungseffekt |


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