- Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10)
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Die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD, engl.: International Classification of Diseases) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. Die aktuelle, international gültige Revision ist ICD-10, Version 2006.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte der ICD
Die Ursprünge des ICD-Systems gehen auf die 1850er Jahre zurück. 1893 wurde die von Jacques Bertillon erarbeitete Bertillon-Klassifikation beziehungsweise das Internationale Todesursachenverzeichnis eingeführt. Nach und nach entstand aus älteren internationalen Klassifikationen, die ursprünglich ausschließlich zur Erfassung von Todesursachen dienten, das ICD-System, das 1938 bereits in der 5. Revision vorlag. Seit ihrer Gründung wird das Klassifikationssystem von der WHO weiterentwickelt, die 1948 die 6. Revision vorlegte. Bis zur ICD-9 (1976) erfolgten etwa alle zehn Jahre Revisionen, da aufgrund der Fortschritte in der Medizin Änderungen und Ergänzungen erforderlich wurden. Die Arbeit an der letzten, zehnten Revision begann 1983 und wurde 1992 abgeschlossen. Im Frühjahr 2007 wurde an den ersten Arbeiten zum ICD-11 begonnen.[1] Derzeit ist die aktuelle Version die ICD-10, Version 2007.
In der DDR erfolgte ab 1952 die Kodierung der Diagnosen sowohl bei stationärer als auch bei ambulanter Behandlung nach jeweils gültigem ICD als Eintrag in das SV-Heft. In der Bundesrepublik Deutschland wurde 1986 erstmals die ICD-9 zur Diagnosenverschlüsselung in Krankenhäusern verpflichtend eingesetzt. Eine deutschlandspezifische, von der WHO-Version abweichende Version (ICD-10-SGB-V) wurde seit 2000 eingesetzt. Ab 2004 ist eine deutsche Fassung, eine sogenannte German Modification (GM) im Einsatz. Momentan gilt die ab dem 1. Januar 2009 verwendete ICD-10-GM 2009 10. Revision - German Modification, Version 2009. Sie ist zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung anzuwenden. Für die Todesursachenverschlüsselung gilt weiterhin die ICD-10-WHO Version 2006.
Länderspezifische Ausgaben und Spezialausgaben
Einige Staaten wie Deutschland, Österreich, die USA und Australien verwenden länderspezifische ICD-Erweiterungen. In den USA ist eine an klinische Bedürfnisse angepasste Version ICD-9-CM (clinical modification) populär. In Österreich wird die Version ICD-10 BMSG 2001 verwendet. Die deutsche ICD-Ausgabe heißt ICD-10-GM (German modification) und wird vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) gepflegt und herausgegeben. Dort sind auch ältere, in Ost- und West-Deutschland verwendete ICD-Versionen archiviert und einsehbar. Darüber hinaus gibt es in Deutschland ein alphabetisches Verzeichnis zur ICD-10-GM, den sogenannten Diagnosenthesaurus.
Für verschiedene Fachbereiche (Pädiatrie, Neurologie) existieren Spezialausgaben.
In Deutschland wird die ICD-10 im ambulanten Bereich durch einen angefügten Buchstabencode erweitert (A = Ausschluss einer solchen Erkrankung; V = Verdacht auf; G = gesicherte Diagnose; Z = symptomloser Endzustand nach Überstehen einer Erkrankung; R = rechts; L = links; B = beidseits).
Nach den § 295 und 301 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch sind in Deutschland Ärzte und Krankenhäuser zur Diagnoseverschlüsselung nach ICD verpflichtet. Aus dem ICD und dem OPS-Code wird eine Diagnosis Related Group (DRG, Diagnosebezogene Fallgruppe) errechnet, so dass eine fall- und diagnosebezogene Abrechnung möglich wird. Die ICD sind zusammen mit der OPS-Verschlüsselung für Krankenhäuser Grundlage des DRG-Systems, das seit 2003 als Berechnungsgrundlage für Leistungsvergütung in Deutschland eingeführt wird. Ziel dieses neuen Systems ist es, trotz zunehmender Belastung des Gesundheitswesens durch die demographische Entwicklung eine Steuerungsmöglichkeit der Kostenentwicklung zu erhalten.
Bände
Die ICD-10 liegt in 3 Bänden vor:
- Band I: Systematisches Verzeichnis
- Band II: Regelwerk
- Band III: Alphabetisches Verzeichnis
Aufbau
Die ICD-10 ist ein einachsiges und monohierarchisches Klassifikationssystem. Sie gliedert sich in:
- eine dreistellige allgemeine Systematik (z. B. A95: Gelbfieber)
- eine vierstellige ausführliche Systematik (z. B. A95.0: Buschgelbfieber)
- gelegentlich fünfstellige Verfeinerungen (z. B. M23.31: Sonstige Meniskusschädigungen, vorderes Kreuzband oder Vorderhorn des Innenmeniskus)
Die Notation ist alphanumerisch. Die erste Stelle ist ein Buchstabe, die Stellen zwei bis fünf enthalten Ziffern, die vierte Stelle ist durch einen Punkt abgetrennt. Die Bereiche U00–U49 bzw. U50–U99 sind für Erweiterungen bzw. Forschungszwecke reserviert. ICD-10 enthält:
- 21 Krankheitskapitel
- 261 Krankheitsgruppen (z. B. E10–E14: Diabetes mellitus)
- 2.037 dreistellige Krankheitsklassen (Kategorien) (z. B. E10.-: Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-I-Diabetes])
- 12.161 vierstellige Krankheitsklassen (Subkategorien) (z. B.: E10.1: Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-I-Diabetes] mit Ketoazidose)
Die Einteilungs-Kriterien wechseln zwischen Topographie, Ätiologie und Pathologie.
Das systematische Verzeichnis enthält eine Zusatzklassifikation (M-Achse), mit der Neubildungen histologisch klassifiziert werden können. Hierbei handelt es sich um einen sechstelligen Schlüssel, der mit dem Buchstaben „M“ beginnt. Darauf folgen vier Ziffern zur Codierung der Neubildung, gefolgt von einem Schrägstrich (/) und einer Ziffer zur Codierung des pathologischen Verhaltens (z. B.: M8051/3: verruköses Karzinom o. n. A.). Der Aufbau der M-Achse entspricht weitgehend der Klassifikation nach ICD-O bzw. nach SNOMED.
Krankheitskapitel
Kapitel Notation Bezeichnung I A00-B99 Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten II C00-D48 Neubildungen (beispielsweise Tumore u.Ä.) III D50-D89 Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems IV E00-E90 Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten V F00-F99 Psychische und Verhaltensstörungen VI G00-G99 Krankheiten des Nervensystems VII H00-H59 Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde VIII H60-H95 Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes IX I00-I99 Krankheiten des Kreislaufsystems X J00-J99 Krankheiten des Atmungssystems XI K00-K93 Krankheiten des Verdauungssystems XII L00-L99 Krankheiten der Haut und der Unterhaut XIII M00-M99 Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes XIV N00-N99 Krankheiten des Urogenitalsystems XV O00-O99 Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett XVI P00-P96 Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben XVII Q00-Q99 Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien XVIII R00-R99 Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind XIX S00-T98 Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen XX V01-Y98 Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität XXI Z00-Z99 Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen XXII U00-U49 Schlüsselnummern für besondere Zwecke Doppelklassifikation von Erkrankungen
Einige Erkrankungen werden in ICD-10 mit einer Doppelklassifikation abgebildet. Die primäre Einteilung erfolgt nach der Ätiologie, die sekundäre nach der Organmanifestation. In der Systematik wird der Primärschlüssel mit einem Kreuzzeichen (†) abgebildet, der Sekundärschlüssel mit einem Sternzeichen (*). Diese Notation wird als Kreuz-Stern-System bezeichnet.
Beispiel: Der ICD-10-Code A17.0† (tuberkulöse Meningitis) ist bezüglich der Ätiologie eine Infektionskrankheit, und bezüglich der Organmanifestation eine Krankheit des Nervensystems (G01*).
Beispiel: Ein Augenarzt, der eine diabetische Retinopathie behandelt, und nicht die Grunderkrankung (Diabetes mellitus), ist vorrangig am klinischen Sekundärschlüssel interessiert:
- Ätiologie: E10.30+ Diabetes mellitus Typ I mit Augenkomplikation, nicht als entgleist bezeichnet.
- Organmanifestation: H36.0* Retinopathia diabetica.
Die Kreuz-Notation wird für statistische Zwecke verwendet. Die Stern-Notation hat einen größeren klinischen Bezug und wird u. a. für die Leistungsverrechnung verwendet.
Kritik an der ICD
In Deutschland hätte bereits 1996 die vertragsärztliche Abrechnung ausschließlich auf Basis der Verschlüsselung nach ICD-10 erfolgen sollen. Nach massivem Widerstand aus der Ärzteschaft wurde die ICD-10 zunächst als freiwillige Option eingeführt, die Verwendung einer überarbeiteten Version ist seit 2000 Pflicht.
Hauptkritikpunkte an der ICD sind:
- Es wurde befürchtet, dass durch datentechnische Auswertungsverfahren die ärztliche Schweigepflicht ausgehöhlt werden könnte („gläserner Patient“).
- Durch die Möglichkeit einer maschinellen Auswertung der Abrechnungsdaten solle die ärztliche Tätigkeit in unzulässigem Maß transparent und kontrollierbar gemacht werden („gläserner Arzt“)[2].
- Die Gliederung entspricht nicht medizinischen oder praktischen Gesichtspunkten, sondern folgt lediglich statistischen Erfordernissen. So werden etwa unter K alle Krankheiten des Verdauungssystems zusammengefasst (von den Zähnen bis zum Darmausgang), die in der ärztlichen Praxis ganz verschiedene Fachgruppen betreffen. Andererseits fehlen dort wichtige gastrointestinale Krankheiten wie Karzinome, die allgemein unter C eingeordnet sind.
- Die nationalen Anwendungen der ICD sind unvollständig. So waren zeitweise in der Bundesrepublik Deutschland Codes ausgeschlossen. Die internationale Vergleichbarkeit von Krankheitsursachen ist damit eingeschränkt.
- Die Verwendung mancher Diagnosen, speziell unter Z, könnte eine unzulässige Offenlegung der persönlichen Situation und Umgebung des Patienten sein, z. B. Angaben über Einflüsse aus dem familiären oder beruflichen Umfeld.
- Nicht jede Symptomatik entspricht einem Krankheitsbild nach ICD; das erschwert dem Arzt klare Angaben, wenn zunächst kein Krankheitsbild hundertprozentig passt.
- Auch unter statistischen Gesichtspunkten ist die ICD fragwürdig, weil sie nicht klar zwischen Diagnosen und Symptomen unterscheidet. (Hämaturie (ICD10: D68.3) ist ein Symptom, das verschiedene Ursachen haben kann. Dies führt zu Ungenauigkeit, weil formal immer das Symptom und die Ursache codiert werden sollten, aber in der Praxis selten beides codiert wird.)
Andere Klassifikationssysteme
In den USA ist in der Psychiatrie das DSM-IV-Klassifikationssystem verbreitet (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), welches einen völlig anderen Ansatz verwendet.
Literatur
- Thomas M. Lehmann (Hrsg.): Handbuch der medizinischen Informatik. 2. Ausg., Hanser, München/Wien, 2005.
- Bettina Busse: ICD-10 und OPs. Books on Demand, 2005.
Quellen
- ↑ [1] ICD-11
- ↑ Vgl. WELT-Online Artikel Der „gläserne Patient“ wird zum Zankapfel
Siehe auch
Weblinks
- ICD 10 - Infos und Datenbank beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information - DIMDI mit Links auf weitere Klassifikationen im Gesundheitswesen
- ICD Code Weblink zur ICD 10 GM und OPS Suche
- WHO ICD Homepage Offizielle Homepage der ICD bei der WHO
- WHO ICD-10 Homepage Offizielle Homepage des ICD-10 der WHO (englisch)
- deutschsprachige Suchmaschine für ICD-Diagnosen, Diagnosecodes und Diagnoseschlüssel Es können Diagnosen oder Codes eingegeben werden, der einer ärztlichen Diagnose angehängte letzte Buchstabe kann entfallen, dieser Zusatz bedeutet z. B. „G“ (gesicherte Diagnose) oder „V“ (Verdachtsdiagnose)
- Deutsche Suchmaschine für ICD-Diagnosen und OPS-Therapien Leistungsstarke Suchmaschine für ICD-10 und OPS Codes/Schlüssel bzw. deren Klartexte
- Semantische Suchmaschine für ICD- und OPS-Codes Semantische Suchmaschine für ICD- und OPS-Codes; inklusive Ableitung der entsprechenden DRGs
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